Immer neue Doppelstandards beim Verfassungsschutz NRW

Kleine Anfrage
vom 27.11.2020

Kleine Anfrage 4717des Abgeordneten Markus Wagner vom 27.11.2020

 

Immer neue Doppelstandards beim Verfassungsschutz NRW

Am 5. September 2020 haben verschiedene linke und linksextreme Bestrebungen eine Kundgebung gegen eine AfD-Versammlung am Mülheimer Rathausmarkt durchgeführt. Auf Fotografien dieser Gegenkundgebung, die der AfD-Landtagsfraktion vorliegen, sind u.a. die Symbole der Grünen Jugend, der SPD, der Jusos, der VVN-BdA, der Linkspartei, der MLPD, der AWO, von „Fridays for Future“, von „Die Partei“ als auch der „Antifa“ zu erkennen. Eine Teilmenge dieser Fotografien entstammt dem Facebookauftritt der SPD-Politikerin N. K., der stellvertretenden Vorsitzenden der Mülheimer SPD1 und Referentin der Geschäftsführung bei der AWO Kreisverband Viersen e.V.2. Auf den Fotografien sind unter anderem die Fahnen der „Antifa“, aus deren Spektrum allein in NRW 60 Gruppen aktuell durch den Verfassungsschutz beobachtet werden3, und auch der VVN-BdA zu erkennen.4 Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) wird unter anderem vom bayrischen Verfassungsschutz beobachtet. Ihr ist 2019 zudem die Gemeinnützigkeit aberkannt worden.5 K. kommentierte diese Foto-Uploads am Samstag, dem 5. September 2020, um 15:51 Uhr wie folgt:

„Heute haben wir mit Storch Heimar und vielen anderen Organisationen gemeinsam gegen Rechts Flagge gezeigt. Die sogenannte Alternative, welche keine ist, war mit 50 Leuten dort und Antifaschist*innen (sic!) haben ihnen gezeigt, dass in Mülheim kein Platz für sie ist.“

Vor diesem Hintergrund hat die AfD-Landtagsfraktion am 9. September 2020 einen entsprechenden Tagesordnungspunkt mit der Bitte um einen schriftlichen Bericht der Landesregierung für die 66. Sitzung des Innenausschusses beantragt. Die Beantragung beinhaltete über eine Frage zum Verlauf der Demonstrationen hinaus auch Fragen danach, welche linksextremen Bestrebungen, die vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beobachtet werden, und welche Zusammenschlüsse / Parteien des demokratischen Spektrums an der Gegenkundgebung teilgenommen haben;

– ob der Verfassungsschutz diese Mülheimer Gegenkundgebung als konkrete Erscheinungsform einer so genannten „Mischszene“ bewertet;

– und schließlich, wie es der Verfassungsschutz bewertet, dass in Mülheim gemeinsam mit der SPD, den Jusos und der Grünen Jugend, die sich in der jüngeren Vergangenheit offen mit linksextremen Bestrebungen solidarisiert haben, Personen aus dem Antifa-Spektrum, die MLPD und die VVN-BdA demonstriert haben, und eine anwesende SPD-Kreisvorsitzende Fotografien auch von Linksextremisten veröffentlicht und sich in einem undifferenzierten Kommentar ausnahmslos positiv über diese gemeinsame Versammlung äußert.

In Vorlage 17/3873 A09 beantwortet die Landesregierung dies nach einer ausführlicheren Darstellung des Verlaufs beider Versammlungen auf den Seiten 3f. wie folgt:

„Über Organisations- oder Parteizugehörigkeiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Gegenkundgebung liegen keine Erkenntnisse vor. Eine sogenannte Mischszene konnte nicht festgestellt werden.

Von Mischszenen spricht der Verfassungsschutz nur, wenn Gruppierungen durch ein heterogenes, nicht durchgängig extremistisches Personenpotenzial gekennzeichnet sind, aber extremistische Positionen dominieren. Derartige Mischszenen beobachtet der Verfassungsschutz im Rechtsextremismus. Sie setzen sich in der Regel aus Angehörigen der Hooligan- und Rockerszene, mutmaßlichen „Wutbürgern und Rechtsextremisten zusammen. Im Bereich des Linksextremismus beobachtet der Verfassungsschutz demgegenüber partielle thematisch orientierte Kooperationen von Linksextremisten mit Angehörigen oder Gruppierungen aus dem nichtextremistischen Spektrum, die aber bislang jeweils auf nicht­extremistischen inhaltlichen Gemeinsamkeiten beruhen und bei denen extremistische Positionen gerade nicht geteilt bzw. übernommen werden.

Eine Unterstützung extremistischer Positionen und Akteure durch zivildemokratische Organisationen kann als Erfolg einer extremistischen Entgrenzungsstrategie bewertet werden, sofern diese auf das Bemühen extremistischer Kräfte zurückgeführt wird, durch geeignete Themenwahl und Aktionsformen eine Anschlussfähigkeit für das demokratische Spektrum herzustellen.“

Irritierend wirkt bereits der erste hier zitierte Absatz. Die Landesregierung will zu der unzweifelhaften Feststellung gelangt sein, dass man im Rahmen der in Rede stehenden Gegenkundgebung keine konkrete Manifestationsform einer Mischszene hat identifizieren können. Zugleich teilt man jedoch mit, dass „über Organisations- oder Parteizugehörigkeiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Gegenkundgebung (…) keine Erkenntnisse“ vorliegen. Folglich liegt die Vermutung nahe, dass die Landesregierung respektive der Verfassungsschutz dogmatisch an seiner Behauptung, wonach es Mischszenen ausnahmslos im Rechtsextremismus gebe, festhält, ohne zu genaueren Erkenntnissen über die konkrete Versammlung gelangt zu sein. Schließlich ist die Teilnahme von linksextremen Bestrebungen fotografisch dokumentiert und teilweise auf der Facebookseite von N. K. für jedermann einsehbar. Damit ist die inzwischen immer besser belegbare Hypothese verbunden, wonach der Verfassungsschutz die Analysekategorie der Mischszene absichtlich nicht auf den Phänomenbereich des Linksextremismus anwendet, da man sich in einem solchen Fall mit mannigfachen wechselseitigen Bezügen zwischen der SPD, den Grünen, insbesondere deren Jugendverbänden, und unterschiedlichen linksextremen Bestrebungen befassen müsste.

Die Landesregierung konnte auf Antrag der Grünen in einem schriftlichen Bericht für den Innenausschuss vom 17. August 2020, Vorlage 17/3718 A09, detailliert öffentlich darüber informieren, dass bei einer Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen am 9. August 2020 in Dortmund, an der bis zu 2800 Personen, größtenteils aus dem bürgerlichen Spektrum, teilgenommen haben, und die nach Behördenangaben insgesamt anmeldekonform und störungsfrei verlief, auch 9 personenscharf identifizierte Rechtsextremisten zugegen gewesen sind (vgl. S. 3 f.). Das entspricht 0,32 Prozent der Teilnehmer. Ebenfalls auf Antrag der Grünen, über deren eigene linksextreme Verbindungen ein politisch korrektes Mitteilungsverbot zu gelten scheint, berichtete die Landesregierung in einem schriftlichen Bericht für den Innenausschuss vom 21. September 2020, Vorlage 17/3879 A09, ausführlich über die bisherige Erkenntnislage im Vorfeld einer weiteren Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen in Düsseldorf: Obwohl zum Berichtszeitpunkt keine Erkenntnisse zur konkreten Teilnahme von Personen der rechtsextremistischen Szene oder aus der Reichsbürgerszene vorlagen, hatte die Landesregierung respektive der Verfassungsschutz jede Mobilisierung in Messengergruppen aufmerksam registriert und unter expliziter namentlicher Nennung der jeweiligen Chatgruppen öffentlich darüber berichten können (vgl.

  1. 2 f.). Als sich demgegenüber die AfD-Landtagsfraktion mit einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung gewandt hatte, nachdem sowohl der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz feststellen konnte, dass es linksextremen Bestrebungen, wie der Interventionistischen Linken (IL), erneut gelungen war, in demokratisch-linke (Protest-)Milieus hineinzuwirken, als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachten musste, dass es Extremisten zunehmend leichter fiele, auf demokratische Milieus einzuwirken, und unter anderem die Frage stellte, an welchen Demonstrationen und Aktionen nicht-extremistische und linksextreme Akteure gleichzeitig teilgenommen haben6, gestaltete sich die Antwort wie folgt:

„Im Phänomenbereich Linksextremismus werden demonstrative Ereignisse und Aktionen vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen unter der Voraussetzung beobachtet, dass diese maßgeblich durch die linksextremistische Szene gesteuert bzw. beeinflusst werden oder sich Linksextremisten in wesentlichem Ausmaß daran beteiligen und gegebenenfalls Gewalt ausüben. Die reine, mitunter vom Veranstalter sogar unerwünschte Teilnahme von Linksextremisten an Demonstrationen des zivildemokratischen Spektrums stellt für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar und gehört insofern nicht zum Beobachtungsfeld des Verfassungsschutzes. Eine Ausweitung der Beobachtung auf jegliche Form linksmotivierter, gesellschaftskritischer Aktivitäten entspricht nicht dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes.“7

Wir fordern die Landesregierung auf, die nachfolgend gestellten Fragen einzeln und in einem angemessenen Umfang zu beantworten und dabei auf die bloße Wiederholung älterer Textbausteine zu verzichten.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie konnte der Verfassungsschutz zu der Schlussfolgerung gelangen, dass im Rahmen der Mülheimer Gegenkundgebung vom 5. September 2020 eine sogenannte Mischszene nicht festgestellt werden konnte, obwohl der Behörde keine Erkenntnisse über Organisations- oder Parteizugehörigkeiten der Teilnehmer der Gegenkundgebung vorlagen, die wiederum eindeutig aus teils öffentlich zugänglichen Fotografien hervorgehen?
  2. Wie bewertet es der Verfassungsschutz, dass in Mülheim gemeinsam mit der SPD, den Jusos und der Grünen Jugend, die sich in der jüngeren Vergangenheit offen mit linksextremen Bestrebungen solidarisiert haben, Personen aus dem Antifa-Spektrum,die MLPD und die VVN-BdA demonstriert haben, und eine anwesende SPD-Kreisvorsitzende Fotografien auch von Linksextremisten veröffentlicht und sich in einem undifferenzierten Kommentar ausnahmslos positiv über diese gemeinsame Versammlung äußert, vor dem Hintergrund derjenigen Feststellung der Landesregierung, wonach eine Unterstützung extremistischer Positionen und Akteure durch zivildemokratische Organisationen als Erfolg einer extremistischen Entgrenzungsstrategie bewertet werden kann, sofern diese auf das Bemühen extremistischer Kräfte zurückgeführt wird, durch geeignete Themenwahl und Aktionsformen eine Anschlussfähigkeit für das demokratische Spektrum herzustellen? (Bitte nicht abstrakt antworten, ob etwas sein könnte, sondern diese konkrete linke bis linksextreme Versammlung, die konkreten Akteure, die konkreten Aussagen in ihrer Gesamtheit dahingehend bewerten, ob hier eine Mischszene, Entgrenzungserfolge und dergleichen festgestellt worden sind.)
  3. Wie gelangt der Verfassungsschutz zu der allgemeinen Aussage, dass auf der politischen Linken ausnahmslos und für jede einzelne thematisch orientierte Kooperation von Linksextremisten mit Angehörigen oder Gruppierungen aus dem demokratischen Spektrum gültig extremistische Positionen von Bestrebungen des demokratischen Spektrums gerade nicht geteilt bzw. übernommen werden und damit keine Mischszene vorliegt?
  4. Warum hat der Verfassungsschutz die 0,32 Prozent bekannter Rechtsextremisten unter den fast 3000 größtenteils bürgerlichen Teilnehmern einer Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen am 9. August 2020 in Dortmund, die anmeldekonform und störungsfrei verlief, ebenso registriert, beobachtet und nach erfolgter personenscharfer Zuordnung über ihre Teilnahme öffentlich berichtet, wie er über die Mobilisierung in Messengergruppen für eine weitere Demonstration in Düsseldorf am 20. September 2020 unter expliziter namentlicher Nennung der jeweiligen Chatgruppen öffentlich berichtet hat, wohingegen im Phänomenbereich Linksextremismus demonstrative Ereignisse und Aktionen vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen nur unter der Voraussetzung beobachtet werden, dass diese maßgeblich durch die linksextremistische Szene gesteuert bzw. beeinflusst werden oder sich Linksextremisten in wesentlichem Ausmaß daran beteiligen und gegebenenfalls Gewalt ausüben?
  5. Entsprechen eine Ausweitung der Beobachtung auf jegliche Form demokratisch rechtsmotivierter, gesellschaftskritischer Aktivitäten dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes?

Markus Wagner

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. https://www.spdmh.de/gruppen/vorstand-der-muelheimer-spd/.

2 Vgl. https://www.nrwspd.de/personen/n.-k./

3 Vgl. Vorlage 17/3713.

4 Vgl. https://www.facebook.com/media/set/?set=a.119222181761455&type=3.

5 Vgl. Süddeutsche Zeitung (2020): Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wird beobachtet; online im Internet: https://www.sueddeutsche.de/politik/landtag-muenchen-vereinigung-der-verfolgten-des-naziregimes-wirdbeobachtet-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191211-99-103024.

6 Vgl. Drs. 17/8760, S. 1 u. 3.

7 Ebd., S. 3.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4717 mit Schreiben vom 5. Januar 2021 na­mens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Seit einiger Zeit haben sich jenseits klassischer Erscheinungsformen des Extremismus neue Konstellationen herausgebildet, die zumindest in Teilen den gesetzlichen Beobachtungsauf­trag des Verfassungsschutzes tangieren. Dazu gehören etwa Entgrenzungen von extremisti­schen und nicht extremistischen Spektren, die bewusste Herstellung gegenseitiger Anschluss­fähigkeit sowie gezielte, mitunter aber nur themenbezogene Kooperationen von Extremisten und Nichtextremisten.

Dies stellt den Verfassungsschutz vor die Herausforderung, derartige Entwicklungen zu regist­rieren, daraufhin zu prüfen, inwieweit sie seinem Beobachtungsauftrag unterliegen und sie mit griffigen, möglichst noch nicht politisch oder wissenschaftlich vorgeprägten Begriffen zu be­schreiben und damit in seiner praktischen Arbeit fassbar zu machen.

Ausgehend davon hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in der Vergangenheit das im Rechtsextremismus beobachtete Zusammenwirken von verschiedenen Personengrup­pen, nämlich von Rockern, Hooligans, Wutbürgern und Rechtsextremisten, als „Mischszene“ beschrieben. Sie zeichnete sich dadurch aus, dass ein heterogenes, nicht durchgängig extre­mistisches Personenpotential zusammentraf, wobei inhaltlich extremistische Positionen domi­nierten. Diese Faktoren waren fortan bestimmend für das Verständnis des nordrhein-westfäli­schen Verfassungsschutzes vom Begriff „Mischszene“. Folgerichtig gab es keinen Anlass, den so definierten Terminus auch bei der Beobachtung des Linksextremismus anzuwenden, in welchem sich im Zuge von Protestaktionen gegen die Kohleverstromung rund um den Ham-bacher Forst ebenfalls Kooperationen von Extremisten und Nichtextremisten entwickelten. Diese waren – abgesehen von extremistischen Intentionen kleinerer Gruppen – überwiegend durch nicht extremistische Zielsetzungen (wie z.B. Klimaschutz) geprägt und unterschieden sich dadurch von scheinbar ähnlichen Kooperationen im Rechtsextremismus.

Nachfragen aus dem parlamentarischen Raum zeigen jedoch, dass die vorstehende Definition der „Mischszene“ nicht allseits ohne Weiteres nachvollzogen werden kann, zumal der ge­wählte Terminus gerade nicht vorgeprägt ist.

Vor diesem Hintergrund bezeichnet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz nunmehr jede Gruppierung als „Mischszene“, die sich in personeller Hinsicht heterogen aus Extremisten und Nichtextremisten zusammensetzt. Differenziert wird dann weiter danach, ob die Gruppie­rung nach ihrer inhaltlichen Ausrichtung extremistisch oder nicht extremistisch dominiert ist; dies wird künftig gesondert ausgewiesen. Nur in ersterem Fall besteht die Möglichkeit, sie ggf. als solche zu beobachten.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

  1. Wie konnte der Verfassungsschutz zu der Schlussfolgerung gelangen, dass im Rahmen der Mülheimer Gegenkundgebung vom 5. September 2020 eine soge­nannte Mischszene nicht festgestellt werden konnte, obwohl der Behörde keine Erkenntnisse über Organisations- oder Parteizugehörigkeiten der Teilnehmer der Gegenkundgebung vorlagen, die wiederum eindeutig aus teils öffentlich zugäng­lichen Fotografien hervorgehen?
  1. Warum hat der Verfassungsschutz die 0,32 Prozent bekannter Rechtsextremisten unter den fast 3000 größtenteils bürgerlichen Teilnehmern einer Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen am 9. August 2020 in Dortmund, die anmelde­konform und störungsfrei verlief, ebenso registriert, beobachtet und nach erfolg­ter personenscharfer Zuordnung über ihre Teilnahme öffentlich berichtet, wie er über die Mobilisierung in Messengergruppen für eine weitere Demonstration in Düsseldorf am 20. September 2020 unter expliziter namentlicher Nennung der je­weiligen Chatgruppen öffentlich berichtet hat, wohingegen im Phänomenbereich Linksextremismus demonstrative Ereignisse und Aktionen vom Verfassungs­schutz Nordrhein-Westfalen nur unter der Voraussetzung beobachtet werden, dass diese maßgeblich durch die linksextremistische Szene gesteuert bzw. beein­flusst werden oder sich Linksextremisten in wesentlichem Ausmaß daran beteili­gen und gegebenenfalls Gewalt ausüben?
  1. Entsprechen eine Ausweitung der Beobachtung auf jegliche Form demokratisch rechtsmotivierter, gesellschaftskritischer Aktivitäten dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes?

Die Fragen 1, 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:

Ob und inwieweit Kundgebungen von extremistischen und nicht extremistischen Akteuren be­obachtet werden, entscheidet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz jeweils unter Be­rücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich ist dabei u. a., ob und in welchem Maße eine Kundgebung voraussichtlich von extremistischen Akteuren gesteuert oder (insbe­sondere gewaltsam) beeinflusst werden wird und nicht extremistische in extremistische Be­strebungen umschlagen können. Wenn dies in der Vergangenheit – bei statistischer Betrach­tung – zur Folge hatte, dass Kundgebungen unter Beteiligung rechtsextremistischer Akteure stärker in den Fokus des Verfassungsschutzes gerieten als andere, so hatte dies seinen Grund allein in der jeweils ex-ante abgeschätzten (potentiellen) Gefährlichkeit solcher Veranstaltun­gen für die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Darauf mit einer stereotypen Ausweitung der Beobachtung auf jegliche Formen politischer Ak­tivitäten und Gegenaktivitäten zu reagieren, entspräche nicht dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes.

Bereits im Vorfeld der Mülheimer Gegenkundgebung vom 5. September 2020 konnte mit Blick auf die Mobilisierung prognostiziert werden, dass diese Veranstaltung weder nennenswerte öffentliche Resonanz noch Effekte im Sinne einer extremistischen Entgrenzung nach sich zie­hen wird. Aus diesem Grund hatte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz – entspre­chend den o. g. Maßstäben – keine Veranlassung, Erkenntnisse über Organisations- oder Parteizugehörigkeiten der Teilnehmer der Gegenkundgebung aufzuklären.

  1. Wie bewertet es der Verfassungsschutz, dass in Mülheim gemeinsam mit der SPD, den Jusos und der Grünen Jugend, die sich in der jüngeren Vergangenheit offen mit linksextremen Bestrebungen solidarisiert haben, Personen aus dem Antifa-Spektrum, die MLPD und die VVN-BdA demonstriert haben, und eine anwesende SPD-Kreisvorsitzende Fotografien auch von Linksextremisten veröffentlicht und sich in einem undifferenzierten Kommentar ausnahmslos positiv über diese ge­meinsame Versammlung äußert, vor dem Hintergrund derjenigen Feststellung der Landesregierung, wonach eine Unterstützung extremistischer Positionen und Ak­teure durch zivildemokratische Organisationen als Erfolg einer extremistischen Entgrenzungsstrategie bewertet werden kann, sofern diese auf das Bemühen ext­remistischer Kräfte zurückgeführt wird, durch geeignete Themenwahl und Akti­onsformen eine Anschlussfähigkeit für das demokratische Spektrum herzustel­len? (Bitte nicht abstrakt antworten, ob etwas sein könnte, sondern diese konkrete linke bis linksextreme Versammlung, die konkreten Akteure, die konkreten Aussagen in ihrer Gesamtheit dahingehend bewerten, ob hier eine Mischszene, Entgrenzungserfolge und dergleichen festgestellt worden sind.)

Die Auswertung des Ereignisses bestätigt die Prognose des nordrhein-westfälischen Verfas­sungsschutzes, dass es sich lediglich um eine lokal begrenzte Gegenkundgebung im Kommu­nalwahlkampf handeln würde. Überregionale Bedeutung kam der Veranstaltung nicht zu. Trotz der Beteiligung extremistischer Gruppen war eine Übernahme extremistischer Positionen durch nicht extremistische Akteure nicht zu beobachten, so dass von einem extremistischen Entgrenzungserfolg nicht die Rede sein kann. Im Hinblick auf die personell heterogene Zu­sammensetzung der Gegenkundgebung kann zwar – entsprechend dem einleitend vorgestell­ten, angepassten Verständnis – von einer „Mischszene“ gesprochen werden, allerdings war diese auch angesichts des nicht extremistischen Ziels der Veranstaltung insgesamt nicht ext­remistisch dominiert.

  1. Wie gelangt der Verfassungsschutz zu der allgemeinen Aussage, dass auf der po­litischen Linken ausnahmslos und für jede einzelne thematisch orientierte Koope­ration von Linksextremisten mit Angehörigen oder Gruppierungen aus dem demo­kratischen Spektrum gültig extremistische Positionen von Bestrebungen des de­mokratischen Spektrums gerade nicht geteilt bzw. übernommen werden und da­mit keine Mischszene vorliegt?

Die Analysen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes basieren auf Auswertungen der Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen, insbesondere auf allgemein zugänglichen Informationen sowie öffentlichen und nicht-öffentlichen Meldungen aus behördlichem Nach­richtenaufkommen. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse ist eine strukturelle Übernahme links­extremistischer Positionen durch nicht extremistische Akteure in Nordrhein-Westfalen bisher nicht feststellbar. Im Übrigen wird auf die Erläuterungen der Vorbemerkung Bezug genommen.

 

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Beteiligte:
Markus Wagner