Kleine Anfrage 3956des Abgeordneten Markus Wagner vom 29.06.2020
Gefährliche Tumultlage: wieder ein Polizist schwer verletzt
Am Abend des 17. Juni 2020 wurde in Köln ein Polizist während einer Verkehrskontrolle schwer verletzt. Die Beamten des Wach- und Wechseldienstes hielten gegen 17:40 Uhr auf der dortigen Börnestraße ein Fahrzeug im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle an. Die Überprüfung des Führerscheins des Fahrzeugführers führte zum Verdacht der Urkundenfälschung.
Darüber regte sich der Beifahrer derartig auf, dass die Beamten ihm letztlich einen Platzverweis erteilen mussten, um ihre Arbeit in angemessener Professionalität fortzuführen. Diesem Platzverweis kam der Beifahrer jedoch nicht nach. Anstatt sich wie verlangt zu entfernen, schlug er einem der Beamten unvermittelt ins Gesicht und verletzte ihn dabei derart schwer, dass der Beamte blutend und mit Knochenbruch zusammenbrach.
In der Zwischenzeit hatten sich bereits etwa 150 teils aggressive Personen an der Kontrollstelle versammelt und behinderten nicht nur die dringend notwendige medizinische Versorgung des verletzten Beamten, sondern störten die Umsetzung der polizeilichen Maßnahme insgesamt. Erst nach dem Eintreffen von massiven Unterstützungskräften war es möglich, den schwer verletzten Beamten dem Rettungswagen zuzuführen.
Der aggressive Beifahrer wurde in Gewahrsam genommen. Bei der Durchsuchung seiner Person wurde im Hosenbund ein Einhandmesser gefunden. Gegen den Fahrzeugführer wurde laut Bericht eine Anzeige wegen des Verdachts der Urkundenfälschung gefertigt. Gegen den Beifahrer sollen Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, wegen Körperverletzung und wegen Straftaten gegen das Waffengesetz gestellt worden sein.1
In den letzten Monaten haben sich zahlreiche Tumultlagen (unter anderem in Duisburg, Essen, Mühlheim a. d. Ruhr, Köln etc.) ereignet, überwiegend mit dem Ziel, polizeiliche Maßnahmen zu stören oder zu verhindern.
Ich frage daher die Landesregierung:
1. Wie sieht der Sachstand der polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem Vorfall in Köln aus? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, etwaige Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen und explizite Angaben zu der Menschenmenge und zur etwaigen Wertung des Vorfalls als „Tumultlage“ machen)
2. Welche Staatsbürgerschaft besitzen die Tatverdächtigen der unter Ziffer 1. erfragten Ermittlungen? (Bei deutscher Staatsangehörigkeit bitte Vornamen nennen)
3. Welche Staatsangehörigkeit besitzen diejenigen Personen, die im ersten Halbjahr 2020 an bislang (vorläufig) erfassten „Tumultlagen“ beteiligt gewesen sind? (Bitte eine händische Einzelfallauswertung der im Zusammenhang mit den Tumultlagen gefertigten Strafanzeigen durchführen und bei deutscher Staatsangehörigkeit Vornamen nennen)
4. Seit wann können bestimmte und mitunter strafrechtlich relevante Verhaltensmuster durch die örtlich zuständigen Polizeibehörden in Abstimmung mit der Landesleitstelle des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste nach einsatzfachlicher Definition als „Tumultlagen“ gewertet bzw. erfasst werden?
5. Wie bewertet bzw. erklärt das Landeskriminalamt „Tumultlagen“ in Nordrhein-Westfalen aus kriminologischer bzw. kriminalistischer Perspektive (unter Berücksichtigung ihrer qualitativen und quantitativen Entwicklung)?
Markus Wagner
1 Vgl. nrw-aktuell.tv (2020): Polizist bei Verkehrskontrolle in Köln schwer verletzt – Etwa 150 Personen erschweren den Rettungseinsatz; online im Internet: https://www.nrw-aktuell.tv/2020/06/polizist-bei-verkehrskontrolle-in-koln.html.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3956 mit Schreiben vom 10. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
- Wie sieht der Sachstand der polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem Vorfall in Köln aus? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, etwaige Vor- strafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen und explizite Angaben zu der Menschenmenge und zur etwaigen Wertung des Vorfalls als „Tumultlage“ machen)
- Welche Staatsbürgerschaft besitzen die Tatverdächtigen der unter Ziffer 1. erfragten Ermittlungen (Bei deut-scher Staatsangehörigkeit bitte Vornamen nennen)
Die polizeilichen Ermittlungen zum angegebenen Sachverhalt werden durch das Polizeipräsidium Köln wegen des Vorwurfs des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte geführt. Die polizeilichen Ermittlungen dauern noch an.
Zu den Fragen 1 und 2 hat mir das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 13. Juli 2020 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:
„Meinen Geschäftsbereich sehe ich durch die Fragen 1 und 2 der Kleinen Anfrage berührt. Dazu hat der Generalstaatsanwalt in Köln unter dem 07.07.2020 wie folgt berichtet:
,Der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hat unter dem 07.07.2020 zu den Fragen 1 und 2 der Kleinen Anfrage 3956 berichtet, das ihm Erkenntnisse zum Sachstand des aus der Presseberichterstattung bekannten Vorfalls nicht vorliegen. Den Vorfall betreffende Strafanzeigen seien seitens der sachbearbeitenden Kriminalpolizei in Köln noch nicht vorgelegt worden. Daher könnten Angaben zur Staatsangehörigkeit oder zu Vorstrafen etwaiger Tatverdächtiger nicht gemacht werden.‘“
- Welche Staatsangehörigkeit besitzen diejenigen Personen, die im ersten Halbjahr 2020 an bislang (vorläufig) erfassten „Tumultlagen“ beteiligt gewesen sind? (Bitte eine händische Einzelfallauswertung der im Zusammenhang mit den Tumultlagen gefertigten Strafanzeigen durchführen und bei deutscher Staatsangehörigkeit Vornamen nennen)
Die Frage der Staatsangehörigkeit der im ersten Halbjahr 2020 polizeilich erfassten Beteiligten an „Tumultlagen“ wird mit Anlage 1 beantwortet.
Die Vornamen der im ersten Halbjahr 2020 polizeilich erfassten Beteiligten an „Tumultlagen“ mit deutscher Staatsangehörigkeit sind der Anlage 2 zu entnehmen.
- Seit wann können bestimmte und mitunter strafrechtlich relevante Verhaltensmuster durch die örtlich zuständigen Polizeibehörden in Abstimmung mit der Landesleitstelle des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste nach einsatzfachlicher Definition als „Tumultlagen“ gewertet bzw. erfasst werden?
Mit Erlass vom 25.09.2017 wurde der Begriff „Tumultlage“ (ehemals Tumultdelikt) auf Grund einer fehlenden Definition in den bundesweit gültigen Polizeidienstvorschriften polizeifachlich für die Polizei Nordrhein-Westfalen definiert.
Die systematische Erfassung der „Tumultlagen“ erfolgt seit dem 01.01.2018.
- Wie bewertet bzw. erklärt das Landeskriminalamt „Tumultlagen“ in Nordrhein-Westfalen aus kriminologischer bzw. kriminalistischer Perspektive (unter Berücksichtigung ihrer qualitativen und quantitativen Entwicklung)?
Sogenannte „Tumultlagen“ sind aus kriminologischer bzw. kriminalistischer Sicht nicht auf eine alleinige Ursache zurückzuführen, weshalb eine pauschale Bewertung nicht möglich ist.
Insbesondere zur qualitativen Entwicklung gibt es bisher keine validen kriminologisch-kriminalistischen Erkenntnisse, die eine grundsätzliche Bewertung ermöglichen würden.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen zur quantitativen Entwicklung können aufgrund des relativ kurzen Zeitraumes der Auswertung (seit 2018) keine statistisch oder wissenschaftlich validen Bewertungen oder Prognosen erstellt werden.
Allgemeine Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Gruppendelinquenz sowie amtliche Kriminalstatistiken zeigen, dass Jugendliche häufiger gemeinschaftlich Straftaten, insbesondere Aggressionsdelikte, begehen als Erwachsene. Ob soziale Gruppendynamiken beim Auftreten von Tumultlagen eine Rolle spielen, kann abschließend nicht beurteilt werden. Belastbare wissenschaftliche Befunde zu Motiven von handelnden Personen bzw. Tatverdächtigen im konkret benannten Sachverhalt liegen nicht vor.