Gelebte Heimat – Aufnahme ausgewählter typischer Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets in die Liste der UNESCO-Welterbestätten

Antrag
vom 03.07.2018

Antragder AfD-Fraktion vom 03.07.2018

 

Gelebte Heimat – Aufnahme ausgewählter typischer Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets in die Liste der UNESCO-Welterbestätten

I. Ausgangslage

Neben dem „Aachener Dom“ und seiner Schatzkammer, dem „Kölner Dom“ sowie den „Schlössern Augustusburg und Falkenlust“ in Brühl und dem „Karolingischen Westwerk und der Civitas Corvey“ wurde im Jahr 2001 mit dem „Industriekomplex Zeche Zollverein“ in Essen auch ein Bauwerk der nordrhein-westfälischen Industriegeschichte in die historischen UNESCO-Welterbestätten in Nordrhein-Westfalen aufgenommen.

Nordrhein-Westfalen verfügt im Ruhrgebiet darüber hinaus über ein einzigartiges Kulturerbe in Form einer Vielzahl an typischen und vielfach denkmalgeschützten Arbeitersiedlungen. Die Aufnahme solcher Siedlungen in die Liste der UNESCO-Welterbestätten ließe den Menschen, die den Wohlstand dieser Region geschaffen haben, eine besondere Würdigung zukommen.

Die Beschreibung der Bedeutung der Arbeitersiedlungen als einem herausragenden architektonischen Ensemble war bereits 1989 Gegenstand einer Antwort der Landesregierung1 und hat seitdem nicht an Aktualität eingebüßt. Vor dem Hintergrund der Diskussion um den Heimatbegriff und das Heimatgefühl vieler Menschen dieses Landes hat das Thema vielmehr an Bedeutung gewonnen.

Die Arbeitersiedlungen versinnbildlichen die massive Veränderung der Lebensverhältnisse und Wohnformen im Zuge der Industrialisierung. Diese hat im Ruhrgebiet zum Ende des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage von Steinkohlebergbau und Hüttenindustrie zu einem Arbeitskräftebedarf mit massivem Bevölkerungszuwachs in dieser Region geführt. Die Zunahme der Zahl der Berg- und Fabrikarbeiter von 200.000 im Jahr 1846 in den Provinzen Rheinland und Westfalen auf rund 500.000 im Jahr 1875 bei der Ersten Gewerbezählung des Deutschen Reiches verdeutlichen die damit verbundenen Veränderungen in den bis dahin noch weitgehend ländlich geprägten Gemeinden und Städten. 2

Die Herausbildung von Großunternehmen der Montanindustrie forcierte den Anstieg der Beschäftigten, sodass in der Folge kurzfristig auch die Wohnungsfrage zu lösen und die notwendige Unterbringung der Arbeiter und ihrer Familien sicherzustellen war.

Die Zeit nach der Reichsgründung 1871 entwickelte sich zu einer wirtschaftlichen Expansionsphase. Allein in den industriellen Großbetrieben, die im Regierungsbezirk Arnsberg insbesondere vom Bergbau-, Hütten- und Salinenwesen gestellt wurden, während im Regierungsbezirk Düsseldorf die Textilindustrie überwog, verdoppelte sich um die Jahrhundertwende die Beschäftigtenzahl innerhalb von zwölf Jahren von 430.00 auf 880.000 Beschäftigte. Mit Blick auf entsprechende Unterkünfte waren die Unternehmen selbst gefordert, um im Wettbewerb um die Arbeitskräfte bestehen zu können.

„Der Werkssiedlungsbau war damit vorrangig eine betriebliche Notwendigkeit und weniger der Ausdruck sozialer Großzügigkeit.“ 3

Anstelle von „Mietskasernen“ wie sie in den meisten anderen Industriestandorten wie z.B. in Berlin entstanden, wurde im Ruhrgebiet der Bau von Zechen- bzw. Arbeitersiedlungen mit kleinen Reihensiedlungen, bestehend aus Zwei- bis Vierfamilienhäusern („Kolonien“), gewählt. Damit sollten die Risiken von Bergschäden – verursacht durch den Kohleabbau – für den Wohnungsbau minimiert werden.

Zechen und Industrieunternehmen errichteten die Siedlungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts für ihre Arbeiter und ihre Angestellten. Die Häuser verfügten über umfangreiche Gärten und Nebengebäude zur Haltung von Nutztieren.

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts stieg allein zwischen 1901 und 1914 die Wohnungszahl in den Zechenhäusern auf über 94.000 und in vielen Städten lebte mehr als die Hälfte der Bergarbeiter in diesen „Kolonien“4.

Der Siedlungsbau hatte eine große gesellschaftliche Bedeutung:

Die Familien und deren Nachkommen wurden im Revier sesshaft, fanden hier eine wirkliche „neue Heimat“ und trugen in den „Kolonien“ über Jahrzehnte hinweg zu einer stabilen Sozialstruktur bei.5

Die entstandenen Siedlungen durchliefen dabei kontinuierlich einen Entwicklungsprozess, der sich anhand architektonisch-baulicher Merkmale differenzieren lässt. Nach zunächst einfachen Lösungen, die sich an dem ortsüblichen „Kötterhaus“ orientierten, war bis zum ersten Weltkrieg das einfach gereihte Koloniehaus in Backsteinausführung typisch.

Die steigende Wohnungsnachfrage machte aber auch schon Siedlungen mit einer Reihung von zweieinhalb- bis dreieinhalbgeschossiger Bauweise erforderlich. Durch den Einfluss der englischen „Gartenstadtbewegung“ und der Forderung nach einem baulich-ästhetischem Städtebau zum Ende des 19. Jahrhunderts gewannen zunehmend auch architektonisch hochwertige Lösungen nach ausländischen Vorbild an Bedeutung.

„Insbesondere die Fa. Krupp orientierte sich an englischen Vorbildern und ließ Wohnungen im romantischen englischen Landhausstil erbauen.6

Im Ergebnis ist ein für ganz Deutschland einzigartiger Siedlungstyp entstanden, der die städtebauliche Entwicklung des neu entstehenden Ballungsraumes geprägt hat:

„Entstanden ist ein für Deutschland einzigartiger Zusammenhang von Zechen und Zechenkolonien, Hütten und Hüttensiedlungen, Fabriken und Arbeitersiedlungen als prägendes Grundmotiv der Stadt- und Architekturlandschaft der Industrieregion.“ 7

Neben der „Siedlung Margarethenhöhe“ in Essen, die eines der bedeutendsten Beispiele der Umsetzung der Gartenstadtkonzeption in Deutschland darstellt, sind weitere Siedlungen in diesem Stil entstanden wie die „Schüngelberg-Siedlung“ in Gelsenkirchen, die „Gartenstadt Welheim“ in Bottrop oder die Wohnsiedlung „Eisenheim“ in Oberhausen. Sie sind ebenfalls Beispiele für Siedlungen, die unter Denkmalschutz stehen.

Die vorhandenen Wohn-Siedlungen stehen ebenso wie die verbliebenen Reste der Industriearchitektur aufgrund ihrer städtebaulichen Konzeption und ihres unterschiedlichen architektonischen Erscheinungsbildes für das Leben der Bergarbeiter- und Stahlarbeiterfamilien im Ruhrgebiet. Sie sind Beispiel für gelungenes Zusammenleben durch gemeinsames Arbeiten und gemeinsames Wohnen vor Ort.

Schätzungen über den ehemaligen Umfang dieser Arbeitersiedlungen reichen von „vielleicht einmal 2.000“ 8 bis noch zu rund 1.000, die in der Schriftenreihe des (ILS) aus dem Jahr 1992 genannt werden und um deren Erhalt und Erneuerung es in der Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungspolitik des Landes seinerzeit gehen sollte.9 Thematisiert wurde bereits damals die Notwendigkeit einer langfristigen Sicherung der städtebaulich bedeutenden Siedlungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren bereits viele dieser Siedlungen abgerissen worden, da ihr Erhalt von den Bergwerksgesellschaften nicht als rentabel angesehen wurde. Weitere Arbeitersiedlungen wurden aufgrund ihrer Nähe zu den Industrieflächen in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts aus Umweltgründen beseitigt.

Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA EmscherPark in den Jahren 1989 – 1999 war die „Siedlung Schüngelberg“ ein herausragendes Modellprojekt, bei dem durch eine beispielhafte Sanierung die Zukunftsfähigkeit gesichert wurde. Auch ein Fortbestand von Siedlungen ohne herausragenden städtebaulichen bzw. architektonischen Stellenwert wurde jedenfalls vor dem Hintergrund des Erhalts preiswerter Wohnungen als sinnvoll angesehen.10

Um viele der heute noch existierenden Arbeitersiedlungen wurde noch bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ein harter Kampf der Bewohner um den Erhalt geführt. Sie stehen für das gelebte Heimatgefühl und den Stolz auf das Erbe der Generationen, die hier ein ruhrgebietstypisches Lebensgefühl haben entstehen lassen mit dem sinnbildlichen „Taubenvatta“, und der Haltung von Tauben als „Rennpferden“ der Bergmänner. Der Kampf um die Zechensiedlungen ist unter anderem Bestandteil einer laufenden Ausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in seinem Dortmunder Industriemuseum Zeche Zollern mit dem Titel „RevierGestalten – Von Orten und Menschen“.

Die „Route der Industriekultur“ führt exemplarisch 13 Ziele mit bedeutenden Siedlungen als Ziele für eine Tour durch das Ruhrgebiet auf11 und an anderer Stelle werden exemplarisch 50 der schönsten Zechensiedlungen benannt.12 Repräsentative Beispiele aus verschiedenen Städten sind:

– Margarethenhöhe in Essen,

–      Siedlung Dahlhauser Heide in Bochum,

–      Gartenstadt Welheim in Bottrop,

– Alte Kolonie Eving in Dortmund

– Siedlung Rheinpreußen in Duisburg,

– Siedlung Schüngelberg in Gelsenkirchen,

– Siedlung Teutoburgia in Herne oder

– Siedlung Eisenheim in Oberhausen.

Aufgrund ihrer Bedeutung haben diese und eine Vielzahl solcher Siedlungen ihren Niederschlag bereits im Denkmalschutz gefunden. Allein in den Jahren 1980 – 2008 haben Eintragungsverfahren zum Ensembleschutz und zur Sicherung von rd. 200 Siedlungen geführt13, denn

„Viele dieser Siedlungen haben Denkmalrang als ein in sich geschlossenes Gesamtbaudenkmal oder zumindest als Denkmalbereich, weil sie wichtige Dokumente der Stadtbaugeschichte sind, wesentliche Aufschlüsse über die Wohnsituation der Arbeiter geben und Zeugnisse der wirtschaftlichen Verhältnisse und gesellschaftlichen Vorstellungen der Arbeitgeber darstellen.“14

Zu den Vorzeigeprojekten gehört die Margarethenhöhe, deren Stifterin Margarethe Krupp den Bau dieser Siedlung anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter in Auftrag gab. Im Auftrag der Gutehoffnungshütte entstand als eine der ersten Arbeitersiedlungen die Siedlung Eisenheim vor über 150 Jahren in Oberhausen (1844), die Kolonie Stahlhausen des Bochumer Vereins im Jahr 1857 oder die Kolonie Westend durch die Fa. Krupp im Jahr 1861.

Die Siedlungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie als Vorzeigobjekte der Zechen- und Stahlbarone als architektonisches Ensemble errichtet wurden und Ideen wie z.B. das Konzept der Englischen Gartenstadt aufgegriffen wurden. Zeichnen sich einzelne Siedlungen durch ihre einheitliche Gestaltung aus, so ist für andere gerade die Vielfalt von Haustypen typisch. So weist z.B. die Siedlung Teutonia in Herne 21 verschiedene Haustypen auf.

Mit den Arbeitersiedlungen sind über Generationen Lebenswelten entstanden, die lokale Identität und das Gefühl von Heimat im Ruhrgebiet gewährleistet haben. Hier wurde Nachbarschaft gepflegt, gemeinsam gefeiert oder es wurden gemeinsame Hobbys wie Fußball und Taubenzucht betrieben.

Dieses Kulturgut der entstehenden Industriegesellschaft gilt es in ihrer Ensemblebedeutung für weitere Generationen zu sichern und als lebenswerte Wohnstandorte auch für die Zukunft zu erhalten.

Insbesondere die nach dem Konzept der englischen Gartenstadt entstandenen Siedlungen fügen sich darüber hinaus hervorragend in den Kontext der geplanten Internationalen Gartenausstellung ein. Die beabsichtigte Aufnahme in die Liste der UNESCO-Welterbegüter löst zudem einen besonderen Werbe- und Imageeffekt aus und der erforderliche Investitionsaufwand würde vergleichsweise gering ausfallen.

II. Der Landtag stellt fest,

– dass die ausgewählten Arbeitersiedlungen des Ruhrgebietes, die sich durch besondere städtebauliche und architektonische Qualitäten auszeichnen, ein schützenswertes Kulturerbe darstellen und

– unterstützt ausdrücklich das Anliegen, die ausgewählten Arbeitersiedlungen als UNESCO-Welterbestätte anerkennen zu lassen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. einen Runden Tisch der Ruhrgebietsstädte und weiterer betroffener Akteure einzuberufen, um diese zur Mitarbeit am Vorhaben der Antragstellung zum Weltkulturerbe zu gewinnen und herausragende lokale Beispiele beizusteuern;

2. die Aufbereitung lokaler Beiträge mit einem Förderbetrag aus dem Haushalt des Heimatministeriums zu unterstützen;

3. die notwendigen Antragsunterlagen zu erstellen, wenn nötig in Kooperation mit z.B. der Metropolregion Ruhr oder dem Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe;

4. Modellvorhaben durchzuführen, um beispielhaft eine denkmalgerechte Fortentwicklung von Arbeitersiedlungen im Sinne von Alten- und Behindertengerechtigkeit sowie von möglichen denkmalgerechtenEnergiesparmaßnahmen zu erproben und

5. sich dafür einzusetzen, dass das Vorhaben in die Programmplanung der Internationalen Gartenausstellung (IGA) des Regionalverbandes Ruhr (RVR) für das Jahr 2027 aufgenommen wird.

Roger Beckamp
Gabriele Walger-Demolsky
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 Vgl. Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 27 der Fraktion der SPD, Drucksache 10/3343: Denkmalschutz und Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen vom 21.03.1989, Düsseldorf 1989

2 vgl. Rojahn, Gerd u.a.: Der Einfluß von industriellen Großunternehmen auf die raum- und siedlungsstrukturelle Entwicklung im Verdichtungsraum Rhein-Ruhr, in: Forschungsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen, Fachgruppe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Nr. 3176, Düsseldorf 1984, S. 26

3 Gelhar, Martina: Arbeiter- und Werkssiedlungen im Ruhrgebiet. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https:/www.kuladig.de/Objektansicht/SWB-248565; S. 1

4 vgl. Gelhar; S. 1

5 Juckel, Lothar: Stadtbildprägende Arbeitersiedlungen. Erhaltung und Erneuerung denkmalwerter Arbeitersiedlungen im Rhein-Ruhr-Gebiet, hrsg. vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), ILS Schriften Nr. 66, Dortmund 1992, S. 5

6 vgl. Gelhar, S. 2

7 vgl. Antwort der Landesregierung, S. 9

8 Hanke, Hans H.: Denkmalwerte Industriearbeiter-Siedlungen NRW, in: Historische Siedlungen in Bochum. Ein Querschnitt von 1868 bis 1918, hrsg. von der Stadtverwaltung Bochum, Bochum 2019, S. 6

9 vgl. Juckel, Vorwort o. Seitenangabe

10 vgl. Juckel, S. 12

11 Route Industriekultur. Entdeckerpass 2018, hrsg. vom Regionalverband Ruhr, S. 106 ff

12 vgl.: https://www.derwesten.de/region/zechensiedlungen-im-ruhrgebiet-dahlhauser-heide-bochum-id9228895

13 vgl. Hanke, S. 6

14 Antwort der Landesregierung, S. 6