Neue Form der Gewalt – Linksextreme attackieren Privatpersonen – Wie ist die Lage in NRW?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 818
des Abgeordneten Markus Wagner vom 23.11.2022

Neue Form der Gewalt Linksextreme attackieren Privatpersonen Wie ist die Lage in NRW?

„Wir beobachten bereits seit einigen Jahren, dass gewaltbereite Linksextremisten ihre Strategie ändern.“1

Dies schildert der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, und richtet dabei den Blick auf Vorfälle, die sich in der jüngsten Vergangenheit ereignet haben. Gewaltbereite linke Gruppen versuchen durch Steinwürfe auf Politiker-Dienstwagen, durch Säureattacken auf das Wohnhaus eines Amtsrichters sowie durch Angriffe auf Privatfahrzeuge von Polizisten ihre politischen Gegner durch Attacken im persönlichen Lebensbereich einzuschüchtern. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass sich der Fokus der Angriffe immer häufiger auf Einzelpersonen richtet. Nicht nur Funktionsträger und Repräsentanten des Staates sind davon betroffen, sondern auch einfache Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden oder der Justiz.2

Im Jahre 2019 hatten Linksextremisten den Dienstwagen des Hamburger Innensenators, Andy Grote (SPD), mit Steinen und Farbbeuteln attackiert, als dieser privat mit seinem Sohn unterwegs war. Im August 2022 attackierten Linksextremisten das private Wohnhaus eines hamburgischen Amtsrichters mit Farbe und Buttersäure, nachdem er linke Gewalttäter der G­20-Krawalle aus dem Jahr 2017 verurteilt hatte.3

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte schon im Juli 2020 davor gewarnt, dass gewaltbereite Linksextremisten einen Strategiewechsel „von der Massenmilitanz hin zu klandestinen Kleingruppenaktionen“ vollziehen könnten und sich somit „vom Rest der Szene abspalten“.4 Darüber hinaus bestehe sogar die Möglichkeit, dass sich „terroristische Strukturen“ herausbilden könnten.5 Die Gewaltbereitschaft innerhalb der Szene sei so groß, dass die Täter schwerste Verletzungen oder sogar den möglichen Tod von Menschen „billigend in Kauf“ nehmen, wie Thomas Haldenwang, Präsident des BfV ausführt.6

Torsten Voß verweist in seinen Ausführungen ebenfalls darauf, dass Linksextremisten diverse Versuche unternehmen, um an gesellschaftlich relevante Diskussionen anzuknüpfen und somit demokratische Initiativen für linksextreme antidemokratische Ziele instrumentalisieren. Dazu werden vorrangig teils breit akzeptierte Themen wie Klimaschutz, der Kampf gegen Rechtsextremismus oder die Hilfe für geflüchtete Menschen benutzt. Das Ziel sei dabei ganz klar: Es sollen die Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Engagement aufgelöst werden.7

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Teilt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz ebenfalls die Bedenken und Warnungen des Hamburger Verfassungsschutzes, wonach Linksextremisten die Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Engagement aufzulösen versuchen?
  2. Wie viele Attacken/Anschläge, die als eine Art Einschüchterungsversuch im oben genannten Sinne gewertet werden können, haben sich in Nordrhein-Westfalen seit 2015 auf Funktionsträger und Repräsentanten des Landes ereignet?
  3. Wie viele Attacken/Anschläge, die als eine Art Einschüchterungsversuch gewertet werden können, haben sich in Nordrhein-Westfalen seit 2015 auf einfache Mitarbeiter, wie zum Beispiel der Sicherheitsbehörden, der Justiz, der Stadtverwaltung etc., ereignet?
  4. Welche (Er-)Kenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich eines Strategiewechsels innerhalb der linksextremistischen Szene im oben genannten Sinne vor?

Markus Wagner

 

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1 Vgl. h t t p s: / /w w w . w el t . d e / p olitik/deuts c h l a nd / a rt icle240879439/Innere-Sicherheit- H a m b ur g s – V e rf a s s u n gs sc hutz-warnt-vor-linksextremen-Attacken-auf-Privatpersonen.html.

2 Ebd.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Ebd.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 818 mit Schreiben vom 19. Dezember 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Zur statistischen Erfassung von Fallzahlen durch den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fäl­len der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK) verweise ich auf die Vorbemerkung der Landesregierung zur Kleinen Anfrage 401 (Drucksache 18/797).

Da das aktuelle Auswertejahr noch nicht abgeschlossen ist, handelt es sich bei den Fallzahlen für das Jahr 2022 um vorläufige Fallzahlen.

  1. Teilt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz ebenfalls die Bedenken und Warnungen des Hamburger Verfassungsschutzes, wonach Linksextremisten die Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Engagement aufzulösen versuchen?

Die nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbehörde berichtete über Entgrenzung im Links­extremismus insbesondere in den Verfassungsschutzberichten über die Jahre 2020 (Vorlage 17/5372, S. 157) und 2021 (Vorlage 17/6740, S. 173). Auf diese Berichterstattung wird ver­wiesen.

  1. Wie viele Attacken/Anschläge, die als eine Art Einschüchterungsversuch im oben genannten Sinne gewertet werden können, haben sich in Nordrhein-Westfalen seit 2015 auf Funktionsträger und Repräsentanten des Landes ereignet?

Die Begriffe „Attacken/Anschläge“, „Einschüchterungsversuch“ und „Funktionsträger“ sind keine festgelegten Definitionsbegriffe im Rahmen des KPMD-PMK. Die Auswertung be­schränkt sich deshalb auf Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Phänomenbereich PMK-Links. Das Themenfeld „Konfrontation/politische Einstellung/gegen Amts- und Mandatsträger“ wurde erstmalig im Jahr 2017 eingeführt, wes­halb eine Auswertung erst ab diesem Zeitpunkt möglich ist. Für die Jahre 2017 und 2018 wur­den insgesamt 47 politisch motivierte Straftaten erfasst, von denen sich neun gegen Amts- und/oder Mandatsträger des Landes Nordrhein-Westfalen richteten. In keinem dieser neun Fälle handelte es sich um ein Gewaltdelikt.

Im Jahr 2019 wurden die oben genannten Begriffe durch die Angriffsziele „Staat/Amtsträger“ und „Staat/Mandatsträger“ ersetzt, weshalb seit diesem Zeitpunkt eine automatisierte Auswer­tung der Straftaten mit Bezug zu den Angriffszielen „Staat/Land“, „Staat/Amtsträger“ und „Staat/Mandatsträger“ durchgeführt werden kann.

Für den Zeitraum 01.01.2019 bis 24.11.2022 wurden bislang 25 Straftaten mit den oben ge­nannten Abfragekriterien erfasst, von denen sich 22 gegen Amts- und Mandatsträger des Lan­des Nordrhein-Westfalen richteten. Bei keiner dieser Straftaten handelte es sich um ein Ge­waltdelikt.

  1. Wie viele Attacken/Anschläge, die als eine Art Einschüchterungsversuch gewertet werden können, haben sich in Nordrhein-Westfalen seit 2015 auf einfache Mitar­beiter, wie zum Beispiel der Sicherheitsbehörden, der Justiz, der Stadtverwaltung etc., ereignet?

Eine automatisierte Auswertung hinsichtlich der konkreten Fragestellung ist im KPMD-PMK nicht möglich.

Für die Jahre 2015 bis 2018 wurden bei der Auswertung des Phänomenbereichs PMK-Links zu den Themenfeldern „Innen- und Sicherheitspolitik/Justiz“, „Innen- und Sicherheitspolitik/Si-cherheitsbehörde“, „Innen- und Sicherheitspolitik/Polizei“ und „Konfrontation/Politische Ein­stellung gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole“ insgesamt 3.106 Straftaten er­fasst. Eine händische Auswertung nach den genannten Personengruppen ist im Rahmen der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

Vom 01.01.2019 bis 24.11.2022 wurden in Bezug auf die oben genannten Themenfelder 1.531 Straftaten erfasst, von denen sich 1.017 „gegen Personen bzw. allgemeine Personengruppen“ richteten. Inwiefern sich die Taten gegen „einfache Mitarbeiter“ richteten, wäre nur mittels Ein­zelfallauswertung zu ermitteln, was im Rahmen der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist.

  1. Welche (Er-)Kenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich eines Strategie­wechsels innerhalb der linksextremistischen Szene im oben genannten Sinne vor?

Im linksextremistischen Spektrum in Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 2020 ansatzweise Tendenzen zu einer Radikalisierung in der linksextremistischen Beeinflussung des Protestes gegen den Abbau im Rheinischen Braunkohlerevier erkennbar. Diese Entwicklung stagniert seither auf einem niedrigen Niveau. Der Umstand, dass einzelne linksextremistische Gewalt­straftaten von sich professionalisierenden Kleingruppen verübt werden, erfordert von den Si­cherheitsbehörden jedoch weiterhin ein konsequentes Vorgehen.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz berichtet über Radikalisierungstendenzen im Linksextremismus in Nordrhein-Westfalen in den Verfassungsschutzberichten über das Jahr 2020 auf den Seiten 150 bis 157 sowie über das Jahr 2021 auf den Seiten 138 und 139.

 

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Beteiligte:
Markus Wagner