Kleine Anfrage 3498
des Abgeordneten Dr. Hartmut Beucker AfD
Linker Antisemitismus im Kulturbereich. Die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen hält nach den Ereignissen bei der Berlinale die Überprüfung staatlicher Förderung für angezeigt. Teilt die Landesregierung diese Einschätzung?
Die Ereignisse bei der Berlinale haben zu einer heftigen Diskussion geführt.1,2,3,4,5
Die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wurde zu dieser Thematik in einem Interview befragt.6 Der Leiter der Kulturredaktion der Rheinischen Post stellte ihr mehrere Fragen, darunter: „Erneut ist die Kulturszene mit antisemitischen Äußerungen auffällig geworden – diesmal zum Abschluss der Berlinale. Muss das Augenmerk der Politik künftig stärker auch auf Kulturschaffende und den Kulturbetrieb liegen?“7
Frau Leutheusser-Schnarrenberger sieht die Vorkommnisse bei der Berlinale innerhalb einer Reihe ähnlicher Vorkommnisse: „Es ist für mich keine Überraschung, dass es solche Äußerungen und ‚Aktionen‘ bei der Berlinale gegeben hat. Denn wir wissen spätestens seit der BDS-Debatte um die Documenta, das Folkwang Museum oder um das Theaterstück ‚Die Vögel‘, dass Antisemitismus nicht nur einer politischen Richtung zugeordnet werden kann, sondern in Teilen des Kulturbetriebs und unter Kulturschaffenden durchaus gut etabliert ist.“8 Die Rheinische Post fragt nach möglichen Konsequenzen: „Was heißt das für die Politik?“9
Die Antisemitismusbeauftrage sieht Überprüfungsbedarf bei der Gewährung staatlichen Kulturförderung: „Sicher wird man künftig ein stärkeres Augenmerk darauf richten müssen, welchen kulturellen Einrichtungen staatliche Unterstützung gewährt werden soll. Das ist eine schwierige Debatte und bedarf gründlicher Expertise, wie die Vorschläge in Berlin zu Antisemitismus-Klauseln bei Kulturförderung gezeigt haben.“10
Abschließend möchte der Leiter der Kulturredaktion wissen, welche Handlungsmöglichkeiten bestehen: „Kann man solchen Äußerungen wie jetzt auf der Berlinale besser vorbeugen? Und wenn ja: Wie?“11
Frau Leutheusser-Schnarrenberger sieht Notwendigkeiten und Möglichkeiten im Rahmen von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit: „Es gibt kein Patentrezept. Sowohl Meinungs- als auch Kunstfreiheit sind hohe, grundrechtlich geschützte Güter in Deutschland. Eine Zensur findet nicht statt. Dennoch gilt: Im Namen der Kunstfreiheit dürfen Hass und Hetze nicht verbreitet werden oder als Feigenblatt für antisemitische Propaganda dienen. Es müssen Verantwortliche festgestellt werden, und es muss gegebenenfalls geprüft werden, ob Äußerungen strafrechtlich relevant sind.“12
Ich frage daher die Landesregierung:
- Inwieweit teilt die Landesregierung die Einschätzung der Antisemitismusbeauftragten?
- In welchen Bereichen der vom Land NRW geförderten Kulturszene sieht die Landesregierung die Notwendigkeit einer Überprüfung der Förderung?
- Welche den Ereignissen bei der Berlinale ähnliche Vorkommnisse sind der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bekannt?
- Wurden infolge linkem Antisemitismus bereits Förderungen des Landes NRW eingestellt?
- Wie will die Landesregierung das Auftreten von linkem Antisemitismus in Zukunft verhindern?
Dr. Hartmut Beucker
1 Berlinale-Abschlussgala wird zur Propaganda-Show, rp-online, 26.2.2024
2 Kritik nach Berlinale-Eklat. „Fünf AfD-Abgeordnete des Kinos verwiesen, aber Hardcore-Holocaust-Verharmlosern zujubeln“, focus.de, 26.2.2024
3 Eklat auf der Berlinale: So erklärt Claudia Roth jetzt ihren Beifall, focus.de, 27.2.2024
4 Antisemitismus-Skandal auf der Berlinale. Der Mut zum Gegenhalten, rp-online.de, 27.2.2024
5 Die antisemitischen Abgründe auf der Berlinale – und Claudia Roth im Zentrum der Kritik, welt.de, 28.2.2024
6 Die NRW-Antisemitismusbeauftragte zum Berlinale-Skandal. „Antisemitismus ist unter Kulturschaffenden gut etabliert“, rp-online, 27.2.2024
7 Ebenda
8 Ebenda
9 Ebenda
10 Ebenda
11 Ebenda
12 Ebenda
Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 3498 mit Schreiben vom 19. April 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, dem Minister des Innern, der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sowie dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die Freiheit der Kunst gehört zu den elementaren Prinzipien unseres Grundgesetzes und ist damit Grundlage unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft. Zugleich ist die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit Verpflichtung des Staates. Deshalb muss sichergestellt sein, dass öffentliche Gelder nicht dazu missbraucht werden, antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Kunst- und Kulturprojekte zu finanzieren.
Daher haben sich die Kulturministerkonferenz, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die kommunalen Spitzenverbände am 13. März 2024 auf eine gemeinsame Erklärung verständigt, um Antisemitismus und Rassismus im öffentlich geförderten Kulturbetrieb zu verhindern. Bund, Länder und Kommunen haben sich darin auf Eckpunkte verständigt, die darauf abzielen, dass mit öffentlichen Geldern keine Kulturprojekte finanziert werden, die antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Ziele verfolgen. Hierzu zählen die Präzisierung von Förderbedingungen, die Sensibilisierung von Kulturverwaltungen und die Stärkung der Eigenverantwortung von geförderten Kultureinrichtungen.
- Inwieweit teilt die Landesregierung die Einschätzung der Antisemitismusbeauf-tragten?
Die Landesregierung verurteilt Antisemitismus in Gänze. Sie unterscheidet dabei nicht zwischen verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus. Die Landesregierung stimmt der Einschätzung der Antisemitismusbeauftragten zu.
- In welchen Bereichen der vom Land NRW geförderten Kulturszene sieht die Landesregierung die Notwendigkeit einer Überprüfung der Förderung?
Die Landesregierung wird die in der gemeinsamen Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024 vereinbarten Eckpunkte umsetzen.
- Welche den Ereignissen bei der Berlinale ähnliche Vorkommnisse sind der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bekannt?
Der Landesregierung sind keine ähnlichen Vorkommnisse in Nordrhein-Westfalen bekannt.
- Wurden infolge linkem Antisemitismus bereits Förderungen des Landes NRW eingestellt?
Die Landesregierung fördert grundsätzlich keine Projekte, die antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Ziele verfolgen.
- Wie will die Landesregierung das Auftreten von linkem Antisemitismus in Zukunft verhindern?
Aus Sicht der Landesregierung ist Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sowohl an den politischen Rändern als auch in der Mitte unserer Gesellschaft anzutreffen ist. Die Landesregierung bekämpft daher Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen mit einer Vielzahl an Projekten und Maßnahmen. Die Landesregierung betrachtet Antisemitismus als ein eigenständiges Phänomen und arbeitet auf der Grundlage der IHRA-Definition. In Nordrhein-Westfalen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, Strukturen zu schaffen, die das Bewusstsein für die Gefahr des Antisemitismus schärfen und die Perspektive von Jüdinnen und Juden stärker einbeziehen.
Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft hat am 15. Januar 2024 die Stabsstelle „Prävention gegen Antisemitismus, politischen und religiösen Extremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit“ eingerichtet. Die Stabsstelle übernimmt auch eine koordinierende Funktion für die präventiven Maßnahmen des Landes gegen Antisemitismus und fördert Angebote, die Handlungssicherheit im Umgang mit moderner Judenfeindschaft vermitteln. Sie baut das Handlungsfeld Antisemitismus in Zukunft weiter aus. Dabei sollen besonders virulente Formen wie der israelbezogene Antisemitismus verstärkt in den Blick genommen werden. In ihrer Arbeit adressiert die Stabsstelle Antisemitismus nicht nur als Teil extremistischer Ideologien, sondern auch als weit verbreitetes Einstellungsmerkmal in der Mitte der Gesellschaft.
Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und zeigt sich daher in sämtlichen Phänomenbereichen des Extremismus – auch im Linksextremismus. Die Polizei Nordrhein-Westfalen informiert und sensibilisiert umfänglich im Bereich des Antisemitismus. Spezifische Präventionsmaßnahmen hinsichtlich des hier angefragten linken Antisemitismus, werden seitens der Polizei Nordrhein-Westfalen nicht durchgeführt.
Im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages klärt der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über antisemitische Strömungen innerhalb der einzelnen Extremismusphänomenbereiche auf. Neben der Ausrichtung von bzw. Beteiligung an Vortragsveranstaltungen, Symposien oder ähnlichen Formaten zum Thema berichtet der Verfassungsschutz auch in den jährlichen Verfassungsschutzberichten in einem eigenen Kapitel zum Antisemitismus, zuletzt im Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2022 (LT-Vorlage 18/1090, S. 57 ff.). Der Antisemitismus im anti-imperialistisch orientierten Linksextremismus, der vornehmlich als antizionistischer (Israel bezogener) Antisemitismus sichtbar wird, ist darin wiederum Gegenstand eines eigenen Abschnitts (S. 62).
Als Maßnahmen der tertiären Prävention verfügt das Ministerium des Innern über Programme, um einen Ausstieg aus der rechtsextremistischen (Spurwechsel), islamistischen (API) und linksextremistischen sowie auslandsbezogenen extremistischen Szene (Left) zu ermöglichen und zu unterstützen. Ziele der Programme sind die nachhaltige Distanzierung von der jeweiligen extremistischen Szene zu fördern und eine Reintegration in die demokratische Gesellschaft zu ermöglichen, um das jeweilige extremistische Personenpotential zu reduzieren. „Left“ richtet sich sowohl an deutsche Linksextremisten (zum Beispiel Angehörige der gewaltbereiten Autonomen Szenen) als auch an Linksextremisten mit Auslandsbezug (beispielsweise PKK oder DHKP-C).
Die Kern-Elemente der Ausstiegsarbeit sind nach dem sog. „2-Säulen-Modell“ die systematische Aufarbeitung der extremistischen Vergangenheit und Ideologie sowie die Unterstützung bei der psychosozialen Stabilisierung. Die ideologische Aufarbeitung im Rahmen des Ausstei-gerprogramms „Left“ befasst sich anlassbezogen auch mit dem Thema Antisemitismus.