NRW-Kitas vor dem „Kollaps“ bewahren: Weitere Betreuungsmodelle endlich ermöglichen!

Antrag

Antrag
der Fraktion der AfD

NRW-Kitas vor dem „Kollaps“ bewahren: Weitere Betreuungsmodelle endlich ermögli­chen!

I. Ausgangslage

Kinder sind schutzbedürftig. Ihren seelischen, körperlichen und geistigen Bedürfnissen ge­recht zu werden, hat eine herausragende Bedeutung für Politik und Gesellschaft. Doch gerade dieser Schutzauftrag scheint derzeit insbesondere in den Kindertageseinrichtungen in Nord­rhein-Westfalen nicht mehr gegeben zu sein. So sehen mittlerweile auch die nordrhein-west­fälischen Kitaverbände die Aufsichtspflicht in den Kitas gefährdet, hervorgerufen durch den sich seit Jahren aufstauenden Personalmangel in der frühkindlichen Bildung. In der derzeitigen Situation ist es keine Seltenheit mehr, wenn eine einzige Betreuerin alleine für eine Gruppe von 15–20 Kindern verantwortlich ist.

Zuletzt deckte die Bertelsmann-Studie im letzten Jahr die Missstände in den Einrichtungen auf. So fehlen im aktuellen Jahr 2023 alleine in NRW mehr als 100.000 Kita-Plätze. Das ist deutschlandweit der größte Mangel an fehlenden Plätzen – insgesamt fehlen in allen Bundes­ländern mehr als 380.000 Plätze. Um lediglich die Nachfrage an Betreuungsplätzen zu decken, müssten mehr als 24.000 weitere Fachkräfte eingestellt werden, wodurch zusätzliche Perso­nalkosten von über einer Milliarde Euro entstehen würden. Von den betreuten Kindern werden derzeit immer noch 72 Prozent in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht den wissen­schaftlichen Empfehlungen entsprechen.1 In Gruppen mit Unterdreijährigen ist aktuell eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für fast vier ganztagsbetreute Kinder verantwortlich – empfohlen wird hingegen eine Eins-zu-drei-Betreuung. Um nicht nur den Bedarf zu decken, sondern zu­sätzlich den Empfehlungen für eine angemessene Betreuung gerecht zu werden, müssten allein in NRW weitere 65.000 Fachkräfte ausgebildet und eingestellt werden. Mit Blick auf die aktuelle Situation in fast allen Kinderbetreuungseinrichtungen und dem immer größer werden­den Bedarf an Betreuungsplätzen scheint dies schier unmöglich – besonders dann, wenn nicht nur langfristig, sondern auch kurz- und mittelfristig das betroffene Personal, die Eltern und die Kinder entlastet werden sollen. Alternative Betreuungsmöglichkeiten, auf welche die Eltern ausweichen könnten, stehen derzeit nicht zur Verfügung.

Dieses massive Personalungleichgewicht ist allerdings kein neues Phänomen, sondern wurde bereits in vorherigen Erhebungen in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt – tat­sächliche Lösungen wurden seitens der regierungstragenden Fraktionen allerdings nie in An­griff genommen.

Somit sind die sich seit langer Zeit anbahnenden Missstände in doppelter Hinsicht nicht länger tragbar: Auf der einen Seite wird den Eltern, die ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren zuhause betreuen möchten, vom Staat kaum nennenswerte Unterstützung entgegengebracht. Auf der anderen Seite ist es für viele Eltern trotz eines Rechtsanspruchs auf Kita-Betreuung ab dem 1. Lebensjahr ein regelrechtes Glücksspiel, überhaupt einen Betreuungsplatz zu er­halten. Falls Eltern ein solches „Glückslos“ ziehen und für ihr Kind einen der raren Betreuungs­plätze bekommen, würde es mit großer Wahrscheinlichkeit in einer überfüllten Gruppe durch von Unterbesetzung geplagtes Personal betreut. Eine eigentlich erstrebenswerte individuelle Förderung der Kinder scheint in einem solchen Szenario kaum möglich.

Dieser Zustand ist sowohl für die Eltern, die händeringend nach einer angemessenen Betreu­ung ihrer Kinder streben, als auch für die Betreuer, welche sich gerne viel intensiver mit den Kindern beschäftigen würden, äußerst frustrierend. Auch wenn die pädagogischen Fachkräfte während der Arbeit ihr Bestes geben, arbeiten sie meistens bis an ihre Belastungsgrenze, wodurch die Bedürfnisse der Kinder immer häufiger auf der Strecke bleiben. Die Situation sorgt für einen denkbar schlechten Start ins Leben und kann die geistige, sprachliche, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder erheblich beeinträchtigen. Pädagogen warnen beispiels­weise davor, dass die zunehmend schlechten Betreuungsgegebenheiten „Verhaltensstörun­gen begünstigen, Trennungs- und Verlustängste fördern und zu frühkindlichen Regulations­störungen und sozialem Rückzug führen“ können.2

Allerdings bleibt es nicht bei den Folgen für Kinder, denn auch das pädagogische Personal ist massiv betroffen. So berichten Erzieher von katastrophalen Zuständen in den Einrichtungen. Zum größten Teil gehe es in Kitas nur noch um Betreuung statt um Bildung. Jedoch haben sich viele Erzieher aus ganz anderen Beweggründen für den Beruf entscheiden – sie wollen den Kindern etwas vermitteln. Auch wenn der Begriff der Bildung oftmals nur mit Schulen ver­bunden wird, so wird auch in Kitas gebildet, wenn auch mit anderen Mitteln. Durch die seit längerem bekannten Missstände wird ein hoher Wissensverlust zukünftiger Generationen zu­mindest billigend in Kauf genommen – für viele Erzieher ist es frustrierend, wenn man die Potenziale der Kinder sowie der Kollegen schwinden sieht.3

Auch der Sprecher des Deutschen Kitaverbandes (DKV) NRW warnt vor langfristigen Folgen durch den anhaltenden Personalmangel: „Dieser führe dazu, dass Fachkräfte den Betreuungs­ansprüchen nicht mehr gerecht werden können und die Branche verlassen. In der Landes­hauptstadt Düsseldorf sind laut Angaben der Stadt trotz aller Anstrengungen noch mehr als 100 Stellen nicht besetzt“.4 Da Personal fehlt oder bestehendes Personal die Branche auf­grund der unzureichenden Arbeitsbedingungen verlässt, wird es folglich immer schwieriger, neue Gruppen überhaupt öffnen zu können. Schlimmstenfalls könnten bald sogar Kita-Schlie­ßungen, Gruppenschließungen oder reduzierte Betreuungszeiten zum Regelfall werden.

Die Folgen sind vor allem in den bevölkerungsreichen Gebieten von NRW zu spüren. So fehlen beispielsweise in Köln mehr als 1.500 Betreuungsplätze – Tendenz steigend. Die viertgrößte Stadt Deutschlands schafft es somit nicht, dem Rechtsanspruch auf Betreuung gerecht zu werden. „Und das, obwohl die Kölner Kita-Gebühren im bundesweiten Vergleich exorbitant hoch sind. Sie betragen monatlich bis zu 640 Euro zuzüglich einkommensunabhängiger Kos­ten für das Mittagessen von bis zu 180 Euro“.5 Auch in Dortmund kommt es „zu Betreuungs­einschränkungen, beispielsweise durch eine Verkürzung der Betreuungszeit“, wie eine Spre­cherin der Stadt mitteilte. Mittlerweile wird der Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtun­gen (LEB) in NRW laut Angaben einer Sprecherin fast täglich wegen Betreuungsengpässen und Einrichtungsschließungen kontaktiert.6 Aber auch in kleineren Städten treten die Folgen der ausgedünnten Personaldecke allmählich zu Tage: Aufgrund einer Krankheitswelle des Personals konnte unter anderem in Hattingen oftmals nur noch die Notbetreuung seitens der Träger angeboten werden.7

Es gilt also dringender als je zuvor, schnell und vor allen Dingen effektiv zu handeln. Zuerst muss der Staat allerdings selbst anerkennen, dass der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder ab einem Jahr gescheitert ist und bis auf Weiteres wieder einkassiert werden muss. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um ein nicht einlösbares Versprechen.

Darauf aufbauend ist es dringend erforderlich, innovative Konzepte zu entwickeln, um das Kita-System langfristig am Laufen zu halten, damit allen Eltern, die einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen wollen, dies auch ermöglicht wird. Dazu zählt natürlich der weitere Ausbau der Kita-Infrastruktur durch neue Betreuungsplätze und die Gewinnung neuer Fachkräfte. Aber auch über die Möglichkeit, Quereinsteiger zur Entlastung des pädagogischen Personals ge­zielt und ihren Kompetenzen entsprechend einzusetzen, muss diskutiert werden. Eines ist un­strittig zu verdeutlichen: Auch wenn Quereinsteiger oder die viel gelobten Alltagshelfer eine willkommene Unterstützung und Entlastung darstellen, so muss doch festgehalten werden, dass die Betreuung unserer Kinder mit hohen Anforderungen und Vertrauen in die zuständigen Fachkräfte verbunden ist. Somit kann eine gut ausgebildete pädagogische Fachkraft nicht mit einem Quereinsteiger verglichen oder gar von ihm ersetzt werden.

Neben den seitens der regierungstragenden Fraktionen forcierten und nachweislich nicht aus­reichenden Initiativen eines Ausbaus von Kita-Plätzen sowie der Gewinnung neuer pädagogi­scher Fachkräfte wäre nun endlich ein weiteres Betreuungsmodell für Kinder unter drei eine wichtige Weichenstellung, um die Kita-Infrastruktur, das Personal und die Kinder kurz- und mittelfristig zu entlasten: Eltern ist seitens der Politik endlich eine Wahlfreiheit über die Betreu­ung ihrer Kinder zu ermöglichen.

Denn unabhängig von den verheerenden Zuständen in der Kita-Landschaft sollte die Entschei­dung, in welcher Struktur Eltern ihre Kinder aufwachsen lassen möchten, alleine ihnen über­lassen werden. Das bedeutet, dass Eltern von Kindern unter drei Jahren selbst entscheiden sollen, ob sie ihr Kind in eine Kita geben oder doch lieber von einem Elternteil oder einem nahestehenden Verwandten zuhause betreuen lassen wollen. Dazu gehört natürlich ein ma­terieller Ausgleich für Eltern oder auch Alleinerziehende, die sich selbst der Erziehung ihrer Kleinkinder widmen, sowie auch eine Art der Vergütung für Familienangehörige und Tages­mütter. Es ist das Grundrecht von Eltern, für ihre Kinder sorgen zu dürfen, ohne dabei ein Armutsrisiko einzugehen zu müssen. Wenn sich also ein oder gar beide Elternteile dafür ent­scheiden, teilweise auf die Berufsausübung zu verzichten, um sich zu Hause um die Erziehung und Betreuung der Kinder zu kümmern, muss es einen finanziellen Ausgleich für etwaige Ver­dienstausfälle geben.

Das sehen auch immer mehr Eltern so: Eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts INSA ergab, dass sich eine Mehrheit von 55 Prozent bei der U3-Betreuung die Wahlfreiheit statt einer einseitigen Krippenfinanzierung wünschte.8 Es ist nun also Aufgabe der Politik, der Schieflage in der frühkindlichen Betreuung entgegenzuwirken und gleichzeitig dem Wunsch vieler Eltern unseres Landes gerecht zu werden. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel und dafür, die Möglichkeit weiterer Betreuungsmodelle der U3-Betreuung endlich zu realisieren.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Der Schutzauftrag für und die qualitativ hochwertige Betreuung von Kindern haben eine herausragende Bedeutung für Politik und Gesellschaft.
  2. Der Personalmangel ist das drängendste Problem im Bereich der Kinderbetreuung.
  3. Als Folge dessen entspricht die Betreuung vielfach nicht den wissenschaftlich empfoh­lenen Standards.
  4. Die bisherigen Lösungsversuche konnten die strukturellen Probleme nicht lösen.
  5. Die dramatischen Zustände in den NRW-Kitas haben massive Auswirkungen auf die geistige, sprachliche, emotionale und soziale Entwicklung von Kindern und können Ver­haltensstörungen begünstigen, Trennungs- und Verlustängste fördern und zu frühkindli­chen Regulationsstörungen und sozialem Rückzug führen.
  6. Die Personalsituation macht den Beruf für pädagogisches Personal unattraktiv, wodurch sich die Situation noch weiter zuspitzt und der Ausbau notwendiger weiterer Betreuungs­plätze verhindert bzw. ausgebremst wird.
  7. Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kinder ab einem Jahr ist gescheitert, er hat sich als ein nicht einlösbares Versprechen entpuppt.
  8. Um das Kita-System langfristig am Laufen zu halten, sind innovative Konzepte zur Fach­kräftegewinnung und -haltung erforderlich.
  9. Neben dem Ausbau von Betreuungsplätzen und der Gewinnung neuer pädagogischer Fachkräfte ist die Ausweitung auf weitere Betreuungsmodelle die einzige Möglichkeit, auch kurz- und mittelfristig das Kita-Personal, die Eltern und Kinder zu entlasten.
  10. Durch die Wahlfreiheit, die es Eltern zukünftig ermöglichen würde, die Kinder in den ers­ten drei Lebensjahren zuhause selbst betreuen oder durch nahestehende Verwandte betreuen lassen zu können, würde nicht nur das Kita-System entzerrt, sondern auch dem Wunsch vieler Eltern genüge getan.

III. Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf:

  1. Um den Kita-Ausbau auch weiterhin voranzutreiben und um allen Eltern die Möglichkeit zu gewähren, sofern sie es denn wollen, einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu bekom­men, in Sachen Fachkräftegewinnung endlich aktiver zu werden. Dazu zählt die bessere Ausgestaltung sowohl der Ausbildungs- als auch Arbeitsbedingungen – ein Brief der Fa­milienministerin Josefine Paul Ende Dezember 2022 an die Verbände, in welchem sie die dramatische Personalsituation adressierte, reicht hier nicht aus;
  2. Eine nach pädagogisch sinnvollen Erkenntnissen festgelegte Gruppengröße schnellst­möglich zu realisieren. Viele Kinder in Kitas werden leider auf zu engem Raum mit zu vielen anderen Kindern betreut. Doch es ist bekannt, dass eine kleine Gruppengröße sich positiv auf die Entwicklungsbegleitung von Kindern sowie die Gesundheit von Kin­dern und Erziehern auswirkt;
  3. Die einseitige Krippenfinanzierung, die vor allem durch die aktuellen Zustände in den Einrichtungen nicht mehr hinnehmbar ist, durch eine Ausweitung der Betreuungsmodelle zu ersetzen. Eltern soll es zukünftig möglich sein, ihre Kinder in den ersten drei Lebens­jahren zuhause selbst zu betreuen oder durch einen nahestehenden Verwandten be­treuen lassen zu können. Etwaige Verdienstausfälle sollen durch einen materiellen Aus­gleich kompensiert werden.

Zacharias Schalley
Andreas Keith
Dr. Martin Vincentz

und Fraktion

 

1 Htt ps:// w w w . b e r t e l s m a n n – s t i f t u n g . d e / d e / t h emen/aktuelle-meldungen/2022/ok-tober/2023-fehlen-in-deutschland-rund-384000-kita-plaetze (abgerufen am 09.01.2023)

2 Htt ps://w w w . p r e s s e p o r t a l . d e / p m / 5 2 6 7 8 / 5 3 86455. (abgerufen am 09.01.2023)

3 https://www.spiegel.de/karriere/ueberlastung-bei-erziehern-vier-erzieher-berichten-a-0eca1301-fcc9-4687-b7ae-f76a4d57015c (abgerufen am 10.01.2023)

4 Htt p s : / / w w w . t a g e s s c h a u . d e / i n l a nd/regional/nordrheinwestfalen/wdr-story-53041.html (abgerufen am 09.01.2023)

5 Htt ps:// w w w . k s t a . d e / k o e l n / k i t a -notstand-in-koeln-das-verschwiegene-versagen-der-stadt-378910?cb= 1 6 7 3 3 4 8 5 4 6 9 1 1 (abgerufen am 10.01.2023)

6 Htt p s : / / w w w . t a g e s s c h a u . d e / i n l a n d / r e g ional/nordrheinwestfalen/wdr-story-53041.html (abgerufen am 09.01.2023)

7 Htt p s : / / w w w . w a z . d e / s t a e d t e / h a t t i n g e n / hattingen-viele-kitas-bieten-nur-noch-notbetreuung-an-id237091363.html (abgerufen am 10.01.2023)

8 Htt ps://familienarbeit-heute.de/in sa-studie (abgerufen am 10.01.2023)

 

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