Forschungsfreiheit mit Leben erfüllen – Die Annahme von Drittmitteln durch private Geldgeber braucht versierte fachliche Überprüfung

Antrag
vom 04.02.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 04.02.2020

 

Forschungsfreiheit mit Leben erfüllen – Die Annahme von Drittmitteln durch private Geldgeber braucht versierte fachliche Überprüfung

I. Ausgangslage

Die Einwerbung von Drittmitteln, auch aus privaten Geldquellen, wird heutzutage als ein wich­tiges Kriterium für die Güte einer Forschungseinrichtung gewertet. In der Finanzierung wissen­schaftlicher Forschung an Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben drittmittelbasierte Forschungsgelder aus der Industrie deshalb eine immer größere Be­deutung angenommen. Insbesondere, da die Grundfinanzierung der Hochschulen durch die Länder anteilsmäßig in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen ist. Darüber hinaus ist neben dem Forschungserfolg die Einwerbung von möglichst hohen Drittmitteln zu einem zentralen Kriterium für den Ruf eines Wissenschaftlers geworden, die seine Karrierech­ancen national wie international bestimmt. Mittlerweile ermöglichen in vielen Fällen nur noch eingeworbene Drittmittel wissenschaftliche Forschungen.

Im Folgenden sollen Fälle benannt werden, die veranschaulichen, dass es auf diesem Feld schon immer zu Konflikten zwischen den kommerziellen Interessen privater Drittmittelgeber auf der einen Seite und der Ergebnisoffenheit wissenschaftlicher Forschung auf der anderen gekommen ist, und dass dieses Spannungsfeld auch weiterhin besteht.

Prominentestes Beispiel ist die Finanzierung wissenschaftlicher Forschung im Bereich Ge­sundheit und Medizin durch die Zigarettenindustrie. Im Zuge von Gerichtsverfahren vor US-amerikanischen Gerichten offenbarte sich seit 1998 eine Einflussnahme auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu den Gefahren des Aktiv- und Passivrauchens durch die Tabakin­dustrie. Auch in Deutschland wurde ein breites Netzwerk von Wissenschaftlern und For­schungsinstitutionen von der Zigarettenindustrie gefördert. Unter dem Titel „Tabakindustrie und Ärzte: Vom Teufel bezahlt…“ haben sich Thilo Grüning von der London School of Hygiene and Tropical Medicine und der Lungenspezialist Nicolas Schönfeld vom Berliner Helios-Klini­kum Emil von Behring im „Deutschen Ärzteblatt“ dem Thema gewidmet. Ihren Recherchen zufolge wurden vor allem in den achtziger Jahren in Deutschland zahlreiche Projekte vom Verband der Zigarettenindustrie finanziert, bei denen teilweise auf die Anlage der Studien und die Art der Publikation Einfluss genommen wurde.1 Wenig verwunderlich, dass vor allem Lun­genspezialisten, deren Forschung den Anteil des Rauchens an der Krebsentstehung relati­vierte, als Ansprechpartner gefragt waren. Aufgrund dieser Einflussnahme ist im Jahre 2005 das Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) in einem „Ethischen Kodex“ eine grund­sätzliche Selbstverpflichtung eingegangen, keine finanziellen Mittel von Seiten der Tabakin­dustrie für die Krebsforschung mehr anzunehmen. Darin heißt es:

„Vorstand und Wissenschaftlicher Rat des Deutschen Krebsforschungszentrums beschließen gemeinsam folgenden Ethischen Kodex:

  1. Das Deutsche Krebsforschungszentrum und seine Mitarbeiter lehnen jegliche finanzi­ellen Mittel der Tabakindustrie für Forschungsförderung, Gutachterhonorare, Vortragsho­norare, Reisekosten, Wissenschafts- und andere Preise ab.
  2. Das Deutsche Krebsforschungszentrum und seine Mitarbeiter lehnen die Mitwirkung an Veranstaltungen der Tabakindustrie oder Dritter, die von der Tabakindustrie maßgeblich gesponsert werden, ab“.2

Zugleich legen die Mitarbeiter des DKFZ Wert darauf, dass sie auch kein Geld von Stiftungen des öffentlichen Rechts annehmen wollen, die von Tabakkonzernen abhängig sind. Diesem Beispiel folgten kurz darauf die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedi­zin wie der Bundesverband der Pneumologen, die sich jeweils einen eigenen ethischen Kodex gaben, der jede Form der Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie strikt ausschloss.

Am 01. Februar 1987 wurde in der Bundesrepublik der Verkauf verbleiten Normalbenzins ver­boten (Tetraethylblei). Diesem Verbot voraus ging eine Jahrzehnte dauernde Kampagne der Hersteller, welche die gesundheitsschädlichen Folgen des hochgiftigen Bleizusatzes im Kraft­stoff bestritten. Dies geschah in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, die Forschungsgelder von dieser Industrie erhielten. Die Einflussnahme auf wissenschaftliche Studien ging so weit, dass das American Petroleum Institute Forschungsabkommen mit unliebsamen Wissenschaft­lern in den USA aufkündigte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der von den Herstellern von Bleizusatzstoffen finanzierten Untersuchungen anmeldeten. In einem belegten Fall wurden Gremien des California Institute of Technology (Caltech) unter Druck gesetzt, einen wissen­schaftlichen Kritiker der Benzinverbleiung zu entlassen. Im Gegenzug bot die Petroleumin­dustrie dem Caltech die Finanzierung eines neugeschaffenen Lehrstuhls an.3

Bei anderen Themen, bei denen seit Jahrzehnten eine drängende Relevanz vorliegt, fehlt es hingegen mangels privater oder auch öffentlicher Drittmittelgeber an fundierten wissenschaft­lichen Untersuchungen. Das im Jahr 2000 verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat seit nunmehr 20 Jahren die Frage aufgeworfen, ob Infraschallemissionen von Wind­kraftanlagen die Gesundheit von Anwohnern gefährden können. Zu einer Klärung dieser ekla­tanten Problematik, so räumte das Umweltbundesamt ein, liegen bislang keine Ergebnisse von Langzeitstudien vor. „Viel Wind, wenig Forschung“, fasste das Ärzteblatt die Situation 2019 zusammen.4 Ein Mangel, der immer wieder von betroffenen Bürgern, Windpark-Anrai­nern und Initiativen beklagt wird, und das, obwohl der Einfluss von Infraschall auf den mensch­lichen Körper, sei es durch die Beeinträchtigung von Herzmuskelzellen, durch Veränderung der neuronalen Aktivität oder durch eine Fülle von Negativempfindungen bereits bestätigt ist.5 Ob die häufig auftretenden Klagen gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch jüngst angesto­ßene Studien ausgeräumt werden können, ist stark zu bezweifeln, dämpfte doch bereits ein in der Presse zitierter Wissenschaftler die Erwartungen: „Wenn wir eine Frage gelöst haben, stellen sich sofort zwei neue.“6

Zudem sind gegenwärtig in den Verträgen zwischen Drittmittelgebern und Wissenschaftlern die Rechte an der Publikation ihrer Forschungsergebnisse ein neuralgischer Punkt. Häufig bestehen privatwirtschaftliche Drittmittelgeber in den vertraglichen Bestimmungen ihres For­schungsauftrages darauf, dass ohne ihre ausdrückliche schriftliche Einwilligung die Resultate der Studie von den beauftragten Wissenschaftlern nicht veröffentlicht werden dürfen. Aufgrund derartiger Verträge können gegenwärtig selbst Forschungsergebnisse, an denen die Allge­meinheit ein großes Interesse besitzen würde, nicht publik gemacht werden. Außerdem kann es durch derartige privatrechtlichen Regelungen zu bedeutsamen Verzerrungen von wissen­schaftlichen Forschungsergebnissen kommen. So ist es in der Arzneimittelforschung gängige Praxis, dass Forschungsaufträge von Herstellern zur Begutachtung der Wirksamkeit neuer medizinischer Präparate nicht nur an eine Stelle, sondern an mehrere Institute vergeben wer­den. Nach Angaben des medizinischen Informationsdienst „arznei-telegramm“ müsse eine Pharmafirma acht Studien auf den Weg bringen muss, damit sie zwei mit für sie positivem Ergebnis erhält. 7 Kritische Befunde, die mitunter von einer überwiegenden Mehrzahl der be­auftragten Forscher festgestellt werden, können durch diese Praxis von den Auftraggebern mühelos unter Verschluss gehalten werden; hingegen kann es vorkommen, dass nur eine ein­zige Studie, die zu einem einigermaßen positiven Befund gekommen ist, als verzerrter Beleg der zu belegenden Wirksamkeit veröffentlicht wird. Darüber hinaus ist bei Drittmittelaufträgen momentan nicht immer gewährleistet, dass beteiligte Drittmittelgeber bei der Veröffentlichung der Studienresultate genannt werden. Dessen ungeachtet kommen wissenschaftliche Meta-studien, in denen die Ergebnisse von nicht-drittmittelbasierten Studien mit denen von drittmit-telbasierten Forschungen verglichen wurden, zu dem Ergebnis, dass auffällig oft signifikante Abweichungen zwischen beiden Studienarten vorliegen. Bei in drei unabhängig voneinander durchgeführten Metastudien wurde beispielsweise im Bereich der Elektro-Magnetischen Um­weltverträglichkeit festgestellt, dass in Forschungen, die durch private Drittmittelgeber finan­ziert wurden, eine geringere Gefahr von Gesundheitsbelastungen ermittelt wurde als in Stu­dien, die ohne Drittmitteln durchgeführt wurden.8

Um die gesetzlich gesicherte Forschungsfreiheit konkret mit Leben zu erfüllen, muss daher auch bei drittmittelfinanzierten Studien in der Praxis durchgängig gewährleistet sein, dass die wissenschaftliche Freiheit im Hinblick auf die Publikationsrechte, das Studiendesign und den Forschungsablauf im jedem Fall gewährleistet wird, ohne dass sie durch privatrechtliche Ab­sprachen zwischen Auftraggebern und Forschern eingeschränkt wird. Dies ist jedenfalls de jure grundsätzlich im Hochschulgesetz (Artikel 71) vorgesehen, indem Forschungsvorhaben, die aus Drittmitteln finanziert werden, von einem Hochschulmitglied nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn die Freiheit in Wissenschaft, Forschung, Lehre und Studium des Hoch­schulmitglieds sowie die Rechte und Pflichten anderer Personen nicht beeinträchtigt werden.

Freilich bedarf diese Regelung auch de facto zu ihrer konkreten Ermöglichung einer Reihe von spezifischen Voraussetzungen. Zu ihnen gehört an erster Stelle eine ausreichende Grundfi­nanzierung im Bereich der Wissenschaft. Nur durch die Abwesenheit permanenter Finanzie­rungsschwierigkeiten, die sich auf die Forschung und die Beschäftigung jüngerer wissen­schaftlicher Mitarbeiter auswirken, deren Verbleib und Weiterbeschäftigung von der erfolgrei­chen Neueinwerbung von Drittmitteln abhängen, können dauerhaft Interessenskonflikte ver­mieden werden, die zwischen den Grundsätzen der wissenschaftlichen Freiheit und unabhän­giger Forschung und auf der einen Seite sowie andererseits der Verantwortung für unterge­ordnete Wissenschaftler bestehen. Dies umso mehr, wenn die vorhandenen Grundmittel nicht im Geringsten für die Finanzierung von wichtigen Forschungsvorhaben und die notwendige Beschäftigung wissenschaftlicher Mitarbeiter ausreichen. Dabei hat sich mittlerweile ein mas­sives Ungleichgewicht zwischen den laufenden Grundmitteln und den benötigten Drittmitteln gebildet, wobei nicht selten letztere um den Faktor dreißig oder mehr die Grundmittel überstei­gen. Schließlich treten für Wissenschaftler eigene Karrierebelange hinzu und können zu einer schwierigen Abwägungsfrage führen. Solche hochschulinternen Interessenskonflikte sind vor allem dann gegeben, wenn die Entscheidung über die Einwerbung und Verwendung von Dritt­mitteln alleine bei einer oder zwei Personen liegt, für die eine möglichst umfangreiche Einwer­bung von Drittmitteln in bedeutsamen Maße berufs- und karriererelevant ist.

II. Der Landtag stellt fest:

1. Wie im Grundgesetz festgestellt, ist die Freiheit und Unabhängigkeit wissenschaftli­cher Forschung ein hohes Gut.

2. Die Einwerbung von Drittmitteln stellt eine wichtige Finanzierungsgrundlage für die wissenschaftliche Forschung dar. Sie darf nicht unter einen Pauschalverdacht gestellt werden.

3. In gesundheitsrelevanten Bereichen ist zum Schutz der Öffentlichkeit im Hinblick auf die Annahme von Drittmitteln eine besondere Sensibilität geboten.

4. Die Wahl forschungsrelevanter Themen, die Auswahl und Formulierung der dazu ab­gehandelten Fragen sowie die Entscheidung, die erzielten Forschungsergebnisse in­nerhalb der Forschergemeinschaft frei zu publizieren, liegen im Kernbereich der grundgesetzlich geschützten wissenschaftlichen Freiheit; sie obliegen ausschließlich den damit befassten Wissenschaftlern.

5. Wissenschaft braucht Kontinuität und Perspektive. Der kontinuierliche finanzielle Zwang auf Hochschullehrer, Drittmittel einzuwerben, steht ihrer wissenschaftlichen Freiheit im Wege.

6. Verlässliche dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse auch im akademischen Mittelbau sind eine zentrale Grundlage für die Bewahrung und Erhaltung der wissenschaftlichen Freiheit.

7. Das Verhältnis von festen Grundmitteln zu einmalig eingeworbenen Drittmitteln ist im Wissenschaftsbetrieb aus dem Gleichgewicht geraten und muss neu austariert wer­den.

8. Jeder Wissenschaftler an staatlichen Hochschulen muss in der Lage sein, seinem Forschungsauftrag aus Grundmitteln alleine nachzukommen. Nur darüber hinausge­hende Forschung kann aus Drittmitteln bestritten werden.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

1. ausreichende und dauerhafte finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, unter de­nen die oben genannten Kriterien wissenschaftlicher Freiheit nicht nur de jure, son­dern auch de facto vollumfänglich gegeben sind;

2. die Hochschulen des Landes flächendeckend darin zu unterstützen, hochschulinterne Expertengremien einzurichten und sie personell und materiell ausreichend auszustat­ten. Um möglichst unabhängige fachliche Entscheidungen treffen zu können, sind ausschließlich Wissenschaftler für dieses Gremium zu berufen;

3. in jeder Hochschule in NRW ein solches Gremium als verpflichtend einzuschaltende Instanz damit zu beauftragen, bei geplanten Drittelmittelprojekten die Wissenschafts­freiheit insbesondere im Hinblick auf die Publikationsrechte, das Studiendesign, den Ablauf der Forschung und die Nennung des Drittmittelgebers inhaltlich ohne Ein­schränkung zu gewährleisten.

Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 Dtsch Arztbl 2007; 104 (12): A 770-4.

2 https://www.dkfz.de/de/dkfz/ethik_kodex.html (zuletzt abgerufen am 30.01.2020)

3 B. Bryson, Eine kurze Geschichte von fast allem, München 2004, S.205f.

4 https://www.aerzteblatt.de/archiv/205246/Windenergieanlagen-und-Infraschall-Der-Schall-den-man-nicht-hoert (zuletzt aufgerufen am 29.01.2020)

5 Ebd.

6 https://www.windwahn.com/2018/03/04/daenische-studie-wea-schall-und-gesundheit/ (zuletzt aufge­rufen am 29.01.2020)

7 https://taz.de/!330342/ (zuletzt aufgerufen am 29.01.2020)

8 Vgl. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1631070510001465?via%3Dihub https://ehp.niehs.nih.gov/doi/10.1289/ehp.9149 https://www.degruyter.com/view/j/reveh.2018.33.issue-3/reveh-2018-0017/reveh-2018-0017.xml