Kleine Anfrage 6277der Abgeordneten Sven W. Tritschler und Markus Wagner vom 29.12.2021
Kölner Schaafenstraße
Der Antwort auf die Kleine Anfrage 5988 vom 20. September 2021 der Abgeordneten Sven Werner Tritschler und Markus Wagner (Drucksache 17/15220) ist zu entnehmen, dass gemäß eines Berichts der Generalstaatsanwaltschaft in Köln an das Ministerium der Justiz vom 28. September 2021 eine vermehrte Häufigkeit von „Straftaten gegen eine Person wegen ihrer sexuellen Orientierung“ im Bereich der Schaafenstraße in Köln nicht feststellbar sei.1
Der Pressesprecher des Vereins „Kölner Lesben- und Schwulentag“ und dessen Geschäftsführer berichten in der aktuellen Podcast-Folge „Talk mit K“ über vermehrte homophobe Beleidigungen und Übergriffe auf der Schaafenstraße.2
Der Wirt eines dort ansässigen Lokals berichtet, dass die homophoben Anfeindungen zunehmen: „Das erlebe ich selber und höre das auch von Kollegen. Die Situation ist ein Vorbote dafür, dass wir unser Viertel verteidigen müssen.“3 Ferner berichtet er in einem weiteren Artikel:
„Daher versuchen wir die Politik immer wieder drauf aufmerksam zu machen: Wir sind nicht irgendeine beliebige Straße. Unsere Gäste kommen extra hierhin, während sie auf der Zülpicher oder den Ringen eins auf die Mütze kriegen“4.
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Straftaten gegen Personen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung wurden im Raum Köln seit dem Jahre 2010 festgestellt?
- Was ist über die Täter bzw. Tatverdächtigen bekannt? (Bitte insbesondere aufschlüsseln nach: Motiv, Alter, Vorstrafen, Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaften, ggf. Aufenthaltsstatus)
- Wie erklärt die Landesregierung die Divergenz zwischen den Aussagen von Personen, die von einer Zunahme von Straftaten auf Grund der sexuellen Orientierung auf der Schaafenstraße berichten und dem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Köln, dass eine Zunahme nicht feststellbar sei?
- Welche Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind abweichend vom restlichen Stadtgebiet des Raums Köln vermehrt auf der Schaafenstraße festzustellen?
Sven W. Tritschler
Markus Wagner
1 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-15424.pdf
2 Köln: „Früher habe ich mich auf der Schaafenstraße sicherer gefühlt“ | Kölner Stadt-Anzeiger (ksta.de)
3 Köln: Wirte dürfen Schaafenstraße eigenhändig absperren – Party-Lage eskaliert | Kölner Stadt-Anzeiger (ksta.de)
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 6277 mit Schreiben vom 26. Januar 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten.
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben.
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.
- gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.
Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der „Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität“ (KPMD-PMK).
Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt ist für das Jahr 2021 noch nicht abgeschlossen. Der Abschluss erfolgt grundsätzlich jährlich zum Ende des Monats Februar. Demnach kann es noch zu geringfügigen Abweichungen kommen, weshalb die in diesem Bericht angegebenen Fallzahlen für den KPMD-PMK für das Jahr 2021 als vorläufige Zahlen zu betrachten sind.
Als weitere Datenbasis für die Beantwortung der Frage 4 diente ergänzend die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die Erfassung von Fällen, Tatverdächtigen und Opfern in der PKS erfolgt dabei nach bundeseinheitlichen, jährlich abgestimmten Richtlinien. In der PKS werden keine Ordnungswidrigkeiten erfasst. Die für die Schaafenstraße ausgewiesenen Fälle beinhalten ausschließlich Erfassungen, die als Tatort mit genau dieser Straßenbezeichnung eingepflegt wurden; angrenzende Straßen mit abweichenden Straßennamen wurden nicht berücksichtigt.
Qualitätsgesicherte Zahlen der PKS für das Jahr 2021 liegen derzeit noch nicht abschließend vor.
1. Wie viele Straftaten gegen Personen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung wurden im Raum Köln seit dem Jahre 2010 festgestellt?
2. Was ist über die Täter bzw. Tatverdächtigen bekannt? (Bitte insbesondere aufschlüsseln nach: Motiv, Alter, Vorstrafen, Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaf-ten, ggf. Aufenthaltsstatus)
4. Welche Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sind abweichend vom restlichen Stadtgebiet des Raums Köln vermehrt auf der Schaafenstraße festzustellen?
Die Fragen 1, 2 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Für die Jahre 2010 bis 2021 wurden für den Bereich der Stadt Köln insgesamt 44 Straftaten im KPMD-PMK im Themenfeld „Hasskriminalität“ unter dem Unterbegriff „Sexuelle Orientierung“ statistisch erfasst. Die Einzelauswertung ergab, dass 41 Straftaten gegen Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gerichtet waren. Bei sieben dieser Straftaten handelte es sich um Gewaltdelikte. In keinem der genannten Fälle wurde die Schaafenstraße als Tatort angegeben.
Zu den o. g. 41 Straftaten konnten bislang 14 ausschließlich männliche Tatverdächtige ermittelt werden. Erkenntnisse zu Vorstrafen der ermittelten Tatverdächtigen werden im Rahmen des KPMD-PMK nicht erfasst.
Die 14 Tatverdächtigen waren zum Tatzeitpunkt in einem Alter zwischen 18 und 69 Jahren. Zwölf von ihnen hatten eine deutsche und zwei eine polnische Staatsangehörigkeit, elf wurden dem Phänomenbereich „PMK-Rechts“ und drei dem Phänomenbereich „PMK-Nicht zuzuordnen“ zugerechnet.
Nach Auswertung der PKS konnte im Zeitraum 2010 bis 2020 auf der Schaafenstraße keine Straftat festgestellt werden, die vermehrt dort auftrat.
Ergänzend berichtet das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 11.01.2022 wie folgt:
Zu Frage 1 und 2:
Der Generalstaatsanwalt in Köln hat dem Ministerium der Justiz unter dem 06.01.2022 mitgeteilt, dass ihm der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hierzu u. a. Folgendes berichtet habe:
„Wie bereits in der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5988 ausgeführt, werden homophobe Übergriffe statistisch nicht eigenständig erfasst, sondern lediglich als ´Straftaten gegen eine Person wegen ihrer sexuellen Orientierung´ als Ne-benverfahrensklasse politischer Strafsachen gekennzeichnet (LT-Drs. 17/15424, S. 2).
Die Möglichkeit zur Spezifizierung der Nebenverfahrensklasse existiert jedoch erst seit dem Jahr 2018. Unter der vorbezeichneten Nebenverfahrensklasse wurden in den Jahren 2018 bis 2021 bei der Staatsanwaltschaft Köln insgesamt 84 Ermittlungsverfahren bzw. Anzeigevorgänge erfasst […].
[…] In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit war eine Prüfung nicht möglich, ob den Verfahren jeweils im Raum Köln begangene Straftaten zugrunde liegen und welche Erkenntnisse zu den Tätern bzw. Tatverdächtigen – aufgeschlüsselt nach Motiv, Alter, Vorstrafen, Staatsbürgerschaft/Staatsbürgerschaften, ggf. Aufenthaltsstatus – vorliegen.“
Zu Frage 4:
Der Generalstaatsanwalt in Köln hat dem Ministerium der Justiz unter dem 06.01.2022 mitgeteilt, der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln habe ihm hierzu u. a. berichtet, dass ihm in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine Sichtung der aufgrund einer Systemabfrage zu Ermittlungsverfahren bzw. Anzeigevorgängen mit dem Tatort „Schaa-fenstraße“ in Köln in Betracht kommenden Akten nicht möglich gewesen sei, so dass weder mitgeteilt werden könne, welche Straftaten Gegenstand der betreffenden Verfahren und Vorgänge sind, noch ob insoweit eine Häufung gegenüber dem restlichen Stadtgebiet Kölns vorliegt.
Die Differenz zu den polizeilich erfassten Straftaten erklärt sich durch ein anderes Erfassungssystem der Landesjustiz.
3. Wie erklärt sich die Landesregierung die Divergenz zwischen den Aussagen von Personen, die von einer Zunahme von Straftaten auf Grund der sexuellen Orientierung auf der Schaafenstraße berichten und dem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Köln, dass eine Zunahme nicht feststellbar sei?
Der Landesregierung liegen dazu gesicherte Erkenntnisse nicht vor. Generell lässt sich sagen, dass das Verhältnis von Dunkelfeld und Hellfeld durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird, darunter auch durch das Anzeigeverhalten der Verletzten bzw. das Aussageverhalten von Hinweisgebenden. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hat – dem in der Antwort auf die Fragen 1 und 2 genannten Bericht des Generalstaatsanwalts in Köln zufolge – in diesem Zusammenhang u. a. angemerkt, dass in dort angezeigten Fällen zunächst lediglich pauschale Angaben zu entsprechenden Vorfällen erfolgt seien, die für sich nicht geeignet gewesen seien, den Anfangsverdacht einer konkreten Straftat zu begründen, und die Hinweisgeber in den dort bekannten Fällen Vorladungen zu einer polizeilichen Vernehmung zwecks Konkretisierung ihrer Angaben keine Folge geleistet hätten.