Antrag
der Fraktion der AfD
Sackgasse Bundesrat – Die digitale Transformation darf nicht an der föderalen Firewall scheitern – Der nordrhein-westfälische Landtag setzt sich für ein schnelles Inkrafttreten eines reformierten OZG 2.0 ein
I. Ausgangslage
Behördliche Angelegenheiten einfach online erledigen – das sollte mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) spätestes ab 2023 für jedermann einfacher werden. Doch der digitale Umbau der öffentlichen Verwaltung verzögert sich bereits seit mehreren Jahren, nicht erst mit dem Ablauf der OZG-Frist im Dezember 2022. Trotz einiger Fortschritte bleibt Digita-lisierungsgrad von Verwaltungsdienstleistungen hinter den Erwartungen der Bevölkerung und der Wirtschaft zurück. Fachleute schätzen den Rückstand zu führenden Ländern bei der Digitalisierung der Verwaltung mittlerweile auf bis zu 10 Jahre.
Das Anfang 2024 gestartete Upgrade des alten Onlinezugangsgesetzes sollte eigentlich sowohl ein stabiles Fundament an Vereinbarungen und Standards als auch neue Motivation für eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung bieten, droht jetzt aber nach dem Veto des Bundesrats auf dem Abstellgleis der Versagerprojekte zu landen.
Die Anrufung des Vermittlungsausschusses sollte als letzte Chance gesehen werden, damit die verantwortlichen Parteien im Bund, den Ländern sowie die kommunalen Verbände ein Zeichen an die Bevölkerung und die Wirtschaft senden und zusammen das Ziel einer Verwaltungsdigitalisierung konstruktiv und realistisch erstellen und ohne föderale Zwistigkeiten mit Leben erfüllen.
Seit mehreren Jahrzehnten gehört zum politischen Allgemeingut die Bedeutung einer allumfassenden, funktionierenden digitalisierten Verwaltung zur Verbesserung der Effizienz, Transparenz und Bürgernähe staatlicher Dienstleistungen zu betonen. Sie ermöglicht schnellere und einfachere Verwaltungsprozesse, reduziert bürokratische Hürden und spart sowohl Zeit als auch Kosten für Bürger und Unternehmen.
In einer zunehmend vernetzten Welt ist eine digitalisierte Verwaltung unverzichtbar, um den Erwartungen der Bürger gerecht zu werden und eine zukunftsfähige öffentliche Verwaltung zu gewährleisten.
Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, hatte die vormalige schwarz-rote Bundesregierung einen für deutsche Verhältnisse sehr ambitionierten Zeitraum zur Umsetzung der Digitalisierung der Verwaltung im Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz – OZG) vom Bundestag verabschieden lassen, welches im August 2017 in Kraft trat. Dieses verpflichtete Bund, Länder und Kommunen, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 über Verwaltungsportale auch digital anzubieten (§ 1 OZG).
Letztendlich waren jedoch zum Stichtag 31.Dezember 2022 erst 337 von 6.193 (5%) der digi-talisierbaren Verwaltungsleistungen nach den Vorgaben des OZG-Gesetzes (Reifegrad Stufe 3/4) verfügbar.1
Auch das ein halbes Jahr vor Ablauf der Frist, vom IT-Planungsrat beschlossene OZG-Boos-ter-Paket konnte das voraussehbare Desaster nicht mildern: Zwei Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist waren lediglich drei der 35 OZG-Leistungen, die von Bund und Ländern als hoch-prioritär eingestuft wurden, bundesweit online verfügbar.
Dazu sei angemerkt, dass zu dem damaligen Zeitpunkt sowohl der Bund als auch die Bundesländer in ihren Statistiken Verwaltungsleistungen als online verfügbar angaben, die beispielsweise nur in einer Kommune oder Verwaltung angeboten wurden.
Dass finanzielle Zwänge als Hauptursache für die ausbleibende Dynamik bei der Digitalisierung der Verwaltung die Hauptursache sprechen, stellt jedoch der Bundesrechnungshof mit seiner eigenen Berechnung in Abrede. So stellte der Bund im Rahmen eines Corona-Konjunk-turpaketes insgesamt 3,5 Mrd. Euro zur Verfügung. Die Hälfte hiervon blieb allerdings bis Ende 2022 ungenutzt.2
Die neue Bundesregierung, die – wie die Vorgängerregierung zuvor – in ihrem Koalitionsvertrag die Digitalisierung der Verwaltung als eins der zentralen Themen aufnahm, hat am 24. Mai 2023 das Onlinezugangsgesetz 2.0 (OZGÄndG) im Bundeskabinett beschlossen.
Basierend auf den Erfahrungen des vorherigen Gesetzes zielt das Änderungsgesetz darauf ab, mit einheitlichen Standards und offenen Schnittstellen sowie einer zentralen Benutzerfreundlichkeit und dem Once-Only-Prinzip die Voraussetzungen für die digitale Kommunikation mit der Verwaltung zu schaffen. Dies sollte durch die Einführung der bisher ein Schattendasein fristenden BundID, die Ablösung der Schriftform durch elektronische Mittel sowie die Etablierung eines qualifizierten elektronischen Siegels erreicht werden.3
Seit der Veröffentlichung der Referentenentwürfe gab es aber auch Kritik am OZG 2.0. So stieß das zusätzliche Instrument eines Rechtsanspruchs auf digitale Verwaltungsleistungen auf tiefgreifende Vorbehalte. Kritiker sehen hierbei die Gefahr eines zusätzlichen Verwaltungsaufwands. Zudem könnte es dazu führen, dass Verwaltungen, wenn sie in Terminverzug geraten, sich erneut nur auf das Frontend konzentrieren, um Fristen einzuhalten. Die notwendige vollständige Digitalisierung der Prozesse bliebe somit aus.
Weitere Kritikpunkte waren die Verwendung der BundID statt der hardwarebasierten eID, das sogenannte Datenschutzcockpit als schlecht konzipiertes Einfallstor für Hackerangriffe sowie die zeitlich unambitionierte Einführung der einheitlichen Standards und Schnittstellen durch das Bundesinnenministerium.4
Nach der Verabschiedung des OZG-Änderungsgesetzes am 23. Februar 2024 durch den Bundestag lag das Gesetz zur Zustimmung im Bundesrat vor. Dessen Innenausschuss hatte daraufhin wesentliche Kritikpunkte am „OZG 2.0“-Gesetz veröffentlicht. Vor allem die Verpflichtung der Kommunen zur Umsetzung von Bundesleistungen sowie zur Übernahme von vorgegebenen Standards und die offene Frage der Finanzierung stießen auf Kritik bei den Mitgliedern des Bundesrates.
Dass jedoch die Versammlung des Bundesrates nicht der Empfehlung ihres Innenausschusses folgte und ein Vermittlungsverfahren ausschloss, führte landesweit zu bitterem Erstaunen.
Als einen der wesentlichen Gründe für die Ablehnung der Länder sei die Verordnungsermächtigung des Bundes und damit die Inkaufnahme von Anschlusszwängen erwähnt, die die Bundesländer und auch Kommunen dann umsetzen müssen, ohne zu wissen, welche Kosten damit auf sie zukommen. Hier hat besonders auch der Innenausschuss des Bundesrates angeregt, dass Vertreter der Länder und auch Kommunen unter anderem durch den IT-Planungsrat im Vorfeld der Beschlüsse mit eingebunden werden.
Seitens der Kommunen und der Wirtschaft hat trotz Übereinstimmung in den wesentlichen Kritikpunkten niemand mit der kategorischen Ablehnung des OZG-Änderungsgesetzes durch die Bundesländer gerechnet. So formuliert der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) Folgendes: „Das Scheitern des OZG 2.0 ist insgesamt ein verheerendes Signal für die ohnehin stockende Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland. Gerade die Anmerkungen des Bundesrats-Innenausschusses hätten eine gute Basis für ein Vermittlungsverfahren bilden können, in dessen Rahmen die Möglichkeit bestanden hätte, den unsinnigen, weil nicht justiziablen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen und die rechtlich kaum tragfähige Verpflichtung der Kommunen zu streichen. Stattdessen verheddert sich die Digitalpolitik aufs Neue im föderalistischen Klein-Klein und einige Bundesländer gehen in Fundamentalopposition gegen die Digitalisierung.“5
Dagegen stellte sich der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, schon im Vorfeld der Bundesratsentscheidung wesentlich gegen den Gesetzentwurf des Bundes: „Das, was hier auf dem Tisch liegt, ist getragen von reinem Aktionismus des Bundes. Es löst die eigentlichen Probleme nicht“, und weiter: „Die zentralen Projekte der Registermodernisierung, der Automation der Verwaltung und der Informationssicherheit bleiben aber nahezu auf der Strecke und sind weiterhin unterfinanziert“.6
Die Kritikpunkte der Mitglieder des Bundesrats verdeutlichen, dass es noch viele offene Fragen und Herausforderungen gibt, die im Rahmen der Reform des OZG 2.0 adressiert werden müssen, um eine erfolgreiche und nachhaltige Digitalisierung der Verwaltung zu gewährleisten.
In unmittelbarer Reaktion auf die Entscheidung des Bundestages hat das Kabinett in seiner Sitzung am 10. April 2024 die Anrufung des Vermittlungsausschusses nach Artikel 77 Absatz 2 Satz 4 des Grundgesetzes beschlossen. Bislang ist die Terminierung der Vermittlungsverhandlungen noch offen.
Alle Beteiligten – die Bürger, die Wirtschaft und auch die anderen europäischen Länder – erwarten, dass Deutschland die mittlerweile zur Verpflichtung gewordene digitale Transformation der Verwaltung in den Griff bekommt.
Das OZG 2.0 ist trotz einiger kleiner und großer Mängel ein Schritt auf diesem Weg. Der Vermittlungsausschuss hat nun die Chance, schnell und am Gemeinwohl orientiert dieses Gesetz so zu gestalten, dass es, von den größten Kritikpunkten befreit, so schnell wie möglich wirksam wird.
Die schwarz-grüne Landesregierung von NRW muss hierbei die Rolle eines progressiven und engagierten Mittlers einnehmen und sich in überzeugender Weise für das Zustandekommen eines Upgrades des Online-Zugangsgesetzes von 2017 stark machen.
II. Der Landtag stellt fest:
- Die Verwaltungsdigitalisierung ist dringend notwendig, um Effizienz und Bürgerfreundlichkeit zu verbessern. Weitere Verzögerungen können die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen und den Rückstand gegenüber anderen Ländern in Europa und der Welt vergrößern.
- Trotz einiger offensichtlicher Mängel legt das OZG 2.0 wichtige Grundlagen für die Digitalisierung. Das Inkrafttreten des Gesetzes könnte als Basis dienen, auf der kontinuierlich aufgebaut und verbessert werden kann.
- Ein gemeinsam getragener Kompromiss im Vermittlungsausschuss zur Umsetzung würde ein wichtiges Signal senden, dass Deutschland die Digitalisierung der Verwaltung ernsthaft priorisiert. Dies würde sowohl Motivation als auch das Engagement auf allen Verwaltungsebenen im Bund, den Ländern und letztlich in den Kommunen erhöhen.
- Ein Scheitern des OZG 2.0 wäre nicht nur ein offensichtliches Scheitern der politischen Entscheidungsträger, sondern auch ein Desaster für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Demokratie.
- Der Landesregierung eines der größten und wirtschaftlich einflussreichsten Bundesländer fällt hierbei die Rolle eines wichtigen Vermittlers zu.
III. Der Landtags fordert die Landesregierung auf:
- sich im Vermittlungsausschuss, dem Bundesrat und auch auf anderen Ebenen vehement für eine Umsetzung des Kompromisses zum OZG-Änderungsgesetz einzusetzen;
- wesentliche Kritikpunkte des Kompromisseses sogenannten OZG 2.0 Gesetzes zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden zu markieren und im Vermittlungsausschuss, mit dem Ziel einer schnellen Beilegung, diese konstruktiv zur Sprache bringen;
- alles dafür zu tun, dass das Anrufen des Vermittlungsausschusses zu keiner zeitlichen Sackgasse wird;
- den Kommunen in Nordrhein-Westfalen mehr Unterstützung als bisher anzubieten, indem die Regierung zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden einen rechtlich und finanziell verbindlichen Handlungsrahmen für die Verfahren der Digitalisierungspro-zesse der Verwaltung erarbeitet.
Sven W. Tritschler
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2023/onlinezugangsge-setz.html>
2 https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2023/onlinezugangsge-setz.html>
3 Vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2024/02/bt-beschluss-ozg.html
5 https://www.dstgb.de/themen/digitalisierung/aktuelles/bundesrat-stoppt-ozg-2-0/>