Prozess um versuchten Mord geplatzt – Schöffin unter Verdacht der Befangenheit

Kleine Anfrage
vom 02.10.2023

Kleine Anfrage 2715

der Abgeordneten Markus Wagner und Dr. Hartmut Beucker AfD

Prozess um versuchten Mord geplatzt Schöffin unter Verdacht der Befangenheit

Am 19. Februar dieses Jahres kam es in Rheda-Wiedenbrück zu einem hinterlistigen Angriff auf zwei Angestellte des „Circus Lollipop“. Nach „Bild“-Informationen sollen die Artisten K., B. und dessen 16-jähriger Sohn sowie der Zirkusdirektor B. die angestellten ukrainischstämmigen Eheleute L. und V., 34 und 35 Jahre alt, abends unter einem Vorwand hinterhältig mit Baseballschlägern und anderen Schlagwaffen attackiert und lebensbedrohlich verletzt haben. Der Mann erlitt demnach Kopfverletzungen in einem solch schweren Ausmaß, dass er notoperiert werden musste. Die Frau erlitt ebenfalls schwere Verletzungen und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Der Grund dieser brutalen Tat sollen Meinungsverschiedenheiten über Geld gewesen sein. So soll das Ehepaar gedroht haben, den Zirkus zu verlassen, da sie sich „ausgebeutet“1 fühlten.

Nun stand die Verhandlung zu dem oben beschriebenen Vorfall wegen versuchten Mordes an und die ersten vier Prozesstage wurden bereits absolviert. Jedoch muss nun der gesamte Prozess neu verhandelt werden, da einer mitwirkenden Schöffin der Verhandlung „Voreingenommenheit“2 unterstellt wird, wie der zuständige Richter erklärt. Die als Grünen-Politikerin aktive Schöffin Z. habe sich kurz vor Abschluss der Beweisaufnahme in einem Leserbrief an die Lokalzeitung gewandt, in welchem sie ihre Sicht auf das Geschehen erläuterte und scheinbare Fehler in der Berichterstattung aufzeigte. Zuletzt habe sie darauf hingewiesen, in Zukunft selbst die Prozessberichterstattung der Redaktion übernehmen zu können. Die Redaktion der Zeitung leitete den Brief jedoch an das zuständige Bielefelder Landgericht weiter, woraufhin die Verteidigung Befangenheitsanträge stellte und der Prozess neu angesetzt werden musste. Z. selbst wies die Vorwürfe der Befangenheit zurück und erklärte, dass sie nur zu einer besseren Berichterstattung beitragen wollte.3

Schöffen werden generell vor dem Einsatz in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in Schulungen belehrt, privat, aber vor allem auch in der Öffentlichkeit keine Äußerungen über laufende Prozesse zu tätigen. Die durch den Prozessabbruch entstandenen Kosten belaufen sich auf etwa 20.000 Euro, die allem Anschein nach von Seiten des Staats getragen werden müssen. Vorerst sei weiterhin unklar, ob die Schöffin lebenslang von ihren Pflichten entbunden werde.4

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtige, Tathergang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)
  2. Was ist über die als Schöffin aktive Grünen Politikerin Z. bekannt? (Bitte in die Antwort mit aufnehmen, seit wann sie als Schöffin tätig ist, wie viele Prozesse sie bearbeitet hat, seit wann sie bei der Partei Bündnis90/Die Grünen aktiv ist, angeben, ob sie als befangen erklärt wurde und lebenslang aus dem Schöffendienst entfernt wird, sowie sonstige wichtige Aspekte nennen.)
  3. Wie oft kam es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW zu Gerichtsprozessen, die wegen Befangenheit oder anderen Gründe abgebrochen und neu verhandelt werden mussten? (Bitte nach Jahr, Ort, Anzahl der bereits durchgeführten Prozesstage und Grund des Abbruchs aufschlüsseln.)
  4. Wie hoch sind die jeweiligen durch den Abbruch entstandenen Verhandlungskosten? (Bitte nach Jahr und Ort aufschlüsseln sowie mit in die Antwort aufnehmen, wer die Kosten tragen musste.)
  5. Sieht die Landesregierung aufgrund dieses Vorfalls Anlass zur Anpassung der Schulung für das Ehrenamt der Schöffen bzw. zu einem Ausschluss für Personen mit politischen Ämtern für dieses Amt?

Markus Wagner

Dr. Hartmut Beucker

 

MMD18-6214

 

1 https://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/ruhrgebiet-aktuell/richter-hat-zweifel-an-ihrer-neutralitaet-schoeffin-laesst-zirkus-prozess-platze-85434798.bild.html.

2 Ebenda.

3 Ebenda.

4 Ebenda.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2715 mit Schreibe vom 31. Oktober 2023 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Er­mittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtige, Tather­gang, Vorstrafen der Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürger­schaften der Tatverdächtigen, seit wann die Tatverdächtigen im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft sind, Vornamen und Mehrfachstaatsange­hörigkeit bei deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Er­kenntnisse über die Tatverdächtigen nennen.)

Die Leitende Oberstaatsanwältin in Bielefeld hat dem Ministerium der Justiz unter dem 17.10.2023 zu dem mit der Kleinen Anfrage angesprochenen Sachverhalt im Wesentlichen berichtet, sie habe mit Blick auf den konkreten Inhalt des Leserbriefes keinen Anlass gesehen, gegen die Schöffin ein Ermittlungsverfahren – insbesondere wegen verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen oder Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht – einzuleiten.

  1. Was ist über die als Schöffin aktive Grünen Politikerin Z. bekannt? (Bitte in die Antwort mit aufnehmen, seit wann sie als Schöffin tätig ist, wie viele Prozesse sie bearbeitet hat, seit wann sie bei der Partei Bündnis90/Die Grünen aktiv ist, angeben, ob sie als befangen erklärt wurde und lebens­lang aus dem Schöffendienst entfernt wird, sowie sonstige wichtige As­pekte nennen.)

Frau Z. ist in der laufenden Amtsperiode seit dem 01.01.2019 bei dem Landgericht Bielefeld als Jugendhauptschöffin tätig. Diese Periode dauert noch bis zum 31.12.2023 an. Seit dem 01.01.2019 war sie an sieben Verfahren beteiligt. In den vorangegangenen drei Amtsperioden seit 2005 war Frau Z. dagegen nicht als Schöffin bei dem Landgericht Bielefeld tätig.

Die Schöffin ist in dem im Rahmen der Kleinen Anfrage erwähnten Strafverfahren von der Verteidigung als befangen abgelehnt worden. Der Antrag ist für begründet erklärt worden.

Eine lebenslange Entfernung aus den Schöffendienst ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ein Amtsenthebungsverfahren gem. § 77 Abs. 1 GVG i.V.m. § 51 Abs. 1 GVG ist eingeleitet worden.

Informationen über die politische Tätigkeit der Schöffin liegen nicht vor.

  1. Wie oft kam es seit 2015 bis heute pro Jahr in NRW zu Gerichtsprozessen, die wegen Befangenheit oder anderen Gründe abgebrochen und neu verhandelt wer­den mussten? (Bitte nach Jahr, Ort, Anzahl der bereits durchgeführten Prozess­tage und Grund des Abbruchs aufschlüsseln.)

Eine Beantwortung dieser Frage ist weder anhand der im Ministerium der Justiz vorliegenden statistischen Daten noch anhand der vorliegenden Haushaltsdaten möglich.

  1. Wie hoch sind die jeweiligen durch den Abbruch entstandenen Verhandlungskos­ten? (Bitte nach Jahr und Ort aufschlüsseln sowie mit in die Antwort aufnehmen, wer die Kosten tragen musste.)

Die Höhe der Kosten, die in einem Strafverfahren anfallen, und die Frage, wer die Kosten zu tragen hat (§§ 465 ff. StPO), hängen vom jeweiligen Einzelfall ab. Dies gilt auch für etwaige durch einen Abbruch bedingte Kosten. Statistische Daten hierzu liegen nicht vor und können in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit auch nicht erhoben werden. Auch anhand der vorliegenden Haushaltsdaten ist eine Beantwortung dieser Frage nicht möglich.

  1. Sieht die Landesregierung aufgrund dieses Vorfalls Anlass zur Anpassung der Schulung für das Ehrenamt der Schöffen bzw. zu einem Ausschluss für Personen mit politischen Ämtern für dieses Amt?

Die Landesregierung sieht keinen Anlass zur Anpassung der Schulung für das Ehrenamt der Schöffinnen und Schöffen. Die Schöffinnen und Schöffen werden in ihr Amt eingeführt und über ihre Rechte und Pflichten informiert; bei den Amts- und Landgerichten bestehen zudem Schöffengeschäftsstellen, an die man sich in allen Schöffenangelegenheiten wenden kann. Insbesondere die Vorschriften im Gerichtsverfassungsgesetz (§§ 32 ff. GVG), in der Strafpro­zessordnung (§ 31 StPO), im Deutschen Richtergesetz (§§ 44a ff. DRiG), im Landesrichter-und Staatsanwältegesetz (§ 6 LRiStaG) und im Justizneutralitätsgesetz (§§ 1 ff. JNeutG NRW) gewährleisten die Unvoreingenommenheit und Neutralität der Schöffinnen und Schöffen. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes, BR-Drucksache 371/23) soll zudem ein Ausschlussgrund für die Berufung ehrenamtlicher Richterinnen und ehrenamtlicher Richter bei Zweifeln am Beste­hen der Verfassungstreue geschaffen werden. Weiteren gesetzlichen Anpassungsbedarf sieht die Landesregierung hinsichtlich der genannten Vorschriften derzeit nicht.

 

MMD18-6659