Oberverwaltungsgericht NRW verlangt Entfernung negativer Einordnungshinweise der Stadtbücherei Münster an zwei ‚umstrittenen‘ Büchern

Kleine Anfrage
vom 21.07.2025

Kleine Anfrage 6135 vom 21. Juli 2025
des Abgeordneten Dr. Hartmut Beucker AfD
Drucksache 18/14891

Oberverwaltungsgericht NRW verlangt Entfernung negativer Einordnungshinweise der Stadtbücherei Münster an zwei ‚umstrittenen‘ Büchern

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

Die Stadtbücherei Münster hatte an zwei Büchern einen Warnhinweis angebracht: „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs-, und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“1

Es handelte sich um die Bücher „2024 – das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, ver­gessen“ von Gerhard Wisniewski und „Putin, Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud.2

Einer der Autoren hatte geklagt und war in der Vorinstanz unterlegen, als das Verwaltungsge­richt Münster am 11. April 2025 urteilte, dass ein Einordnungshinweis, den die Stadtbücherei Münster in einem Buch angebracht hatte, nicht die Grundrechte des Autors verletze (Az. 1 L 59/25).34

Zustimmung zu diesem Urteil kam vom Bibliotheksverband NRW: „Das Urteil unterstreicht, dass Bibliotheken keine zur Neutralität verpflichteten, passiven Ausleihbetriebe sind. Vielmehr haben sie eine aktive, vermittelnde Rolle, indem sie die Inhalte ihrer Medien für ihre Kundinnen und Kunden einordnen.“5

Das Oberverwaltungsgericht NRW hat nun am 8. Juli 2025 letztinstanzlich anders entschieden (Az. 5 B 451/25).678

„Leitsätze:

  1. Der in einem Buch von einer öffentlichen Bibliothek angebrachte Hinweis „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs-, und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ stellt einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Autors dar.
  2. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil er von der Aufgabenzuweisung im Kulturge­setzbuch NRW nicht erfasst ist. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass sich mündige Staatsbürger in öffentlichen Bibliotheken mit Informationen versorgen, um sich – ohne insoweit gelenkt zu werden – eine eigene Meinung zu bilden.

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den in den zwei in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des vom Antragsteller verfassten Buchs „J.“ angebrachten Einordnungshinweis („Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs-, und Informationsfreiheit zur Verfügung ge­stellt.“) zu entfernen.“9

Im Beschluss stellt das Oberverwaltungsgericht weiter fest:

„Der Einordnungshinweis stellt einen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG dar. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schäd­lich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Über den Inhalt einer Äußerung hinaus erstreckt sich der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch auf ihre Form, so dass auch polemische oder verletzend formulierte Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts fallen. Insbeson­dere in der öffentlichen Auseinandersetzung vermittelt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern. Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie deshalb nicht dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.“10

Auch Form und Inhalt ändert daran nichts: „Die zurückhaltende und äußerlich wie sprachlich sachlich gehaltene Gestaltung des Einordnungshinweises ändert an der dargestellten Ein­griffsqualität des Einordnungshinweises nichts. Ein derartiger Hinweis ist – auch bei wie hier vorsichtig gehaltener Formulierung – geeignet und auch dazu bestimmt, auf die Aufnahme des Buchs und der darin geäußerten Meinung negativ, nämlich abschreckend oder anprangernd einzuwirken.“11

Das Oberverwaltungsgericht sieht auch einen Eingriff in die Pressefreiheit und in das allge­meine Persönlichkeitsrecht des Antragsstellers und sieht für Einordnungshinweise keine Grundlage im Kulturgesetzbuch NRW: „Die Äußerung der Antragstellerin in Form des Einord­nungshinweises ist nicht von der Aufgabenzuweisung in den §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW gedeckt. Das Verwaltungsgericht geht zwar zu Recht davon aus, dass öffentlichen Bibliotheken über die Ausleihe von Medien hinausgehende kulturelle Funktionen durch den Gesetzgeber ausdrücklich zugewiesen sind. Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2023 – 4 D 94/20.NE, NWVBI. 2023, 410 juris, Rb. 105 ff. Diese gesetzlich vorgesehenen Funktionen umfassen aber keine negative inhaltliche Bewertung der zur Verfügung gestellten Medien in Form eines Einordnungshinweises.“12

Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 6135 mit Schreiben vom 26. August 2025 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie beurteilt die Landesregierung die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW auch in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 GG?
  2. Teilt die Landesregierung die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts NRW in Bezug auf nicht vorhandene Aufgabenzuweisung in den §§ 47, 48 Kulturgesetz­buch NRW?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwor­tet.

Die Landesregierung respektiert die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen.

  1. Wie ordnet die Landesregierung die Stellungnahme des Bibliotheksverbands NRW zum Urteil des Verwaltungsgerichts ein?

Die Landesregierung versteht die Stellungnahme des Bibliothekverbands als einen Beitrag im Rahmen des Diskurses zum Beschluss des Verwaltungsgerichts.

  1. Inwiefern gedenkt die Landesregierung das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW in Gesprächen mit den Bibliotheken bzw. dem Bibliotheksverband anzuspre­chen?

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen wird im Rahmen des regu­lären Austauschs des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft mit dem Verband der Biblio­theken des Landes Nordrhein-Westfalen besprochen.

  1. Welche Auswirkungen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sieht die Landesregierung auf die Tätigkeit von Meldestellen (bspw. „Trusted Flaggers“, Abmahnkanzleien)?

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen betrifft einen spezifischen bibliothekarischen Kontext. Vor diesem Hintergrund ist eine pauschale Bewertung der Auswir­kungen des Beschlusses auf die Tätigkeit dieser Stellen nicht möglich.

 

MMD18-15449

 

1 Claudio Casula, Von wegen „umstritten“: Oberverwaltungsgericht NRW untersagt der Stadtbücherei Münster „Warnhinweise“ auf Büchern, nius.de, 11.7.2025

2 Ebenda

3 Verwaltungsgericht Münster, 1 L 59/25, nrwe.justiz.nrw.de, 11.4.2025

4 Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Eilantrag gegen Einordnungshinweis der Stadtbü­cherei Münster erfolglos, kommunen.nrw, 16.4.2025

5 Claudio Casula, Von wegen „umstritten“: Oberverwaltungsgericht NRW untersagt der Stadtbücherei Münster „Warnhinweise“ auf Büchern, nius.de, 11.7.2025

6 Stadtbücherei darf vor Buchinhalten nicht warnen, lto.de, 9.7.2025

7 OVG NRW: Bibliothek darf Buch nicht negativ kennzeichnen, juraforum.de, 9.7.2025

8 Stefan Werding, Autor leugnet Mondlandung: Stadtbücherei muss Warnung aus Buch entfernen, wn.de, 8.7.2025

9 Oberverwaltungsgericht NRW, 5 B 451/25, nrwe.justiz.nrw.de, 8.7.2025

10 Ebenda

11 Ebenda

12 Ebenda