Gefahrguttransporte: Wie werden Gefahrgüter über die Verkehrsträger in Nordrhein-Westfalen befördert?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1448

der Abgeordneten Klaus Esser und Zacharias Schalley vom 27.02.2023

Gefahrguttransporte: Wie werden Gefahrgüter über die Verkehrsträger in Nordrhein-Westfalen befördert?

Bei einem schweren Güterzugunglück wurden am 3. Februar 2023 in den USA gefährliche Chemikalien freigesetzt, die in einem mehrtägigen Brand Chlorwasserstoff und hochgiftiges Phosgen in der Luft bildeten. 50 Wagen eines entgleisten Güterzugs der Norfolk Southern Bahnlinie kollidierten ineinander und gerieten dabei in Brand. Nur schrittweise gab die Norfolk Southern Railway Company im Anschluss bekannt, dass im weiteren Verlauf Vinylchlorid, Ethylenglycol-Monobutylether, Ethylhexylacrylat, Isobutylen und Butylacrylat austraten und auch diese Substanzen gesundheitsgefährdend, teilweise hochgradig krebserregend sind.1 Auch in NRW kommt es immer wieder zu Unglücken bei Gefahrguttransporten. Oberste Landesbehörde für Fragen der Gefahrgutbeförderung auf unseren Straßen, Schienen, Binnenwasserstraßen, Seen und in der Luft ist das Verkehrsministerium NRW.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Verstöße gegen die gesetzliche Kennzeichnungspflicht wurden in NRW bei Gefahrguttransporten in den letzten fünf Jahren registriert? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl und dem jeweiligen Verkehrsträger)
  2. Welche Unglücke mit Gefahrguttransporten ereigneten sich 2022 in NRW? (Bitte neben Anzahl oder die Orte benennen)
  3. Welche Stoffe wurden 2022 bei verunglückten Gefahrguttransporten freigesetzt? (Bitte aufschlüsseln nach Unglück sowie Menge der freigesetzten Stoffe)
  4. Welchen Umfang haben NRW passierende Güterzüge, die Gefahrgüter, wie z.B. die oben genannten Chemikalien, transportieren?
  5. Wie wird in NRW bei Gefahrgutunglücken überprüft, wie Chemikalien im Falle des Falles mit der Umgebung „reagieren“? (Bitte den konkreten Analyseprozess/Monitoring erläutern)

Klaus Esser
Zacharias Schalley

 

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1 Htt ps:// w w w . t i c h y s e i n b l i c k . d e / k o l u mnen/aus-aller-welt/umweltkatastrophe-zugunglueck-ohio-freigesetzte-chemikalien-giftig/


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1448 mit Schreiben vom 3. April 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr beantwortet.

  1. Wie viele Verstöße gegen die gesetzliche Kennzeichnungspflicht wurden in NRW bei Gefahrguttransporten in den letzten fünf Jahren registriert? (Bitte aufschlüs­seln nach Jahr, Anzahl und dem jeweiligen Verkehrsträger)

Die Landesregierung erhebt hierzu keine Daten.

  1. Welche Unglücke mit Gefahrguttransporten ereigneten sich 2022 in NRW? (Bitte neben Anzahl oder die Orte benennen)

Gefahrguttransporte waren in 2022 an 444 polizeilich registrierten Verkehrsunfällen beteiligt. Die einzelnen Orte (Gemeindename und Gemeindeteil) ergeben sich aus der Anlage.

  1. Welche Stoffe wurden 2022 bei verunglückten Gefahrguttransporten freigesetzt? (Bitte aufschlüsseln nach Unglück sowie Menge der freigesetzten Stoffe)

Die Landesregierung erhebt hierzu keine Daten.

  1. Welchen Umfang haben NRW passierende Güterzüge, die Gefahrgüter, wie z.B. die oben genannten Chemikalien, transportieren?

Hierzu liegen der Landesregierung keine spezifischen Informationen vor, da Gefahrguttrans-porte, solange die einschlägigen Sicherheitsvorschriften eingehalten werden, grundsätzlich keiner behördlichen Genehmigung durch das Eisenbahn-Bundesamt bedürfen. Hier gelten die „Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter“ (RID) sowie die „Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Gü­ter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern“ (GGVSEB), in denen ausführ­lich vorgeschrieben wird, durch welche Maßnahmen die am Transport Beteiligten den Schutz von Menschen und der Umwelt gewährleisten müssen.

Das Statistische Bundesamt hat zu den Gefahrgut-Transporten statistische Berichte veröffent­licht. Der letzte Bericht ist am 22. Dezember 2021 veröffentlicht worden und ist unter dieser Adresse abrufbar:

Gefahrguttransporte – Ergebnisse der Gefahrgutschätzung – Fachserie 8 Reihe 1.4 – 2018 (destatis.de) https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Transport-Verkehr/Publikatio-nen/Downloads-Querschnitt/gefahrguttransporte-2080140187004.pdf?__blob=publicationFile

  1. Wie wird in NRW bei Gefahrgutunglücken überprüft, wie Chemikalien im Falle des Falles mit der Umgebung „reagieren“? (Bitte den konkreten Analyseprozess/Mo-nitoring erläutern)

Chemische Reaktionen unterliegen den Gesetzen der Naturwissenschaften. Diese sind ab­hängig von den Edukten, der Temperatur und dem Druck. Daher ist es unabdingbar zu wissen, um welche Chemikalien es sich handelt.

Zur Stoffidentifikation stehen den unteren Katastrophenschutzbehörden, neben der kommunal beschafften Ausstattung, ABC-Erkundungskraftwagen des Bundes und des Landes zur Ver­fügung. Diese sind mit derselben Stoffidentifikationstechnik für atomare Strahlung und chemi­sche Stoffe ausgestattet.

Die Ausstattung beinhaltet:

  • NBR-Sonde zur Erfassung künstlicher Gammastrahlung aus der natürlichen Umge­bungsstrahlung von 10 nSv/h bis 100 μSv/h
  • Dosisleistungsmessgerät mit Isotopenidentifizierung als Handgerät zur Messung der Do-sisleistung von 100 μSv/h bis 1 Sv/h
  • Ionenmobilitätsspektrometer (IMS) zur Messung von chemischen Kampfstoffen und In­dustriechemikalien
  • Photoionisationsdetektor (PID) zur kontinuierlichen Messung ionisierbarer Luftbestand­teile (UV-Lampe mit 10,6 eV)
  • Mehrfachgasmessgerät mit Ex-Sensor, Sauerstoff-, Schwefelwasserstoff-Kohlenstoffdi-oxid- und Kohlenstoffmonoxid-Messzelle
  • Schnelltestset (nach vfdb-Richtlinie 10 / 05 – Teil 1)

– pH-Indikator
– Öltestpapier
– Wassernachweispaste
– Lecksuchspray

  • Gasspürkoffer mit Standardprüfröhrchensatz zur Detektion verschiedener Chemikalien (nach vfdb-Richtlinie 10 / 05 – Teil1)
  • Dosiswarner und Personendosimeter (Filmplakette)
  • Kontaminationsnachweisgerät
  • Probenahmekoffer

Darüber hinaus besteht bei komplexeren Lagen und bei Lagen, die die Fähigkeiten der unteren Katastrophenschutzbehörden zur Stoffidentifikation überschreiten die Möglichkeit die Analyti­sche Task Force Deutschland mit den Standorten in Dortmund, Essen und Köln anzufordern. Diese ist mit speziellen Messgeräten in einem mobilen Labor zur Identifikation von atomaren, biologischen und chemischen Gefahrstoffen ausgestattet.

Nach der Feststellung um welche Stoffe es sich handelt kann anhand der einschlägigen Nach­schlagewerke und Datenbanken auf die möglichen Reaktionen und Gefährdungen der Stoffe geschlossen werden.

 

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