Antrag
der Fraktion der AfD
Rückforderungen von „Corona-Soforthilfen“ für Empfänger fair und nachvollziehbar gestalten – Die Landesregierung muss ihren Worten Taten folgen lassen und Rechtssicherheit und Klarheit für alle schaffen!
I. Ausgangslage
Nach drei Jahren bleiben die Probleme um die Rückforderung der Corona-Soforthilfen in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern weiterhin ungelöst. Die NRW-Soforthilfe 2020 ist mit mehr als 430.000 bewilligten Anträgen und ausgezahlten Zuschüssen in Höhe von rund 4,5 Milliarden Euro das größte Hilfsprogramm der Landesgeschichte. Um den Unternehmern so schnell und unkompliziert wie möglich zu helfen, hatte das Land zunächst bei jedem bewilligten Antrag die maximale Fördersumme als pauschalen Abschlag ausgezahlt. Die tatsächliche Förderhöhe der Soforthilfe-Empfänger wurden bis zum 31.10.2021 in einem digitalen Rückmeldeverfahren bestimmt.1 Mit schnellen und unbürokratischen Zuschüssen sollten Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer im März 2020 vor der Pleite und Geschäfts-aufgabe geschützt werden. Tatsächlich sind die Hilfen schnell geflossen: Ein Großteil der Antragsteller hatte das Geld laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung innerhalb von wenigen Tagen auf dem Konto. Das erklärte Ziel war es, in Not geratene Selbstständige mit Liquiditätszuschüssen zu unterstützen und sie gleichzeitig darin zu bestärken, ihre Unternehmungen fortzuführen. Zuvor hatte der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz vollmundig versprochen: „Wir gehen in die Vollen, um auch den Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständigen unter die Arme zu greifen. Sie brauchen unsere besondere Unterstützung, sie werden von dieser Krise hart getroffen. Deshalb gibt es vom Bund jetzt schnelle und unbürokratisch Soforthilfe. Ganz wichtig ist mir: Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden. Damit erreichen wir die, die unsere Unterstützung jetzt dringend brauchen.“2
Im Nachhinein sorgte das vermeintliche Hilfspaket mit Rückforderungsbescheiden für enormen Ärger. Bei den Verwaltungsgerichten reichten seit Anfang 2022 rund 2.500 Zahlungsempfänger Klage gegen den Schlussbescheid ein.3 Im Streit um die Rückforderungen hatte das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht am 17.03.2023 fehlerhafte Bescheide aufgehoben und damit drei Urteile des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16.08.2022 im Ergebnis bestätigt. Es wies die Berufung des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, das bereits in erstinstanzlichen Verhandlungen am Verwaltungsgericht Düsseldorf, Köln und Gelsenkirchen unterlag. Das Oberverwaltungsgericht stellte fest, dass das damalige Rückmeldeverfahren für die Empfänger der Soforthilfen und die daraus resultierenden Schlussbescheide rechtswidrig war. Das Land hatte die Vorgaben der Bewilligungsbescheide nicht beachtet, die für die endgültige Festsetzung bindend waren. Danach diente die Soforthilfe ausschließlich zur Milderung pandemiebedingter finanzieller Notlagen, insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Das später vom Land geforderte Rückmelde-verfahren fand in den Bewilligungsbescheiden keine Grundlage. Die darin von den Zuwendungsempfängern verlangten Angaben waren ungeeignet, um die letztlich jeweils zu belassende Fördersumme unter Berücksichtigung der bindenden Festsetzungen der Bewilligungsbescheide zu bestimmen. Zudem waren die Schlussbescheide rechtswidrig, weil sie ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden waren. Die Soforthilfeempfänger konnten nur nach den engen Vorgaben des Rückmeldeverfahrens ihre Einnahmen und Ausgaben angeben. Es gab keine Möglichkeit, auf besondere Umstände hinzuweisen oder Gehör von einem Mitarbeiter der Behörde zu erhalten. Während in der Antragsphase noch ein Mitarbeiter die Anträge freigeben musste, sollte dies beim Rückmeldeverfahren komplett automatisiert mit den Angaben der Soforthilfeempfänger beschieden werden. Viele Empfänger versuchten vor dem Rückmeldeverfahren die jeweilige Bezirksregierung durch Einwendungsschreiben auf ihre besonderen Umstände hinzuweisen. Zahllose Schreiben über die Berücksichtigung des Umsatzausfalls per E-Mail und Einschreiben wurden versendet. Alle diese Einwendungsschreiben wurden von den Bezirksregierungen ignoriert. Die Betroffenen erhielten weder Antworten noch wurden die Schreiben in den zahlreichen digitalen Verwaltungsakten gefunden, die von den Verwaltungsgerichten angefordert wurden.
Das Land bleibt nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts berechtigt, die den Empfängern letztlich zustehende Soforthilfe in Form von neu zu erlassenden Schlussbescheiden endgültig festzusetzen und die überzahlten Beträge zurückzufordern.4 Dem Land wurde vorgegeben, für die Kläger und alle offenen Fälle ein neues Verwendungsnachweisverfahren zu entwickeln, um die „NRW-Soforthilfe 2020“ neu abzurechnen. Dies betraf etwa 110.000 Antragsteller, die bisher keinen Schlussbescheid erhalten hatten. Die Aussendung der Bescheide wurde nämlich von den Bezirksregierungen gestoppt, als zahlreiche Klagen bekannt wurden. Für diese Antragsteller gilt, dass Schlussbescheide die Vorgaben des Oberverwaltungsgerichts zu beachten haben. Für etwas mehr als ein Viertel aller Soforthilfeempfänger musste also ein neues, rechtskonformes Verfahren geschaffen werden. Automatisiert darf es nicht durchgeführt werden.
Es bleibt weiterhin unklar, wie Nordrhein-Westfalen mit den verbleibenden rund 315.000 rechtswidrigen und rechtskräftigen Schlussbescheiden umgehen wird. Bisher plant das Land zumindest diesen inakzeptablen Zustand der Ungleichbehandlung aufrechtzuerhalten. Anträge auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wurden ohne nähere Prüfung mit Serienbrief-Bescheiden vollautomatisiert abgelehnt. Ein Verhalten, das jedenfalls nicht zu der Aussage der Wirtschaftsministerin vom 07.10.2022 passt, man möchte eine „mögliche Ungleichbehandlung vermeiden“.5 Wirtschaftsministerin Mona Neubaur äußerte sich nach dem Urteil daher für viele Betroffene völlig unerwartet: „Ich begrüße die zügige Entscheidung durch das Oberverwaltungsgericht Münster in der NRW-Soforthilfe 2020 ausdrücklich. Die Urteile werden zur Rechtssicherheit und -klarheit für die Verfahren in der NRW-Soforthilfe 2020 beitragen. Es ist für alle Beteiligten von großer Bedeutung, dass erstmals grundlegende Rechtsfragen der NRW-Soforthilfe geklärt wurden.“6 Wenige Tage zuvor hatte die Landesregierung am 14.03.2023 auf gemeinsamen Vorschlag der Ministerin für Wirtschaft und des Ministers der Finanzen beschlossen, die Rückzahlungsfrist für die Soforthilfe über den 30.06.2023 hinaus zu verlängern. Soforthilfe-Empfänger müssen ihre Rückzahlung nunmehr bis zum 30.11.2023 an das Land überweisen. Alle Schlussbescheide, die bestandskräftig geworden sind, gegen die also nicht fristgerecht Klage erhoben wurde, werden aufrechterhalten. Aus einem bestandskräftigen Schlussbescheid folgt in Fällen einer Überkompensation die Verpflichtung des Antragstellers zur Rückzahlung der Soforthilfe in dieser Höhe. Die Urteile bewirken keine Änderung der Rechtslage und haben lediglich für diejenigen Antragsteller unmittelbare Auswirkungen, die fristgerecht gegen den Schlussbescheid geklagt hatten.
Wenn Hunderttausende Soforthilfe-Empfänger angesichts der nachvollziehbaren und schwer wiegenden Feststellungen der Verwaltungsgerichte Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Schlussbescheide bekommen und sich mit dem Hinweis auf deren Bestandskraft begnügen sollen, dann wird das Vertrauen der Bürger in faire und rechtsstaatliche Abläufe gefährdet. In den Fällen, in denen Einwendungsschreiben von Betroffenen ignoriert wurden, kommt erschwerend hinzu, dass das Recht der Beteiligten auf Anhörung gemäß § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) verletzt sein könnte.
Nach alldem können die Urteile im Zusammenhang mit der Rückzahlung der Corona-Soforthilfen nur dann uneingeschränkt für Rechtssicherheit und -klarheit sorgen, wie es Ministerin Neubaur betonte, wenn auch die bestandskräftigen Schlussbescheide einer systematischen Prüfung zugeführt werden. Nur so lässt sich eine Ungleichbehandlung vermeiden, die die Ministerin vor gut einem Jahr noch sah und die mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts zwischenzeitlich manifest geworden ist.
Der Armutsbericht 2022 zeigt deutlich, dass Solo-Selbständige die Verlierer der Krisenjahre 2020 und 2021 sind. Der Bericht zeigt weiterhin, dass ihnen teilweise ihre Existenzgrundlage entzogen wurde und sie kaum noch eigene Mittel haben. Für einige ist ihre Erwerbsgrundlage dauerhaft weggebrochen oder sie können immer noch nicht an die Einkommen vor den Corona-Maßnahmen anknüpfen.7 Es ist daher dringend geboten, dass die Landesregierung einerseits ein Konzept zur sach- und interessensgerechten Bereinigung der eingetretenen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestandskräftiger Schlussbescheide vorlegt und andererseits den wirtschaftlichen Auswirkungen mit Augenmaß begegnet.
II. Der Landtag stellt fest:
- Die Feststellungen der Verwaltungsgerichte und des Oberverwaltungsgerichts in den Urteilsbegründungen zur Rückzahlung von Corona-Soforthilfen haben gezeigt, dass beim Erlass einer Vielzahl von Schlussbescheiden anerkannte Rechtsgrundsätze nicht eingehalten wurden.
- Die Landesregierung muss das berechtigte Interesse aller Zuwendungsempfänger an der Aufhebung rechtswidriger Bescheide hinreichend berücksichtigen und eine systematische Prüfung der Rechtmäßigkeit auch der erlassenen Schlussbescheide veranlassen, die nicht Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung waren. Im Sinne der Gleichbehandlung müssen daher auch die rechtskräftigen Schlussbescheide aufgehoben werden, damit die Empfänger die Möglichkeit erhalten, an einem rechtmäßigen Verfahren zur Prüfung des Rückzahlungsbetrages teilzunehmen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- die Voraussetzungen zur sach- und interessensgerechten Überprüfung aller geltend gemachten Rückzahlungsforderungen aus den Mitteln der Corona-Soforthilfe zu schaffen, damit rechtswidrige und bestandskräftige Schlussbescheide aufgehoben werden, die nicht Gegenstand von Klageverfahren waren, um eine systematische Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rückzahlungsforderungen veranlassen zu können;
- ein Zahlungsmoratorium einzusetzen bis zur endgültigen Klärung der Frage, ob und in welcher Höhe Rückzahlungsbeträge von Zuwendungsempfängern zu leisten sind, die nicht auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts beschieden worden sind;
- die Rahmenbedingungen für ein landesweit einheitliches Verfahren zum Umgang mit Anträgen auf Stundung und Erlass von Ansprüchen gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Landeshaushaltsordnung (LHO) im Zusammenhang mit der Rückforderung von Corona-Soforthilfen zu schaffen.
Dr. Hartmut Beucker
Klaus Esser
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://www.wirtschaft.nrw/land-begruesst-schnelle-entscheidung-des-oberverwaltungsgerichts-muenster-zur-nrw-soforthilfe-2020 (abgerufen am 16.11.2023 um 16:39 Uhr).
2 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2020/03/2020-03-23-pm-gemeinsame-PM.html (abgerufen am 16.11.2023 um 16:41 Uhr).
3 https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ovg-nrw-4a1986-22-rueckforderung-corona-soforthilfe-rechtswidrig-neue-bescheide-ueberzahlte-mittel/ (abgerufen am 16.11.2023 um 16:44 Uhr).
4 https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/19_230317/index.php (abgerufen am 16.11.2023 um 16:49 Uhr).
5 https://www.wirtschaft.nrw/nordrhein-westfalen-legt-berufung-gegen-soforthilfe-urteile-ein (abgerufen am 16.11.2023 um 16:52 Uhr).
6 https://www.wirtschaft.nrw/land-begruesst-schnelle-entscheidung-des-oberverwaltungsgerichts-muenster-zur-nrw-soforthilfe-2020 (abgerufen am 16.11.2023 um 16:55 Uhr).
7 https://www.der-paritaetische.de/themen/sozial-und-europapolitik/armut-und-grundsicherung/armutsbericht-2022-aktualisiert/ (abgerufen am 16.11.2023 um 18:07 Uhr).