Antrag
der Fraktion der AfD
Kinderschutz stärken: landesweite Standards zu Erstellung von Kinderschutzkonzepten etablieren
I. Ausgangslage
Kinder und Jugendliche sind besonders schutzbedürftig und bedürfen eines sicheren Umfeldes, um sich gesund entwickeln zu können. Umso erschreckender ist es, dass im Jahr 2023 die Zahl der registrierten Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern in Deutschland um 5,5 % im Vergleich zum Vorjahr anstieg. Laut dem Bundeskriminalamt wurden insgesamt 18.497 Kinder Opfer solcher Verbrechen. Nordrhein-Westfalen verzeichnete mit 5.065 Fällen die höchste Anzahl.1
Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen geschieht dabei häufig im sozialen Umfeld, zu dem Familie, Bekannte, Betreuungseinrichtungen oder Freizeitangebote wie Sportvereine gehören. Hier nutzen Täter häufig das bestehende Vertrauensverhältnis aus. Sie manipulieren sowohl das Kind als auch dessen Umfeld und schaffen gezielt Abhängigkeitsstruktu-ren.2
Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik geben allerdings kein vollständig realistisches Bild der tatsächlichen Lage wieder, sondern können lediglich als Annäherung betrachtet werden. So erfasst die Statistik ausschließlich Taten, die den Strafverfolgungsbehörden durch Anzeigen oder im Rahmen anderer Ermittlungsverfahren bekannt werden – das sogenannte Hellfeld. Insbesondere bei Kindesmissbrauch bleibt jedoch ein erheblicher Anteil der Fälle unentdeckt, da sie nur selten angezeigt werden. Studien schätzen, dass das Dunkelfeld – also die Anzahl der nicht gemeldeten Taten – bei sexuellem Missbrauch von Kindern bei etwa 97 % liegt. Das bedeutet, dass lediglich etwa 3 % der tatsächlichen Fälle überhaupt in die Statistik einfließen.3
Angesichts dieser Zahlen ist es dringend notwendig, weitere gesellschaftliche und rechtliche Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder wirksam vor Missbrauch und sexualisierter Gewalt zu schützen. Insbesondere präventive Maßnahmen in Einrichtungen, Vereinen und Verbänden, die täglich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sind hierbei von entscheidender Bedeutung. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII), zuletzt durch das Kinder- und Jugendstär-kungsgesetz (KJSG) im Jahr 2021 novelliert, fordert in diesem Zusammengang verbindliche Schutzkonzepte in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Nach § 45 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII müssen diese Konzepte vorgelegt werden, um Kinder und Jugendliche vor Gewalt zu schützen. Zudem ist die Betriebserlaubnis einer Einrichtung an das Vorhandensein eines solchen Schutzkonzeptes gebunden. Sowohl bestehende als auch neu gegründete Einrichtungen müssen sich einer Prüfung durch die zuständigen Behörden unterziehen, ähnlich wie bei der Prüfung der pädagogischen Konzepte.4
Dabei sollen die Schutzkonzepte nicht nur körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen verhindern, sondern auch Machtmissbrauch bekämpfen, das Personal sensibilisieren und klare Meldewege für Verdachtsfälle definieren.
Auch das Landeskinderschutzgesetz NRW verweist in seinem Gesetzestext explizit auf die Etablierung von Schutzkonzepten und bezieht sich hierbei auf die Gesetzgebungen des SBG VIII. So sind in NRW in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe Kinder-schutzkonzepte zu entwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. Insbesondere soll das Kinderschutzkonzept auf die Einrichtung oder das Angebot entwickelt und angepasst sein.5
So wichtig es auch ist, verpflichtende Schutzkonzepte vorzuhalten, mangelt es in der Praxis allerdings an verbindlichen Standards und klaren Prozessen für die Erstellung und Umsetzung dieser Schutzkonzepte. Besonders die Risikoanalyse, die als Herzstück jedes Schutzkonzepts gilt, wird häufig nicht oder nur unzureichend durchgeführt. Besonders im Bereich der Sportvereine hat sich das in der Vergangenheit deutlich gemacht. Laut der Studie „SicherImSport“ gaben nur 12% der Stadt- und Kreissportbünde und 13% der Landesfachverbände an, über eine Risikoanalyse zu verfügen. Zugleich ist der Unterstützungsbedarf hier besonders hoch: 47% der Stadt- und Kreissportbünde und 50% der 12 Landesfachverbände geben an, dass sie konkreten Unterstützungsbedarf bei der Planung und Durchführung von Risikoanalysen haben.6
Das Problem verschärft sich, wenn die Risikoanalyse von den Vereinen selbst durchgeführt wird, was in der Vergangenheit häufig vorkam und die Wirksamkeit des Kinderschutzkonzepts erheblich einschränkt.7 Eine Risikoanalyse sollte unabhängig und professionell durchgeführt werden, um die spezifischen Risiken vor Ort zu erkennen und gezielt Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Sie ist der zentrale erste Schritt bei der Erstellung eines effektiven Schutzkonzepts und muss die besonderen Gegebenheiten der jeweiligen Einrichtung berücksichtigen.
Trotz der entscheidenden Rolle der Risikoanalyse wird diese seitens des Gesetzgebers nicht explizit vorgeschrieben. Auch die Frage, wer für die Erstellung der Kinderschutzkonzepte verantwortlich ist, bleibt unklar. Das Landeskinderschutzgesetz NRW bleibt hier in seiner Formulierung vage und formuliert lediglich, dass Träger bzw. Einrichtungen „ein Konzept zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und zu deren Schutz vor Gewalt zu entwickeln, anzuwenden und zu überprüfen oder auf die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung hinzuwirken“ haben.8
Wenn Kinderschutz- bzw. Gewaltschutzkonzepte ihre Wirkung entfalten sollen, müssen diese auf einer fundierten Basis entwickelt werden. Einige Träger und Verbände nehmen hier bereits einer Vorreiterrolle ein und haben ganze Leitfänden zur Erstellung von Schutzkonzepten, Inklusive der Risikoanalyse, erarbeitet. Dennoch sind landeseinheitliche Standards für die Erstellung von Kinderschutzkonzepten dringend erforderlich, um allen Trägern und Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, Handlungssicherheit zu geben und so die Qualität der Schutzmaßnahmen zu gewährleisten. Um einen qualitativ einheitlichen Standard flächendeckend zu gewährleisten, sollten die Ersteller der Schutzkonzepte extern geschult sein und eine erfolgreich abgelegte Prüfung im Bereich des Sicherheitsmanagements abgelegt haben oder eine vergleichbare Ausbildung, beispielsweise im Bereich der Polizei, der Bundeswehr, des Zolls oder anderer sicherheitsrelevanten Berufszweige, innehaben. Hierfür würde sich die Einstufung nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen des Niveau 6 konkret anbieten.
Neben fehlender Handlungssicherheit ist es besonders besorgniserregend, wenn in weiten Teilen der Kinder- und Jugendarbeit solche Schutzkonzepte gänzlich fehlen oder nach dem Erstellen in den Schubladen verschwinden.
Daher ist es wichtig, dass zusätzlich der Stand der Schutzkonzeptentwicklung im Rahmen eines regelmäßigen Monitorings überprüft wird. Dieses kann Aufschluss darüber geben, wie der Umsetzungsstand zur Durchführung von Risikoanalysen, aber auch zur Etablierung von weiteren Maßnahmen der Schutzkonzeptentwicklung ist (unabhängige Beschwerdestrukturen, Fortbildungen, Prävention, Kooperation mit Fachberatungsstellen etc.). Dadurch können auch Unterstützungs- und Hilfebedarfe identifiziert werden, die die einzelnen Träger und Vereine haben.
II. Der Landtag stellt fest:
- Kinder und Jugendliche bedürfen als schwächstes Glied in der Gesellschaft eines besonderen Schutzes durch die Gesellschaft.
- Professionell entwickelte Schutzkonzepte für Träger und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sind notwendig, um eine gesunde und sichere Umgebung für Kinder und Jugendliche innerhalb der Einrichtungen oder Angebote zu erreichen und langfristig zu gewährleisten.
- Trotz verpflichtender Schutzkonzepte in Einrichtungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe mangelt es an verbindlichen Vorgaben für die Erstellung und Umsetzung von Schutzkonzepten, besonders in Bezug auf die Durchführung von Risikoanalysen, die oft nur unzureichend oder gar nicht erst durchgeführt werden.
- Die Schutzkonzeptentwicklung sollte regelmäßig anhand eines landesweiten Monito-rings überprüft werden, um Fortschritte zu erkennen und gezielt Unterstützungsbedarf zu identifizieren.
III. Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf:
- Sich weiterhin für die Sensibilisierung für das Thema sexueller Missbrauch in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit einsetzen und die bestehenden Meldewege für Verdachtsfälle zu verbessern.
- Eine Informationskampagne durchzuführen, um Trägern und Einrichtungen der Kinder-und Jugendarbeit über die Notwendigkeit der Erstellung von Schutzkonzepten aufzuklären.
- Im Rahmen ihrer Zuständigkeit landesweite einheitliche Standards zu entwickeln, die Träger und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit heranziehen können, um bei der Erstellung von Kinderschutzkonzepten eine durchgehende gleichbleibende Qualität zu sichern. Diese sollten klar definierte Anforderungen an die Risikoanalyse und deren Durchführung sowie an die Ausarbeitung der Konzepte enthalten. Insbesondere sollen die Handlungskonzepte der Träger und Einrichtungen des Kinder- und Jugendschutzes in Zusammenarbeit mit externem, geschultem und fachlich geeignetem Personal entwickelt werden, um Handlungssicherheiten zu ermöglichen. Dieses geschulte externe Personal muss mindestens eine Qualifikation gemäß Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens im Bereich des Sicherheitsmanagements, der Polizei, der Bundeswehr, des Zolls oder vergleichbarer sicherheitsrelevanter Aufgaben nachweisen.
- Im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein regelmäßiges Monitoring einzuführen, um den Stand der Schutzkonzeptentwicklung in den Einrichtungen zu überblicken. Dieses Monitoring sollte die Durchführung von Risikoanalysen, die Etablierung weiterer Schutzmaßnahmen sowie die Identifikation von Unterstützungsbedarfen umfassen.
Professor Dr. Daniel Zerbin
Dr. Martin Vincentz
Christian Loose
und Fraktion
1 https://www1.wdr.de/nachrichten/sexueller-missbrauch-kinder-lagebild-100.html (abgerufen am 18.11.2024)
2 https://beauftragte-missbrauch.de/themen/definition/wo-findet-missbrauch-statt (abgerufen am 18.11.2024)
3 https://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen%5F18%5F12500/11501-12000/18-11600.pdf (abgerufen am 18.11.2024)
4 https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/__45.html (abgerufen am 18.11.2024)
5 https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=6&vd_id=20399&vd_back=N509&sg=0&menu=1 (abgerufen am 18.11.2024)
6 Lt.-Stellungnahme 18/563
7 Lt.-APr. 18/264
8 https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=6&vd_id=20399&vd_back=N509&sg=0&menu=1 (abgerufen am 18.11.2024)