Kleine Anfrage 5646der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Markus Wagner vom 30.06.2021
Flüchtlingsfeindliche Straftaten in NRW im ersten Halbjahr 2021
Eine Anfrage zum Themenkomplex „Flüchtlingsfeindliche Straftaten“ ergab, dass es im Jahre 2018 insgesamt 154 entsprechende Straftaten gegeben hat, davon 27 Gewaltdelikte.1 Hierbei ist zu bedenken, dass die Einstufung als „flüchtlingsfeindliche Straftat“ zum damaligen Zeitpunkt sehr weitreichend ausgelegt wurde. So zählten dazu auch Straftaten gegen geplante oder im Bau befindliche Einrichtungen, die der Unterbringung von Flüchtlingen dienen sollten, sowie solche, die sich gegen Organisationen richteten, welche sich unmittelbar für die Belange von Flüchtlingen einsetzen.
In 150 dieser Fälle wurden diese Straftaten dem Phänomenbereich PMK-Rechts zugeordnet. Allerdings konnten nur 80 Tatverdächtige ermittelt werden.
Eine Kleine Anfrage für das Berichtsjahr 2019 hat ergeben, dass sich die Anzahl entsprechender Straftaten auf 223 Fälle erhöht hat. Dabei konnten in 142 Fällen Tatverdächtige ermittelt werden. Bei 100 Straftaten konnte kein Täter eruiert werden.2
Eine weitere Kleine Anfrage für das Berichtsjahr 2020 hat ergeben, dass sich die Anzahl entsprechender Straftaten auf 284 Fälle weiter erhöht hat. Dabei konnten in 157 Fällen Tatverdächtige ermittelt werden. Bei 127 Straftaten konnte kein Täter eruiert werden. Ohne erfolgte Ermittlung eines Täters, wurden 120 von 127 Straftaten dem Phänomenbereich PMK-Rechts zugeordnet.
Ziel der Anfrage für das erste Halbjahr 2021 ist es erneut, eine differenziertere Aufschlüsselung der Straftaten zu erhalten als sie für das Berichtsjahr 2019 vorliegt.
So gilt es, die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren, der Anklagen, der Verurteilungen und der Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren darzulegen. Zu diesen unterschiedlichen Bereichen konnte die Landesregierung für das Berichtsjahr 2019 – anders als z.B. bei antisemitischen Straftaten – keine weitergehenden Angaben machen.3
Auch die wichtige Frage, ob im konkreten Fall Menschen direkt angegriffen wurden und zu Schaden kamen oder ob die Straftat beispielsweise gegen eine im Bau befindliche Unterkunftseinrichtung gerichtet war, konnte die Landesregierung nicht beantworten. Eine genaue Lagebeurteilung wird so zumindest erschwert.4
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Straftaten wurden im ersten Halbjahr 2021 in Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit Flüchtlingen verzeichnet? (Bitte differenzieren nach a) gegen Flüchtlingsunterkünfte bzw. von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen; b) gegen geplante bzw. im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte; c) gegen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende außerhalb ihrer Unterkunft bzw. Wohnung und d) gegen Einrichtungen, die sich unmittelbar für die Belange von Flüchtlingen einsetzen. Bitte auch nach Anzahl der verletzten Personen, Ort und Datum aufschlüsseln.)
- Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität, Alter und Geschlecht auflisten)
- In welche Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität fallen die unter Frage 1 erfragten Straftaten in Fällen, in denen ein Täter ermittelt werden konnte, sowie in Fällen, in denen kein Täter ermittelt werden konnte?
- Auf welcher Erkenntnisgrundlage erfolgte im letzteren Fall die konkrete Zuordnung? (Bitte einzeln auflisten)
- Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im ersten Halbjahr 2021 im Zusammenhang mit flüchtlingsfeindlichen Straftaten?
Gabriele Walger-Demolsky
Markus Wagner
1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/5341
2 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8691
3 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8691; Frage 5
4 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8691; Frage 1
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 5646 mit Schreiben vom 3. August 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten.
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben.
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
- gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.
Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
- Wie viele Straftaten wurden im ersten Halbjahr 2021 in Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit Flüchtlingen verzeichnet? (Bitte differenzieren nach a) gegen Flüchtlingsunterkünfte bzw. von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen; b) gegen geplante bzw. im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte; c) gegen Flüchtlinge bzw. Asylsuchende außerhalb ihrer Unterkunft bzw. Wohnung und d) gegen Einrichtungen, die sich unmittelbar für die Belange von Flüchtlingen einsetzen. Bitte auch nach Anzahl der verletzten Personen, Ort und Datum aufschlüsseln.)
Im ersten Halbjahr 2021 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen insgesamt 39 flüchtlingsfeindliche Straftaten erfasst.
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 1 zu entnehmen.
Eine Aufschlüsselung nach den Fallgruppen a) – d) kann nicht mit einem vertretbaren Aufwand innerhalb der für die Beantwortung Kleiner Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit erstellt werden, da die genannten Kriterien mit den polizeilichen statistischen Kriterien nicht deckungsgleich sind. Eine Erhebung der Daten würde daher eine zeitaufwändige Einzelauswertung aller in Betracht kommender Vorgänge erfordern.
- Bei wie vielen der unter Frage 1 erfragten Straftaten konnte ein Täter ermittelt bzw. festgenommen werden? (Bitte einzeln nach Straftatbestand, Nationalität, Alter und Geschlecht auflisten)
Im ersten Halbjahr 2021 wurden zu den in der Antwort auf Frage 1 genannten Fällen insgesamt 20 Tatverdächtige ermittelt.
Weitergehende Daten bitte ich der Anlage 2 zu entnehmen.
- In welche Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität fallen die unter Frage 1 erfragten Straftaten in Fällen, in denen ein Täter ermittelt werden konnte, sowie in Fällen, in denen kein Täter ermittelt werden konnte?
Im ersten Halbjahr 2021 wurden flüchtlingsfeindliche Straftaten folgenden Phänomenberei-chen zugeordnet:
Phänomenbereich | geklärt | ungeklärt |
PMK- rechts | 17 | 16 |
PMK- nicht zuzuordnen | 0 | 4 |
PMK- ausländische Ideologie | 0 | 2 |
PMK- links | 0 | 0 |
PMK- religiöse Ideologie | 0 | 0 |
Gesamt | 17 | 22 |
Als geklärt sind die Fälle anzusehen, bei denen ein oder mehrere Tatverdächtige ermittelt werden konnten.
4. Auf welcher Erkenntnisgrundlage erfolgte im letzteren Fall die konkrete Zuordnung? (Bitte einzeln auflisten)
Die Zuordnung einer Straftat in einen Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität erfolgt stets auf Grundlage und nach Betrachtung des Einzelfalls. So erfolgt eine Zuordnung, wenn nach Würdigung der Umstände der Tat Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person, wegen ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen Aufenthaltsstatus (Asylbewer-ber/Flüchtling) gerichtet ist und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.
5. Wie viele eingeleitete Ermittlungsverfahren, Anklagen, Verurteilungen und Einstellungen von Ermittlungen bzw. von Verfahren (bitte jeweils mit Begründung) gab es im ersten Halbjahr 2021 im Zusammenhang mit flüchtlingsfeindlichen Straftaten?
Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Straftaten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Dem Ministerium der Justiz liegen die zur Beantwortung erforderlichen Zahlen nicht vor und können innerhalb der für die Beantwortung Kleiner Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit mit einem für die Strafrechtspflege vertretbaren Aufwand nicht beschafft werden. Ermittlungsverfahren wegen flüchtlingsfeindlicher Straftaten werden in den Statistiken und Datenbanken der Justiz nicht gesondert erfasst. Eine Erhebung der Daten würde daher eine Einzelauswertung der Akten aller in Betracht kommenden Verfahren erfordern.