Konsequente Umsetzung des § 58a Absatz 1 Satz 3 StPO

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 924
der Abgeordneten Zacharias Schalley, Markus Wagner, Dr. Hartmut Beucker und Klaus Esser vom 21.12.2022

Konsequente Umsetzung des § 58a Absatz 1 Satz 3 StPO

Durch das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens“ wurde § 58a StPO geändert. Infolge des neu eingefügten Satz 3 in § 58a Absatz 1 muss beim Vorwurf einer Straftat aus dem Katalog der Taten der §§ 174 bis 184j StGB die Vernehmung aufgezeichnet und als richterliche Vernehmung durchgeführt werden, wenn dadurch die schutzwürdigen Interessen der Zeugen besser gewahrt werden können.

Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung das „nach Berichten der Praxis feststellbare Vollzugsdefizit der bisher als Sollvorschrift ausgestalteten Regelung“ beheben.1 Des Weiteren sollen vor allem belastende Mehrfachvernehmungen von Kindern vermieden werden.2

„Personen“ im Sinne dieser Vorschrift sind neben Erwachsenen auch Minderjährige.3 Ermittlungsrichter benötigen für die entsprechenden kindgerechten Vernehmungen eine gesonderte Schulung.4 Berücksichtigt werden sollen mit dieser Anfrage nur Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. In wie vielen Fällen wurde seit Inkrafttreten des § 58a Absatz 1 Satz 3 StPO in Nordrhein-Westfalen von der Möglichkeit der richterlichen Vernehmung mit Bild-Ton-Aufzeichnung Gebrauch gemacht? (Bitte nach Jahr, zuständigem Gericht, Delikt, Anzahl der Fälle, minderjährige Betroffene mit Altersangabe aufschlüsseln)
  2. In wie vielen Fällen wurde entgegen der Vorschrift des § 58a StPO Absatz 1 Satz 3 Halbsatz 1 von einer richterlichen Vernehmung mit Bild-Ton-Aufzeichnung abgesehen? (Bitte nach Jahr, zuständigem Gericht, Delikt, Anzahl der Fälle, minderjährige Betroffene mit Altersangabe aufschlüsseln)
  3. Worin liegen die Ursachen, dass von einer solchen Vernehmung abgesehen worden ist?
  4. Welche Fortbildungen zu kindgerechter Verfahrensgestaltung, zum Umgang mit Betroffenen und zur Videovernehmung werden in Nordrhein-Westfalen für Richter angeboten?
  5. Welche Erfahrungen haben Richter in Nordrhein-Westfalen mit der audiovisuellen Auf­zeichnung der Vernehmung bisher gemacht?

Zacharias Schalley
Markus Wagner
Dr. Hartmut Beucker
Klaus Esser

 

Anfrage als PDF

 

1 BT-Drucks 19/14747, S.25

2 BT-Drucks 19/14747, a.a.O.

3 BeckOK StPO/Huber StPO § 58a Rn. 11, 12

4 Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das Strafverfahren, Seite 19


Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 924 mit Schreiben vom 19. Januar 2023 na­mens der Landesregierung beantwortet.

  1. In wie vielen Fällen wurde seit Inkrafttreten des § 58a Absatz 1 Satz 3 StPO in Nordrhein-Westfalen von der Möglichkeit der richterlichen Vernehmung mit Bild-Ton-Aufzeichnung Gebrauch gemacht? (Bitte nach Jahr, zuständigem Gericht, De­likt, Anzahl der Fälle, minderjährige Betroffene mit Altersangabe aufschlüsseln)

Die Präsidentin und Präsidenten der Oberlandesgerichte haben dem Ministerium der Justiz am 09. und 10.01.2023 übereinstimmend berichtet, eine statistische Erfassung der audiovisu­ellen Vernehmungen von Opferzeuginnen und Opferzeugen erfolge in Nordrhein-Westfalen nicht. Eine vollständige Erhebung könne nur durch Auswertung sämtlicher Ermittlungsakten von Hand erfolgen. Dies sowie die Aufschlüsselung der Fälle nach Jahr, Delikt, Anzahl der Fälle und Altersangabe der Betroffenen seien mit vertretbarem Verwaltungsaufwand in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten.

  1. In wie vielen Fällen wurde entgegen der Vorschrift des § 58a StPO Absatz 1 Satz 3 Halbsatz 1 von einer richterlichen Vernehmung mit Bild-Ton-Aufzeichnung abge­sehen? (Bitte nach Jahr, zuständigem Gericht, Delikt, Anzahl der Fälle, minderjäh­rige Betroffene mit Altersangabe aufschlüsseln)

Die Präsidentin und Präsidenten der Oberlandesgerichte haben dem Ministerium der Justiz über keinen Fall berichtet, in dem entgegen der Vorschrift des § 58a Absatz 1 Satz 3, 1. Halb­satz StPO von einer richterlichen Vernehmung mit Bild-Ton-Aufzeichnung abgesehen worden ist.

  1. Worin liegen die Ursachen, dass von einer solchen Vernehmung abgesehen wor­den ist?

Die audiovisuelle Vernehmung hat u. a. zu unterbleiben, wenn der Zeuge, die Zeugin oder – im Falle kindlicher Zeugen die erziehungsberechtigte Person – die Zustimmung zur Aufzeich­nung verweigert (§ 58a Ansatz 1 Satz 3, 2. Halbsatz StPO).

  1. Welche Fortbildungen zu kindgerechter Verfahrensgestaltung, zum Umgang mit Betroffenen und zur Videovernehmung werden in Nordrhein-Westfalen für Richter angeboten?

Zu den in NRW eingesetzten Softwareprodukten stellt der zentrale IT-Dienstleister der Justiz NRW ein umfangreiches Informationsangebot zur Verfügung, darunter Schulungsvideos sowie Handouts, jeweils in Lang- und Kurzfassung. Soweit darüber hinaus für erforderlich erachtet, werden Schulungen von den Behörden vor Ort organisiert.

In der Fortbildung der Justiz stehen die Belange von Kindern schon seit längerem im Blick­punkt. Bereits in der „Fachübergreifenden Einführung für Jugendrichterinnen und Jugendrich­ter“ wird hierfür sensibilisiert. Seminare zur Kindeswohlgefährdung, zum Kinderschutzverfah-ren sowie insbesondere auch zur einfühlsamen und effektiven Anhörung von kindlichen und jugendlichen (Opfer)Zeugen gehören zum dauerhaften Angebot im Fortbildungsprogramm der Justiz. Durch die Auswahl Referierender auch nicht-juristischer Professionen wird dem inter­disziplinären Aspekt Rechnung getragen.

  1. Welche Erfahrungen haben Richter in Nordrhein-Westfalen mit der audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung bisher gemacht?

Ein repräsentatives Meinungsbild konnte innerhalb der für die Beantwortung einer Kleinen An­frage zur Verfügung stehenden Zeit in der Richterschaft in Nordrhein-Westfalen nicht eingeholt werden. Mit dieser Einschränkung haben die Präsidentin und Präsidenten der Oberlandesge­richte dem Ministerium der Justiz – soweit entsprechende audiovisuelle Vernehmungen erinnerlich waren – überwiegend von positiven Erfahrungen berichtet, wobei sie übereinstim­mend auf den hohen zeitlichen und administrativen Aufwand im Zusammenhang mit der audi­ovisuellen Aufzeichnung hingewiesen haben.

 

Antwort als PDF