Kleine Anfrage 314
des Abgeordneten Dr. Hartmut Beucker vom 10.08.2022
Förderung antijüdischer und antiisraelischer Kulturschaffender in NRW?
Die bekannt gewordenen Ereignisse bei der Documenta Fifteen beschäftigen die Öffentlichkeit.1,2, 3,4,5,6
Im Rahmen der Konzeption der Documenta als Plattform des „globalen Südens“ präsentierte eine indonesische Künstlergruppe ein Wandbild mit eindeutig antisemitischen Motiven.
Nach Bekanntwerden dieses Ausstellungsobjekts wurde die Ausstellungsleitung und die Staatsministerin für Kultur Roth heftig kritisiert, das Wandbild wurde entfernt, die Ausstellungsleiterin trat zurück.
Kurz darauf wurden dann weitere antisemitische Motive entdeckt, der Interims-Leiter der Ausstellung lehnt sowohl eine Entfernung derselben als auch eine systematische Überprüfung aller Exponate auf antisemitische Motive aber ab, was zu Forderungen führt, die Documenta Fifteen zu unter- oder ganz abzubrechen.7,8,9
Anscheinend ist beabsichtigt, den Stellenwert der Opfer des Nationalsozialismus gegenüber den Opfern von Kolonialpolitik zu vermindern.10,11,12 Israel wird von linken Intellektuellen einerseits als Kolonialmacht gesehen, die fremde Gebiete besetzt hält und die dortige Bevölkerung unterdrückt. Andererseits widerspricht die Überlebens-Notwendigkeit Israels, trotz wachsender arabischer Minderheit ein jüdischer Staat zu bleiben, den vielerorts vorhandenen multikulturellen Wunschvorstellungen.
Eine Affinität von Teilen insbesondere des linken politischen Spektrums zur Sache der palästinensischen Araber hat aber eine längere Tradition.
Die deutschen Terroristen der Roten Armee Fraktion RAF kooperierten – etwa bei der Entführung der Lufthansa Maschine „Landshut“ – mit terroristischen palästinensischen Arabern.
Personen aus dem linken Spektrum, darunter auch ein späterer Bundesminister, nahmen an Kongressen der Palästinensischen Befreiungsfront PLO teil.
Die blutige Entmachtung der Fatah durch die Hamas in Gaza und die seit 16 Jahren ausbleibenden Wahlen im Westjordanland haben der Sympathie zu den „Palästinensern“ und deren Betrachtung als Opfer keinen Abbruch getan.
So haben die Jusos in der SPD unlängst die Fatah-Jugend zur Schwesterorganisation ernannt.
Auch die sich zu Ungunsten der ohnehin kleinen jüdischen Minderheit auswirkenden demografischen Veränderungen in Deutschland könnten durchaus eine Rolle spielen.
Im Rahmen der aktuellen „postkolonialistischen“ – früher „antiimperialistischen“ – Bestrebungen erscheint vielen die Betonung der „Singularität“ des Holocaust als störend und die Solidarisierung mit dem „globalen Süden“ behindernd.
Als direkte Boykottbewegung gegen Israel ist die von palästinensischen Arabern initiierte einflussreiche Kampagne „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ BDS tätig, die weltweit von Künstlern und Intellektuellen unterstützt wird.13
Die dagegen gerichtete Antisemitismus-Resolution des Bundestages aus dem Jahr 2019, die die BDS-Bewegung scharf verurteilt, die Förderung ihrer Projekte ablehnt, und Länder, Städte und Gemeinden auffordert, sich dieser Haltung anzuschließen, kritisierten deutsche Intellektuelle als Bedrohung der Meinungsvielfalt.
Die diesbezügliche „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ wurde auch von Intendanten und Leitern nordrhein-westfälischer Bühnen in Düsseldorf, Essen, Köln und Krefeld-Mönchengladbach unterzeichnet.14,15,16
Bei der Ruhrtriennale gab es Kontroversen um die Einladung der an der BDS-Kampagne teilnehmenden Gruppe „Young Fathers“ im Jahr 2018 und des „Postkolonialismus“ Autors Mbembe im Jahr 2020 durch die damalige Intendantin.17,18,19
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung die Ereignisse bei der Documenta 15?
- Welche Ausstellungen, Aufführungen, Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen mit ähnlichen Themen und Problemstellungen wie bei der Documenta 15 sind der Landesregierung bekannt?
- Was unternimmt die Landesregierung, etwa bei der Zusammensetzung von Jurys, um Ähnliches wie bei der Documenta 15 in NRW zu verhindern?
- Gibt es für die Landesregierung nur „Antimuslimischen Rassismus“ oder auch „Muslimischen Antijüdischen Rassismus“?
- Wie schließt die Landesregierung zukünftig Vorkommnisse, wie bei der Ruhrtriennale aus?
Dr. Hartmut Beucker
1 Ulrike Knöfel, Carola Padtberg, Tobias Rapp, Der Kontrollverlust, DER SPIEGEL 25.06.2022
2 Omri Boehm, Das Schreiduell. Antisemitismus bei der documenta, ZEIT ONLINE 14.07.2022
3 Thomas E. Schmidt, Die Gesellschaft hat geantwortet. Antisemitismus auf der documenta, ZEIT ONLINE 20.07.2022
4 „Eine Anmaßung“. Der Kunsttheoretiker Bazon Brock über die wahren Wurzeln des Documenta-Streits in Kassel. Interview von Thomas Tuma, FOCUS, 23.07.2022
5 Dirk Peitz, Am Rande. Documenta, ZEIT ONLINE, 29.07.2022
6 Philipp Peyman Engel, Nächster Antisemitismus-Skandal: Die Documenta ist moralisch bankrott, FOCUS, 29.07.2022
7 Claudius Seidl, Sind sie blind – oder böse? Neuer Documenta-Skandal, FAZ, 28.07.2022
9 „Allein die Kuratoren entscheiden“. Der neue Documenta-Geschäftsführer Alexander Farenholtz über den jüngsten Skandal in Kassel und seine Pläne für eine bessere Kommunikation. Von Birgit Rieger, DER TAGESSPIEGEL, 29.07.2022
11 https://www.nzz.ch/meinung/deutschlands-erinnerungskultur-steckt-in-einer-krise-ld.1694717
12 https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/juli/israel-palaestina-debatte-falsche-freunde-im-hass-vereint
13 Thomas M. Eppinger, Wie man die Shoah gegen Israel instrumentalisiert. Wenn eine Holocaust-Konferenz den Sohn eines Shoa-Überlebenden ängstigt und den Holocaust verharmlost, befinden wir uns im Berlin des Jahres 2022, mena-watch, 17.06.2022
14 Carsten Klink, Boykott Desinvestitionen Sanktionen. Kulturinstitute kritisieren Anti-Israel-Boykott-Beschluss des Bundestags, lokalkompass.de, 15.12.2020
15 Sema Kouschkerian, Antisemitismus-Debatte. Kultur will öffentlichen Austausch über BDS. Düsseldorfer Intendanten unterstützen eine Initiative, in der manche eine Nähe zur antisemitischen BDS sehen. Dieses Engagement sorgt auch für Kritik, RP ONLINE, 07.01.2021
16 Interview mit Philipp J. Butler Ransohoff, „Der BDS ist ohne Zweifel antisemitisch“. Der Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft kritisiert Düsseldorfer Intendanten für ihre Initiative gegen die Antisemitismus-Resolution des Bundestages, RP ONLINE, 30.12.2020
17 Stefan Laurin, Ruhrtriennale: Konzert der Young Fathers findet nicht statt, RUHRBARONE, 12.06.2018
18 Konflikt um Ruhrtriennale-Einladung der Band „Young Fathers“. Kunst und/oder Ideologie? nacht kritik.de, 22.06.2018
19 Thomas Wessel, Ruhrtriennale: 3 Jahre Carp, 3 Jahre BDS, 3 Jahre Ergebnisse, RUHRBARONE, 22.08.2020
Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 314 mit Schreiben vom 5. September 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
In Nordrhein-Westfalen gibt es keinen Platz für Antisemitismus. Es ist vielmehr die Aufgabe aller Mitglieder unserer Gesellschaft, klar Stellung gegen Antisemitismus zu beziehen. Die Freiheit der Kunst hat dort ihre Grenzen, wo die Kunst antisemitische, rassistische oder menschenverachtende Formen annimmt.
- Wie bewertet die Landesregierung die Ereignisse bei der Documenta 15?
Die Kunstausstellung documenta in Kassel hat für die Kunst und Kultur deutschland- und weltweit eine große Bedeutung. Zur Bewertung der Ereignisse wird auf die Vorbemerkung verwiesen.
- Welche Ausstellungen, Aufführungen, Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen mit ähnlichen Themen und Problemstellungen wie bei der Documenta 15 sind der Landesregierung bekannt?
Über antisemitische Ausstellungen, Aufführungen und Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung keine Kenntnisse.
- Was unternimmt die Landesregierung, etwa bei der Zusammensetzung von Jurys, um Ähnliches wie bei der Documenta 15 in NRW zu verhindern?
§27 Abs. 3 des am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Kulturgesetzbuchs für das Land Nordrhein-Westfalen (KulturGB NRW) gibt folgenden Rahmen für die Arbeit von Jurys vor: „Jurys sind in Anwendung des Landesgleichstellungsgesetzes vom 9. November 1999 (GV. NRW. S. 590), das zuletzt durch Artikel 16 des Gesetzes vom 23. Januar 2018 (GV. NRW. S. 90) geändert worden ist, und im Sinne von § 10 Absatz 2 zu berufen. Neben Sachverständigen sollen auch Künstlerinnen und Künstler berufen werden. Es soll eine regelmäßige Rotation der Mitglieder sichergestellt werden.“ Geschlechtergerechtigkeit und Diversität sollen in der Kunst-und Kulturförderung verbindlich berücksichtigt werden, was dann auch für die Besetzung von Gremien und Jurys gilt (§ 10 Abs. 2 KulturGB NRW). Durch die auf diese Weise festgelegte diverse und immer wieder rotierende Zusammensetzung von Jurys und anderen Gremien soll die Festschreibung einseitiger Tendenzen verhindert werden. Die Besetzung erfolgt von Seiten der Landesregierung mit besonderer Sorgfalt.
- Gibt es für die Landesregierung nur „Antimuslimischen Rassismus“ oder auch „Muslimischen Antijüdischen Rassismus“?
Antisemitismus wie auch jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hat in Nordrhein-Westfalen keinen Platz. Die Landesregierung tritt Antisemitismus in all seinen Formen konsequent und entschieden entgegen. Dies wird in der Arbeit der Landesregierung und nicht zuletzt durch das im November 2018 geschaffene Amt einer Antisemitismusbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der im August 2021 eingerichteten Meldestelle Antisemitismus deutlich. Die Landesregierung orientiert sich in ihrer Arbeit an der Arbeitsdefinition von Antisemitismus, welche die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) am 26. Mai 2016 in Bukarest beschlossen hat und unterschiedliche Erscheinungsformen des Antisemitismus konkretisiert.
- Wie schließt die Landesregierung zukünftig Vorkommnisse, wie bei der Ruhrtrien-nale, aus?
Hinsichtlich der Ruhrtriennale 2018 – 2020 wird auf die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 36 der Fraktion der AfD „Antisemitismus in seiner Gesamtheit wissenschaftlich beleuchten – Das Lagebild Antisemitismus vervollständigen“ (LT-Drs. 17/15345) verwiesen.