Flutkatastrophe hat Leben gefordert und schwere Schäden in NRW verursacht – Wo war das Krisenmanagement der Landesregierung?

Kleine Anfrage
vom 02.08.2021

Kleine Anfrage 5883des Abgeordneten Andreas Keith vom 02.08.2021

 

Flutkatastrophe hat Leben gefordert und schwere Schäden in NRW verursacht Wo war das Krisenmanagement der Landesregierung?

Die Flutkatastrophe in NRW hat Opfer gefordert und immensen Schaden angerichtet. Viele Bürger haben dabei nicht nur einen materiellen sondern auch einen ideellen Schaden erlitten. Messstationen hätten heftige Regenfälle mit mehr als 240 Liter pro Quadratmeter verzeichnet.1

Am 23. Juli 2021 berichtete der WDR in dem Online-Artikel „Volle Talsperren vor Unwetter: Ministerium will Konsequenzen ziehen“ über Puffer für wachsende Pegelstände bei den Talsperren.2 So heißt es im Artikel: „Vielerorts waren die Becken vor den angekündigten Regengüssen fast komplett voll. Die Wuppertalsperre war zum Beispiel am Wochenende davor zu 98 Prozent erfüllt, die Neyetalsperre sogar zu 100 Prozent.“

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie war die Meldekette der Ereignisse von der Warnung des Europäischen Hochwasserwarnsystems über das LANUV zu den Kommunen aus Sicht der Landesregierung?
  2. Warum hat die Landesregierung nicht sichergestellt, dass nach Übermittlung der Unwetter-Warnung vor Ort in den Kommunen auch die richtigen Folgemaßnahmen getroffen wurden?
  3. Welche Gespräche (vor Ort als Treffen oder telefonisch) fanden zwischen den Mitgliedern der Landesregierung und den Wasserverbänden im Zeitraum vom 10. Juli 2021 bis 17. Juli 2021 statt? (bitte aufschlüsseln nach Ministerium, Datum und Uhrzeit, Gesprächsteilnehmern und Inhalt des Gespräches)
  4. Warum wurde der Koordinierungsstab nicht schon vor dem 14. Juli 2021 einberufen, obwohl schon am Sonntag, 10. Juli 2021, entsprechende Unwetterwarnungen regional eingegrenzt und mit den entsprechenden Niederschlagsmengen bekannt wurden?
  5. Welche gesetzlichen Möglichkeiten gibt es, die Talsperrenbetreiber in Vorankündigung von meteorologischen Starkregenereignissen und Hochwasser-Warnmeldungen zum Ablassen von Talsperren-Wasser zu veranlassen (Stichwort: Hochwasser-Puffer)?

Andreas Keith

 

Anfrage als PDF

 

1 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/unwetter-klima-lanuv-100.html

2 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/unwetter-hochwasser-flut-talsperren-nrw-100.html


Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 5883 mit Schreiben vom 16. September 2021 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.

  1. Wie war die Meldekette der Ereignisse von der Warnung des Europäischen Hochwas-serwarnsystems über das LANUV zu den Kommunen aus Sicht der Landesregie­rung?

Eine systematische Beschreibung der meteorologischen Informationen zu dem Hochwasser­ereignis 2021 einschließlich des European Flood Awareness Systems (EFAS) enthält Kapitel 4 des Landtagsberichts (Landtags-Vorlage 17/5548). In dem darauffolgenden Kapitel 5 des Landtagsberichts (Landtags-Vorlage 17/5548) wird umfassend über die Aufgabe der Einschät­zung der Hochwasserlage und die daraus ggfls. erforderliche Aufgabe der Ableitung von hyd­rologischen Meldungen und deren Verbreitung in Nordrhein-Westfalen berichtet.

Die Weitergabe der hydrologischen Informationen an Behörden und Kommunen und andere Personen außerhalb der Wasserwirtschaftsverwaltung Nordrhein-Westfalens liegt grundsätz­lich beim Hochwassermeldedienst der Bezirksregierungen. Einzelheiten des Hochwassermel-dedienstes werden in den jeweiligen Hochwassermeldeordnungen der Gewässer, für die ein Hochwassermeldedienst betrieben wird, geregelt.

  1. Warum hat die Landesregierung nicht sichergestellt, dass nach Übermittlung der Unwetter-Warnung vor Ort in den Kommunen auch die richtigen Folgemaßnahmen getroffen wurden?

Die Frage impliziert, dass nach Übermittlung der Unwetter-Warnung vor Ort in den Kommunen Folgemaßnahmen sofort und zweifelsfrei erkennbar und zwingend erforderlich gewesen wä­ren. Diese Annahme ist unzutreffend: Die Unwetter-Warnungen enthielten keine präzisen Orts­, Zeit- und Niederschlagsmengenprognosen und auch keine konkreten Pegelstandprognosen für das vorhergesagte Starkregenereignis.

Nach dem Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) unterhalten die Gemeinden für den Brandschutz und die Hilfeleistung (…) den örtli­chen Verhältnissen entsprechende leistungsfähige Feuerwehren als gemeindliche Einrichtun­gen. Sie sind im Katastrophenschutz und bei der Umsetzung der von dem für Inneres zustän­digen Ministerium ergangenen Vorgaben zur landesweiten Hilfe unter Federführung des Krei­ses zur Mitwirkung verpflichtet und gemeinsam mit dem Kreis für die Warnung der Bevölke­rung verantwortlich (§ 3 Absatz 1 BHKG). Die Gemeinden haben unter Beteiligung ihrer Feu­erwehr Brandschutzbedarfspläne und Pläne für den Einsatz der öffentlichen Feuerwehr auf­zustellen, umzusetzen und spätestens alle fünf Jahre fortzuschreiben (§ 3 Absatz 3 BHKG). Die Gemeinden und Kreise nehmen die Aufgaben nach diesem Gesetz als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (i. S. § 2 Absatz 2 BHKG) innerhalb ihres eigenen Wirkungskreis d. h. als ureigenen Aufgabenbereich einer Selbstverwaltungskörperschaft, wahr.

Den zuständigen Aufsichtsbehörden (i. S. § 53 BHKG) lagen während des Starkregenereig-nisses keine Erkenntnisse vor, wonach Kommunen richtige Folgemaßnahmen unterlassen o­der falsche Folgemaßnahmen veranlasst hätten.

  1. Welche Gespräche (vor Ort als Treffen oder telefonisch) fanden zwischen den Mit­gliedern der Landesregierung und den Wasserverbänden im Zeitraum vom 10. Juli 2021 bis 17. Juli 2021 statt? (bitte aufschlüsseln nach Ministerium, Datum und Uhrzeit, Gesprächsteilnehmern und Inhalt des Gespräches)

Solche Gespräche haben im fraglichen Zeitpunkt nicht stattgefunden.

  1. Warum wurde der Koordinierungsstab nicht schon vor dem 14. Juli 2021 einberu­fen, obwohl schon am Sonntag, 10. Juli 2021, entsprechende Unwetterwarnungen regional eingegrenzt und mit den entsprechenden Niederschlagsmengen bekannt wurden?

Die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) erstreckten sich nach ersten Konkreti­sierungen auf das Münsterland bis in den Südwesten Nordrhein-Westfalens. In den Wetter­prognosen wurde immer wieder betont, dass sich die Niederschlagsmengen räumlich sehr unterschiedlich entwickeln würden und auch sehr kurzfristig verändern könnten. Noch am 14. Juli 2021, 10:28 Uhr, wurde in den DWD-Warnlageberichten für Nordrhein-Westfalen ausge­wiesen, dass es nach wie vor sogenannte Modellunsicherheiten in den Prognosen gab, sodass eine exakte räumliche und zeitliche Angabe der Niederschlagsmenge fehlte.

Dementsprechend war es nicht möglich, die betroffenen Kommunen und Gewässer frühzeitig präzise zu identifizieren und die Auswirkungen etwa auf die Abflussverhältnisse vor Ort belast­bar abzuschätzen. Auch der Leiter der Vorhersage- und Beratungszentrale des DWD hat ge­sagt: „Dass die Auswirkungen so extrem sein würden, davon hatten wir wirklich keine Vorstel­lungen.“

Von daher bestand in den Tagen vorher – etwa dem 10. Juli 2021 – wegen der unbestimmten Lage und Lageentwicklung keine Veranlassung zur Aktivierung der Koordinierungsgruppe des Krisenstabs der Landesregierung.

Die eingegangenen Warnungen des DWD wurden seitens des Ministeriums des Innern (IM) fortlaufend bewertet. Als sich die Warnungen des DWD hinsichtlich der möglicherweise be­troffenen Gebiete konkretisierten, wurde seitens des IM am 13. Juli 2021 eine Landeslage für die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr im Informationssystem Gefahrenabwehr (IG NRW) per Erlass eingerichtet. Mit Einrichtung der Landeslage wurden die Bezirksregierungen als obere Katastrophenschutzbehörden und nachfolgend die Kreise und kreisfreien Städte als untere Katastrophenschutzbehörden eindeutig und unmissverständlich auf die konkrete Gefahren­lage durch die Extremwetterlage hingewiesen und zum Berichtswesen aufgefordert.

  1. Welche gesetzlichen Möglichkeiten gibt es, die Talsperrenbetreiber in Vorankün­digung von meteorologischen Starkregenereignissen und Hochwasser-Warnmel­dungen zum Ablassen von Talsperren-Wasser zu veranlassen (Stichwort: Hoch­wasser-Puffer)?

Der Betrieb von Talsperren obliegt dem Talsperrenbetreiber und richtet sich nach dem Geneh­migungsbescheid bzw. zugehörigen Betriebsplan.

Bei Hochwassergefahr sind die Unternehmer von Stauanlagen gemäß § 100 Abs. 3 des Lan-deswassergesetztes NRW (LWG) verpflichtet, die Anlagen nach näherer Anordnung der zu­ständigen Behörde ohne Entschädigung für die Hochwasserabführung und Hochwasserrück-haltung einzusetzen. Hierfür ist gemäß 22.1.63.2 der Anlage der Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz (ZustVU) bei Gewässern erster und zweiter Ordnung sowie bei Talsperren und Rückhaltebecken (§ 75 Absatz 2 und 3 LWG) die Bezirksregierung zuständig. Im Übrigen sind die unteren Wasserbehörden sachlich zuständig.

Auch in Fällen, in denen noch keine Hochwassergefahr gegeben ist, kann die zuständige Be­hörde im Rahmen der Stauanlagenaufsicht zur Gefahrenabwehr tätig werden; es ist gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 LWG unter anderem Aufgabe der Gewässeraufsicht, die Talsperren zur Abwehr von Gefahren zu überwachen. Die Zuständigkeiten hierfür ergibt sich aus der Zustän­digkeitsverordnung Umweltschutz (ZustVU); gemäß 22.1.58.6 der Anlage der ZustVU ist inso­fern die Bezirksregierung zuständig, sofern sie für das Planfeststellungs- oder Plangenehmi­gungsverfahren nach § 68 WHG zuständig ist.

 

Antwort als PDF

Beteiligte:
Andreas Keith