Heimunterricht – Situation in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage
vom 14.02.2024

Kleine Anfrage 3317

des Abgeordneten Carlo Clemens AfD

Heimunterricht Situation in Nordrhein-Westfalen

Außerhalb pandemischer Verhältnisse sind in Nordrhein-Westfalen Beschulungsmöglichkeiten außerhalb der jeweiligen Stammschulen nur als Sonderregelung im Krankheitsfall oder in der Schwangerschaft vorgesehen; entweder in Kliniken1 oder zuhause.2 Hierfür ist abseits der eigenständig zu erbringenden Lernanteile und zu bearbeitenden Aufgaben noch digitale Lehrerbeschulung vorgesehen, entweder in kleineren Klassenverbänden oder nach Bedarf individuell.3

Der Heimunterricht als eigenständiges Konzept hingegen ermöglicht es Eltern (oder auch anderen Erziehungsberechtigten sowie älteren Geschwistern), schulpflichtige Kinder zuhause zu beschulen, soweit das häusliche Umfeld dies zulässt.4 Ob sowohl die Schüler als auch Erziehungsberechtigte bzw. Dritte als Lehrende kognitiv sowie didaktisch dazu in der Lage sind, könnte anhand objektiver Lernstandserhebungen regelmäßig geprüft werden.5

Die Befürchtung eines sozialen Defizits aufgrund des täglich ausbleibenden Zusammenkommens im Raum der Schulen und somit einer Desintegration der Heranwachsenden aus der Gesellschaft wurde im internationalen Vergleichskontext bereits empirisch entkräftet.6 Dadurch ist Heimunterricht nicht nur dort zur Option geworden, wo eine Präsenzschulpflicht einen unzumutbaren täglichen Schulweg nach sich ziehen würde. Mehr als die Hälfte der Mitgliedsländer in der Europäischen Union (14 von 27) bieten eine uneingeschränkte Möglichkeit zum Heimunterricht.

Das Konzept des „home schooling“ ist von dem der Freilerner zu unterscheiden, welche ein antiautoritäres Konzept der Selbstbelehrung durch Entdecken mit erwachsener Assistenz vorsehen.7 Der Heimunterricht impliziert eine klare Rollendifferenzierung zwischen Lehrendem und Lernendem, so wie sie im schulischen Verhältnis auch vorzufinden ist. Ebenso abzugrenzen ist der Heimunterricht von einem schulgeführten dauerhaften Digitalunterricht zuhause, der Lehrkräften mit digitalen Kommunikationsmitteln die dezentrale Beschulung ihrer Schüler an ihren jeweiligen Wohnstätten erlaubt.

Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland, bei dem der Kultusbereich exklusive Kompetenz der Bundesländer ist, gibt es verschiedene Ausprägungen von Nichtschülerprüfungen, die Abschlussprüfungen ohne einen unmittelbar damit verbundenen Schulbesuch ermöglichen. Sie variieren sowohl hinsichtlich ihrer Voraussetzungen als auch der möglichen Abschlüsse, die erreicht werden können. NRW macht es dabei zur Auflage, dass die Vollzeitschulpflicht bereits erfüllt wurde.8

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Bei wie vielen Schülern in NRW ruht aktuell die Schulpflicht? (bitte aufschlüsseln nach Grund, Regierungsbezirk und Schulform)
  2. Gegen wie viele Erziehungsberechtigte von Schülern wurden in den letzten fünf Jahren aufgrund von Verstößen gegen die Schulpflicht Strafen verhängt? (bitte aufschlüsseln nach Bußgeld, Zwangsgeld sowie nach Regierungsbezirk und Schulform)
  3. Bei wie vielen Schülern wurden in den letzten fünf Jahren zwangsweise Zuführungen gemäß § 41 Abs. 4 SchulG durchgeführt, um die Teilnahme Schulpflichtiger am Unterricht sicherzustellen? (bitte aufschlüsseln nach Grund, Regierungsbezirk und Schulform)
  4. Wie viele schulpflichtige Kinder gelten in NRW als unbeschulbar, sodass der Vollzug der Schulpflicht bis auf weiteres ausgesetzt ist? (bitte aufschlüsseln nach Regierungsbezirk und Schulform)
  5. Wie steht die Landesregierung grundsätzlich zu einer Möglichkeit der häuslichen Beschulung durch Eltern oder anderer Erziehungsberechtigter unter Begleitung von regelmäßigen, verbindlichen Lernstandserhebungen?

Carlo Clemens

 

MMD18-8018

 

1 Landesministerium für Schule und Bildung NRW, Klinikschule,
https://www.schulministerium.nrw/klinikschule.

2 Bezirksregierung Düsseldorf des Landes NRW, Hausunterricht,

https://www.brd.nrw.de/themen/schule-bildung/schulformuebergreifende-themen/hausunterricht.

3 Ebd.

4 Patrick Basham, John Merrifield & Claudia R. Hepburn, Home Schooling: From the

Extreme to the Mainstream, https://www.fraserinstitute.org/sites/default/files/Homeschooling2007.pdf.

5 Ebd.

6 Kate Burton & Eileen Slater, Homeschooled children are far more socially engaged than you might think, https://theconversation.com/homeschooled-children-are-far-more-socially-engaged-than-you-might-think-111353.

7 Deutschlandfunk Kultur, Freilerner: Leben ohne Schule,

https://www.deutschlandfunkkultur.de/freilerner-leben-ohne-schule-104.html.

8 Bezirksregierung Münster des Landes NRW, Externenprüfungen, https://www.bezreg-muenster.de/de/schule_und_bildung/schulrecht_schulorganisation_abschluesse_sprachen/externenpr uefungen/index.html.


Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 3317 mit Schreiben vom 5. März 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.

  1. Bei wie vielen Schülern in NRW ruht aktuell die Schulpflicht? (bitte aufschlüsseln nach Grund, Regierungsbezirk und Schulform)
  2. Gegen wie viele Erziehungsberechtigte von Schülern wurden in den letzten fünf Jahren aufgrund von Verstößen gegen die Schulpflicht Strafen verhängt? (bitte aufschlüsseln nach Bußgeld, Zwangsgeld sowie nach Regierungsbezirk und Schulform)
  3. Bei wie vielen Schülern wurden in den letzten fünf Jahren zwangsweise Zuführungen gemäß § 41 Abs. 4 SchulG durchgeführt, um die Teilnahme Schulpflichtiger am Unterricht sicherzustellen? (bitte aufschlüsseln nach Grund, Regierungsbezirk und Schulform)

Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die gewünschten Daten werden durch das Ministerium für Schule und Bildung nicht zentral erhoben. Sie können mit zumutbarem Aufwand auch nicht bei den nachgeordneten Behörden erfragt werden. Die unteren und oberen Schulaufsichtsbehörden sind zu einer Datenerhebung und Statistikführung nicht verpflichtet.

  1. Wie viele schulpflichtige Kinder gelten in NRW als unbeschulbar, sodass der Vollzug der Schulpflicht bis auf weiteres ausgesetzt ist? (bitte aufschlüsseln nach Re­gierungsbezirk und Schulform)

Das Schulgesetz NRW kennt weder den Begriff der „Unbeschulbarkeit“ schulpflichtiger Kinder, noch die Terminologie „Aussetzung des Vollzugs der Schulpflicht“.

  1. Wie steht die Landesregierung grundsätzlich zu einer Möglichkeit der häuslichen Beschulung durch Eltern oder anderer Erziehungsberechtigter unter Begleitung von regelmäßigen, verbindlichen Lernstandserhebungen?

Die Schulpflicht ist eine Errungenschaft und in Nordrhein-Westfalen ein Gut von Verfassungs­rang (Artikel 8 Absatz 2 LVerf). Diese verfassungsrechtlich verankerte allgemeine Schulpflicht, die die Pflicht zum Schulbesuch einschließt, dient der Umsetzung des Anspruchs aller Kinder auf Erziehung und Bildung (Artikel 8 Absatz 1 LVerf). Sie dient nicht allein der Gewährleistung der Wissensvermittlung, sondern zugleich der Vermittlung sozialer und staatsbürgerlicher Kompetenz. Auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gemäß § 2 Schulgesetz NRW wird hingewiesen. So können durch das gemeinsame Lernen in der Schule unter ande­rem soziale Kompetenzen erlernt und der Umgang mit Andersdenkenden als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft täglich eingeübt werden. Die Schule soll die Kinder und Jugend­lichen zu mündigen Staatsbürgern erziehen, die sich in einer Gemeinschaft zurechtfinden und behaupten können. Das ist Teil eines ganzheitlichen umfassenden Verständnisses von Per-sönlichkeits- und Wertebildung. Der in Artikel 7 Absatz 1 GG enthaltene staatliche Erziehungs­auftrag ist dem elterlichen Erziehungsrecht aus Artikel 6 Absatz 2 GG gleichgeordnet. Ein Wahlrecht, ob Kinder eine Schule besuchen, kommt vor diesem Hintergrund aus Sicht der Landesregierung nicht in Betracht.

 

MMD18-8385

Beteiligte:
Carlo Clemens