Kleine Anfrage 2178
des Abgeordneten Markus Wagner AfD
Rettungskräfte in Nettetal mit Messer attackiert – Täter rief sie selbst zur Hilfe
Am Freitag, den 23.06.2023, soll ein 21-jähriger Mann aus Nettetal in Wevelinghoven mit einem Messer randaliert haben. Gegen 20:50 Uhr alarmierte der Tatverdächtige selbst den Rettungsdienst und gab an Hilfe zu benötigen, da er sich selbst verletzen wolle1. Die Einsatzkräfte vom Rettungsdienst fanden den Mann bei einer alten Tankstelle, doch dieser griff die Einsatzkräfte kurzerhand mit einem Messer an. Die Mitarbeiter des Rettungsdienstes zogen sich aufgrund der Gefahrenlage zurück und zogen die Polizei hinzu. Zivile Beamte der Viersener Polizei fanden den Gesuchten im Laufe der Fahndung nahe des „Alleenradweges“2. Als die Beamten den Mann stellten, griff er wiederum zum Messer und versuchte die Polizisten zu verletzen. Infolgedessen fielen Schüsse durch die Kriminalbeamten, wovon der Angreifer durch einen Schuss ins Bein schwer verletzt wurde. Er wurde daraufhin sofort in ein Krankenhaus gebracht und behandelt. Der Mann soll derzeit wieder stabil sein. Ein Sprecher der Polizei sagte zu dem Vorfall: „Um den Angriff abzuwehren, musste die Schusswaffe eingesetzt werden“3. Aus Gründen der Neutralität ermittelt nun die Polizei Mönchengladbach im Auftrag der Krefelder Staatsanwaltschaft, um die Hintergründe der Tat und eine Rechtfertigung des Schusswechsels zu prüfen.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
- Zu wie vielen Angriffen gegen Rettungskräfte der Feuerwehr und Notfallsanitäter kam es seit 2015 in NRW? (Bitte nach Jahr und Delikt sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
- Wie oft kam es seit 2015 zu einem Einsatz der Schusswaffe bei Polizeieinsätzen, durch welchen der bzw. die Täter verletzt bzw. getötet wurden?
- Wie viele der in Frage drei abgefragten Schusswechsel wurden als rechtswidrig eingestuft bzw. hatten ein Disziplinarverfahren für den verantwortlichen Polizisten zur Folge?
- Wie schätzt die Landesregierung die Gefahrenlage für Einsatzkräfte der Polizei und des Rettungsdienstes während des Dienstes vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Vorfalls und ähnlicher aktueller Vorfälle, beispielsweise die Silvester-Ausschreitungen, ein?
Markus Wagner
1 https:// www .bild.de/regional/duesseldorf/duesseldorf-aktuell/polizei-in-nettetal-schiesst-auf-messer-mann-84454524.bild.html.
2 Ebenda.
3 Ebenda.
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 2178 mit Schreiben vom 29. August 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Minister der Justiz beantwortet.
- Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
Der Leitende Oberstaatsanwalt in Krefeld hat dem Ministerium der Justiz unter dem 01.08.2023 unter anderem berichtet, bei seiner Behörde werde gegen den Beschuldigten, einen deutschen Staatsangehörigen, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte jeweils im besonders schweren Fall geführt, in welchem die Ermittlungen andauerten. Der Beschuldigte sei bereits zweimal wegen mehrfachen Betruges verurteilt worden.
Zum Tathergang hat der Leitende Oberstaatsanwalt im Wesentlichen berichtet, der Beschuldigte stehe im Verdacht, am 23.06.2023 vier Angehörige des Rettungsdienstes und der Feuerwehr sowie zwei Polizeibeamte in einem mehraktigen Geschehen mit einem Messer tätlich angegriffen zu haben, wobei er wiederholt angekündigt habe, diese „abzustechen“. Der Einsatz sei vor dem Hintergrund eines Anrufs des Beschuldigten bei der Feuerwehr erfolgt, in dem er einen Suizid angekündigt habe. Der Beschuldigte sei schließlich unter Schusswaffen-vorhalt von zwei Polizeibeamten gestellt worden. Als er wiederum das Messer gezogen habe und den Beamten auch verbal gedroht habe, habe ein Beamter aus kurzer Distanz einen Schuss auf das Bein des Beschuldigten abgegeben. Da der Schuss keine Wirkung gezeigt habe, habe der Polizeibeamte einen zweiten gezielten Schuss auf die Beine abgegeben, welcher den Beschuldigten handlungsunfähig gemacht habe. Der Beschuldigte sei vorläufig festgenommen und zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus verbracht worden. In Ermangelung von Haftgründen sei die vorläufige Festnahme des Beschuldigten aufgehoben worden.
Von einer näheren Aufschlüsselung der Vorstrafen und Angaben zu dem Vornamen des Beschuldigten wird unter Abwägung des parlamentarischen Informationsinteresses mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten sowie der Unschuldsvermutung abgesehen. Wegen der zeitlichen und örtlichen Eingrenzung der Tat und weiterer, auch presseöffentlicher Angaben zu dem Verfahren wäre der Beschuldigte bei Nennung seines Vornamens identifizierbar bzw. würde die Gefahr der Identifizierbarkeit erheblich erhöht. Dem parlamentarischen Informationsinteresse wird durch die weiteren Angaben zum Sachstand entsprochen.
- Zu wie vielen Angriffen gegen Rettungskräfte der Feuerwehr und Notfallsanitäter kam es seit 2015 in NRW? (Bitte nach Jahr und Delikt sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei Deutschen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
Als Datenbasis für die Beantwortung der Frage 2 dient die Polizeiliche Kriminalstatistik. Die Erfassung von Fällen, Tatverdächtigen und Opfern in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfolgt nach bundeseinheitlich, jährlich abgestimmten Richtlinien. Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik handelt es sich um eine Ausgangsstatistik. In der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen werden nicht zu allen strafbaren Handlungen Opferdaten erfasst. Eine Opfererfassung erfolgt grundsätzlich bei Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung), soweit diese im Straftatenkatalog zur Opfererfassung gekennzeichnet sind. Die Erfassung der Merkmale der „Opferspezifik“ erfolgt unter der Bedingung, dass die Tatmotivation in den personen-, berufs-bzw. verhaltensbezogenen Merkmalen des Opfers begründet ist oder in Beziehung dazu steht. Das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen muss erkennen lassen, dass die Tathandlung unter anderem oder allein durch das im Einzelfall vorliegende Merkmal veranlasst war.
Im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.12.2022 wurden 1.579 Fälle des „Widerstandes gegen“ sowie „tätlichen Angriffs auf“ die Staatsgewalt in der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen erfasst, bei denen mindestens jeweils ein Opfer die Opferspezifik „Feuerwehr“ oder „sonstige Rettungsdienste“ hatte.
- Wie oft kam es seit 2015 zu einem Einsatz der Schusswaffe bei Polizeieinsätzen, durch welchen der bzw. die Täter verletzt bzw. getötet wurden?
Zwischen dem 01.01.2015 und dem 31.07.2023 gab es insgesamt 118 Schusswaffengebräu-che durch Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte, infolgedessen der bzw. die Täter verletzt bzw. getötet wurden.
- Wie viele der in Frage drei abgefragten Schusswechsel wurden als rechtswidrig eingestuft bzw. hatten ein Disziplinarverfahren für den verantwortlichen Polizisten zur Folge?
Informationen zur Anzahl der als rechtswidrig eingestuften Schusswaffengebräuche durch Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte liegen der Landesregierung nicht vor. Allgemein müssen Beamtinnen und Beamte bei rechtswidriger und schuldhafter Verwirklichung von Straftatbeständen mit einer Bestrafung rechnen. Neben dieser Strafe kann weitere Folge von Straftaten ein Verlust der Beamtenrechte oder eine (ergänzende) disziplinarische Ahndung sein. Dabei ist jedes Amtsdelikt als Dienstpflichtverletzung anzusehen. Eine vollständige Kategorisierung der Disziplinarverfahren nach Sachverhalten ist allerdings nicht möglich. Grundsätzlich ist der Begriff des Dienstvergehens nicht im Einzelnen gesetzlich festgelegt und mit bestimmten Disziplinarmaßnahmen in Zusammenhang gebracht. § 47 Beamtenstatusge-setz (BeamtStG) definiert das „Dienstvergehen“ nur allgemein als schuldhafte Verletzung von Dienstpflichten z. B. Wohlverhaltenspflicht oder Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz im Beruf. Eine Aufschlüsselung und statistische Erfassung nach bestimmten einzelnen „Dienstvergehen“ oder Sachverhaltsschlagworten ist aus diesem Grund nicht möglich und kann nicht unmittelbar mit den strafrechtlichen Tatbeständen in Zusammenhang gebracht werden.
- Wie schätzt die Landesregierung die Gefahrenlage für Einsatzkräfte der Polizei und des Rettungsdienstes während des Dienstes vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Vorfalls und ähnlicher aktueller Vorfälle, beispielsweise die Silvester-Ausschreitungen, ein?
Im Jahr 2022 wurden 9.608 Fälle des „Widerstands gegen“ sowie „tätlichen Angriffs auf“ die Staatsgewalt in der Polizeilichen Kriminalstatik Nordrhein-Westfalen erfasst. Im Zehnjahresvergleich stellt dies den höchsten Wert dar. Dies deutet daraufhin, dass die Hemmschwelle, Gewalt gegen Menschen in Uniform anzuwenden, grundsätzlich gesunken ist. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dieser besorgniserregenden Entwicklung entgegenzuwirken.
Die Zunahme der Gewalt gegen Uniformträgerinnen und Uniformträger scheint sich insbesondere gegen Kräfte der Polizei zu richten. In 8.264 Fällen wurden Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte Opfer von Gewalt. Die Delikte umfassen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Mord, Totschlag, Gefährliche und schwere Körperverletzung, (Vorsätzlich einfache) Körperverletzung, Fahrlässige Körperverletzung, Nötigung, Nachstellung (Stalking), Bedrohung, Exhibitionistische Handlungen, Erregung öffentlichen Ärgernisses sowie Sonstige Opferdelikte.
Soweit es Einsatzkräfte des Rettungsdienstes betrifft, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor, die eine deutliche Zunahme an Gewaltübergriffen erkennen lassen. Die Entwicklungen werden stetig beobachtet. Eine quantitative Veränderung der Gefahrenlage ist derzeit nicht erkennbar.
Des Weiteren wird auf die Antwort zur Kleinen Anfrage 1469, LT-Drs.18/3954, verwiesen.