Gesetz zur besseren Überwachung gefährlicher Personen – Gefährdergesetz – (Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen)

Gesetzesentwurf
vom 21.11.2017

Gesetzesentwurf der Fraktion der AfD vom 21.11.2017

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A Ausgangslage           

Die Erfahrungen der letzten Jahre mit der sich durch Terroranschläge verschlechternden Si­cherheitslage haben gezeigt, dass das bisherige Instrumentarium sicherheitsrelevanter Maß­nahmen der Ergänzung bedarf. Die angesprochene Lage hat sich vor allem wegen der deutlich erhöhten Zahl von Anschlägen und dem unkontrollierten Zuzug von (islamischen) Gefährdern verändert: Genügte es bislang, dass die Sicherheitskräfte vorwiegend auf Straftaten reagierten, befinden sich nun Personen in der Bundesrepublik Deutschland und in Nordrhein-Westfalen, die ohne Bezug zu aktuellen Straftaten von Seiten der Sicherheitsbehörden als gefährlich ein­geschätzt werden.

Angesichts der beschriebenen Lage ist es sinnvoll und geboten, die Befugnisse der Polizei so zu erweitern, dass der Bedrohung durch Gefährder wirksamer begegnet wird.

B Lösung

Durch dieses Gesetz werden die polizeilichen Befugnisse um die Möglichkeiten der Ingewahr-samnahme von Gefährdern und der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ, auch als „elektronische Fußfessel“ bekannt) erweitert.

C Kosten

Die Neuregelungen sind, außer der EAÜ, haushaltsneutrale Befugniserweiterungen für die Polizei NRW.

Begründung und Erläuterung

A Allgemein

Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Erweiterung des polizeilichen Instrumentariums ist ver­fassungsgerichtlich abgesichert. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 20. April 2016, Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09 (BKAG-Urteil), Rn. 111 ff., 163 f. insbesondere mit Blick auf Terror­gefahren ausdrücklich festgestellt, dass der Gesetzgeber bei Eingriffstatbeständen nicht auf das tradierte sicherheitsrechtliche Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren beschränkt ist; vielmehr kann er die Grenzen ggf. auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an den Kausalverlauf reduziert. Mit anderen Worten: Für ein Eingreifen muss keine vollendete Tat vorliegen, sondern grundsätzlich kann auch eine Ge­fahr ausreichen. Es müssen allerdings dann zumindest bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein gewichtiges Rechtsgut hinweisen und den Schluss auf ein wenigstens der Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Ge­schehen sowie über die Beteiligung von bestimmten Personen zulassen. Maßnahmen kommen gemäß dem BVerfG gerade im terroristischen Bereich aber auch dann in Betracht, wenn zwar ein konkretes Geschehen noch nicht erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Per­son die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Als Beispiel wird hierzu etwa die Schulung in einem ausländischen terroristi­schen Ausbildungslager genannt.

Die Anforderungen des BVerfG werden erfüllt, indem in § 8 PolG NRW der Begriff einer dro­henden Gefahr als Voraussetzung für die Befugnisse eingeführt und definiert wird. Schon nach aktuellem Recht ist bei einer Reihe der sog. polizeilichen Standardbefugnisse (vgl. etwa § 12 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bzw. § 15 Abs. 1 sowie § 21 Abs. 1 PolG NRW) anerkannt, dass diese auch unterhalb der Schwelle einer klassischen konkreten Gefahr zur Anwendung gelangen können. So ist bereits derzeit nicht nur die im klassischen Sinne konkrete Gefahrenlage, sondern auch der Bereich zwischen rein abstrakter, abstrakt erhöhter oder gesteigerter Gefahr Anknüpfungs­punkt von polizeilichen Befugnissen, zugleich aber stets vom in § 1 Abs. 1 PolG NRW festge­legten polizeilichen Aufgabenbereich umfasst. Dieser bedarf seinerseits deswegen keiner Er­gänzung. Zudem wird bereits heute der Begriff der „drohenden Gefahr“ zur Charakterisierung einer konkreten Gefahr herangezogen, bei der eine besondere Nähe des – jedoch absehbaren – Schadenseintrittes nicht vorliegt.

Der Polizei ist so gestattet, auch für atypische Maßnahmen neben der Sachverhaltsaufklärung erforderlichenfalls zusätzlich Maßnahmen zur Abwehr der (weiteren) Entstehung der Gefahr zu treffen und hierzu auch bereits in den Kausalverlauf einzugreifen. Durch die Bezugnahme auf die Vorgaben des BVerfG wird sichergestellt, dass polizeiliche Maßnahmen keinesfalls auf­grund bloßer Vermutungen getroffen werden können.

Mit der Beschränkung auf Gefahren durch Gewalttaten von erheblicher Intensität oder Auswir­kung für die in § 8 Abs. 3 Satz 2 PolG NRW abschließend aufgezählten bedeutenden Rechts­güter wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Die Orientierung an Rechtsgütern ist dabei vorzuziehen, weil schwere Rechtsgutverletzungen, die mit erheblicher Gewalteinwirkung verbunden sein können, im Stadium einer drohenden Gefahr nicht stets be­reits einer klaren Kategorie wie Terrorismus, Extremismus oder anderweitig motivierten schwe­ren Straftaten zugeordnet werden können. Daran sollen polizeiliche Maßnahmen zur Aufklä­rung und ggf. Abwehr der weiteren Gefahrentstehung aber nicht scheitern.

B Ingewahrsamnahme von Gefährdern

Durch Nr. 5. des Gesetzesentwurfes wird unter strengen Voraussetzungen einer bestehenden Gefahr für die abschließend in Bezug genommenen bedeutenden und hochrangigen Rechtsgü­ter des Art. 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 auch die Ingewahrsamnahme gefährlicher Personen ermöglicht; aufgrund der Massivität des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen Eingriffs soll hier eine Gefährdung von erheblichen Eigentumspositionen im Sinn des Art. 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 nicht ausreichen, um den Eingriff zu rechtfertigen. Dadurch wird der Ver­hältnismäßigkeit besonders Rechnung getragen. Hätte dieser Haftgrund bereits vor einem Jahr bestanden, wäre das Attentat durch Anis Amri eventuell zu verhindern gewesen.

In Zusammenhang damit ist auch die weniger eingriffsintensive, hier beantragte neue Maß­nahme einer EAÜ in Art. 16b zu sehen. Das Gebot der unverzüglichen richterlichen Prüfung von polizeilichen Gewahrsamsmaßnahmen wird die Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Ein­zelfall auch hier zusätzlich sicherstellen. Bei Gefährdungslagen muss als Ultima Ratio künftig die Ingewahrsamnahme möglich sein.

Eine gesetzliche Obergrenze für eine richterlich festzusetzende Höchstdauer einer Freiheits­entziehung ist verfassungsrechtlich nicht festgeschrieben. Es soll künftig auch in NRW die Möglichkeit längerer Präventivhaft im begründeten Einzelfall geben. Die Gewahrsamsdauer kann damit einzelfallabhängig vom zuständigen Richter festgesetzt werden. Es wird aber nach dem hier vorgelegten Entwurf in der richterlichen Entscheidung eine Höchstdauer von bis zu drei Monaten ausgesprochen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.

C EAÜ

Durch die Einführung einer EAÜ in Nr. 4. werden die Sicherheitsbehörden entlastet werden, die nun mit geringerem Personalaufwand in geeigneten Fällen eine Dauerüberwachung von be­sonders gefährlichen Personen gewährleisten können. Derartige Personen wären aktuell noch nicht Straffällige oder solche, die trotz Verbüßung ihrer Strafe, ggf. einschließlich Maßnahmen der Führungsaufsicht noch immer als akut gefährdend erscheinen. Die EAÜ ist ein milderes Mittel gegenüber der präventiven Ingewahrsamnahme.

Der Landesgesetzgeber ist nach Art. 30, 70 GG wegen der Regelung der präventivpolizeilichen Gefahrenabwehr gesetzgebungsbefugt. Die strafprozessualer Regelung durch den Bundesge­setzgeber in der StPO steht dem nicht entgegen, weil hier die Verurteilung Anknüpfungspunkt ist und damit eine gänzlich andere Materie. Die strafprozessuale Regelung schließt eine Prä­ventivmaßnahme nicht aus. Es besteht vielmehr ein Nebeneinander derartiger Regelungen.

In § 16b Abs. 1 Satz 1 wird die Grundanordnung des Anbringens und betriebsbereiten Tragens einer „Fußfessel“ ähnlich wie in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB geregelt. Voraussetzung ist eine Gefahr i.S.d. Art. 8 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 für bedeutende und gewichtige Rechtsgüter.

Abs. 2 gibt der Polizei die Möglichkeit, die Aufenthaltsorte gefährlicher Personen zu einem Be­wegungsbild zu verbinden. Hier besteht ein erhebliches Potenzial zur Aufdeckung terroristi­scher oder sonst extremistischer Strukturen.

Abs. 3 knüpft wegen der Bedeutung des Eingriffs die EAÜ-Anordnung an die Entscheidung eines Richters. Ferner ist eine Begrenzung derartiger Maßnahmen auf höchstens drei Monate (mit Verlängerungsmöglichkeit um bis zu drei Monate) bestimmt. Die Erstellung eines Bewe­gungsbilds im Sinne von Abs. 2 Satz 3 muss richterlich besonders gestattet werden. Bei Gefahr in Verzug gilt die Eilfallkompetenz des Abs. 3 Satz 1 entsprechend.wehr der weiteren Gefahrentstehung aber nicht scheitern.

Abs. 4 und 6 regeln den Umgang mit den erhobenen Daten. Datenschutzrechtlichen Bedenken ist derart vorgebeugt.

Dem Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung wird unter Beachtung des BKAG-Ur-teils in Abs. 5 durch eine Zweckbindungsklausel Rechnung getragen. So wird die Weiterverar­beitung von über EAÜ-Maßnahmen erhobene Daten für Gefahrenabwehr- und Strafverfol­gungsbehörden eingeschränkt. Eine Zweckänderungsregelung in Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 sichert das erhebliche Interesse der Justizbehörden, von Verstößen gegen Gebots- oder Verbotszo-nenweisungen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB Kenntnis zu erlangen. Dabei ist den vom BVerfG im BKAG-Urteil aufgestellten Grundsätzen der Zweckbindung und -änderung entsprochen.

Der hier ebenfalls beantragte § 35 Abs. 1 Nr. 4 sichert die Anordnungen einer EAÜ durch die Möglichkeit einer Ingewahrsamnahme.

Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion