Kleine Anfrage 22
der Abgeordneten Markus Wagner, Prof. Dr. Daniel Zerbin und Andreas Keith vom 15.06.2022
Messerattacke an Hochschule in Hamm
Am Nachmittag des 10. Juni 2022 ereignete sich eine Messerattacke in einer Hochschule im nordrhein-westfälischen Hamm, bei der ein 34-jähriger Mann vier Personen verletzt hat. Eine schwerverletzte Frau ist mittlerweile ihren Verletzungen erlegen. Der Täter habe erst zwei Tage zuvor einen Suizidversuch unternommen und sei daraufhin in einer psychiatrischen Klinik untergekommen, aus der er sich kurz vor der Messerattacke selbst entlassen habe. Der Beschuldigte befand sich schon länger in psychiatrischer Behandlung1 und war auch der Polizei bekannt. Des Weiteren heißt es:
„Anfang April habe er Anzeige erstattet, weil er sich verfolgt fühlte, sagte Hamms Polizeipräsident Thomas Kubera. Er sei damals sehr offen mit seiner psychischen Krankheit umgegangen. Es habe daraufhin auch eine sogenannte Gefährdungsbewertung gegeben. Eine Eigen- und Fremdgefährdung sei damals aber ausgeschlossen worden.“2
Wir fragen die Landesregierung:
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, Vornamen eines deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeilichen Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen)
- Welche Erkenntnisse liegen vor, weswegen der Beschuldigte bereits in der Vergangenheit in psychiatrischer Behandlung war?
- Wie kam es zu dem Ergebnis der Gefährdungsbewertung, dass eine Eigen- und Fremdgefährdung des Beschuldigten ausgeschlossen werden konnte?
- Wie wird sichergestellt, dass die Opfer und Augenzeugen dieser Tat bestmöglich psychologisch versorgt und begleitet werden?
Markus Wagner
Andreas Keith
Prof. Dr. Daniel Zerbin
1 Vgl. https://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/ruhrgebiet-aktuell/messer-amok-an-hochschule-in-hamm-nrw-erm ittler-nennen-neue-details-80368614.bild.html.
2 Vgl. https://www.welt.de/vermischtes/kriminalitaet/article239298001/Nach-Messerangriff-in-Hamm-Mutmasslicher-Taeter-in-Psychiatrie-eingewiesen.html.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 22 mit Schreiben vom 12. Juli 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, Vornamen eines deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeilichen Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen)
- Welche Erkenntnisse liegen vor, weswegen der Beschuldigte bereits in der Vergangenheit in psychiatrischer Behandlung war?
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Zur Beantwortung der Fragen 1 und 2 hat mir das Ministerium der Justiz mit Schreiben vom 01.07.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:
„Der Leitende Oberstaatsanwalt in Dortmund hat dem Ministerium der Justiz unter dem 23.06.2022 wie folgt berichtet:
,Frage 1:
Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen leidet der Beschuldigte – der 34 Jahre alte, nicht vorbestrafte deutsche Staatsangehörige X – an einer paranoiden Schizophrenie und befand sich im Zeitpunkt der Taten jedenfalls im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit.
Wenige Tage vor der Tat hatte er einen Suizidversuch unternommen und sich deswegen in stationäre ärztliche Behandlung begeben. Am Tattag verließ er das Krankenhaus wieder, weil er sich auch von dem dortigen medizinischen Personal bedroht fühlte. Er erwarb zwei Küchenmesser, mit denen er sich zu dem Gebäude der Hochschule Hamm-Lippstadt begab; der Beschuldigte ist dort seit geraumer Zeit Studierender. Er beabsichtigte, Angehörige der Hochschule umzubringen, da er diese als Zugehörige eines „Clans“ wähnte, der ihn verfolgen und abhören würde sowie umbringen wolle.
Nach Betreten des Hochschulgebäudes traf der Beschuldigte gegen 15.30 Uhr auf sich im Foyer aufhaltende Personen. Einer Frau, die an einer Tischgruppe saß und las, näherte er sich von hinten, packte sie und stach ihr in Tötungsabsicht mit einem der beiden mitgeführten Messer in den Halsbereich. Als dem Beschuldigten bewusst wurde, dass er die Schutzhülle von der Klinge nicht entfernt hatte, löste er diese und stach der Zeugin in die Wange, bevor er sich von der Zeugin abwandte. Konkret lebensgefährliche Verletzungen erlitt die Zeugin nicht.
Sodann stach der Beschuldigte einer der zuvor verletzten Zeugin gegenübersitzenden männlichen Person in Tötungsabsicht in den Hals. Der Zeuge wich aus und konnte hierdurch schwerwiegendere Verletzungen – er erlitt eine etwa 1 cm tiefe, stark blutende Schnittwunde im Halsbereich – verhindern; konkrete Lebensgefahr bestand nicht.
Direkt im Anschluss daran ging der Beschuldigte auf eine nahegelegene Sitzgruppe zu, an welcher eine weitere weibliche Person saß und lernte. Dieser Frau stach der Beschuldigte mit einem der beiden Messer in Tötungsabsicht achtmal in den Bauch. Die Zeugin erlitt konkret lebensgefährliche Verletzungen und musste notoperiert wird. Die konkrete Lebensgefahr konnte hierdurch abgewendet werden.
Schließlich begab der Beschuldigte sich zu einem eine Etage höher gelegenen Hörsaal, in dem eine Gastvorlesung abgehalten wurde. Mit dem Ausruf „Jetzt ist aber Schluss!“ trat er auf die erste besetzte Sitzreihe zu und stach einer dort sitzenden Dozentin der Hochschule mit den Worten „Jetzt bist du dran!“ in Tötungsabsicht in den Brustbereich. Die Geschädigte erlitt erhebliche innere Verletzungen und musste mittels Rettungstransporthubschrauber in das Universitätsklinikum Münster gebracht werden, wo sie unter akuter Lebensgefahr notoperiert wurde. Das Leben der Geschädigten konnte jedoch nicht gerettet werden: Sie verstarb im Krankenhaus.
Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen nutzte der Beschuldigte bei seinen Angriffen jeweils die Arg- und Wehrlosigkeit der Tatopfer bewusst aus.
Der Beschuldigte wurde unmittelbar nach seinem letzten Angriff von Teilnehmerinnen/Teilnehmern an der Vorlesung überwältigt und der Polizei übergeben.
Der Beschuldigte ist des Mordes sowie des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen verdächtig.
Frage 2:
Auf die Ausführungen zu Frage 1 nehme ich Bezug. Weitergehende Erkenntnisse liegen noch nicht vor. Auch insoweit dauern die Ermittlungen an.‘
Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat dem Ministerium der Justiz am 27.06.2022 berichtet, dass sie gegen die Sachbehandlung keine Bedenken habe.“
- Wie kam es zu dem Ergebnis der Gefährdungsbewertung, dass eine Eigen- und Fremdgefährdung des Beschuldigten ausgeschlossen werden konnte?
Am 07.04.2022 erschien der Beschuldigte bei der Polizei in Hamm und äußerte den Verdacht, von Mitstudierenden im Studentenwohnheim mittels Ton- und Videoaufzeichnungen überwacht zu werden. Genauere Angaben zu seinem Verdacht konnte der Beschuldigte aber nicht machen. Im Rahmen dieses Gesprächs konnte er reflektieren, dass seine Schilderungen nur schwer nachvollziehbar sind. Er führte in diesem Zusammenhang an, bereits wegen Zwangs- und Angststörungen in psychotherapeutischer Behandlung zu sein.
Der Beschuldigte machte im Rahmen dieses Gesprächs den Polizeivollzugsbeamten und – beamtinnen gegenüber keinerlei Angaben zu suizidalen Absichten oder selbstverletzendem Verhalten. Auch sprach er weder Drohungen gegenüber anderen Personen aus, noch kündigte er Gewalttaten oder sonstige Straftaten an.
Durch die Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten wurde der Beschuldigte auf die Möglichkeit einer freiwilligen Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfe hingewiesen.
Im Ergebnis wurden keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat zum Nachteil des Beschuldigten festgestellt. Ebenso gab es keine Hinweise auf die Planung oder Absicht des Beschuldigten, eine Straftat zu verüben, so dass keine strafrechtlichen oder gefahrenabwehrenden Maßnahmen getroffen wurden.
Da die zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt erfolgte Gefährdungsbewertung keine Hinweise auf eine Eigen- oder Fremdgefährdung ergab, kam es entgegen der Medienberichterstattung nicht zu einer Einstufung gemäß Polizeidienstvorschrift (PDV) 129 Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD), unter Einbindung des zuständigen Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen (LZPD NRW).
- Wie wird sichergestellt, dass die Opfer und Augenzeugen dieser Tat bestmöglich psychologisch versorgt und begleitet werden?
Zur Beantwortung der Frage hat mir das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit Schreiben vom 30.06.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:
„Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat als durchführungsverantwortliche Behörde im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes den Tatbetroffenen u.a. eine psychologische Frühintervention in einer Trauma-Ambulanz angeboten. Auf diesem Weg kann Tatbetroffenen eine erststabilisierende psychologische Hilfe und Unterstützung ermöglicht werden.“
Zur Beantwortung der Frage hat mir das Ministerium der Justiz mit Schreiben vom 01.07.2022 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:
„Zur Beantwortung der Frage 4 der vorbezeichneten Kleinen Anfrage kann ich auf Grundlage des Berichts der Beauftragten für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen Folgendes beitragen:
Die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen hat dem Ministerium der Justiz unter dem 30.06.2022 wie folgt berichtet:
‚Die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen ist – in enger Abstimmung mit der örtlichen Notfallseelsorge, dem für nahegelegene Traumaambulanzen zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem polizeilichen Opferschutz – seit Bekanntwerden des Tatgeschehens damit befasst, alle Betroffenen über Hilfen und Unterstützungsangebote, insbesondere auch über psychologische Begleitung und Versorgung zu informieren und – soweit gewünscht – diese zu vermitteln.
Es sind im Einzelnen folgende Maßnahmen erfolgt:
-
- Durch das Büro der Beauftragten für den Opferschutz sind die Angehörigen der Verstorbenen und die körperlich Verletzten angeschrieben und auf die Erreichbarkeit des Büros – auch längerfristig – sowie auf Unterstützungsangebote hingewiesen worden;
- weitere Betroffene sind in Abstimmung mit dem Büro der Beauftragten für den Opferschutz durch den polizeilichen Opferschutz Dortmund telefonisch kontaktiert und insbesondere auf die zeitnahe Behandlung in einer Traumaambulanz hingewiesen worden;
- allen Studierenden ist zudem über die Hochschule die telefonische Hotline-Nummer einer Traumaambulanz bekannt gegeben worden;
- die Beauftragte für den Opferschutz hat mit zwei Mitarbeiterinnen und drei Fachkräften des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe und der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen am 23. Juni 2022 an Infoständen auf dem Gelände der Hochschule über Unterstützungsangebote informiert;
- in der Folge haben sich im Büro der Beauftragten für den Opferschutz weitere Betroffenen telefonisch gemeldet. Auch diese sind über Hilfeangebote informiert worden.
Die psychologische Begleitung und Versorgung der Betroffenen ist – soweit gewünscht – zeitnah möglich und sichergestellt. Die Beauftragten für den Opferschutz ist – auch in Zukunft – für die Betroffenen und die Vermittlung psychologischer Hilfen als Ansprechperson da.‘“
Durch den Opferschutz der zuständigen Kreispolizeibehörde Dortmund werden alle als Opfer oder Augenzeuginnen und Augenzeugen identifizierten Personen kontaktiert, um diesen Hilfsangebote zu unterbreiten. Weitere Maßnahmen werden durch die Opferschutzbeauftragten der zuständigen Kreispolizeibehörde, in denen sich der Wohn-/Aufenthaltsort der identifizierten Personen befindet, gewährleistet.