Antragder AfD-Fraktion vom 02.07.2019
„Gestresste“ Wohnungsmärkte in Großstädten entlasten und den ländlichen Raum stärken – Verlagerung von Hochschuleinrichtungen und Behörden
I. Ausgangslage
Bundesweit und auch in Nordrhein-Westfalen hat sich eine Anzahl von Groß- und Universitätsstädten zu attraktiven Standorten zum Wohnen und Arbeiten und zu Brennpunkten des Wohnungsmarktproblems entwickelt. Insbesondere aufgrund der Zuwanderung von jungen Leuten werden sie deshalb auch als „Schwarmstädte“ bezeichnet. Die Nachfrage nach preiswerten Wohnungen hat sich erhöht, jedoch das Angebot verringert.
Verschärft wird dieses Problem seit einigen Jahren durch eine massiv gestiegene Zuwanderung aus dem Ausland, die „sich absolut gesehen auf die Metropolen konzentriert“, weswegen in der Folge seit 2010 „ein überproportional hoher Zuzug aus dem Ausland in sozial benachteiligte Quartiere zu verzeichnen“ ist1. Bei der zugrundeliegenden Untersuchung waren von den 39 untersuchten Städten auch 12 Großstädte Nordrhein-Westfalens eingebunden. Auch hier sind in der Regel „sozial benachteiligte Quartiere“ gleichzeitig Standorte mit einem hohen Angebot an Wohnungen des preiswerten privaten oder öffentlich geförderten Wohnungsbaus.
Jedoch wird in absehbarer Zeit die Lücke im Segment der preiswerten privaten Wohnungen und im sozialen Wohnungsbau gerade in den betroffenen Großstädten nicht geschlossen werden können, da die Nachfrage weiter steigt und das Angebot nicht ausreichend zunimmt. Der Druck auf die Wohnungsmärkte kann dort aufgrund vielfältiger Engpass- und Kostenfaktoren nicht gelöst werden: zu wenig und zu teure Grundstücke, unzureichende Bau- bzw. Handwerkerkapazitäten, steigende Baukosten und Baunebenkosten.
Entsprechend gehören diese Städte in der Regel auch zu den Gebietskulissen von Markteingriffen in den Wohnungsmarkt durch Regelungen wie z.B. die Mietpreis- oder Kappungsgren-zenverordnung.
Folglich sind bereits heute viele Menschen gezwungen, entweder in Nachbarregionen, die sog. „Speckgürtel“, oder in die umliegenden ländlich geprägten Räume auszuweichen, um ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum zu finden: mit der Konsequenz, dass die Zahl der Arbeitspendler, die täglich in die Großstadtregionen kommen, wächst – und diese in vielen Städten auch noch mit Fahrverboten für ihre Diesel-PKW bedroht werden.
Mit vielfältigen Programmvorschlägen und mit viel Geld soll eine Lösung dieses Wohnungs-marktproblems auf Bundes- und Landesebene herbeigeführt werden, obwohl sich die Problematik auf eine begrenzte Anzahl von Regionen und Großstädte konzentriert.
Der Präsident des GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V.) formuliert insofern zutreffend: „Wir dürfen den Menschen nicht vorgaukeln, dass wir es schaffen, in absehbarer Zeit in den Städten den nötigen Wohnraum zu schaffen.“2 Die Lösung des Problems ist nicht in den Problemzonen selbst, sondern eher durch die Einbeziehung städtischer Randregionen, ländlicher Regionen und dortiger Städte, die als Entlastungspole fungieren können, zu erwarten. Entsprechend wurde die Initiative „Regionalen Ausgleich stärken: Die Wohnungswirtschaft als Gestalter von Heimat“ initiiert, um Potentiale ländlicher Regionen zu nutzen. Dabei wurde ein weiteres wichtiges Problemfeld ausgemacht: Es ist im ländlichen Raum schwierig, Fachkräfte für IT oder auch in den MINT-Bereichen zu finden.3 Entsprechende Studienangebote im ländlichen Raum könnten damit einen doppelten Beitrag leisten: zur Lösung von Wohnungsmarkt- und von Arbeitsmarktproblemen.
II. Nachfrageorientierte Lösungen
Neben den vielfach diskutierten Lösungsversuchen, die an der Bewältigung von Status-Quo Problemen ansetzen (Mietpreisbremse, Kappungsgrenzen, Zweckentfremdung oder Vergesellschaftung) oder das Wohnungsangebot verbreitern sollen (Mittelausweitung beim sozialen Wohnungsbau, Baukindergeld usw.), sind nachfrageorientierte Ansätze bislang erst begrenzt behandelt worden. Diese können beispielsweise folgende Gruppen berücksichtigen:
– Flüchtlinge (z.B. über Wohnortzuweisung und veränderte Verteilungsschlüssel auf Gemeinden),
– Beschäftigte (Verlagerung von öffentlichen Verwaltungseinrichtungen) oder
– Studenten (Verlagerung von Standorten für Studienangebote oder von sonstigen Hochschuleinrichtungen).
In der Vergangenheit ist insbesondere an den großen Hochschulstandorten eine Ausweitung des Studienangebotes mit entsprechend steigender Nachfrage entstanden. Deshalb kann eine Verlagerung von Hochschuleinrichtungen aus überlasteten Großstädten dazu beitragen, das Spektrum der Studienangebote für junge Menschen an einer unterschiedlichen Anzahl von Standorten in den Regionen des Landes zu verbessern und damit auch einen Beitrag zur Lösung des Wohnungsmarktproblems zu leisten.
Denn die aktuelle Studie zur Festlegung der Gebietskulisse einer „Kappungsgrenzenverord-nung“ stellt hierzu fest: „Ein hoher Studentenanteil erhöht den Druck auf das untere Mietpreis-segment.“4 Entsprechend sollte auch an dieser Stelle angesetzt werden, um einen Beitrag zur Lösung des Wohnungsmarktproblems zu leisten.
Der hohe Anteil an Abiturienten an den weiterführenden Schulen des Landes – mit einer Übergangsquote von rund 60 Prozent zum tertiären Bildungssystem – hat zu einem stetigen Wachstum der Studentenzahlen geführt: allein im letzten Jahrzehnt von rd. 500.000 Studenten im Wintersemester 2009/10 auf ein Rekordniveau von 772.300 eingeschriebenen Studierenden im Wintersemester 2018/19, wie das Statistische Landesamt IT.NRW mitteilte.5
Die Zahl der Studenten wird auch weiterhin auf einem hohen Niveau bleiben. Deshalb ist zu erwarten, dass dadurch nicht nur die Nachfrage nach Wohnraum, sondern auch die Mieten hierfür in den großen Universitätsstädten weiter ansteigen.
III. Die Hochschullandschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
Nordrhein-Westfalen verfügt über ein landesweites Netz an Hochschulstandorten: im Wintersemester 2012/2013 bestanden 68 staatlich anerkannte Hochschulen an 54 Standorten.6
Bereits im Jahr 2011 konzentrierten sich die Studenten auf wenige große Hochschulstandorte mit mehreren zehntausend Studenten, mittelgroße Hochschulstandorte mit mehreren Tausend Studenten und auf viele kleine Standorte. Während die großen Standorte den mit Abstand größten Teil der Studenten auf sich konzentrieren (ca. drei Viertel der Studenten), verteilt sich das restliche Viertel auf die Vielzahl der übrigen Hochschulstandorte. Zusätzlich machen die Studenten einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtbevölkerung aus: An drei Standorten betrug bereits 2011 der Anteil der Studierenden mehr als 15 Prozent der Gesamtbevölkerung (Aachen, Münster und Siegen), an weiteren vier Standorten betrug der Anteil zwischen 10 und 15 Prozent (Bochum, Paderborn, Meschede und Steinfurt) sowie in weiteren 11 Standorten immer noch zwischen 5 und 10 Prozent.7 Mit der Zunahme der Studierendenzahlen ist davon auszugehen, dass sich die Anteile insbesondere in den Großstädten weiter erhöht haben.
Mit einer Steuerung der Zahl der Studienangebote an einzelnen Hochschuleinrichtungen verfügt das Land über die Möglichkeit, gezielt auf eine Nachfragegruppe (hier: Studenten) Einfluss zu nehmen. Eine gezielte Verlagerung von Studienangeboten aus den sog. „Schwarmstädten“ oder auch den genannten kleineren Hochschulstandorten hin zu Studienorten ohne bestehende Probleme auf dem Wohnungsmarkt könnte so zu einer Entlastung auf dem Wohnungsmarkt führen und zusätzlich positive Struktureffekte ermöglichen.
Mit dem Phänomen „Schwarmverhalten“ wird in der Immobilienwirtschaft versucht zu erklären, dass für die jungen Menschen aus den ländlich geprägten Regionen insbesondere eine begrenzte Zahl von Hochschulstandorten zu den besonders präferierten Zielorten gehört: In Nordrhein-Westfalen haben die großen Universitätsstandorte Aachen, Bonn, Bielefeld, Düsseldorf, Köln, Münster und Paderborn, aber auch kleinere Hochschulstandorte wie Bad Honnef, Bocholt, Brühl, Mühlheim und St. Augustin eine vergleichsweise hohe Bedeutung als Studienort.
IV. Die Chance der Verlagerung von Studienangeboten
Die großen Universitätsstädte verfügen über ein breites Angebot an verschiedenen staatlichen und privaten Hochschuleinrichtungen mit vielfältigen Studienfächern. Einzelne Fachbereiche oder Institute bieten sich als potenzielle Verlagerungskandidaten an. Beispiele sind hierzu auch im Zusammenhang mit der Entwicklung des Braunkohlereviers zur Lösung der Entwicklungsprobleme im Zusammenhang mit der Aufgabe des Braunkohlenabbaus vorgeschlagen worden.
Die Anhörung zum Ausbau der Studentenwohnheimplätze hat Hinweise darauf gegeben, dass es sinnvoll sein kann, bei noch kleinen, ausbaufähigen Hochschulstandorten das Angebot zu erweitern, denn:
„Wir brauchen nämlich kritische Größen, wir brauchen Clustergrößen an Standorten, um auch national und international wettbewerbsfähig zu sein. Das gilt nicht nur für die Universitäten, sondern auch für die Fachhochschulen.“8
Aufgrund der hohen Kosten für die Bereitstellung von Gebäuden für Hochschuleinrichtungen in den Großstädten könnte gerade auch für private Träger ein Interesse an geeigneten Angeboten an alternativen preiswerteren Standorten bestehen. Dabei können z.B. in Einzelfällen auch denkmalgeschützte Objekte (in Landesbesitz) eine Rolle bei der Nachnutzung spielen.
Mit einer Verlagerung von Studienbereichen wäre in einem gewissen Rahmen auch eine Verlagerung von Personal der Hochschulen verbunden. Am 1. Dezember 2017 belief sich allein die Zahl der Beschäftigten an den Hochschulen auf über 170.0009. Auch hiermit kann für die betroffenen Standorte ein positiver Entwicklungseffekt ausgelöst werden.
Eine Studie des Regionalverbandes Ruhr hat die unterschiedlichen Struktureffekte der Hochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) verdeutlicht10.
Die Gebietskulissen der Mietpreisbremse oder Kappungsgrenzenverordnung könnten erste Hinweise geben, welche Städte mit Hochschuleinrichtungen (insbesondere im Fachhochschulbereich) für eine Reduzierung des Angebots an Studienangeboten in Frage kommen und welche sich für einen Ausbau anbieten könnten.
Verlagerungen von Forschungseinrichtungen in den ländlichen Raum bzw. Neugründungen bieten zudem die Möglichkeit, den wissenschaftlichen Prozess zu befördern, indem sie Gelegenheit zur wissenschaftlichen Clusterbildung liefern, die in städtischen Regionen nicht mehr möglich ist. Dies zeigt das Beispiel des ehemaligen Kernforschungszentrums Jülich, wo die Neuansiedlung von Einrichtungen der RWTH Aachen zusammen mit den Universitäten Köln und Bonn zur Fortentwicklung des Areals in neuen wissenschaftlichen Bereichen zum heutigen Forschungszentrums Jülich beigetragen haben.
V. Die Chance der Verlagerung von Behörden
Bundesweit und sogar europaweit wird auch über die Chance der Verlagerung von Behörden aus den Ballungsräumen in ländliche Räume nachgedacht. Die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien ermöglicht solche Ansätze. Innerhalb der Europäischen Union wird dies bewusst verfolgt, indem die 45 EU-Agenturen und Spezialbehörden auf 22 Mitgliedsländer und 32 Städte verteilt wurden. Auch in einzelnen Staaten werden solche Modelle versucht, erfolgreich umzusetzen, so sind beispielsweise in Dänemark Behörden aus Kopenhagen verlagert worden, um der Landflucht entgegenzuwirken. Das Programm wurde Mitte 2015 gestartet und hatte das Ziel, 3.900 Arbeitsplätze zu verlagern.11
Auf Bundesebene wird insbesondere über die Verlagerung von Bundesbehörden in die Neuen Bundesländer diskutiert.
Eine entsprechende Diskussion auf Länderebene steht erst in den Anfängen. Das Bundesland Bayern hat hierzu bereits umfangreiche Erfahrungen in den letzten Jahren gesammelt12 und beabsichtigt, diese Strategie fortzusetzen. Exemplarisch benennt ein Vorschlagskatalog der Immobilien Zeitung zum Thema Wohnungsnot die geplante Verlagerung von rund 1.000 Studienplätzen nach Kulmbach als Außenstelle der Universität Bayreuth als einen sinnvollen Lö-sungsansatz.13 Die Mehrzahl der in Bayern bislang umgesetzten Behörden- oder Hochschul-standortverlagerungen bewegt sich jedoch in deutlich kleineren Größenordnungen.14 Eine geringere Größe von Verlagerungen erleichtert jedoch eine Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen.
Das Beispiel Bayern verdeutlicht, dass neben den Verlagerungen von Universitätseinrichtungen auch Behörden und staatliche Einrichtungen Potential für eine Verlagerung bieten.
Nordrhein-Westfalen verfügt über eine breite Verwaltungsstruktur: von den obersten Landesbehörden, den oberen Landesbehörden und den Landesmittelbehörden bis hin zu den Lan-desbetrieben, die häufig in den Großstädten des Landes angesiedelt sind. Vielen dieser Behörden obliegt eine Fülle von Aufgabenbereichen, bei denen ebenso wie in Bayern vorstellbar ist, dass einzelne Aufgaben als „Satelliten“ ausgegliedert werden können. Damit könnte eine Entlastung auf den Wohnungsmärkten der Großstädte, eine Reduzierung des Pendelverkehrs und eine Stärkung ländlicher Zentren erreicht werden.
VI. Der Landtag stellt fest,
dass nachfrageorientierte Ansätze einen sinnvollen Ansatz zur Lösung des Wohnungsmarkt-problems darstellen können und die Verlagerung von Hochschuleinrichtungen und Behörden hierbei eine wichtige Rolle spielen kann.
VII. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. zu prüfen, welche öffentlichen Einrichtungen (Behörden oder Hochschuleinrichtungen) des Landes für eine Verlagerung in Frage kommen können und
2. zu prüfen, welche Gemeinden des Landes im ländlich geprägten Raum über das infrastrukturelle Angebot an Einrichtungen der Daseinsvorsorge (zentralörtliche Einrichtungen) und geeignete Immobilien für Hochschuleinrichtungen oder sonstige öffentliche Einrichtungen verfügen sowie
3. das Gespräch mit privaten Trägern von Hochschuleinrichtungen zu suchen, um das Interesse an Verlagerungsmöglichkeiten auszuloten und
4. bis Ende des Jahres 2019 dem Landtag über erste Ergebnisse der Prüfungen zu berichten.
Roger Beckamp
Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 Wanderung in die Städte aus kleinräumiger Perspektive, in: Zuwanderung in die Städte, BBSR-Ana-lysen KOMPAKT 09/2018, S. 9
2 Vgl. 1,1 Millionen Wohnungen fehlen, dpa-AFX vom 27.06.2018
3 Vgl. Regionalen Ausgleich stärken, in: WI-Wohnungspolitische Informationen Nr. 22 vom 31. Mai 2019, S. 3
4 F+B – Forschung – Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt: Erarbeitung von Grundlagen für die Festlegung der Gebietskulisse einer „Kappungsgrenzenverordnung“ nach § 558 BGB, im Auftrag des Ministeriums für Heimat, Kommunales Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein.-Westfalen, Hamburg April 2019, S. 42
5 Vgl. http://www.fh-nrw.de/index.php?id=21
6 Vgl. NRW.Bank (Hrsg.): Studentisches Wohnen. Zur Wohnsituation von Studierenden in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf , Juli 2013, S. 4
7 Studentisches Wohnen – zur Wohnsituation von Studierenden in Nordrhein-Westfalen, hrsg. von der NRW.Bank, Düsseldorf, Juli 2013, S. 6
8 Dr. Roland K., Sprecher der Kanzlerkonferenz NRW, 27. Sitzung des Wissenschaftsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtages am 13.02.2019, Anlage 1 zu TOP 1, S. 21
9 Vgl. it.nrw/personal-hochschulen-nach-personalgruppen-und-hochschularten
10 Vgl. Bildung statt Bergbau, in: Welt am Sonntag vom 26. Mai 2019, S. 1 NRW-Beilage
11 Vgl. Behördenverlagerungen in Europa – Dänemark (Teil 2), Institut für Föderalismus, Eigenblog vom 11.04.2018
12 Vgl. Bayrisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat: Heimatstrategie. Regionalisierung von Verwaltung – Behördenverlagerungen 2015
13 Vgl. 50 Vorschläge gegen die Wohnungsnot, in: Immobilienzeitung vom 25.04.2019, S. 4
14 Vgl. Heimatstrategie – Regionalisierung von Verwaltung – Behördenverlagerungen 2015, hrsg. vom Bayrischen Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat