Schwere Randale in der Silvesternacht 2022/2023: Welche Konsequenzen zieht der Rechtsstaat und wie viele Strafanzeigen wurden gestellt?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1049
der Abgeordneten Andreas Keith und Markus Wagner vom 10.01.2023

Schwere Randale in der Silvesternacht 2022/2023: Welche Konsequenzen zieht der Rechtsstaat und wie viele Strafanzeigen wurden gestellt?

Die Silvesternacht 2022/2023 hat massive Gewaltexzesse, ein großes Gewaltpotenzial und eine diskussionswürdige Verrohung offenbart. Bundesweit gab es zahlreiche Ausschreitungen und gefährliche Angriffe auf Rettungskräfte, wobei Berlin dabei einen Schwerpunkt bildete. Nach Angaben der Medien zählten Polizei und Feuerwehr gemeinsam fast 4.000 Einsätze, bei denen insgesamt 30 Einsatzkräfte verletzt wurden. Nach Angaben der Bild-Zeitung von Dienstag, den 3. Januar 2023, teilte ein Polizeisprecher mit, dass es 103 Festnahmen gab. Nach der Identitätserfassung kamen die Verdächtigen allerdings wieder auf freien Fuß.1 Nur fünf der insgesamt 103 festgenommenen Personen seien Frauen gewesen. Die meisten Ermittlungsverfahren seien wegen Brandstiftungsdelikten, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, Landfriedensbruch sowie tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter und Notärzte eingeleitet worden.2 Die Zahl der Festnahmen allein in der Berliner Silvesternacht wurde mittlerweile auf 145 korrigiert – meist junge Männer. 27 von ihnen stammen aus Afghanistan, 21 aus Syrien. Insgesamt wurden 18 Nationalitäten erfasst.3

Auch Nordrhein-Westfalen war Schauplatz unzähliger Böller-Attacken. Viele Randalierer, die teilweise brennende Straßenbarrikaden errichteten, griffen ganz gezielt Einsatzkräfte der Polizei, Feuerwehr und des Rettungsdienstes an.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Strafanzeigen, z. B. wegen tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte, Feuerwehrleute und/oder Angehörige des Rettungsdienstes, Brandstiftung, Landfriedensbruch, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel nach § 305a StGB sowie aller weiteren in Frage kommenden strafrechtlichen Delikte, wurden in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Silvesternacht 2022/2023 gestellt?
  2. Gegen welche mutmaßlichen Täter richten sich die in Frage 1 abgefragten Strafanzeigen? (Bitte nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund aufschlüsseln.)
  3. Wie viele Festnahmen hat es in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Silvesternacht 2022/2023 gegeben? (Bitte nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund der festgenommenen Person und Grund der Festnahme aufschlüsseln.)
  4. Wie viele der in Frage 3 abgefragten Personen wurden bereits wieder aus der Haft entlassen?
  5. Wie viele Strafverfahren wurden im Zuge der Silvesternacht bisher eingeleitet?

Andreas Keith
Markus Wagner

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. h t t p s : / / w w w . b il d . de/news/inland/news-inland/nach-berliner-silvester-schande-alle-103-boeller-chaoten-wieder-frei-8 2 4 2 7874.bild.html.

2 Vgl. h t t p s: // w w w. r b b24.de/panorama/beitrag/2023/01/silvesternacht-neujahrstag-unfaelle-verletzte-feuerwehr-poliz e i . html.

3 Vgl. h t t p s: // w w w . b i l d . de / b ild-plus/politik/inland/politik-inland/silvester-krawalle-so-schwurbeln-politiker-die-wahrheit-we g – 8 2 4 30 9 00.bild.html.


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1049 mit Schreiben vom 10. Februar 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie viele Strafanzeigen, z. B. wegen tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte, Feuer­wehrleute und/oder Angehörige des Rettungsdienstes, Brandstiftung, Landfrie­densbruch, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, Zerstörung wichtiger Ar­beitsmittel nach § 305a StGB sowie aller weiteren in Frage kommenden strafrecht­lichen Delikte, wurden in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Silvesternacht 2022/2023 gestellt?

Datenbasis zur Beantwortung von statistischen Fragestellungen der Kriminalitätsentwicklung ist grundsätzlich die Polizeiliche Kriminalstatistik. Die bundeseinheitlichen Erfassungsrichtli­nien der Polizeilichen Kriminalstatistik sehen eine Erfassung erst nach Abschluss der polizei­lichen Ermittlungen vor. Bis zu deren Abschluss sowie der entsprechenden Erfassung vergeht regelmäßig einige Zeit. Insoweit sind valide statistische Daten erst nach Abschluss der Ermitt­lungen zu erwarten. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass sich während der Ermittlungen regelmäßig Veränderungen im Verfahrensstatus Einzelner oder hinsichtlich der Anzahl der Tatverdächtigen ergeben.

Hilfsweise wurden die Eintragungen im Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei NRW mit

Stand 06.01.2023 auf relevante Sachverhalte geprüft.

Mit entsprechendem Stand sind mit dem Tatvorwurf

  • Landfriedensbruch,
  • besonders schwerer Landfriedensbruch,
  • Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen und Plätzen,
  • Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen sowie
  • Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen

im Zusammenhang mit Angriffen auf polizeiliche Einsatzkräfte und gleichgestellten Personen, 33 Strafanzeigen mit überwiegend männlichen Tatverdächtigen im Alter zwischen 14 und 55 im Vorgangsbearbeitungssystem erfasst, rund die Hälfte hat die deutsche Staatsbürgerschaft.

Zum nachfolgenden Beitrag des Ministeriums der Justiz ist anzumerken, dass dieser naturge­mäß nur zu Verfahren Stellung beziehen kann, die der Staatsanwaltschaft bereits durch die Polizeibehörden zugeleitet wurden.

Die Generalstaatsanwältin und die Generalstaatsanwälte des Landes haben dem Ministerium der Justiz zu der Frage 1 jeweils unter dem 24.01.2023 folgende Daten mitgeteilt:

=> siehe PDF

  1. Gegen welche mutmaßlichen Täter richten sich die in Frage 1 abgefragten Straf­anzeigen? (Bitte nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Migrationshin-tergrund aufschlüsseln.)

Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat dem Ministerium der Justiz zu Frage 2 unter dem 24.01.2023 Folgendes mitgeteilt:

„Staatsanwaltschaft Duisburg:

‚Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand werden bei der Staatsanwaltschaft Duisburg

gegen elf namentlich bekannte Beschuldigte Ermittlungsverfahren geführt.

Einem 14-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein tätlicher Angriff auf Vollstre­ckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.

Einem 26-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein tätlicher Angriff auf Vollstre­ckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperver­letzung und Gefangenenbefreiung vorgeworfen.

Einem 28-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein tätlicher Angriff auf Vollstre­ckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körper­verletzung vorgeworfen.

Einem 55-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein Widerstand gegen Vollstre­ckungsbeamte vorgeworfen.

Einem 41-jährigen deutschen Beschuldigten werden zwei tätliche Angriffe auf Vollstre­ckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie eine in Tatmehrheit begangene gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Einem 28-jährigen bulgarischen Beschuldigten wird eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Einer 28-jährigen bulgarischen Beschuldigten wird ebenfalls eine gefährliche Körper­verletzung vorgeworfen (…).

Einem 46-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein tätlicher Angriff auf Vollstre­ckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Kör­perverletzung und eine tatmehrheitlich begangene gefährliche Körperverletzung vor­geworfen.

Einem 19-jährigen deutschen Beschuldigten wird eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Einer 34-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungs­beamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung vorgeworfen.

Einer 15-jährigen deutschen Beschuldigten wird ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungs­beamte in Tateinheit mit einer versuchten gefährlichen Körperverletzung vorgeworfen.

Erkenntnisse zu einem Migrationshintergrund der deutschen Beschuldigten liegen nicht vor.‘

b)

Staatsanwaltschaft Wuppertal:

‚Soweit in einer Anzeige einem 26-jährigen männlichen bulgarischen Staatsangehöri­gen der Vorwurf eines tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte gemacht wird, steht dieser nicht in Zusammenhang mit den als ′Böller-Attacken′ bezeichneten Vorfällen, sondern erfolgte im Rahmen der zufällig in der Silvesternacht vollzogenen Vollstreckung zweier offener Haftbefehle. Im Übrigen richten sich die Strafanzeigen gegen Unbekannt.‘

Der Leitende Oberstaatsanwalt berichtet klarstellend, beide Haftbefehle richteten sich gegen den 26-jährigen männlichen bulgarischen Staatsangehörigen.“

Der Generalstaatsanwalt in Köln hat dem Ministerium der Justiz zu Frage 2 unter dem 24.01.2023 Folgendes berichtet:

„Der Leitende Oberstaatsanwalt in Bonn hat berichtet, für das (…) dort geführte Ermitt­lungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs, versuchter gefährlicher Körper­verletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung seien acht Personen namentlich erfasst. Hierbei handele es sich um männliche Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 16 bis 19 Jahren. Im Einzelnen seien dies ein 16­jähriger deutsch-jordanischer Staatsangehöriger, ein 18-jähriger deutsch-syrischer Staatsangehöriger, ein 18-jähriger irakischer Staatsangehöriger, ein 18-jähriger deutsch-jordanischer Staatsangehörigen, ein 19-jähriger deutsch-marokkanischer Staatsangehöriger, ein 17-jähriger rumänischer Staatsangehöriger, ein 19-jähriger ru­mänischer Staatsangehöriger und ein 17-jähriger deutsch-syrischer Staatsangehöri­ger. Daneben richte sich das Verfahren auch gegen unbekannte Täter. (…)

Der Leitende Oberstaatsanwalt in Köln hat berichtet, (…) ein Verfahren wegen Herbei-führung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperver­letzung und Sachbeschädigung richte sich gegen einen 47-jährigen deutschen Staats­angehörigen ohne Migrationshintergrund. Ein weiteres bei der Staatsanwaltschaft Köln wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädigung geführtes Verfahren richte sich gegen zwei 15-jährige Beschuldigte; einer sei marokkanischer, der andere tunesischer Staatsangehöriger.““

  1. Wie viele Festnahmen hat es in Nordrhein-Westfalen im Zuge der Silvesternacht 2022/2023 gegeben? (Bitte nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund der festgenommenen Person und Grund der Festnahme auf­schlüsseln.)

Im Zeitraum vom 31.12.2022, 18:00 Uhr bis zum 01.01.2023, 06:00 Uhr erfolgten durch die Polizei 23 Festnahmen.

Die Generalstaatsanwältin in Hamm und die Generalstaatsanwälte in Düsseldorf und Köln ha­ben dem Ministerium der Justiz zu der Frage 3 jeweils unter dem 24.01.2023 folgende Daten mitgeteilt:

 

Bezirk der GStA‘in! des GStA in Zahl der Festnah- men Alter Geschlecht Staatsange- hörigkeit/ Migrations-hintergrund Grund der Fest-nahme
Hamm 2 24, 33 Männlich serbisch dringender Verdacht des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbe­amte
Düsseldorf 5 26, 28, 41, 55 Männlich 4 deutsch, 1 bulgarisch 4 zur Gefahrenab- wehr, 1 zur Vollstre- ckung zweier beste-
hender Haftbefehle
Köln 3 15, 19, 47 Männlich 1 rumänisch, 1 tunesisch, 1 marokkanisch 1 zur Gefahrenab- wehr, 2 wegen drin-genden Verdachts der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit ver-suchter gefährlicher
Körperverletzung und Sachbeschädigung bzw. Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädi-
gung
Summe 10

 

  1. Wie viele der in Frage 3 abgefragten Personen wurden bereits wieder aus der Haft entlassen?

Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat dem Ministerium der Justiz zu der Frage 4 unter Bezugnahme auf einen Bericht der Leitenden Oberstaatsanwältin in Duisburg am 24.01.2023 berichtet, dass die vier im dortigen Zuständigkeitsbereich zur Gefahrenabwehr festgenomme­nen Beschuldigten am Folgetag wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden seien. Weitere (Haft-)Entlassungen der in Frage 3 abgefragten Personen sind den vorbezeichneten Berichten zufolge nicht erfolgt, soweit es den staatsanwaltschaftlichen Geschäftsbereich be­trifft.

  1. Wie viele Strafverfahren wurden im Zuge der Silvesternacht bisher eingeleitet?

Unter Zugrundelegung, dass mit der Frage 5 auch die Einleitung von Ermittlungsverfahren gemeint ist, und mit der Einschränkung, dass eine abschließende Beantwortung mit Blick auf von den Polizeibehörden noch nicht an die Staatsanwaltschaften übermittelte Verfahren bis­lang nicht möglich ist, haben die Generalstaatsanwältin und die Generalstaatsanwälte des Landes dem Ministerium der Justiz hierzu jeweils unter dem 24.01.2023 folgende Daten mit­geteilt:

Bezirk der GStA’in! des GStA in Anzahl der Ermittlungsverfahren
Hamm 17
Düsseldorf 10 (Anm.: Verfahren gegen namentlich Beschuldigte)
Köln 3
Gesamt 30

 

Antwort als PDF

Beteiligte:
Markus Wagner