Antragder AfD-Fraktion vom 14.05.2019
Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau wieder einführen
I. Theorie des sozial geförderten Wohnraums
Wir brauchen mehr günstigen Wohnraum. Dieses Ziel ist vor allem dadurch zu erreichen, dass auf diesem Sektor das Angebot deutlich ausgeweitet wird. Denn solange es einen Engpass bei der Versorgung der Menschen mit ausreichendem Wohnraum gibt, solange wird der Markt über den Preis auf die erhöhte Nachfrage reagieren und die Mietkosten bestimmen.
Für die wirklich Bedürftigen, deren Haushaltseinkommen bestimmte Einkommensgrenzen unterschreitet, ist in diesem Zusammenhang der geförderte Wohnraum gedacht. Denn diese Personen sind nur zu oft nicht in der Lage, am freien Markt eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden, und haben daher Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Dieser erlaubt es dem Inhaber, in eine staatlich geförderte Wohnung zu ziehen. Eine solche Wohnung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Miethöhe gesetzlich festgelegt ist und nicht den Entwicklungen am freien Wohnungsmarkt unterliegt.1
II. Praxiserfahrungen der tatsächlich Wohnberechtigten
So sieht es in der Theorie aus. In der Praxis übersteigt die Zahl der Berechtigten aber die Zahl der geförderten Wohnungen um ein Vielfaches. Denn während über die Jahre hinweg der Bestand an Wohnungen insgesamt gestiegen ist, sank der Anteil des geförderten Wohnungsbaus erheblich, da sehr viele Wohnungen aus der Mietpreisbindung gefallen sind und laufend weitere daraus fallen.
Seit Jahrzehnten findet ein drastischer Rückgang des Bestands an Sozialwohnungen statt. Existierten in den 1970er Jahren noch über 1,3 Millionen Sozialwohnungen in NRW, so ist ihre Zahl in den letzten Jahren auf unter 500.000 gesunken (2017: 460.700) und wird sich bis zum Jahre 2030 um ein weiteres Drittel verringern.2 Die beabsichtigten Investitionen, die auf dem Wohnungsgipfel im Bundeskanzleramt „Gemeinsame Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und Gemeinden“ vom 21. September 2018 verkündet wurden und mit einem Mitteleinsatz von mindestens 5 Mrd. € einen bundesweiten Neubau von 100.000 Sozialwohnungen im Zeitraum 2018 bis 2021 zum Ziel haben, werden diese Lücke nicht füllen können. Die Entwicklung der neuerrichteten Mietwohnungen im Rahmen der sozialen Wohnungsbauförderung in Nordrhein-Westfalen bestätigen den offensichtlichen Widerspruch zwischen Wünschen und Realität: Neubau Mietwohnungen 7.110 (2016), 6.085 (2017) und 5.007 (2018).3
Zusätzlich gibt es ein weiteres, entscheidendes praktisches Problem: Beim erstmaligen Einzug in eine Wohnung des sozial geförderten Wohnungsbaus wird anhand des Einkommens geprüft, ob der Mieter zum Kreis der Begünstigten gehört. Danach gibt es aber keine Einkommensprüfung mehr, sodass in zahlreichen Fällen Menschen in geförderten Wohnungen leben, die ihnen wegen gestiegener Einkommen eigentlich gar nicht mehr zustünden. Genaue Zahlen hierzu gibt es nicht, weil keine Überprüfung mehr stattfindet, aber der Anteil der Nicht-Mehr-Berechtigten wird in einigen Städten auf bis zu 25 Prozent geschätzt. Manchen Berichten zufolge liegen sogar 40 Prozent der Bewohner von Sozialwohnungen bereits drei Jahre nach Einzug über den für die Sozialbindung zulässigen Einkommensgrenzen. Dieser Anteil steige deutlich, je länger das Objekt bewohnt würde.4
Andere wohnberechtigten Haushalte, die auf den Bezug einer Sozialwohnung angewiesen sind, müssen sich stattdessen auf dem freifinanzierten Wohnungsmarkt mit teureren Wohnungen versorgen. Es entsteht eine Fehlförderung.
Überdies wurde durch die starke Zuwanderung der letzten Jahre nach NRW, die in der Größenordnung von über 600.000 Menschen (2010 – 2017) liegt (insbesondere durch Flüchtlinge, aber auch durch Zuwanderung aus Staaten wie Rumänien, Polen und Bulgarien) der Druck auf das Segment des preiswerten Wohnraums verstärkt.
Allein aus dem Bereich „Antragsteller Asyl“ sind im Zeitraum von 2014 bis heute fast 380.000 Personen nach NRW gekommen. Die immense Bedeutung der Zuwanderung aus dem Ausland und der in der Folge überproportionale Zuzug in sozial benachteiligte Quartiere wurden bereits für das Jahr 2015 durch eine Auswertung bestätigt.5 Diese Zuwanderung darf nicht (zu Lasten der einheimischen Bevölkerung) in bereits unzureichende Wohnungsmärkte erfolgen, was derzeit jedoch der Fall ist. Zuzügler beispielsweise im Rahmen der Familienzusammenführung fallen ebenfalls meist in die Mietergruppe mit Berechtigung zum Bezug von Sozialwohnungen.
III. Gegensteuern durch Fehlbelegungsabgabe
Da ein solcher Zustand zahlreicher Fehlbelegungen offenkundig der ursprünglichen Zielrichtung des sozial geförderten Wohnraums widerspricht, nämlich bedürftige Einkommensgruppen mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen, gab es in Nordrhein-Westfalen noch bis ins Jahr 2006 hinein das Mittel der Fehlbelegungsabgabe. Mittels dieser Abgabe mussten Mieter einen Ausgleich für die ihnen nicht mehr zustehende Förderung bezahlen. Seine Wohnung verlassen musste niemand. Aber die so gewonnenen Mittel sollten wieder in den sozialen Wohnungsbau fließen.
Im Jahre 2006 beschloss NRW jedoch den Ausstieg aus der Abgabe. Noch Ende 2005 verkündete der damalige Landesminister für Bauen und Verkehr Oliver Wittke:
„Im Land herrscht keine Wohnungsnot, sozial Schwache können preiswerten Wohnraum finden und tausende Wohnungen stehen leer.“6
Seitdem ist allerdings eine völlig andere Wohnungsmarktsituation entstanden. Heute gilt das genaue Gegenteil: Es herrscht für eine zunehmende Zahl von Menschen Wohnungsnot bei steigenden Mieten. Sozial Schwache konkurrieren um immer weniger preiswerten Wohnraum und preiswerte freie Wohnungen sind höchstens noch im ländlichen Raum zu finden. Zugleich profitieren viele Mieter von sozialem Wohnraum von günstigen Mieten, obwohl ihnen diese nicht mehr zustehen.
Der Verzicht auf eine Fehlbelegungsabgabe wurde auch damit begründet, dass der Verwaltungsaufwand nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den generierten Einnahmen stände. Seit der Einführung des Verzichts auf die Abgabe hat sich sowohl die Zahl der preisgebundenen Sozialwohnungen als auch der Nachfragedruck auf diese verbleibenden Wohnungen jedoch deutlich verändert. Dennoch wäre eine Fristenregelung zu prüfen, die nicht auf einen jährlichen, sondern zwei- oder dreijährigen Prüfungszyklus abzielen würde. Entsprechend müsste jedoch auf Bundesebene eine vergleichbare Regelung bei den gesetzlichen Vorgaben zum Wohnungsgeld angestrebt werden.
IV. Der Landtag stellt fest,
dass der entstandene Nachfragedruck auf dem Wohnungsmarkt, insbesondere durch Zuwanderung aus dem Ausland, sowohl den preiswerten privaten Wohnungsmarkt als auch den kleiner werdenden Bereich der Sozialbauwohnungen trifft. Eine anfänglich berechtigte, später jedoch fehlgeleitete Subvention von Mietern von sozial gefördertem Wohnraum, deren Einkommen sich im Laufe der Zeit erhöht haben, geht zu Lasten von tatsächlich wohnberechtigten Einkommensgruppen. Um eine solche Fehlförderung zu vermeiden, sollen ungerechtfertigte Mietvorteile abgeschöpft und wieder in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Auch der Erwerb von Belegungsrechten ist möglich.
V. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. in Anlehnung an die zum 1. Januar 2006 in Nordrhein-Westfalen abgeschaffte „Fehlbelegungsabgabe“ einen aktualisierten Gesetzentwurf zum Fehlbelegungsrecht vorzulegen, der auch eine Fristenregelung für die Prüfung der Berechtigung einbezieht;
2. auf Bundesebene eine entsprechende Änderung der Fristenregelung für die Prüfung der Wohngeldberechtigung beim Wohngeldgesetz auf den Weg zu bringen.
Roger Beckamp
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 „Kommt die Fehlbelegungsabgabe 2.0“ vom 18. November 2015, Mitteilung des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins
2 NRW.Bank: Preisgebundener Wohnungsbestand 2017, Düsseldorf 2018, S. 2
3 Vgl. Soziale Wohnraumförderung 2016, 2017 und Bewilligungsergebnis im Berichtsjahr 2018, hrsg. von der NRW.BANK
4 Kölner Haus- und Grundbesitzerverein, a.a.O.;
www.welt.de/finanzen/immobilien/article147256158/Gutverdiener-nehmen
5 vgl. Wanderung in die Städte aus kleinräumiger Perspektive, in: Zuwanderung in die Städte, BBSR-Analysen KOMPAKT 09/2018, S. 9
6 Pressemitteilung des Ministeriums für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.11. 2005: Wittke: Fehlbelegungsabgabe ist nicht mehr zeitgemäß