Kleine Anfrage 2692
der Abgeordneten Klaus Esser, Markus Wagner und Andreas Keith AfD
Häufung von Sabotageakten im Schienenverkehr – Ist die Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen notwendig?
Am 26. August 2023 ereignete sich während der Rückfahrt des Zuges „Bergischer Löwe“ von Wiehl nach Osberghausen ein Zwischenfall im Zusammenhang mit der offiziellen Eröffnung des Wiehlparks. Der Zug kam unerwartet zum Stillstand, nachdem der Lokführer ein ungewöhnliches Rumpeln bemerkt hatte. Bei der daraufhin durchgeführten Inspektion wurde festgestellt, dass absichtlich Schottermaterial zwischen den Schienen platziert worden war, was die Gefahr eines Entgleisens des Zuges barg. Das Schottermaterial befand sich zwischen der Schiene und der Konterschiene.1
Der Pressesprecher der Eisenbahnfreunde Dieringhausen e. V. unterstrich, dass es sich bei diesem Vorfall keineswegs um einen Streich von Kindern handelte. Er betonte zudem die Ernsthaftigkeit dieses Eingriffs in den öffentlichen Verkehr, da der Zug zum Zeitpunkt des Vorfalls mit 58 Passagieren besetzt war.2
Laut Pressesprecher war dies nicht das erste Mal, dass die Eisenbahnfreunde mit derartigen Eingriffen konfrontiert wurden. Es gab in der Vergangenheit bereits drei bis vier ähnliche Vorfälle, darunter auch das Auffinden von Betonringen und eines Hubwagens auf den Gleisen.3
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
- Wie viele Fälle von Sabotageakten an Schienen wurden im Zeitraum von 2022 bis heute registriert? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Sabotage und Monate)
- Bei wie vielen der unter Frage 2 genannten Fälle kamen Personen zu Schaden?
- Welche extremistischen bzw. kriminellen Gruppierungen verüben in Nordrhein-Westfalen Sabotageakte im Schienenverkehr?
- Welche langfristigen Strategien verfolgt die Landesregierung, um die Sicherheit des Schienenverkehrs in Nordrhein-Westfalen langfristig zu gewährleisten bzw. ähnliche Vorfälle zu verhindern?
Klaus Esser
Markus Wagner
Andreas Keith
1 https://www.news-on-tour.de/172567/bergischer-loewe-anschlag/
2 Ebd.
3 Ebd.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2692 mit Schreiben vom 17. November 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz und dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten.
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben.
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
- gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Objekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.
Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie
Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte
sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt für das erste Halbjahr 2023 ist noch nicht abgeschlossen. Die in diesem Bericht angegebenen Fallzahlen mit Stand 04.10.2023 sind als vorläufige Zahlen zu betrachten.
- Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
Der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hat dem Ministerium der Justiz unter dem 29.09.2023 berichtet, dass ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem geschilderten Vorfall bei der Staatsanwaltschaft Köln nicht anhängig sei.
Ergänzend hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln berichtet, dass auch bei den zuständigen Polizeibehörden nach dortiger Auskunft ein Verfahren derzeit nicht bekannt sei. Die Prüfung, ob die nunmehr vorliegenden Informationen Anlass für die Aufnahme von Ermittlungen von Amts wegen im Hinblick auf das etwaige Vorliegen eines gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr (Strafbarkeit nach § 315 StGB) geben, dauere an.
- Wie viele Fälle von Sabotageakten an Schienen wurden im Zeitraum von 2022 bis heute registriert? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Sabotage und Monate)
Die Begrifflichkeit „Sabotage“ ist in den bundeseinheitlichen Richtlinien des KPMD-PMK nicht definiert und lässt insofern keine statistische Erfassung zu. Gleichwohl ist eine Auswertung anhand des Themenfeldes „Verkehrseinrichtung“ in diesem Zusammenhang möglich.
Für den Zeitraum vom 01.01.2022 bis 04.10.2023 wurden bislang insgesamt 30 Straftaten mit dem Unterangriffsziel „Verkehrseinrichtung“ statistisch erfasst. Eine Einzelfallauswertung dieser Taten wies lediglich einen Fall aus, der als „Sabotageakt“ im Sinne der Anfrage und als eine Manipulation an Gleiskörpern bzw. dem Gleisbett erkannt werden kann. Unbekannte Täter legten im Oktober 2022 ein Kabel auf ein Gleis, welches durch die Überfahrt eines Zuges beschädigt wurde. Das Kabel stellte die „automatisierte Kommunikation zwischen Schienenverkehr und Bahnhöfen“ sicher, damit Züge problemlos und ohne Gefahren oder Rückstau die Bahnhöfe befahren können. Ob das auf die Schienen gelegte Kabel tatsächlich zu einer Entgleisung hätte führen können, kann nicht abschließend bewertet werden.
- Bei wie vielen der unter Frage 2 genannten Fälle kamen Personen zu Schaden?
Der Landesregierung liegen keine Informationen zu verletzten Personen im Zusammenhang mit dem Vorfall vor.
- Welche extremistischen bzw. kriminellen Gruppierungen verüben in Nordrhein-Westfalen Sabotageakte im Schienenverkehr?
In Zusammenhang mit dem geschilderten Vorfall und einem Angriff gegen Personenzüge des öffentlichen Personennahverkehrs ist eine allgemeingültige Aussage darüber, welche Gruppierungen im Einzelnen für die Begehung gleichgelagerter Sachverhalte verantwortlich sind, nicht möglich.
- Welche langfristigen Strategien verfolgt die Landesregierung, um die Sicherheit des Schienenverkehrs in Nordrhein-Westfalen langfristig zu gewährleisten bzw. ähnliche Vorfälle zu verhindern?
Die Gewährleistung der Sicherheit des Eisenbahnverkehrs obliegt Kraft Gesetzes zunächst den Eisenbahnen selbst. Sie sind nach § 4 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) verpflichtet, ihren Betrieb zu jeder Zeit sicher zu führen und Sorge dafür zu tragen, dass ihre Fahrzeuge und Eisenbahninfrastruktur den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit genügen (Betreiberverantwortung). Die nach zuständigen Landes- und Bundesbehörden überwachen spiegelbildlich, dass die Eisenbahnunternehmen ihrer Verpflichtung zu Einhaltung der Anforderungen der öffentlichen Sicherheit nachkommen, ohne dass dadurch die primär den Eisenbahnen obliegende Sicherheitsverantwortung für den von ihnen geführten Betrieb geschmälert wird.
Im Übrigen sind Betreiber Kritischer Infrastrukturen dazu verpflichtet, angemessene bauliche, organisatorische und technische Vorkehrungen zu treffen, die für die Funktionsfähigkeit der von ihnen betriebenen Kritischen Infrastrukturen maßgeblich sind. Durch Eigenvorsorge haben also die Betreiber Kritischer Infrastruktur sicher zu stellen, dass auch in kritischen Szena-rien die Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Leistungen gewährleistet bleibt.
Darüber hinaus erheben die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen fortwährend sicherheitsrelevante Erkenntnisse. Diese sind Grundlage der Beurteilung der Gefährdungslage und darauf basierender Schutzmaßnahmen. Die Beurteilung der Gefährdungslage erfolgt in Nordrhein-Westfalen durch die Kreispolizeibehörden, soweit es sich nicht um Eisenbahnanlagen des Bundes handelt. In diesem Fall liegt die Zuständigkeit bei der Bundespolizei. So ist gewährleistet, dass neben den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden der Länder auch die des Bundes in die regionale Sicherheitslage einfließen.