Antragder AfD-Fraktion vom 11.05.2021
„OZG 2.0“: Die Digitale Verwaltung von Morgen neu denken – Die Digitalisierung der Verwaltung darf nicht an der „föderalen Firewall“ scheitern.
I. Ausgangslage
Während der letzten Legislaturperiode hatten die Bundesregierung und die Chefs der Länder erkannt, dass es einen immensen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung der Verwaltung gibt. Schon im Gesetzentwurf der Bundesregierung „Gesetz zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften“, in welchem in Artikel 9 das „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsdienstleistungen“ enthalten war, wurde angemerkt, dass beim EU-Digitalisie-rungsindex der Verwaltung von 2016 (DESI2016) Deutschland im Vergleich der EU-Mitgliedsstaaten nur Platz 18 von 28 belegt.1
Im Jahr 2020, also zwei Jahre vor Ende der Umsetzungsfrist und drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Onlinezugangsgesetzes (OZG), steht Deutschland im EU-weiten Vergleich auf Platz 21.2 Mittlerweile verschlechtert Deutschlands „Underperformance“ im internationalen Vergleich im Hinblick auf die Digitalisierung selbst den Ranking-Platz der Verwaltung der EU negativ.
In 19 Monaten, also am Jahresende 2022, sollen laut OZG sämtliche Verwaltungsdienstleistungen, ganz gleich, ob es sich dabei um Kommunal-, Landes- oder Bundesdienstleistungen handelt, digital abgewickelt werden können.
Mit der Koordinierung der OZG- Umsetzung wurde der durch einen Bund-Länder-Staatsvertrag im Jahre 2010 geschaffene IT-Planungsrat beauftragt. Dort sollen Bund, Länder und Kommunen „gemeinsam an der Umsetzung des Portalverbunds und an einheitlichen Vorgaben für die Nutzerkonten“3 arbeiten.
Mit Schaffung des Artikels 91c des Grundgesetzes 2009 sowie dessen Ergänzung um Absatz 5 im Jahre 2017, wurde das gemeinsame Zusammenwirken von Bund und Ländern mittels IT-Systemen definiert und damit in den Verfassungsrang gehoben.
Seit dem Jahre 2020 wird der IT-Planungsrat durch die operativ tätige „Föderale IT-Koopera-tion“ (FITKO) mit Sitz in Frankfurt am Main unterstützt.
Nach dem „Einer-für-Alle-Prinzip“ (EfA) sollen Digitalisierungsverfahren mittels einzelner Länderprojekte kreiert, erprobt und letztendlich bundesweit implementiert werden.
Insgesamt gibt es 14 Themenfelder; das Land Nordrhein-Westfalen hat dabei die federführende Entwicklung der Bereiche „Arbeit & Ruhestand“ (mit ca. 30 OZG-Dienstleistungen), und „Engagement & Hobby“ (gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden) übernommen. Das Jahr 2021 soll, laut Versprechen vieler Akteure, „ein Jahr der Umsetzung“ werden. Auch die NRW-Landesregierung stellt die Finalisierung zentraler Verwaltungsportale des Landes und der Kommunen in Aussicht.4
Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart hat in einem schriftlichen Bericht an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation den Stand der OZG-Umsetzungen in NRW vom März 2021 vorgelegt; darin wurden vor allem bestehende und beabsichtigte Kooperationen sowie Finanzierungen und initiierte Beispielprojekte dargestellt. Ein konkreter Umsetzungsstand aller geplanten OZG-Dienstleistungen wurde leider nicht mitgeteilt.5 Erhellend war allerdings der Verweis, dass die Kommunen das Portal des Landes „Kommunalportal.NRW“ freiwillig nutzen können. Im Rahmen einer Anhörung zur Novellierung des E-Government-Gesetzes im Mai 2020 hatten Sachverständige allerdings Kritik am umgangenen Konnexitätsprinzip geübt.6
Der Rückstand Deutschlands bei der Verwaltungsdigitalisierung wird jedoch meist nur von Akteuren der unteren und mittleren Entscheiderebene thematisiert. Offizielle Äußerungen zum Stand der OZG-Umsetzungen verweisen auf das OZG-Dashboard (Ende 2020 veröffentlicht).
Darin ist zu erfahren, dass bisher 315 Leistungen verfügbar sind: Verfügbarkeit bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass bundesweit diese OZG-Leistungen in mindestens einer Kommune auf mindestens Reifegrad 2 angeboten werden (es steht dem Bürger ein digitaler Formularassistent zum Ausfüllen eines Dokumentes zur Verfügung).
Der Reifegrad 3 einer OZG-Leistung (der innerhalb des OZG-Rahmens geforderte finale digitale Reifegrad) wäre eine vollständige Bearbeitung und digitale Versendung des Antrags inklusive der erforderlichen Nachweise.
Ein Reifegrad 4 einer OZG-Leistung – und damit zwar internationaler Standard, aber nicht im OZG vorgeschrieben – ist eine vollständig digital abgewickelte Leistung nach dem once-only-Prinzip.7
14 Themenfelder umfassen 575 OZG-Leistungen und über 5.500 einzelne „Leistungskatalog-Leistungen (LeiKa-Leistungen)“. So enthält zum Beispiel die OZG-Leistung „BAföG“ 19 separate Leistungskatalog-Leistungen.
Nach mehr als zwei Jahren der Entwicklung und Erprobung wurden bisher 16 Leistungen (entspricht 2,66%) der OZG-Leistungen, inklusive aller LeiKa-Leistungen, vollständig bundesweit umgesetzt.8
Anlässlich des aktuellen Umsetzungsstands der OZG-Leistungen stellte eine ehemalige VI-TAKO-Geschäftsführerin eine: „überaus erschütternde Bestandsaufnahme weniger als zwei Jahre vor Fristende“9 fest.
Bei den Kommunen herrscht mittlerweile begründeter Pessimismus darüber, ob alle vorgegebenen Umsetzungsaufgaben bis zum Stichtag erfüllt werden können. Wesentliches Hemmnis bei der Umsetzung ist neben der finanziellen Situation die personelle Ausstattung:
Das F.A.Z.-Institut erklärte in seinem Branchenkompass Public Sector 2020, dass „72% der Entscheider bei Bund, Ländern und Kommunen von nicht besetzten IT-Stellen berichten“10.
Die Zeitschrift „eGovernment Computing“ berichtete im Februar 2021, dass im Rahmen des Kongresses der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) „Digitale Kommune unplugged“ den Teilnehmern folgende Frage gestellt wurde: „Welches Wort beschreibt ihre aktuelle Gemütslage zum OZG am treffendsten?“ Das Ergebnis war ein wenig ernüchternd:
„Chaos, Unsicherheit, Verwirrung, Zeitdruck und Verzweiflung, sind die zentralen Begriffe, die das aktuelle Bild der OZG-Umsetzung beschreiben, heißt es im Positionspapier des Kongresses. Dies bestätigen auch unsere Diskussionsergebnisse mit kommunalen Entscheidungsträger / innen im Rahmen unterschiedlicher KGSt-Projekte.“11
Beim im März 2021 virtuell ausgerichteten „IT-Planungsrat-Kongress“ in Dresden wurde die OZG-Umsetzung in den Kommunen problematisiert. Vor allem die fehlende „Basis-Förderung“ der Kommunen lässt bei den kleineren Gemeinden ein Gefühl des „Alleingelassenwerden“ entstehen. Aber auch große Kommunen wie Köln oder Leipzig bezweifeln den Erfolg der OZG-Umsetzung. Der Hauptamtsleiter der Stadtverwaltung Leipzig und die Digitalisierungsverantwortliche der Stadt Köln, konstatierten auf dem Kongress, dass „die Kommunen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangt sind“.12
Sie plädieren dafür, dass Bund und Länder zentrale IT-Strukturen, einheitliche gemeinsame Lösungen und eine Vereinfachung bei den Fachverfahren schaffen und damit den Kommunen die Ausübung ihrer primären Aufgaben wieder ermöglichen.
In ihren Dresdner Forderungen schlagen die Vertreter der Städte Köln, Essen, Leipzig, Freiburg und München eine „föderale Revolution“ vor: Unter anderem soll es einen One-Stop-Shop für zentrale IT-Verfahren und Prozesse unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz (KI) geben. Zudem sollen digitalisierte Pflichtaufgaben an die „Herausgeberebene“ (Land/Bund) delegiert werden. Online-Services sollen je nach Verwaltungsaufgabe auf der Ebene des Bundes oder der Bundesländer den Kommunen zentral zur Verfügung gestellt werden.13
Aus diesen Forderungen wird ersichtlich: Die Kommunen wollen vollständig digitalisiert werden und sehen die zukünftigen Interaktionen mit dem Bürger mehrheitlich auf digitaler Ebene. Vor allem die kleineren Kommunen wollen und müssen aber auch technisch, finanziell und zudem mit genügend technischen Knowhow unterstützt werden, damit die Umstellung aller Verwaltungsdienstleistungen für jeden Bürger flächendeckend erfahrbar wird.
II. Der Landtag stellt daher fest:
- Kommunen sind mit ihrem unmittelbaren Kontakt zum Bürger Hauptbetroffene der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes.
- Die Mehrzahl der Gemeinden ist durch ihre geringe Finanzkraft und ihre dünne Personaldecke nicht in der Lage, ihre Verwaltungskompetenzen bei der Umsetzung des OZGs einfließen zu lassen.
- Zentrale Lösungen mit einheitlichen Standards in Technik und Layout sind preiswerter und bedienungsfreundlicher als lokale oder regionale Insellösungen.
- Landesweit bzw. bundesweit einheitliche, kommunenübergreifende Portallösungen sind dem Nebeneinander verschiedener kommunaler und regionaler Insellösungen vorzuziehen, auch wenn diese im Einzelfall qualitativ hochwertiger sein mögen.
- Die 3,3 Milliarden Euro des sogenannten „Corona-Konjunkturpakets“ des Bundes aus dem Jahre 2020 sowie das „Einer-für-Alle (EfA)-Prinzip“ können die OZG-Umsetzung vor allem auf Länderebene beschleunigen; diese Möglichkeit wird oftmals durch personelle und strukturelle Defizite in den Kommunen konterkariert.
- Digitalisierung soll nicht an Landes- und Kommunengrenzen halt machen. Die „föderale Firewall“ bei der OZG-Umsetzung ist nicht mehr zeitgemäß.
- Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist bei der Digitalisierung der Verwaltung einer der Hauptumsetzungswünsche. Erst die Zusammenlegung von Daten und von damit verbundenen Dienstleistungen lassen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz sowohl bei der Datenauswertung als auch bei der Kommunikation mit dem Bürger effizient und kostengünstiger werden.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- sich im Bundesrat dafür einzusetzen, die Dresdner Forderungen des IT-Planungsratkongresses vom März 2021 als Richtschnur für eine Reform des Onlinezugangsgesetz aufzunehmen;
- im Bundesrat eine Initiative „OZG 2.0“ zu starten, um im Sinne des Artikels 91c GG den Kommunen einheitliche, funktionierende und praktikable Portallösungen für digitale Verwaltungsdienstleistungen verpflichtend zur Verfügung zu stellen. Hierzu muss das „Einer-für-Alle“-Prinzip konsequenter und unter verstärkter Einbeziehung der Kommunen umgesetzt und durchgesetzt werden;
- sich gemeinsam mit dem Bund und den anderen Bundesländern für eine weitere finanzielle, personelle und administrative Entlastung der Kommunen bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes stark zu machen. Die auf kommunaler Ebene entstehenden OZG-Umsetzungskosten sollen durch den Bund und die jeweiligen Bundesländer kompensiert werden.
Sven W. Tritschler
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0801-0900/814-
16.pdf?__blob=publicationFile&v=5
2 https://ec.europa.eu/newsroom/dae/document.cfm?doc_id=67084
3 https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/grundlagen/info-ozg/architektur/architektur-node.html
4 Behörden Spiegel Ausgabe März 2021
5 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-4771.pdf
6 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA17-999.pdf S.20
8 https://ozg.verdrusssache.de/
9 https://www.kommune21.de/meldung_35742_r
10 Branchenkompass Public Sector 2020: Mitarbeiter stärker beteiligen | Kommune21 – E-Government, Internet und Informationstechnik
11 https://www.egovernment-computing.de/efa-in-der-kritik-a-998510/
12 https://www.kommune21.de/druck/meldung_35898_OZG+und+wie+es+weiter+geht.html
13 https://www.it-planungsrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachkongress/9FK2021/Tag_2_Kommunaleverwaltung_w eiterdenken.pdf?__blob=publicationFile&v=1