Interessiert sich der Verfassungsschutz NRW wieder einmal nicht für linksextremes Gedankengut?

Kleine Anfrage
vom 01.07.2020

Kleine Anfrage 4013des Abgeordneten Markus Wagner vom 01.07.2020

 

Interessiert sich der Verfassungsschutz NRW wieder einmal nicht für linksextremes Gedankengut?

Der Kreisverband Essen der Partei Die Linke hatte am 22. April 2020 auf der Social-Media-Plattform Twitter einen inzwischen gelöschten Beitrag anlässlich des 150. Geburtstags von Lenin gepostet und am 5. Mai 2020 einen Beitrag, der Karl Marx zum Geburtstag gratulierte, retweetet. Daraufhin erkundigte sich die AfD-Landtagsfraktion in der Kleinen Anfrage 3739 des Abgeordneten Markus Wagner danach, wie der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz es auf abstrakter und grundsätzlicher Ebene werte, wenn sich eine politische Bestrebung ideengeschichtlich in affirmativer und apologetischer Art und Weise auf die Person, das Leben und das Wirken sowohl des Wladimir Iljitsch Uljanow als auch des Karl Marx bezieht.

Auch eine konkrete Bewertung der Social-Media-Aktivitäten des Kreisverbands wurde erbeten.1 Die Antwort der Landesregierung gestaltete sich daraufhin wie folgt:

„Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz beobachtet Personenzusammenschlüsse, die Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entfalten. Es gehört nicht zu seinen gesetzlichen Aufgaben, Bewertungen von Tweets zu Jubiläen oder Geburtstagen von Personen der Zeitgeschichte durch Organisationen vorzunehmen, die nicht seinem Beobachtungsauftrag unterliegen.“ 2

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass drei Zusammenschlüsse innerhalb der Partei Die Linke als erwiesene linksextreme Bestrebungen und ein weiterer Zusammenschluss als Verdachtsfalls einer linksextremen Bestrebung beobachtet werden3, wirft die Antwort der Landesregierung einige Fragen auf.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Weshalb gehört es angeblich nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen darüber zu sammeln und auszuwerten, dass sich die Gliederung einer Partei, innerhalb derer mehrere linksextreme Zusammenschlüsse wirken, ideengeschichtlich in der virtuellen Öffentlichkeit auf Lenin,„der die russischen Kommunisten 1917 an die Macht geputscht und seine Gegner danach mit Konzentrationslagern und Erschießungen bezwungen hatte“4 bezieht?
  2. Wie ist es dem Verfassungsschutz möglich, zu registrieren, ob sich politische Bestrebungen beziehungsweise Teile von ihnen, die bislang als dem demokratischen Spektrum zugehörig bewertet worden sind, in das extremistische Spektrum oder in so genannte „Mischszenen“ hineinbewegen, wenn es angeblich nicht zu seinen gesetzlichen Aufgaben gehört, öffentliche Bezugnahmen auf totalitäre Gewaltherrscher durch Organisationen, die bislang nicht seinem Beobachtungsauftrag unterlagen, zu sammeln und auszuwerten?
  3. Inwiefern sind die Person, das Leben und das Wirken des Wladimir Iljitsch Uljanow aus Sicht des Verfassungsschutzes NRW geeignete ideengeschichtliche Bezugspunkte für demokratische Bestrebungen der Gegenwart?
  4. Gehörte es – als Ergebnis eines schlichten Umkehrschlusses – ebenfalls nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes NRW, die öffentlichen Tweets zu Jubiläen oder Geburtstagen von – beispielsweise – NS-Schwerverbrechern einer – in diesem fiktiven Beispiel – nicht-linken Organisation, die bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht dem Beobachtungsauftrag unterlag, zu registrieren und einzuordnen?

Markus Wagner

 

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1 Vgl. Drs. 17//9457.

2 Drs. 17/9870, S.2.

3 Vgl. Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (2020): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2019, Düsseldorf, S. 154.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4013 mit Schreiben vom 4. August 2020 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Weshalb gehört es angeblich nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen darüber zu sammeln und auszuwerten, dass sich die Gliederung einer Partei, innerhalb derer mehrere linksextreme Zusammenschlüsse wirken, ideengeschichtlich in der virtuellen Öffentlichkeit auf Lenin, „der die russischen Kommunisten 1917 an die Macht geputscht und seine Gegner danach mit Konzentrationslagern und Erschießungen bezwungen hatte“ bezieht?
  2. Wie ist es dem Verfassungsschutz möglich, zu registrieren, ob sich politische Bestrebungen beziehungsweise Teile von ihnen, die bislang als dem demokratischen Spektrum zugehörig bewertet worden sind, in das extremistische Spektrum oder in so genannte „Mischszenen“ hineinbewegen, wenn es angeblich nicht zu seinen gesetzlichen Aufgaben gehört, öffentliche Bezugnahmen auf totalitäre Gewaltherrscher durch Organisationen, die bislang nicht seinem Beobachtungsauftrag unterlagen, zu sammeln und auszuwerten?
  3. Gehörte es – als Ergebnis eines schlichten Umkehrschlusses – ebenfalls nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes NRW, die öffentlichen Tweets zu Jubiläen oder Geburtstagen von – beispielsweise – NS-Schwerverbrechern einer – in diesem fiktiven Beispiel – nicht-linken Organisation, die bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht dem Beobachtungsauftrag unterlag, zu registrieren und einzuordnen?

Die Fragen 1, 2 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Gemäß § 3 Absatz 1 Verfassungsschutzgesetz NRW gehört es zu den gesetzlichen Aufgaben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten. Dieser gesetzliche Beobachtungsauftrag beginnt erst, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen vorliegen. Ob dies der Fall ist, entscheidet der Verfassungsschutz in jedem Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Informationen. Es gehört demgegenüber nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes eine Einzeläußerung einer nicht beobachteten Partei zu bewerten.

  1. Inwiefern sind die Person, das Leben und das Wirken des Wladimir Iljitsch Uljanow aus Sicht des Verfassungsschutzes NRW geeignete ideengeschichtliche Bezugspunkte für demokratische Bestrebungen der Gegenwart?

Das parlamentarische Fragerecht hat die Funktion, Abgeordneten die zur Erfüllung der mit ihrem Mandat verbundenen Sach- und Kontrollaufgaben erforderlichen Informationen zu verschaffen und insoweit ein etwaiges Informationsgefälle im Verhältnis zur Regierung auszugleichen. Demgegenüber dient es nicht dazu, der Regierung – wie hier erstrebt – allgemeine Meinungen, Bewertungen oder Beiträge zu öffentlichen Diskursen abzuverlangen.

 

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Beteiligte:
Markus Wagner