Kleine Anfrage 2889
des Abgeordneten Prof. Dr. Daniel Zerbin AfD
Gesinnungsforschung an nordrhein-westfälischen Universitäten?
In der aktuellen Berichterstattung wird ein Forschungsprojekt des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. thematisiert, durch welches das Erheben von Hilfeleistungen bzw. prosozialen Handlungen von Landtagsabgeordneten eruiert werden sollte. Medien bezeichnen dieses Vorgehen hingegen als Gesinnungsschnüffelei oder Überwachung von Abgeordneten in deutschen Landtagen zu rassistischen Verhaltensweisen.
Abgeordneten verschiedener Landtage wurde eine E-Mail übersandt, welche eine Bewerbungsanfrage zwecks Praktikum enthielt. Die Besonderheit waren dabei die Absender, welche teilweise deutsch und teilweise nicht deutsch klingende Namen hatten.1 Die Ethikkommission der Universität Bielefeld habe diese Studie begutachtet und als unbedenklich bewertet. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat soll dieses Forschungsprojekt gefördert haben.
Diese Unterstützung des Bundesministeriums führte zu starken Irritationen. Der Verfassungsrechtler und Mitglied der CDU Prof. Dr. Rupert Scholz bezeichnete dieses Vorgehen des Bundesinnenministeriums als eindeutig verfassungswidrig. 2
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
- Welches Wissenschafts- und Ethikverständnis legt das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung seinen Studien und Forschungsprojekten nach Kenntnis der Landesregierung zugrunde und wie werden diese innerhalb des Instituts kommuniziert?
- Wie häufig hat das genannte Institut Studien und Forschungsprojekte seit 2013 durchgeführt, welche eine Täuschungshandlung als notwendige Maßnahme bei den Probanden voraussetzten? (Bitte aufschlüsseln nach Thema, Jahr und Art der Täuschungshandlung)
- Welche Voraussetzungen muss eine Studie oder Forschungsprojekt aufweisen, um durch die Ethikkommission der Universität Bielefeld befürwortet zu werden?
- Welche Studien und Forschungsprojekte hat die Ethikkommission aufgrund von ethischen Bedenken seit 2013 abgelehnt? (Bitte aufschlüsseln nach Thema, Jahr und Grund der Bedenken)
- Wie viele der unter Frage 2. durchgeführten Studien und Forschungsprojekte wurden mit Drittmitteln finanziert? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Höhe, Thema, Finanzier und, falls Behörden Drittmittel zur Verfügung gestellt haben, nach Art der Behörde)
Prof. Dr. Daniel Zerbin
1 https://weltwoche.ch/daily/vorkaempferin-von-gesinnungsschnueffelei-innenministerin-faeser-bespitzelt-vermeintlich-fremdenfeindliche-politiker-verfassungsschutz-bitte-uebernehmen-sie-den-fall-faeser/ (abgerufen am 26.10.2023).
2 https://www.nius.de/politik/entsetzen-ueber-faesers-ueberwachungs-studie-das-hat-mit-demokratie-kaum-noch-was-zu-tun/d72f19ab-db6f-45e8-ba62-59bdb913fef7 (abgerufen am 26.10.2023).
Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 2889 mit Schreiben vom 15. Dezember 2023 namens der Landesregierung beantwortet.
- Welches Wissenschafts- und Ethikverständnis legt das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung seinen Studien und Forschungsprojekten nach Kenntnis der Landesregierung zugrunde und wie werden diese innerhalb des Instituts kommuniziert?
Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) ist ein Institut der Universität Bielefeld. Die Ausgestaltung von Forschung und Lehre am Institut unterliegt der Hochschulautonomie sowie der Forschungsfreiheit. Zum Wissenschafts- und Ethikverständnis des Instituts teilt die Universität Bielefeld mit, dass es sich an den Richtlinien und Prinzipien orientiere, die die wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) empfehlen. Die ethischen Grundlagen werden laufend in Vorstands- wie auch Institutssitzungen und nach Bedarf behandelt.
- Wie häufig hat das genannte Institut Studien und Forschungsprojekte seit 2013 durchgeführt, welche eine Täuschungshandlung als notwendige Maßnahme bei den Probanden voraussetzten? (Bitte aufschlüsseln nach Thema, Jahr und Art der Täuschungshandlung)
- Wie viele der unter Frage 2. durchgeführten Studien und Forschungsprojekte wurden mit Drittmitteln finanziert? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Höhe, Thema, Finanzier und, falls Behörden Drittmittel zur Verfügung gestellt haben, nach Art der Behörde)
Die Fragen 2 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die Universität Bielefeld kategorisiert die angewandte Methode als experimentelle Variationen im Studiendesign.
Laut Auskunft der Universität Bielefeld wurden bei folgenden Projekten des IKG seit 2013 solche experimentellen Variationen eingesetzt:
Ph-Lens: Fluchtmigration nach Deutschland: ein „Vergrößerungsglas“ für umfassendere Herausforderungen im Bereich Public Health. Teilprojekt: OTHER, Arbeitspaket OTHER II; DFG-Forschergruppe
Experimentelle Variation: Variation des Namens einer zu behandelnden Person in einer Vignette
04/2020 – 03/2023
Förderer: DFG,
Summe: 197.992 Euro
Duration: Misrecognising Minorities in Europe. Challenges to Integration and Security,
2019 – 2020
Experimentelle Variation des Namens einer Person in einer Vignette
Förderer: Volkswagen-Stiftung
Summe: 382.000 Euro
Auswirkungen von Gewalt und Misshandlung auf die Entwicklung und das Wohlergehen von Kindern: Experimentelle Ansätze zur Untersuchung der kausalen Folgen der Reduktion von Misshandlungen (Die EVIDENCE – Studien) Experimentelle Variation: Experimentelle Manipulation des Ausmaßes der Gewalt gegen Kin-
der mit Hilfe einer gewaltreduzierenden präventiven Intervention
2020 – 2026
Förderer: DFG (Emmy-Noether Programm)
Summe: 2.39 Mio. Euro
- Welche Voraussetzungen muss eine Studie oder Forschungsprojekt aufweisen, um durch die Ethikkommission der Universität Bielefeld befürwortet zu werden?
Nach Auskunft der Universität arbeitet die Ethik-Kommission der Universität Bielefeld (EUB) auf der Grundlage von jeweils fachlich einschlägigen Leit- und Richtlinien bzw. -kodizes zur Ethik der Forschung. Sie begutachtet standardmäßig nach den gemeinsamen „Ethischen Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen (BdP)“.
Wenn Forschungsprojekte in Einklang mit den genannten Leitlinien vorgehen, werden sie dementsprechend als forschungsethisch unbedenklich bewertet.
Unabhängig von der Bewertung durch die Ethik-Kommission bleibt die Verantwortung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihr jeweiliges Handeln bestehen.
- Welche Studien und Forschungsprojekte hat die Ethikkommission aufgrund von ethischen Bedenken seit 2013 abgelehnt? (Bitte aufschlüsseln nach Thema, Jahr und Grund der Bedenken)
Der Gegenstand des Verfahrens, die Stellungnahmen und die Beschlüsse der Ethik-Kommission sind gemäß Geschäftsordnung der Ethik-Kommission vertraulich zu behandeln. Auch individuelle Voten werden vertraulich behandelt. Eine detaillierte Auskunft, aufgeschlüsselt nach Thema, Jahr und Grund der Bedenken, ist daher auch mit Blick auf den Schutz der Wissenschaftsfreiheit, welche durch den Vertraulichkeitsgrundsatz gewährleistet werden soll, nicht darstellbar.
Ab Oktober 2014 liegen allgemeine Statistiken zu Entscheidungen der EUB vor (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Statistik zu Entscheidungen der Ethik-Kommission der Universität Bielefeld
2014/15 | 2016/17 | 2017/18 | 2018/19 | 2019/20 | 2020/21 | 2021/22 | |
Annahme ohne Auflagen | 40% | 38% | 25% | 26% | 30% | 24% | 20% |
Annahme unter Einhaltung bestimmter Auflagen | 47% | 40% | 48% | 50% | 50% | 60% | 74% |
Aufforderung zur Wiedervorlage | 7% | 18% | 23% | 24% | 15% | 11% | 6% |
abgelehnt | 0 | 1 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 |
zurückgezogen | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. | 2 | 5 | 0 |