Antrag
der Fraktion der AfD
Mehr dringend benötige Sozialwohnungen in Nordrhein-Westfalen schaffen durch konsequentes Trimmen der Baukosten nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins: Einführung des „Regelstandard ES-NRW“ in der sozialen Wohnraumförderung
I. Ausgangslage
Die Lage an den Mietwohnungsmärkten in NRW hat sich zuletzt weiter wesentlich verschlechtert. Die Mietbelastungsquote lag 2022 in allen Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens über 26 Prozent, im Südwesten des Landes sogar flächendeckend über 29 Prozent.1 Der Anstieg der mittleren Angebotsmieten hat sich 2022 und auch im ersten Halbjahr 2023 beschleunigt fortgesetzt, so dass sie mittlerweile ein Niveau von 8,87 €/m2 erreicht haben.2 Dabei hat sich die Schere zwischen den Angebotsmieten der 10 Prozent günstigsten frei finanzierten Wohnungen und denen der geförderten Wohnungen zuletzt immer weiter geöffnet. Das bedeutet, dass frei finanzierte Wohnungen vergleichsweise immer weniger erschwinglich geworden sind und entsprechend mehr Haushalte auf die Versorgung mit einer Sozialwohnung angewiesen sind.
Abgesehen davon hat auch die Verfügbarkeit von Wohnraum zur Anmietung immer weiter abgenommen. Seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 nahm die Zahl der angebotenen Mietwohnungen auf Onlineplattformen deutlich ab.3 Nach den Daten des Zensus 2022 lag der marktaktive Wohnungsleerstand4 im Mai 2022 im Landesdurchschnitt nur noch bei 1,4 Prozent.
Schließlich gibt es keine Anzeichen für eine Wiederbelebung der Bautätigkeit. Bei den Wohnungsbaugenehmigungen kam es 2023 zu einem Einbruch im Umfang von gut 25 Prozent und bis jetzt hat keine Erholung der Genehmigungstätigkeit eingesetzt.
Der soziale Wohnungsbau in NRW kann diese Probleme instrumentell nicht allein lösen, aber er muss einen möglichst großen Beitrag dazu leisten. Das bedeutet, dass mit den eingesetzten Fördermitteln ein Maximum an Bewilligungen von Sozialwohnungen erreicht werden muss. Das kann nur gelingen, wenn möglichst einfache Baustandards zur Anwendung kommen. Ein mögliches Modell dafür ist die Vorgehensweise im Bundesland Schleswig-Holstein.
Seit September 2023 wird dort der zusammen mit den Planern und der Bau- und Wohnungswirtschaft im Land erarbeitete Regelstandard Erleichtertes Bauen („Regelstandard E“) in der sozialen Wohnraumförderung mit Erfolg angewendet. Durch die konsequente Anwendung des neuen Regelstandards E konnte in den Kostengruppen 200-700 im Vergleich zur gebauten Praxis 2023 eine Senkung der Herstellungskosten um bis zu 25 Prozent erreicht werden.
Im Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags und mit Förderung durch das Innenministerium hat die ARGE (Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V.) eine Studie zu dem neuen Regelstandard erstellt, der sich die möglichen Kosteneinsparungen durch das erleichterte Bauen einzelmerkmalsbezogen entnehmen lassen.5 Innenministerin Sütterlin-Waack hat bei der Vorstellung dieser Studie am 28.06.2024 die Vorteile des Regelstandards E im Hinblick auf die Konzentration auf die wesentlichen und nötigen Eigenschaften von Wohngebäuden hervorgehoben: „Die Studie der ARGE zeigt anschaulich, dass eine kostenbewusste und intelligente Planung, die den Fokus auf den tatsächlichen Bedarf richtet, eine elementare Voraussetzung für Vorhaben ist, die bezahlbar und lebenswert sind.“6
Ein Beispiel für ein teures, aber nicht erforderliches Gebäudemerkmal sind Keller, die selbst bei günstigen Rahmenbedingungen die gesamten Herstellungskosten deutlich nach oben treiben. Nach der ARGE-Studie erhöht eine Vollunterkellerung die Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche je nach Qualität der Ausführung um 219 bis 328 Euro. Daher wird im Regelstandard E grundsätzlich auf Keller verzichtet. Die wegfallenden Kellerräume können durch Abstellräume in den Wohnungen, im Dachgeschoss oder in den Außenanlagen ersetzt werden. Auch ein Teilkeller in einfacher Qualität verursacht nur einen Bruchteil der Kosten. Einen ähnlich wirksamen Kostenhebel stellt in Abhängigkeit vom vorgegebenen Stellplatzschlüssel das Weglassen der Tiefgarage dar.
Ein weiterer Ansatzpunkt für wesentliche Kosteneinsparungen ist die Primärkonstruktion der Gebäude (Tragwerk, Wände, Decken, Fundamente etc.). Tragwerksplanerische Untersuchungen von Referenzgebäuden haben gezeigt, dass hier bis zu 40 Prozent Kosteneinsparungen durch konstruktive Optimierung erreicht werden können.7
Generell soll mit dem erleichterten Bauen die Übererfüllung regulatorischer Normen so weit wie möglich verhindert werden. Das betrifft insbesondere die bereits sehr anspruchsvollen gesetzlichen energetischen Anforderungen nach dem Gebäudeenergiegesetz. Jede weitere Ef-fizienzsteigerung über die Mindestanforderung hinaus ist hier nicht nur teuer, sondern sie lässt sich in der Regel auch nur mit aufwendigen technischen Lösungen realisieren, die auch im Betrieb hohe Zusatzkosten verursachen.8
Der Regelstandard E in Schleswig-Holstein definiert als „Mindestanforderung“:
- Energiestandard: GEG 2024
- Schallschutz: LBO SH/DIN 4109
- Barrierefreiheit: LBO SH/DIN 18040-2
Das Einhalten der Mindestanforderungen führt mit Kostenstand 1. Quartal 2024 zu Baukosten (KG 200-700) in Höhe von 2.719 Euro je Quadratmeter Wohnfläche. Der Regelstandard lässt darüber hinaus noch vorgestellte Balkone und eine Aufzugsanlage mit 5 Haltstellen zu (außerhalb von Großstädten nur als Vorrüstung). Daraus ergeben sich Mehrkosten in Höhe von 248 Euro und Gesamtkosten von 2.967 Euro je Quadratmeter. Gegenüber der gebauten Praxis bewirkt der Regelstandard E eine Kosteneinsparung von 1.112 Euro. Das entspricht 27,3 Prozent der gesamten Kostensumme.9
Bei Grundstückskosten von 300 Euro je Quadratmeter Wohnfläche liegen die Baukosten für neue Sozialmietwohnungen in Schleswig-Holstein somit bei rund 3.300 Euro pro Quadratmeter.
In Nordrhein-Westfalen lagen die Kosten der geförderten Sozialwohnungen schon im Förderjahr 2022 (neuere Daten liegen den Antragstellern nicht vor) einschließlich Grundstückskosten bei 4.151 bzw. 4.426 Euro (Einkommensgruppe A bzw. B).10 Damit liegt das Baukostenniveau etwa 30 Prozent höher als in Schleswig-Holstein. Mit der Anwendung eines vergleichbaren Regelstandards in NRW ließen sich also in diesem Umfang Kosten einsparen mit der Folge, dass mit einem gegebenen Fördermitteleinsatz bei reduzierter Förderintensität deutlich mehr neu zu bauende Sozialmietwohnungen gefördert werden könnten.
II. Der Landtag stellt fest:
Der Bau von Sozialwohnungen in Nordrhein-Westfalen verursacht weit höhere Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche, als zur Einhaltung der regulatorischen Mindeststandards bei angemessener Ausstattung der Wohnungen nötig ist. Als Folge dieser Übererfüllung der Mindeststandards aus dem Gebäudeenergiegesetz, der Landesbauordnung und den einschlägigen DIN-Normen sowie der Ausstattung der Wohnungen mit verzichtbaren Eigenschaften müssen bei gegebenen Sozialmieten und laufenden Bewirtschaftungskosten wesentlich mehr öffentliche Fördermittel eingesetzt werden, um einen hinreichenden wirtschaftlichen Anreiz für die Investoren im sozialen Wohnungsbau zu setzen.
Durch die verbindliche Vorgabe eines baulichen Höchststandards können die Baukosten im sozialen Wohnungsbau in NRW wesentlich gesenkt werden. Bei gegebenem Fördermittelein-satz können auf diese Weise ohne den Einsatz zusätzlicher Haushaltsmittel wesentlich höhere Bewilligungszahlen im sozialen Wohnungsbau erreicht werden, um die angespannten Wohnungsmärkte in NRW zu entlasten und mehr besonders bedürftige Haushalte gezielt mit erschwinglichem Wohnraum zu versorgen.
Die neuen kosteneffizienten Standards können sich als Vorbild auch im erschwinglichen freifinanzierten Wohnungsbau nach und nach durchsetzen und so weitere Kreise von Mietern und Käufern entlasten helfen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- für den sozialen Mietwohnungsbau in NRW einen „Regelstandard ES-NRW“ verbindlich zu definieren, der bei konstruktiver Optimierung der Primärkonstruktion der Wohngebäude keine Überschreitungen der gesetzlichen Mindeststandards bei Energiestandard, Schallschutz und Barrierefreiheit zulässt und die Kosten für die Ausstattung mitDachbegrünung, Tiefgaragen, oberirdischen Stellplätzen, Kellerräumen, Aufzugsanlagen und Balkonen auf das notwendige Minimum begrenzt oder diese Ausstattungsmerkmale ganz entfallen lässt, um so die Baukosten in den Kostengruppen 200-700 in der Regel auf höchstens 3.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche zu begrenzen;
- diesen Regelstandard ES-NRW in den Landesförderprogrammen für die Neuschaffung von Mietwohnraum durch Neubau, Nutzungsänderung oder Erweiterung von Gebäuden – von Ausnahmen abgesehen – als verbindlichen Höchststandard vorzugeben, der nicht überschritten werden darf;
- mit dem Ziel einer deutlichen Erhöhung der Bewilligungszahlen im sozialen Mietwohnungsbau bei gegebenem Fördermitteleinsatz die Förderbedingungen der Neubauförderung bezüglich Darlehensbeträgen, Tilgungsnachlässen und Zinsverbilligungen so weit an das abgesenkte Baukostenniveau anzupassen, dass mit dem Bau von Sozialwohnungen nur angemessene Gewinne erzielt werden können;
- sich auf Bundes- und Landesebene grundsätzlich für eine sinnvolle Absenkung kostentreibender Baustandards einzusetzen.
Carlo Clemens
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
und Fraktion
1 Wohnungsmarktbericht NRW, S. 46.
2 Ebd., S. 42.
3 Ebd., S. 43.
4 Leerstehende Wohnungen in Wohngebäuden, die dem Wohnungsmarkt unmittelbar oder innerhalb von drei Monaten zur Verfügung stehen.
5 ARGE//eV: Regelstandard Erleichtertes Bauen: Der Förderstandard der Sozialen Wohnraumförderung in Schleswig-Holstein, Mitteilungsblatt Nr. 263 Heft 1/2024, Juni 2024.
6 BFW Newsroom v. 02.07.2024: Studie zum Regelstandard Erleichtertes Bauen.
7 Hansen, Conrad: „Effizient und einfach bauen – trotz Normen“; (Foliensatz zum 694. Schleswig-Holsteinischen Baugespräch) Neumünster, März 2024.
8 BFW Newsroom v. 02.07.2024: Studie zum Regelstandard Erleichtertes Bauen.
9 ARGE//eV a.a.O., S. 13.
10 Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen: Wohnungsmarkt Nordrhein-Westfalen – Analysen: Wohnraumförderung 2022, Statistischer Bericht Nordrhein-Westfalen. S. 48.