Kleine Anfrage 5282des Abgeordneten Helmut Seifen vom 13.04.2021
Limitierung von Kirchenaustritten zulässig?
Nachdem Kardinal Rainer Maria Woelki sich im November 2020 dazu entschieden hatte, das von ihm selbst bei der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl/ Silker/ Wastl in Auftrag gegebene Gutachten zum Kindesmissbrauch im Erzbistum Köln nicht zu veröffentlichen, nimmt nicht nur der mediale Druck auf die katholische Kirche zu.
Es steht der Verdacht im Raum, dass die katholische Kirche die entsprechenden Straftaten entgegen ihrer offiziellen Äußerungen und Willensbekundungen nicht aufklären, sondern vertuschen möchte. Eine solche Vermutung wird untermauert durch die Äußerungen des Rechtsanwalts Ulrich Wastl, der mit dem ersten Gutachten beauftragt worden war. Danach habe der Auftrag zum ersten Gutachten nicht nur eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beinhaltet. Vielmehr sollte in diesem Gutachten ausdrücklich auch geprüft und bewertet werden, ob und inwieweit das Verhalten etwaig zu benennender Bistumsverantwortlicher angemessen gewesen sei. Der dabei anzulegende Prüfmaßstab sei das kirchliche Selbstverständnis gewesen, den eigenen moralischen Ansprüchen selbst gerecht werden zu wollen. Ohne diese Prämisse des Prüfungsauftrags hätte man den Auftrag gar nicht angenommen, denn nur so könne man der Dimension des sexuellen Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche gerecht werden1.
Kardinal Woelki hat das Bistum Köln in eine tiefe Krise gestürzt. Nun wollen sehr viele Menschen aus der Kirche austreten.
Derweil reißt auch unter den katholischen Geistlichen die Kritik am Umgang mit dem Gutachten nicht ab. Dutzende Pfarrer des Erzbistums kritisieren ihren Kardinal öffentlich. Jüngst mahnte auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, der entstandene Vertrauensverlust könne nur schwer behoben werden2. Mehrere Privatpersonen haben bereits wegen Strafvereitelung Strafanzeige gegen Kardinal Woelki gestellt3.
Die Austrittswelle im Erzbistum Köln ist verheerend. Am Amtsgericht Köln brach zwischenzeitlich der Server zusammen, als für den Monat März weitere Termine für den Kirchenaustritt angeboten wurden4. Bis Ende Mai 2021 sind sämtliche Termine ausgebucht5. In Köln gibt es vorläufig keine Termine mehr für Kirchenaustritte.
Pro Monat gibt es, abhängig von der Zahl der Werktage, rund tausend Onlinetermine für einen Austritt aus der katholischen oder evangelischen Kirche. Dabei wurde die Abgabe der Kirchenaustrittserklärung in höchstpersönlicher Form ausgesetzt. Ungeklärt bleibt bei diesem Terminstau auch, inwiefern Bürger einen Anspruch auf Erstattungen hinsichtlich ihrer Kirchensteuer haben, wenn sie schließlich aufgrund dieser korrumpierten Online-Terminvergabe über mehrere Wochen keinen Termin zugewiesen bekommen. Ebenso ungeklärt bleibt auch die Frage der Barriereschwierigkeiten von älteren Personen, die ihren Austritt nicht vollziehen können.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Warum wurde in NRW die Abgabe der Kirchenaustrittserklärungen in höchstpersönlicher Form ausgesetzt? (Bei Verneinung wird um Berufung auf die rechtliche Grundlage gebeten)
- Wie wird Bürgern ihr Recht auf Austritt aus der Kirche gewährleistet?
- Auf welche durchschnittlichen Wartezeiten müssen sich Bürger gegenwärtig hinsichtlich ihres Kirchenaustrittes einstellen?
- Können jene Bürger, die von diesen ungewöhnlich langen Wartezeiten betroffen sind, mit einer Erstattung ihrer Kirchensteuer rechnen?
- Wie wird von staatlicher Seite sichergestellt, dass auch ältere Personen ohne Zugang zum Internet ihren Austritt vollziehen können?
Helmut Seifen
1 Vgl. dazu das Interview in den Aachener Nachrichten vom 1. März 2021, S. 15.
2 Vgl. dazu Vorwürfe gegen das Erzbistum Köln – „Ganz klar ein erneuter Missbrauch von Betroffenen“ (deutschlandfunkkultur.de), zuletzt abgerufen am 2. März 2021.
3 Vgl. dazu Missbrauch: Staatsanwaltschaft prüft Anzeigen gegen Kardinal Woelki (rp-online.de), zuletzt abgerufen am 3. März 2021.
4 tagesthemen | ARD Mediathek, Sendung vom 23. Februar 2021, zuletzt abgerufen am 28. Februar 2021.
5 Vgl. dazu Katholische Kirche: Neues Gutachten belastet Amtsträger im Erzbistum Köln – DER SPIEGEL, zuletzt abgerufen am 2. März 2021.
Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 5282 mit Schreiben vom 11. Mai 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten und dem Minister der Finanzen beantwortet.
1. Warum wurde in NRW die Abgabe der Kirchenaustrittserklärungen in höchstpersönlicher Form ausgesetzt? (Bei Verneinung wird um Berufung auf die rechtliche Grundlage gebeten)
Die Abgabe der Kirchenaustrittserklärung in höchstpersönlicher Form ist nicht ausgesetzt worden. Eine Änderung oder Aussetzung des § 3 Abs. 5 Kirchenaustrittsgesetz NRW (KiAustrG NRW) ist nicht erfolgt. Nach dieser Vorschrift muss die mündliche Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten des zuständigen Amtsgerichts erfolgen; die schriftliche Erklärung muss als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form eingereicht werden. Diese Formerfordernisse bestehen fort.
Vor dem Hintergrund der besonderen Hygieneanforderungen infolge der Corona-Pandemie, die eine Entzerrung und Regulierung des Publikumsverkehrs in den Gerichtsgebäuden erfordern, sind viele Amtsgerichte dazu übergegangen, für die mündliche Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten Termine zu vergeben. Einige Amtsgerichte bieten hierzu eine Terminbuchung über ihren Webauftritt an (sog. „Online-Terminbuchung“).
2. Wie wird Bürgern ihr Recht auf Austritt aus der Kirche gewährleistet?
Nach § 1 KiAustrG NRW erfolgt der Austritt aus einer Kirche oder aus einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung für den staatlichen Bereich durch Erklärung bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz oder beim Fehlen eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die dazu notwendigen Voraussetzungen werden durch die Amtsgerichte gewährleistet.
Dies gilt selbstverständlich auch in Zeiten, in denen die Corona-Pandemie besondere Bedingungen an das gesellschaftliche Zusammenleben stellt und auch die Gerichte ihren Dienstbetrieb den besonderen Hygieneanforderungen anpassen müssen.
3. Auf welche durchschnittlichen Wartezeiten müssen sich Bürger gegenwärtig hinsichtlich ihres Kirchenaustritts einstellen?
Die Oberlandesgerichte haben berichtet, dass die durchschnittliche Wartezeit stark zwischen den insgesamt 129 Amtsgerichtsbezirken in Nordrhein-Westfalen variiert.
Bei kleineren Amtsgerichten beträgt die Wartezeit zwischen einer und sechs Wochen, wobei teilweise auch keine nennenswerten Wartezeiten bestehen. Im Geschäftsbereich eines Oberlandesgerichts erhalten 75 % der Bürgerinnen und Bürger einen Termin innerhalb von vier Wochen. Im Geschäftsbereich eines anderen Oberlandesgerichts beträgt die durchschnittliche Wartezeit 5,5 Wochen.
Längere Wartezeiten treten insbesondere bei größeren Gerichten auf. Wegen der Pandemie-Lage ist eine gezielte Publikumssteuerung aufgrund des insgesamt hohen Besucheraufkommens hier von besonderer Bedeutung. Auf die Wartezeit verstärkend wirkt sich nach den Angaben des Geschäftsbereichs auch der derzeit an manchen Orten zu beobachtende Anstieg der Austrittserklärungen aus. Dem erhöhten Aufkommen sei danach aber durch den Einsatz zusätzlichen Personals und der Erweiterung der Terminmöglichkeiten bereits Rechnung getragen worden. Eine weitere Erhöhung der Terminkapazität werde derzeit geprüft.
4. Können jene Bürger, die von diesen ungewöhnlich langen Wartezeiten betroffen sind, mit einer Erstattung ihrer Kirchensteuer rechnen?
Aufgrund der zu beachtenden Hygieneanforderungen müssen – ebenso wie in jedem anderen Lebensbereich – auch in der Justiz grundsätzlich gewisse Einschränkungen im Ablauf des Geschäftsbetriebs hingenommen werden, um auch weiterhin mit höchster Sorgfalt dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Verfahrensbeteiligte vor Ansteckungsrisiken geschützt werden.
Nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen (KiStG) endet die Kirchensteuerpflicht bei einem nach Maßgabe der geltenden staatlichen Vorschriften erklärten Kirchenaustritt mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die Erklärung des Kirchenaustritts wirksam geworden ist. Ein rückwirkender Eintritt der Wirksamkeit der Erklärung ist gesetzlich nicht vorgesehen.
5. Wie wird von staatlicher Seite sichergestellt, dass auch ältere Personen ohne Zugang zum Internet ihren Austritt vollziehen können?
Ein Internetzugang ist für die Erklärung eines Kirchenaustritts nicht erforderlich. Bei Amtsgerichten, die über ihren Webauftritt eine Online-Terminbuchung ermöglichen, kann ein Termin alternativ auch telefonisch vereinbart werden.
In der Anwendung der Online-Terminbuchung ist gut sichtbar die Telefonnummer des Callcen-ters NRW positioniert. Dort erhält der interessierte Nutzer die Auskunft, dass sich Bürgerinnen und Bürger, die über keinen Internetzugang verfügen, an die jeweilige Zentrale des Amtsgerichts wenden können. Die Amtsgerichte sind angehalten in einem solchen Fall die Terminanfragen aufzunehmen und einen Termin in das System einzutragen. Den Amtsgerichten wird bei der Einrichtung der Online-Terminbuchung ein Leitfaden mit entsprechenden Hinweisen zur Zusammenarbeit mit dem NRW-direkt Service-Center zur Verfügung gestellt.