Kleine Anfrage 432
des Abgeordneten Markus Wagner vom 12.09.2022
Hawala-Banking: Nordrhein-Westfalen als Zentrale des weltweiten Netzes für illegale Geldtransfers – Zweiter Teil
Nach Informationen des Spiegels beheimatete Nordrhein-Westfalen den Kopf eines weltweiten Netzes für illegale Geldtransfers. Dieses Zahlungssystem, das aus dem Untergrund heraus fungiert, wird auch als Hawala bezeichnet. Bei einem Kopf dieses Systems in NRW handelt es sich um den Syrer A., der von seinen Handlangern „Scheich A.“ genannt wurde.1
Das Hawala-Finanzsystem ist ein weltweit funktionierendes informelles Überweisungssystem, das seine Wurzeln in der frühmittelalterlichen Handelsgesellschaft des Vorderen und Mittleren Orients hat. Die Transaktionen werden über Hawala-Agenten abgewickelt, die die Geldbeträge entgegennehmen und andere Hawala-Agenten zur Auszahlung dieser Summen anweisen.2 Mit Hilfe dieses Systems, das vorrangig von Migranten genutzt wird, fließen geschätzt etwa 200 Milliarden US-Dollar jährlich um die Welt.3
Nur durch einen selbstverschuldeten Autounfall am 28. Mai 2020 rückte A. ins Visier der Ermittlungsbeamten. Bei seiner missglückten Flucht vor der Polizei entdeckte diese bei ihm eine große Menge Bargeld in einem Stoffbeutel und in einem Wäschekorb. Die Ermittlungen ergaben, dass A. arbeitslos ist, allerdings über neun Bankkonten verfügte und selbst als „Bank“ fungierte. Sein Jahresgewinn wird auf rund eine halbe Million Euro geschätzt. Gleichzeitig kassierte er seit 2016 Sozialleistungen in Höhe von mehr als 100.000 Euro. Mittlerweile gibt es mehr als 80 Beschuldigte, die Beteiligte dieses Netzwerks waren und wie A. als Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen. Man geht allerdings davon aus, dass mindestens 150 Personen in den Arbeitsprozess dieser Hawala-Bank involviert waren. Die Geschäfte sollen hauptsächlich über WhatsApp abgewickelt worden sein. Die Ermittler ließen A. nach dem Autounfall weiter seine Geschäfte nachgehen, um weitere Informationen zu sammeln. im Oktober 2021 wurde er allerdings bei einer Razzia festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Im Zeitraum von August 2018 bis August 2021 soll er rund 36 Millionen Euro eingesammelt haben. Es wird darüber hinaus vermutet, dass er auch Terroristen finanziert haben soll.4
Wie der Spiegel berichtet, soll A. bereits im Jahre 2016 polizeilich und staatsanwaltlich in Erscheinung getreten sein. Es wird ausgeführt, dass ein Mann aus Syrien auf der Polizeiwache in Erkelenz gegen A. ausgesagt habe, dass er in einer Flüchtlingsunterkunft die Scharia studiere, Taten des „Islamischen Staates“ befürworte und in Syrien Mitglied einer islamistischen Kampfgruppe gewesen sein soll. 2019 warnten britische Sicherheitsbehörden deutsche Kollegen, dass A. möglicherweise Terrororganisationen finanziere.5
Ich frage daher die Landesregierung:
- Welche Gefahren sieht die Landesregierung im bzw. durch das Hawala-System?
- Wie viele Anzeigen, Ermittlungsverfahren sowie Gerichtsverfahren gab es im Zusammenhang mit Hawala in NRW und wie viele Verurteilungen sind bisher ergangen? (Bitte nach Straftatbestand, Herkunft der Angeklagten und Verurteilungen aufschlüsseln.)
- Welche Maßnahmen hat die Landesregierung gegen Hawala-Banking bisher auf den Weg gebracht respektive welche zusätzlichen Maßnahmen hält sie aus ihrer Sicht noch für erforderlich?
- Wofür setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene ein, um das Hawala-System zu bekämpfen?
- Wie hoch ist der bisher ermittelte (finanzielle) Schaden für die Opfer, der durch A. zustande kam?
Markus Wagner
2 Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glosaareintraege/DE/H/hawala.html.
4 Ebenda.
5 Ebenda.
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 432 mit Schreiben vom 14. Oktober 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister des Innern beantwortet.
- Welche Gefahren sieht die Landesregierung im bzw. durch das Hawala-System?
Transaktionen im Rahmen des sogenannten „Hawala-Systems“ werden in der Regel ohne überprüfbare Aufzeichnungen oder Belege unter Nutzung privater und zum Teil verschlüsselter Kommunikationswege durchgeführt und der Steuerbarkeit entzogen. Eine nachvollziehbare Dokumentation von Informationen über die Beteiligten sowie hinsichtlich der Herkunft oder weiteren Verwendung der Gelder erfolgt dabei regelmäßig nicht. Diese Vorgehensweise begünstigt die Nutzung des Systems für kriminelle Zwecke und erschwert Maßnahmen der Rückverfolgung.
Weitere Gefahren können durch den beim Hawala-Banking erforderlichen Transport oder die Aufbewahrung großer Bargeldsummen durch Privatpersonen entstehen. Dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) liegen Erkenntnisse vor, dass sich Beteiligte zur Verhinderung des Verlustes der anvertrauten Gelder bewaffneten.
- Wie viele Anzeigen, Ermittlungsverfahren sowie Gerichtsverfahren gab es im Zusammenhang mit Hawala in NRW und wie viele Verurteilungen sind bisher ergangen? (Bitte nach Straftatbestand, Herkunft der Angeklagten und Verurteilungen aufschlüsseln.)
Statistische Daten im Sinne der Fragestellung liegen in den Geschäftsbereichen des Ministeriums des Innern und des Ministeriums der Justiz nicht vor. Dementsprechend bedürfte es zur validen Beantwortung der Frage einer händischen Auswertung sämtlicher in Betracht kommender Verfahren, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist.
Das Ministerium der Finanzen hat mir zur Beantwortung der Frage 2 den folgenden Beitrag übersandt:
„Es wurden bislang insgesamt 56 Steuerstrafverfahren eingeleitet. Die Ermittlungen dauern noch an. Verurteilungen erfolgten bisher nicht.“
- Welche Maßnahmen hat die Landesregierung gegen Hawala-Banking bisher auf den Weg gebracht respektive welche zusätzlichen Maßnahmen hält sie aus ihrer Sicht noch für erforderlich?
- Wofür setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene ein, um das Hawala-Sys-tem zu bekämpfen?
Die Fragen 3 und 4 werden gemeinsam beantwortet.
Für die Bekämpfung von Kriminalität im Zusammenhang mit Hawala-Banking ist eine enge behördenübergreifende Zusammenarbeit von besonderer Bedeutung. Im Jahr 2018 haben das Ministerium der Finanzen, das Ministerium des Innern und das Ministerium der Justiz daher die Task Force „Ressortübergreifende Bekämpfung von Finanzierungsquellen Organisierter Kriminalität und Terrorismus“ beim LKA NRW eingerichtet, deren Fokus auch im Bereich des Hawala-Banking liegt. In der Task Force arbeiten Polizei, Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft nach dem Prinzip der „zusammengeschobenen Schreibtische“ eng vernetzt zusammen. Indem die Task Force nach dem Grundsatz „Follow the money“ Finanzierungsquellen austrocknet, verhindert sie zugleich die erneute Investition illegalen Vermögens in weitere illegale Geschäfte bzw. den Transfer dieses illegalen Vermögens in den legalen Wirtschaftskreislauf (Geldwäsche). Neben der Task Force sind in jeder Kreispolizeibehörde sowie dem LKA NRW spezialisierte Finanzermittlerinnen und Finanzermittler zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskriminalität eingesetzt.
Ferner ist eine Beteiligung Nordrhein-Westfalens an einem Auswerteprojekt der „Financial Intelligence Unit“ (FIU) zur effektiven Analyse von Verdachtsmeldungen beabsichtigt. Am 20.06.2022 hat das LKA NRW mit der FIU zudem die dauerhafte Entsendung eines Verbindungsbeamten in das LKA NRW vereinbart, der dort zur Intensivierung der Zusammenarbeit im Bereich der Geldwäschebekämpfung eingesetzt ist.
Die Verstetigung und der Ausbau der länderübergreifenden Zusammenarbeit der zuständigen Behörden im Zusammenhang mit Finanzermittlungen stellt ein wichtiges Ziel der Landesregierung dar. Im Rahmen der jeweiligen Fachgremien werden Verbesserungspotenziale erörtert und ein stetiger Informations- und Erfahrungsaustausch gewährleistet. Außerdem prüft die Landesregierung aufgrund der jeweils aktuellen Erkenntnislage fortlaufend, ob Anlass zu weiteren Maßnahmen oder Initiativen besteht, die geeignet sind, Kriminalität im Zusammenhang mit Hawala-Banking noch effektiver zu bekämpfen.
- Wie hoch ist der bisher ermittelte (finanzielle) Schaden für die Opfer, der durch A. zustande kam?
Opfer, die unmittelbar durch das verfahrensgegenständliche Hawala-System einen finanziellen Schaden erlitten hätten, sind nach einem Bericht des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf an das Ministerium der Justiz vom 23.09.2022 bislang nicht ersichtlich, da eine Schädigung der Kunden, deren Gelder transferiert werden, mit der Tatbegehung regelmäßig nicht einhergehe.