Meldestellen zu sogenannten „queerfeindlichen und rassistischen“ Vorfällen

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 156
des Abgeordneten Sven W. Tritschler vom 14.07.2022

 

Meldestellen zu sogenannten „queerfeindlichen und rassistischen“ Vorfällen

Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration verkündete am 1. Juli 2022 auf der Website ihres Ministeriums die Einrichtung eines „bundesweit einzigartigen Netzes von Meldestellen“, um „queerfeindliche und rassistische Vorfälle“ auch „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen, analysieren und dokumentieren“ zu können.1

Hiernach sollen vier Meldestellen geschaffen werden:

  1. „Queerfeindlichkeit“,
  2. „antimuslimischer Rassismus“,
  3. „Antiziganismus“ sowie
  4. „anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus.“

Eine Reihe von Lobbyorganisationen werden offenbar in die Betätigung dieser Meldestellen einbezogen. So heißt es in der Meldung weiter:

„Die Konzeption der Meldestelle Queerfeindlichkeit erfolgt durch das Queere Netzwerk NRW e.V. in Kooperation mit rubicon e.V., dem Lesben- und Schwulenverband NRW (LSVD NRW e.V.), der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein-Westfalen e.V. (LAG Lesben in NRW e.V.) sowie dem Verein Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW e.V. (NGVT*).

Der Aufbau der Meldestelle für antimuslimischen Rassismus wird in einem Trägerverbund der Vereine Interkultur e.V. und Coach e.V. erfolgen. Dabei wird dieser Verbund wissenschaftlich durch Prof. Dr. Kemal Bozay von der IUBH Internationale Hochschule in Düsseldorf unterstützt.

Für den Bereich Antiziganismus wird der Verein PLANB Ruhr e.V. die Aufbauarbeiten der Meldestelle verantworten. Wissenschaftlich unterstützt wird der Verein dabei durch Dr. Markus End, der unter anderem Mitglied in der von der Bundesregierung berufenen „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ war.

Die Federführung für den Aufbau der Meldestelle anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus übernimmt der Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine Dortmund (VMDO) e.V. Er kooperiert dabei mit dem Landesverband der Netzwerke von Migrant*innenorganisationen NRW (LV NeMO e.V.), dem Anti-Rassismus Informationszentrum (ARIC e.V.), dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sowie dem Verein kamerunischer Ingenieure und Informatiker (VKII Ruhrbezirk e.V.).“

Weiterhin heißt es, die Landesregierung habe für den Aufbau jeder einzelner diese Meldestellen Geldmittel in Höhe von 140.000 Euro vorgesehen.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie sind „queerfeindliche und rassistische Vorfälle“ definiert? (Erläutern Sie bitte insbesondere, wie solche Vorfälle „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ eingegrenzt werden.)
  2. Welche Daten zu den „Vorfällen“ sollen von den Meldestellen erfasst werden? (Bitte erläutern Sie insbesondere, ob und inwieweit personenbezogene Daten erfasst werden und wie dies ggf. mit geltendem Datenschutzrecht in Einklang gebracht wird/werden soll.)
  3. Strebt die Landesregierung eine dauerhafte Finanzierung der Meldestellen an oder handelt es sich bei dem genannten Geldbetrag lediglich um eine einmalige Anschubfinanzierung?
  4. Ist „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ gegen Weiße und/oder Deutsche Untersuchungsgegenstand einer der Meldestellen?
  5. Ist die Bezeichnung einer sogenannten „Transfrau“ als „Mann“ ein „queerfeindlicher Vorfall“, der in die Zuständigkeit der o.g. Meldestelle fiele?

Sven W. Tritschler

 

Anfrage als PDF

 

1 https://www.mkffi.nrw/aufbau-von-vier-meldestellen-zu-queerfeindlichen-und-rassistischen-vorfaellen-gestartet – abgerufen am 14. Juli 2022.


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 156 mit Schreiben vom 25. August 2022 im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzennamens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Anlässlich des Beitritts Nordrhein-Westfalens zur bundesweiten Koalition gegen Diskriminierung im September 2019 hat sich das Land verpflichtet, seine Maßnahmen gegen Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auszuweiten. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, entwickelte das damalige Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) Pläne zur Einführung eines koordinierten Systems thematisch eigenständiger Meldestellen für verschiedene Diskriminierungsphänomene und Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Parallel dazu beauftragte der Landtag Nordrhein-Westfalens auf Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Landesregierung, eine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus einzurichten, die auch „unterhalb der Strafrechtsgrenze liegendes Verhalten“ erfasst (vgl. Beschlussdrucksache 17/11023). Diese Meldestelle dient als Vorbild für die weiteren Meldestellen. Denn neben Antisemitismus sind auch Antiziganismus, antimuslimischer Rassismus, anti-Schwarzer Rassismus und Queerfeindlichkeit schwerwiegende Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die in Nordrhein-Westfalen nicht toleriert werden.

Ziel der Meldestellen ist es, Diskriminierung sichtbarer zu machen und das sogenannte „Dunkelfeld“ zu erhellen. Denn viele Betroffene scheuen davor zurück, eine Strafanzeige zu erstatten. Andere wiederum halten Vorfälle nicht für relevant genug oder wissen mitunter gar nicht, dass diese strafbar sind (siehe dazu z.B. Studie des DeZIM „Reaktionsmöglichkeiten bei Rassismus“ von 12.2021). Im Bereich Queerfeindlichkeit belegt eine Studie der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahre 2020, dass europaweit nur ein geringer Teil der betroffenen nicht heterosexuellen Menschen erlebte sexuelle Angriffe einer Organisation oder der Polizei meldeten.

Ziel der Landesregierung ist es, auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage zu erfahren, wo, in welcher Form und wie oft Diskriminierung vorkommt. Damit will die Landesregierung die Voraussetzungen schaffen, mit Prävention, Intervention und Sensibilisierung erfolgreicher gegen Diskriminierung vorgehen zu können, denn Studien zeigen: Diskriminierung hat seelische und körperliche Auswirkungen auf die Betroffenen und kann zu Rückzug, Isolation und Depression führen.

Die konzeptionellen Aufbauarbeiten wurden zum 15. Juni 2022 aufgenommen. Vier Trägergemeinschaften aus den jeweiligen Communities wurden im Rahmen eines Interessensbekundungsverfahrens ausgewählt, die nun innerhalb eines Jahres die künftigen Meldestellen konzipieren sollen. Die Meldestellen werden frühestens ab Mitte des kommenden Jahres ihren Betrieb aufnehmen. Ziel der ca. zwölfmonatigen Aufbauphase ist es u.a. zunächst die methodischen und theoretischen Ansätze für die Datenerhebung zu identifizieren, eine Datenbank aufzubauen, Qualitätsstandards zu entwickeln und Netzwerk- sowie Vertrauensarbeit zu den jeweiligen Communities zu etablieren. Die Gewährleistung von Datensicherheit und Datenschutz haben dabei oberste Priorität.

  1. Wie sind „queerfeindliche und rassistische Vorfälle“ definiert? (Erläutern Sie bitte insbesondere, wie solche Vorfälle „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ eingegrenzt werden)?
  2. Welche Daten zu den „Vorfällen“ sollen von den Meldestellen erfasst werden? (Bitte erläutern Sie insbesondere, ob und inwieweit personenbezogene Daten erfasst werden und wie dies ggf. mit geltendem Datenschutzrecht in Einklang gebracht wird/werden soll.)
  3. Ist die Bezeichnung einer sogenannten „Transfrau“ als „Mann“ ein „queerfeindlicher Vorfall“, der in die Zuständigkeit der o.g. Meldestelle fiele?

Frage 1, 2 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Die Beantwortung dieser Fragen ist Teil der aktuell laufenden konzeptionellen Aufbauarbeiten. Ziel der ca. zwölfmonatigen Aufbauphase ist es u.a., zunächst die methodischen und theoretischen Ansätze für die Datenerhebung zu identifizieren, eine Datenbank aufzubauen, Qualitätsstandards u.a. zur Verifizierung von Meldungen zu entwickeln sowie Netzwerk- und Vertrauensarbeit zu den jeweiligen Communities zu etablieren.

Insbesondere wird einerseits darauf zu achten sein, dass Meldungen keine personenbezogenen Daten im Sinne von Artikel 4 Nummer 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) enthalten. Sofern dies dennoch der Fall sein sollte, sind derartige Daten unverzüglich nach Kenntniserlangung durch die Meldestelle zu löschen. Zum anderen wird sicherzustellen sein, dass nicht verifizierbare Meldungen gelöscht und nicht als queerfeindliche und rassistische Vorfälle gezählt werden. Verifizierbare Meldungen müssen als anonymisierte Vorfälle dokumentiert und dürfen nicht an staatliche Stellen weitergeleitet werden.

Personenbezogene Anzeigen sind ausschließlich an die Polizei zu richten.

  1. Strebt die Landesregierung eine dauerhafte Finanzierung der Meldestellen an oder handelt es sich bei dem genannten Geldbetrag lediglich um eine einmalige Anschubfinanzierung?

Bei dem genannten Geldbetrag handelt es sich um Zuwendungen für die konzeptionellen Aufbauarbeiten der Meldestellen. Über Art und Umfang des Betriebes kann erst nach Beendigung der konzeptionellen Arbeiten entschieden werden.

  1. Ist „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ gegen Weiße und/oder Deutsche Untersuchungsgegenstand einer der Meldestellen?

Nein. Wie in der Vorbemerkung geschildert, widmen sich die Aufbauarbeiten den oben genannten Phänomenbereichen.

 

Antwort als PDF

Beteiligte:
Sven Tritschler