Rocker-Boss nach Flucht in Spanien festgenommen – Wie entkam er aus dem Gefängnis?

Kleine Anfrage
vom 10.11.2023

Kleine Anfrage 2856

des Abgeordneten Markus Wagner AfD

Rocker-Boss nach Flucht in Spanien festgenommen Wie entkam er aus dem Gefängnis?

Am Montag, den 16. Oktober 2023, soll der Vorsitzende der Kölner „Bandidos“ Ö. nach beinahe einjähriger Flucht aus der Haftanstalt Euskirchen nun durch spanische Polizeikräfte in Marbella festgenommen worden sein. Spezialeinsatzkräften war es möglich, ihn in einem Fitnessstudio festzunehmen. Eine Sprecherin der Kölner Staatsanwaltschaft bestätigte, dass Informationen vorliegen, aus welchen hervorgehe, dass die per Haftbefehl gesuchte Zielperson in Marbella verhaftet wurde. Von Seiten der spanischen Behörden seien sie jedoch noch nicht diesbezüglich informiert worden.1

Nachdem der 36-Jährige aus dem Euskirchener Gefängnis am 16. Januar 2023 ausbrach, wurde europaweit nach dem Kriminellen gefahndet. Er musste wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz eine zweieinhalbjährige Haftstrafe absitzen und hatte zum Zeitpunkt seiner Tat lediglich noch ein halbes Jahr vor sich, bis er das Gefängnis wieder hätte verlassen dürfen. Allerdings wurde der Rocker am Tag der Flucht von der Gefängnisleitung wegen eines positiven Drogentests, offenbar durch im Gefängnis konsumierte Drogen wie Kokain, vom offenen Vollzug wieder zurück in den geschlossenen Vollzug geordert. Des Weiteren besteht der Verdacht, dass er in der Zwischenzeit mit etwa 100 Kilo „minderwertigem Kokain“2 Handel betrieben haben soll, um so seine Flucht zu finanzieren. Aufgrund dessen nahm die Staatsanwaltschaft ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes von Drogen und Drogenhandel in nicht geringer Menge auf. Es wurde sogar eine Razzia durch Spezialkräfte der Polizei organisiert, bei der das Autohaus eines mutmaßlichen Komplizen durchsucht wurde, man jedoch keine Treffer fand.

Nun soll der Entflohene durch die spanischen Behörden wieder nach Deutschland ausgeliefert werden. Dies geschah schon einmal im Sommer 2021, als er durch spanische Einsatzkräfte festgenommen wurde, da er sich seinem Haftantritt entzogen und sich mit seiner Familie in seinem dortigen Anwesen versteckt hatte. Nach der Festnahme wurde er durch Kölner Fahnder nach Deutschland zurückgeholt.3

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)
  2. Wie genau konnte Ö. am Tag seiner Flucht aus dem Gefängnis ausbrechen?
  3. Was weiß die Landesregierung über die Aktivitäten der in Nordrhein-Westfalen ansässigen Bandidos?
  4. Wie viele seit 2015 bis heute pro Jahr aus nordrhein-westfälischen Gefängnissen entflohene Häftlinge haben sich nach dem Ausbruch ins Ausland abgesetzt bzw. stehen unter dem Verdacht, sich ins Ausland abgesetzt zu haben? (Bitte nach Jahr und Ort des Ausbruchs, späteres Aufenthaltsland, Delikt bzw. Grund der Inhaftierung, angesetzte Haftstrafe sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei deutschen Personen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)
  5. Wie viele der ins Ausland entflohenen Häftlinge konnten durch ausländische Polizeikräfte wieder festgenommen und nach Deutschland gebracht werden? (Bitte nach Jahr und Ort des Ausbruchs, späterem Aufenthaltsland, Delikt bzw. Grund der Inhaftierung, angesetzter Haftstrafe sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei deutschen Personen die Mehrfachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Markus Wagner

 

MMD18-6715

 

1 https://m.bild.de/regional/koeln/koeln-aktuell/nach-knast-ausbruch-polizei-verhaftet-versace-rocker-ö.-im-fitnessstudio-85790426.bildMobile.html?t_ref=https%3A%2F%2Fm.bild.de%2F.

2 Ebenda.

3 Ebenda.


Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 2856 mit Schreiben vom 13. Dezember 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Innern beantwortet.

  1. Wie ist der aktuelle Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Er­mittlungen zu dem oben beschriebenen Vorfall? (Bitte Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vor­namen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)

Der Generalstaatsanwalt in Köln hat dem Ministerium der Justiz am 24.11.2023 auf Grundlage der Berichterstattung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Köln im Wesentlichen berichtet, dass das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Be­täubungsmitteln in nicht geringer Menge gegen den Beschuldigten nach §170 Abs. 2 der StPO eingestellt worden sei, nachdem die durchgeführten Ermittlungen einen hinreichenden Tatverdacht nicht belegt hätten.

Der Beschuldigte sei türkischer Staatsangehöriger und u. a. wegen Verstoßes gegen das Waf­fen- und Betäubungsmittelgesetz mehrfach vorbestraft. Zuletzt sei er wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Von einer detaillierten Aufschlüsselung der Vorstrafen wird unter Abwägung des parlamenta­rischen Informationsinteresses mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, insbesondere auch im Hinblick auf das Resozialisierungsgebot, abgesehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass wegen der zeitlichen und örtlichen Eingrenzung der Tat und weiterer, auch presseöffentlicher Angaben zu dem Verfahren eine Identifizierbarkeit wahrscheinlich o­der jedenfalls möglich erscheint. Dem parlamentarischen Informationsinteresse wird durch die weiteren Angaben zum Sachstand sowie den allgemeinen Angaben zu Vorstrafen entspro­chen.

  1. Wie genau konnte Ö. am Tag seiner Flucht aus dem Gefängnis ausbrechen?

Der Gefangene befand sich seit dem 02.11.2021 zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in Haft. Nachdem am 24.11.2022 im Rahmen einer Vollzugskonferenz die Eignung für eine Unterbrin­gung im offenen Vollzug festgestellt werden konnte, erfolgte am 20.12.2022 die Verlegung des Gefangenen aus der JVA Rheinbach in den offenen Vollzug der JVA Euskirchen, wo er zu­nächst im ungesicherten Bereich des Zugangshauses untergebracht worden ist. In dieser Voll­zugsabteilung sind alle mit einer Eignung für den offenen Vollzug versehenen Gefangenen (Progressionsgefangene) bis zur Fortschreibung des Vollzugsplans und Entscheidung über die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen untergebracht, weshalb u. a. die dortigen Haftraumfenster nicht vergittert sind und auch andere baulich-technische Sicherheitseinrich­tungen zur Verhinderung einer Flucht im offenen Vollzug gemäß § 6 Abs. 3 StVollzG NRW nicht vorgesehen sind.

Am 16.01.2023, gegen 16.30 Uhr, wurde für alle 16 Gefangenen der offenen Zugangsabtei­lung aus Anlass eines nicht einer Person zuzuordnenden Rauschgiftfundes ein Drogenscreening mittels Urinprobe angeordnet. Nach Feststellung der Vollzähligkeit wurden die Zugangs­türen der Vollzugsabteilung verschlossen. Nachdem das Drogenscreening bei dem Inhaftier­ten gegen 17:20 Uhr gesichert einen positiven Befund ergeben hatte (worüber Ö. allerdings keine Kenntnis erhielt), wurde die sofortige sichere Unterbringung des Gefangenen im Ab­gangsbereich angeordnet. Auf der verschlossenen Zugangsabteilung konnte er allerdings nicht mehr angetroffen werden. Nachdem eine intensive anstaltsinterne Suche nach dem Ge­fangenen zu keinem Erfolg führte, wurde durch den Diensthabenden um 19:28 Uhr das schrift­liche Fahndungsersuchen versendet.

Bezüglich des Fluchtweges ist zu vermuten, dass der Gefangene durch sein im Obergeschoss zur Innenseite des Hafthauses gelegenes Haftraumfenster mittels einer Kletteraktion entwi­chen ist und er dabei ein erhebliches Verletzungsrisiko in Kauf genommen hat. Weitere bau­lich-technische Sicherheitsvorkehrungen, wie z. B. detektierte Sicherheitszäune oder Umweh-rungsmauern, die eine Flucht vom Anstaltsgelände hätten verhindern können, sind auch im offenen Vollzug der JVA Euskirchen gesetzeskonform und entsprechend der Zweckbestim­mung nicht vorhanden.

  1. Was weiß die Landesregierung über die Aktivitäten der in Nordrhein-Westfalen an­sässigen Bandidos?

Die Ortsgruppierung „Bandidos MC Hohenlimburg/Witten“ einschließlich der Teilorganisation „Los Compadres Hagen“ wurde durch das Ministerium des Innern am 08.04.2021 verboten. Die „Federation West Central“, eine den Ortsgruppierungen übergeordnete Dachorganisation der Rockergruppierung „Bandidos MC“ mit ca. 380 Mitgliedern in Nordrhein-Westfalen, wurde durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat am 07.07.2021 verboten. Das Verbot ist seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.09.2023 (Az. 6 A 12.21) unanfecht­bar.

Mit den nunmehr letztinstanzlich bestätigten Verbotsmaßnahmen ist es gelungen, diese Struk­turen des „Bandidos MC“ in Nordrhein-Westfalen zu zerschlagen, deren Kennzeichen und das durch diese nach außen manifestierte Bedrohungspotential dauerhaft aus der öffentlichen Wahrnehmung zu entfernen und Vereinsvermögen einzuziehen.

Nachfolgeorganisationen konnten nicht festgestellt werden.

  1. Wie viele seit 2015 bis heute pro Jahr aus nordrhein-westfälischen Gefängnissen entflohene Häftlinge haben sich nach dem Ausbruch ins Ausland abgesetzt bzw. stehen unter dem Verdacht, sich ins Ausland abgesetzt zu haben? (Bitte nach Jahr und Ort des Ausbruchs, späteres Aufenthaltsland, Delikt bzw. Grund der Inhaftie­rung, angesetzte Haftstrafe sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Geschlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei deutschen Personen die Mehrfachstaatsange­hörigkeit extra ausweisen.)
  2. Wie viele der ins Ausland entflohenen Häftlinge konnten durch ausländische Po­lizeikräfte wieder festgenommen und nach Deutschland gebracht werden? (Bitte nach Jahr und Ort des Ausbruchs, späterem Aufenthaltsland, Delikt bzw. Grund der Inhaftierung, angesetzter Haftstrafe sowie nach Tätermerkmalen wie Alter, Ge­schlecht und Nationalität aufschlüsseln und bei deutschen Personen die Mehr­fachstaatsangehörigkeit extra ausweisen.)

Die Beantwortung der Fragen 4 und 5 erfolgt aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam.

Statistische Erhebungen im Sinne der Fragestellungen erfolgen seitens der Landesregierung nicht. Eine Erhebung der erfragten Daten würde daher eine Einzelauswertung sämtlicher Verfahrensakten erfordern. Dies ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht leistbar.

 

MMD18-7420

Beteiligte:
Markus Wagner