Kleine Anfrage 2690
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Frau seit über zwei Jahren misshandelt – Nach Tritt in den Bauch verlor sie ihr Kind – Wird häusliche Gewalt brutaler?
Eine aus Essen stammende Frau soll seit über zwei Jahren von ihrem 46-jährigen Ehemann misshandelt und verletzt worden sein. Nun fasste sie endlich die Entscheidung, ihre Situation an die Öffentlichkeit beziehungsweise ihren Mann vor Gericht zu bringen. Er muss sich nun vor dem Kölner Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten und sitzt bereits seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft. 2019 sollen sich die 32-jährige Frau und ihr zukünftiger Ehemann über ein Internetportal kennengelernt haben. Kurz darauf schlossen die beiden die Ehe „nach dem islamischen Recht“1 und schon in den ersten Monaten der Beziehung soll der Mann das Opfer misshandelt haben.
Die Auslöser seiner Gewaltattacken sollen dabei in der Regel Kleinigkeiten gewesen sein. So beschreibt die Frau vor Gericht, dass sie geschlagen, gewürgt oder an den Haaren gezogen wurde. Allein die Tatsache, „falsch mit seiner Mutter gesprochen“2 zu haben, nicht richtig gekocht, ihm den Tee nicht rechtzeitig gebracht zu haben oder seinen Namen nicht als Tattoo tragen zu wollen, waren Gründe dafür, dass er sie schlug.
Sie soll sogar so stark gewürgt worden sein, dass sie beinahe das Bewusstsein verlor und sich einnässte. Trotz dieser prekären Situation beschloss die Frau mit ihren drei Kindern aus einer vorherigen Ehe zu ihrem Ehemann nach Köln-Ehrenfeld zu ziehen in der Hoffnung, dass sich ihre Situation verbessern würde. Jedoch war das Gegenteil der Fall, wie die Frau weiter schildert. Ihr Mann sei immer eifersüchtiger geworden und habe ihr mit der Zeit immer mehr Verbote erteilt. So sollte sie kein Fernsehen schauen, weil sie dort Männer sehen könne. Auch mit männlichen Kassierern im Supermarkt oder männlichen Ärzten im Krankenhaus sollte sie keinerlei Kontakt haben. Nach einem Streit soll sie sogar in den Bauch getreten worden sein. Zu diesem Zeitpunkt war sie schwanger. Als sie am nächsten Tag aufgrund von Unwohlsein einen Arzt aufsuchte, wurde festgestellt, dass das ungeborene Kind nicht mehr am Leben war. Gerichtsmediziner gehen jedoch von einer Fehlgeburt, möglicherweise aufgrund einer Gebärmutterhalsentzündung, aus. Da die Frau immer noch sehr viel Angst vor dem Angeklagten und seinen Freunden hat, versucht sie ihre neue Anschrift möglichst geheim zu halten. Der Angeklagte schwieg bislang zu den Tatvorwürfen und wartet nun auf die Fortsetzung des Prozesses.3
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
- Wie viele Ehen wurden seit 2015 in NRW „nach dem islamischen Recht“ pro Jahr geschlossen?
- Wie viele Gerichtsverfahren wegen häuslicher Gewalt gab es seit 2015 in NRW pro Jahr? (Bitte nach Jahr, Ort, Delikt, angesetztem Strafmaß sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
- Hat die Anzahl von Straftaten gegen das Leben und die Gesundheit im Bereich „häusliche Gewalt“ zugenommen?
- Wie hoch schätzt die Landesregierung die Anzahl an Beziehungen in NRW, in denen derzeit häusliche Gewalt stattfindet? (Dunkelfeld.)
Markus Wagner
2 Ebenda.
3 Ebenda.
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 2690 mit Schreiben vom 23. Oktober 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
Der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hat dem Ministerium der Justiz unter dem 5. Oktober 2023 wie folgt berichtet:
„Das bei der Staatsanwaltschaft Köln unter dem Aktenzeichen 422 Js 315/23 anhängige Strafverfahren richtet sich gegen einen bislang nicht vorbestraften 46jährigen türkischen Staatsangehörigen, der sich in dieser Sache seit dem 23.01.2023 in Untersuchungshaft befindet. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn unter dem 17.05.2023 Anklage wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Schwangerschaftsabbruch und in zwei Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zum Amtsgericht – Schöffengericht – Köln erhoben.
Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, in der Zeit von März 2019 bis zum 18.01.2023 in Essen und Köln seine ehemalige Lebensgefährtin bei insgesamt fünf Gelegenheiten körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei die Geschädigte in einem Fall infolge eines Trittes in den Unterbauch einen Schwangerschaftsstillstand erlitt. Bei zwei dieser Gelegenheiten soll der Angeklagte sie zudem am Verlassen der jeweiligen Wohnung gehindert haben.
Das Amtsgericht Köln hat das Hauptverfahren am 20.06.2023 eröffnet. Nach Durchführung eines ersten Hauptverhandlungstermins am 17.07.2023 hat das Gericht das Verfahren ausgesetzt und ein weiteres gegen den Angeklagten anhängiges Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung zum Nachteil derselben Geschädigten zwecks Abgleichs von Zusammenhängen beigezogen. Nachdem das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 09.08.2023 Haftfortdauer über sechs Monate hinaus angeordnet hatte, hat die Hauptverhandlung am 11.09.2023 erneut begonnen und dauert derzeit noch an. Aktuell sind Fortsetzungstermine bis zum 16.10.2023 bestimmt worden.“
- Wie viele Ehen wurden seit 2015 in NRW „nach dem islamischen Recht“ pro Jahr geschlossen?
Die Landesregierung führt keine Statistiken über private religiöse Zeremonien. In der Bundesrepublik hat nur eine vor dem Standesamt durchgeführte Eheschließung Rechtsgültigkeit.
- Wie viele Gerichtsverfahren wegen häuslicher Gewalt gab es seit 2015 in NRW pro Jahr? (Bitte nach Jahr, Ort, Delikt, angesetztem Strafmaß sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
Gerichtsverfahren wegen „häuslicher Gewalt“ werden in den amtlichen Justizstatistiken nicht gesondert erfasst.
- Hat die Anzahl von Straftaten gegen das Leben und die Gesundheit im Bereich „häusliche Gewalt“ zugenommen?
Datenbasis für die Beantwortung von Fragen zur Kriminalitätsentwicklung ist die Polizeiliche Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen. Sie wird nach jährlich bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien erstellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt häufig zu einem zeitlichen Versatz zwischen dem Bekanntwerden der Straftat und der statistischen Erfassung.
Unter „Straftaten gegen das Leben“ werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen (PKS NRW) die Delikte Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen sowie Schwangerschaftsabbruch subsummiert. „Straftaten gegen die Gesundheit“ bildet die PKS NRW nicht automatisiert recherchierbar ab. Zur Beantwortung der Frage wird daher die Anzahl polizeilich bekannt gewordener „Körperverletzungsdelikte“ (§§ 223-227, 229, 231 StGB) dargestellt.
Die PKS NRW bildet „Straftaten der Häuslichen Gewalt“ über die Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung (in einem gemeinsamen Haushalt lebend4) ab.
Die „Straftaten der Häuslichen Gewalt“ – bezogen auf „Straftaten gegen das Leben“ und „Körperverletzungsdelikte“ – der Jahre 2018 bis 2021 sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Die Daten des Jahres 2022 werden zeitnah veröffentlicht. Ab dem Berichtsjahr 2022 basiert die Lagebilderstellung „Häusliche Gewalt“ auf einer bundesweit abgestimmten Definition von Häuslicher Gewalt und umfasst die Bereiche der Partnerschaftsgewalt und der inner-familiären Gewalt. Sie ist daher nicht mehr unmittelbar mit den hier nachfolgend dargestellten Daten sowie den Lagebildern der Vorjahre vergleichbar.
Straftat | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | |
Straftaten gegen das Leben | vollendet | 38 | 59 | 49 | 31 |
versucht | 49 | 42 | 51 | 38 | |
Körperverletzungs- delikte | vollendet | 20.215 | 20.703 | 22.737 | 22.989 |
versucht | 971 | 999 | 1.149 | 2.035 |
- Wie hoch schätzt die Landesregierung die Anzahl an Beziehungen in NRW, in denen derzeit häusliche Gewalt stattfindet? (Dunkelfeld).
Im Rahmen der Studien „Sicherheit und Gewalt in Nordrhein-Westfalen“ (2019) und „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ (2020) wurden Erkenntnisse zur Verbreitung und den Erscheinungsformen von psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt in (Ex-)Partnerschaften erhoben. Den Studien zufolge machen jährlich zwischen 0,1 und 5,8 Prozent der Menschen Erfahrungen mit Gewalt in (Ex-)Partnerschaften. Erfahrungen mit körperlicher (0,1 bis 1,2 Prozent: Körperverletzung mit/ohne Waffe) und sexueller (0,1 bis 0,2 Prozent: Vergewaltigung) Gewalt sind dabei deutlich seltener als Erfahrungen mit psychischer Gewalt (0,4 bis 5,8 Prozent: Beleidigung, Bedrohung). Die Anzeigequoten variieren, abhängig vom Delikt, zwischen 0,0 und 42,7 Prozent. Körperverletzungen werden im Vergleich zu sexueller und psychischer Gewalt häufiger angezeigt.
4 Die Auswertung bezieht sich nicht auf den Tatort; entscheidend ist, dass Täter und Opfer in einem gemeinsamen Haushalt leben.