Kleine Anfrage 777
der Abgeordneten Zacharias Schalley und Andreas Keith vom 16.11.2022
Schimmelgift als endokriner Disruptor – erst im Getreide, dann im Fleisch?
Mais, Weizen, Gerste sowie weitere Getreidesorten und landwirtschaftliche Nutzpflanzen fallen mitunter aggressiven Schimmelpilzen zum Opfer. Wird eine solche Ernte durch einen eher milden Pilzbefall nicht direkt weiträumig beschädigt, so kann der Schimmel unter Umständen gar nicht erst auffallen. Schimmelpilze und deren Gifte geraten dann bei der weiteren Verarbeitung in die Nahrungsmittelkette, wo sie bei Konsumenten mannigfaltige gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen können. Zu den weit verbreiteten Schimmelpilzgiften gehört das Zearalenon (ZEA) – dieses wird von Fusarium-Schadpilzen gebildet und ist in landwirtschaftlichen Nutzpflanzen häufig vorzufinden.
ZEA gilt als vehementer endokriner Disruptor und ist bis dato das „einzig bekannte Mykoöstrogen“.1 Eine häufige Aufnahme begünstigt Tumorbildungen,2 Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems3 sowie Dysfunktionen der Reproduktionsorgane.4 Bei Frauen kommt es mitunter zu Scheinschwangerschaften, Menstruationsstörungen und Verformungen der Ovarien; bei Männern zu Unfruchtbarkeit und Hypogonadismen. Auch Beeinträchtigungen des pubertären Wachstums wurden im Zusammenhang mit ZEA ermittelt.5
Die EU-Kommission hat das Gefahrenpotential erkannt und im Jahre 2006 Höchstwerte für ZEA und andere Mykotoxine in Lebensmitteln festgelegt.6 Allerdings setzt die Verordnung diese Höchstwerte lediglich im Rahmen pflanzlicher Erzeugnisse fest, die außerdem unmittelbar für den menschlichen Konsum hergestellt werden. Die Verordnung nennt keinerlei Höchstwerte für Tierfutter – dabei werden Rinder und Hühner auf NRWs Höfen meist mit Mais-Getreide-Mischungen ernährt. Ferner geht aus dem Erlass nicht hervor, ob vergleichbare ZEA-Grenzwerte für tierische Produkte existieren.
Schadpilzgifte, die von Nutztieren über den Nahrungstrakt aufgenommen werden, können sich nämlich rasch in den Organen und Fettgeweben der Tiere akkumulieren. Werden Tiere täglich mit ZEA-haltigem Futter versorgt, so sammeln sich in Windeseile erschreckend hohe Werte in ihren Körpern an. Untersuchungen an Milchkühen zeigten beispielsweise, dass ihre Milch nach lediglich dreiwöchiger Fütterung mit mykotoxinhaltiger Nahrung bis zu 2.500 ng/L ZEA enthält – ganz davon abgesehen, dass die betroffenen Kühe in kurzer Zeit erhebliche Laktationsprobleme durch die östrogene Wirkung des ZEA aufwiesen.7
Um die allgemeine Bevölkerung vor den bedrohlichen Giften der Schadpilze zu schützen, müssen also nicht nur all jene Erzeugnisse geprüft werden, welche direkt zum menschlichen Verzehr weiterverarbeitet werden. Ebenso müssen NRWs Nutztiere schadpilzfreies Futter erhalten, um zu verhindern, dass sich Fleisch, Eier und Milch mit dem endokrinen Disruptor ZEA anreichern. Dieses würde sich ansonsten in kurzer Zeit in wesentlichen Konzentrationen in unseren Lebensmitteln wiederfinden.
Vor diesem Hintergrund fragen wir:
- Inwieweit werden in NRW landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Getreide, Mais sowie daraus verarbeitete Produkte – sowohl für menschliche Nahrungsmittel als auch für Tierfutter – auf ihren ZEA-Gehalt überprüft?
- Inwieweit werden in NRW tierische Erzeugnisse wie Fleisch, Eier und Milch, in denen sich Schadpilzgifte durch stetige Aufnahme des jeweiligen Tieres akkumulieren können, auf ihren ZEA-Gehalt überprüft?
- Wie viele Fälle in NRW sind der Landesregierung bekannt, in denen die in der EU-Verordnung 1881/2006 festgelegten Grenzwerte von ZEA überschritten wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Art des Erzeugnisses seit 2017)
- Wie bewertet die Landesregierung die Gefahrenlage hinsichtlich der Gesundheit der Bevölkerung durch in Nahrungsmitteln enthaltenes ZEA?
- Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund von möglichen Gesundheitsgefahren die Pläne der EU-Kommission, ein pauschales Verbot von Pflanzenschutzmitteln in „ökologisch empfindlichen Gebieten“, die in den aktuellen Plänen 90% der landwirtschaftlichen Nutzfläche Nordrhein-Westfalens ausmachen?
Zacharias Schalley
Andreas Keith
1 Bakos, K., Kovacs, R., Staszny, A., Sipos, D. K., Urbanyi, B., Muller, F., Csenki, Z., and Kovacs, B. (2013) Developmental toxicity and estrogenic potency of zearalenone in zebrafish (Danio rerio). Aquat Toxicol 136-137, 13-21
2 Massart, F., Meucci, V., Saggese, G., and Soldani, G. (2008) High growth rate of girls with precocious puberty exposed to estrogenic mycotoxins. J Pediatr 152, 690-695, 695 e691
3 Vasatkova, A., Krizova, S., Krystofova, O., Adam, V., Zeman, L., Beklova, M., and Kizek, R. (2009) Effect of naturally mouldy wheat or fungi administration on metallothioneins level in brain tissues of rats. Neuro Endocrinol Lett 30 Suppl 1, 163-168
4 Zheng, W., Pan, S., Wang, G., Wang, Y. J., Liu, Q., Gu, J., Yuan, Y., Liu, X. Z., Liu, Z. P., and Bian, J. C. (2016) Zearalenone impairs the male reproductive system functions via inducing structural and functional alterations of sertoli cells. Environ Toxicol Pharmacol 42, 146-155
5 Zhao, F., Li, R., Xiao, S., Diao, H., El Zowalaty, A.E., Ye, X. (2014) Multigenerational exposure to dietary zearalenone (ZEA), an estrogenic mycotoxin, affects puberty and reproduction in female mice. Reprod Toxicol. 47, 81-88
6 H t tp s :/ /w w w . b me l . d e / S h a re d D o c s / D o wn lo a ds / DE /_ V er b r a u ch e r sc h u t z / Lebensmittelsicherheit/Verordnung-Festsetzung-H%C3 % B 6 ch s t g e h al t e .p d f ?_ _ bl o b= p u b l icationFile&v=3
7 Prelusky, D. B., Scott, P. M., Trenholm, H. L., and Lawrence, G. A. (1990) Minimal transmission of zearalenone to milk of dairy cows. J Environ Sci Health B 25, 87-103
Der Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 777 mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Mykotoxine sind Stoffwechselprodukte bestimmter Schimmelpilze, die schon in geringen Mengen giftig auf Mensch und Tier wirken können. Regelmäßige, stichprobenartige Untersuchungen auf Mykotoxine sind seit Langem Teil der amtlichen Überwachung von Lebens- und Futtermitteln. Die relevanten rechtlichen Regelungen sind im Europäischen Recht festgelegt. Ziel der Gesetzgebung ist es, das Vorkommen von Mykotoxinen in Lebens- und Futtermitteln, und damit das gesundheitliche Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Tiere, so gering wie möglich zu halten. In der Europäischen Union sind mit der Verordnung (EG) Nr. 1881/20068 (EU-Kontaminaten-Verordnung) Höchstgehalte für Mykotoxine in bestimmten Lebensmitteln festgelegt worden, unter anderem auch für Zearalenon (ZEA). Dieses Mykotoxin ist ubiquitär vorkommend und führt vor allem bei Getreide- und Maisprodukten zu Belastungen. Daher finden sich in der EU-Kontaminanten-Verordnung für ZEA vor allem Höchstwerte für Mais- und Getreideprodukte wieder. Diese Höchstwerte sind je nach Lebensmittelgruppe auf 20 – 400 Mikrogramm pro Kilogramm Lebensmittel festgelegt.
Die europäische Richtlinie 2002/32/EG9 setzt für das Mykotoxin Aflatoxin B1 und Ergotalkalo-ide Höchstgehalte in Futtermitteln fest. Ergänzend zu diesen Höchstgehalten sind EU-weit so genannte Richtwerte für weitere Mykotoxine, unter anderem ZEA, in Futtermitteln durch die Empfehlungen 2006/576/EG10 und 2013/165/EU11 festgelegt. Diese Richtwerte finden Berücksichtigung im Rahmen der amtlichen Futtermittelüberwachung und sollen den Unternehmen eine Orientierung bei der Beurteilung der Futtermittelsicherheit im Rahmen der Eigenkontrolle liefern.
Lebensmittel- und Futtermittelunternehmen sind nach der europäischen Basisverordnung (EG) Nr. 178/200212 für die Sicherheit der von ihnen hergestellten Erzeugnisse selbst verantwortlich. Von amtlicher Seite wird im Rahmen der Überwachung überprüft, ob die Unternehmen dieser Verantwortung nachkommen und unter anderem eine entsprechende Eigenkontrolle zur Gewährleistung der Unbedenklichkeit der Erzeugnisse sicherstellen. Je nach Art und Risiko der verarbeiteten Lebensmittel und Futtermittel müssen die Unternehmen im Rahmen dieser Eigenkontrolle auch eine mögliche Mykotoxinbelastung der Erzeugnisse berücksichtigen und die Einhaltung der gesetzlichen Höchst- und Richtwerte beachten.
- Inwieweit werden in NRW landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Getreide, Mais sowie daraus verarbeitete Produkte – sowohl für menschliche Nahrungsmittel als auch für Tierfutter – auf ihren ZEA-Gehalt überprüft?
Im Rahmen der amtlichen Futtermittelüberwachung werden in Nordrhein-Westfalen Futtermittel auf die Gehalte an Mykotoxinen (Aflatoxin B1, Ochratoxin A, Zearalenon, Deoxynivalenol, Fumonisine, T2- und HT2-Toxin) untersucht, um die Belastungssituation von Einzel- und Mischfuttermitteln zu verfolgen und Höchst- bzw. Richtwerte in Bezug auf Tierarten zu überprüfen. Bei Einzelfuttermitteln liegt der Schwerpunkt der Untersuchungen auf Getreide und dessen Nebenprodukten sowie Importware. Im vergangenen Jahr wurden im Rahmen der amtlichen Futtermittelüberwachung insgesamt 42 Misch- und 41 Einzelfuttermittel (davon 25 Getreideerzeugnisse) auf ZEA hin untersucht. Bei keiner dieser Proben wurden Höchst- bzw. Grenzwerte überschritten.
- Inwieweit werden in NRW tierische Erzeugnisse wie Fleisch, Eier und Milch, in denen sich Schadpilzgifte durch stetige Aufnahme des jeweiligen Tieres akkumulieren können, auf ihren ZEA-Gehalt überprüft?
Zum Schutz des Verbrauchers existieren in der Verordnung (EU) 1881/2006 Höchstwerte für Mykotoxine in bestimmten Lebensmitteln. Für den Bereich der Lebensmittel tierischer Herkunft ist in der genannten Verordnung ein Höchstwert für Aflatoxine B1 in Rohmilch festgelegt. Im Hinblick auf diese Vorgaben müssen die Lebensmittelunternehmer die von ihnen produzierten Lebensmittel im Rahmen ihrer Eigenkontrolle untersuchen. Dies wird von der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Nordrhein-Westfalen überprüft.
Des Weiteren werden Lebensmittel tierischer Herkunft im Rahmen des nationalen Rückstandskontrollplans (NRKP) auf Mykotoxine hin untersucht. Für den NRKP werden dabei jährlich Schwerpunktuntersuchungen zu bestimmten Lebensmitteln und Fragestellungen durchgeführt. Zuletzt wurden im Jahr 2019 im Rahmen des NRKP Untersuchungen auf ZEA durchgeführt. Dazu wurden in Nordrhein-Westfalen 62 Proben von Lebern von Masttieren (hauptsächlich Kälber, Rinder, Hähnchen) auf eine Belastung mit ZEA hin untersucht. Es wurden keine Beanstandungen festgestellt.
- Wie viele Fälle in NRW sind der Landesregierung bekannt, in denen die in der EU-Verordnung 1881/2006 festgelegten Grenzwerte von ZEA überschritten wurden? (Bitte aufschlüsseln nach Art des Erzeugnisses seit 2017)
Die EU-Kontaminanten-Verordnung zielt allein auf die Untersuchung von Lebensmitteln ab. Von 2017 bis jetzt wurden durch die Lebensmittelüberwachung in Nordrhein-Westfalen insgesamt 2.896 Lebensmittelproben auf ZEA untersucht. Hierbei handelte es sich vorwiegend um Proben von pflanzlichen Lebensmitteln. Lediglich bei einer Probe „Maiswaffeln“ wurde eine Grenzwertüberschreitung der EU-Kontaminanten-Verordnung festgestellt.
- Wie bewertet die Landesregierung die Gefahrenlage hinsichtlich der Gesundheit der Bevölkerung durch in Nahrungsmitteln enthaltenes ZEA?
Schon bei der Herstellung von Lebensmitteln aus Getreide oder Mais werden durch den Hersteller umfangreiche Vorkehrungen getroffen, um einen Eintrag von Mykotoxinen in das Endprodukt zu vermeiden. Unter anderem verhindern verschiedene Reinigungs- und Sortieranlagen in den Mühlen einen Eintrag in die Lebensmittelkette. Außerdem werden Lebensmittel stichprobenartig durch die amtliche Überwachung auf Schimmelpilzgifte untersucht. Ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung kann daher nahezu ausgeschlossen werden.
Auch im Bereich Futtermittel werden von den Futtermittelunternehmern ähnliche Maßnahmen durchgeführt, um den Eintrag von Mykotoxinen in die Futtermittelkette, und letztlich in das lebensmittelliefernde Tier, zu minimieren. Wie bereits zu Frage 1 erläutert, liefern die EU-weiten Richtwerte für ZEA dabei eine Orientierung.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Stellungnahme 009/201313 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 4. März 2013 verwiesen, in der der Eintrag des Mykotoxins Aflatoxin über Futtermittel in die Milch untersucht und bewertet wird. Das BfR kommt in seiner Stellungnahme zu dem Schluss, dass eine Gefährdung der Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern durch einen möglichen Eintrag von Aflatoxin in Lebensmittel tierischer Herkunft als unwahrscheinlich angesehen wird.
- Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund von möglichen Gesundheitsgefahren die Pläne der EU-Kommission, ein pauschales Verbot von Pflanzenschutzmitteln in „ökologisch empfindlichen Gebieten“, die in den aktuellen Plänen 90% der landwirtschaftlichen Nutzfläche Nordrhein-Westfalens ausmachen?
Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln stellt nur eine von mehreren Möglichkeiten dar, wie Belastungen z.B. von Getreide mit Mykotoxinen minimiert werden können. In der Diskussion um die Pläne der EU-Kommission spielen mögliche Gesundheitsgefährdungen durch verringerten Pflanzenschutz insofern nur eine untergeordnete Rolle.
8 Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 der Kommission vom 19. Dezember 2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln
9 Richtlinie 2002/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Mai 2002 über unerwünschte Stoffe in der Tierernährung (ABl. L 140 S. 10) Zuletzt geändert durch Art. 1 VO (EU) 2019/1869 vom 7.11.2019 (ABl. L 289 S. 32)
10 Empfehlung der Kommission vom 17. August 2006 betreffend das Vorhandensein von Deoxynivalenol, Zearalenon, Ochratroxin A, T-2- und HT-2-Toxin sowie von Fumonisinen in zur Verfütterung an Tiere bestimmten Erzeugnissen (2006/576/EG)
11 Empfehlung der Kommission vom 27. März 2013 über das Vorhandensein der Toxine T-2 und HT-2 in Getreiden und Getreideerzeugnissen (2013/165/EU)
12 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit
13 H t t ps : // w w w . b fr . b u nd . d e / c m/343/uebergang-von-aflatoxinen-in-milch-eier-fleisch-und-innereien.pdf