Kleine Anfrage 824
der Abgeordneten Klaus Esser und Markus Wagner vom 24.11.2022
Schwerer SUV-Unfall eines Seniors in Düsseldorf: Wie viele Senioren geben altersbedingt und freiwillig den Führerschein in NRW ab?
Ein 84-jähriger Autofahrer hat im November 2022 in Düsseldorf am Rande des Weihnachtsmarktes an der Kö mehrere Passanten verletzt, zwei von ihnen schwebten laut Feuerwehr zunächst in Lebensgefahr.1 Die Polizei ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung, geht aber nicht von einer mutwilligen Tat aus. Der Unfall hinterließ ein Bild der Verwüstung. Ein Fahrzeug wurde gegen einen Ampelmast geschoben, E-Scooter wurden zerstört bzw. herumgeschleudert. Polizei und Feuerwehr waren im Großeinsatz. Nach ersten Erkenntnissen wurde der Senior vom Licht einer Ampel irritiert.
Über die generelle Fahrtauglichkeit von Senioren wird nach solchen schweren Unfällen immer wieder diskutiert. Bei einer steigenden Zahl älterer Autofahrer ist auch künftig zu erwarten, dass diese als Verkehrsunfall-Risikogruppe deutlich aufholen werden. In Hamburg etwa waren 2014 Senioren ab 65 Jahren an über 11.000 Verkehrsunfällen beteiligt; über 60 Prozent dieser Unfälle hatten sie dabei selbst verursacht.2 Initiativen bieten daher immer wieder Senioren an, den Führerschein gegen kostenlose ÖPNV-Tickets zu tauschen.3 Gleichwohl muss anerkannt werden, dass gerade im ländlichen Raum der Führerschein für Ältere Freiheit und Mobilität gewährleistet, wie dies der klassische ÖPNV nie leisten wird. Aktuelle Zahlen für NRW liegen für eine sachgerechte Analyse aber nicht vor.
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Verkehrsunfälle verursachen Senioren in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2022, 2021 und 2020 (bitte aufschlüsseln nach Altersgruppen Ü60, Ü70, Ü80, Ü90)?
- Welche Fahrtauglichkeitsuntersuchungsangebote für Senioren gab es in den letzten 10 Jahren in NRW (bitte aufschlüsseln nach Anbieter, Ort und Zeitraum)?
- Wie viele Senioren nutzten Fahrtauglichkeitsuntersuchungen in den letzten 10 Jahren in NRW (bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl, Geschlecht und Alter)?
- Wie viele Senioren gaben freiwillig in den letzten 10 Jahren den Führerschein in NRW ab (bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl, Geschlecht, Alter)?
- Wie bewertet die Landesregierung die Bedeutung und die Nutzung des eigenen PKW bei über 80-Jährigen in NRW gerade auch im ländlichen Raum?
Klaus Esser
Markus Wagner
1 Htt p s : / / rp-o n l i n e .d e/nrw/staedte/d u e s s e l d o r f/b l a u l i c h t/duesseldorf-u n f a l l-am-weihnachtsmarkt-sechs-verletzte_aid – 80 34 92 01
2 Htt p s : / / www.f u e h r e r s c h e i n e.de/verkehrsrecht/fahr t a u g l i c h k e i t-senioren/
3 Htt p s: / /www. Z d f .de/nachrichten/politik/ s e n i o r e n-fuehrerschein-o e p n v-ticket – oeffis – 100.h t m l
Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 824 mit Schreiben vom 29. Dezember 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.
- Wie viele Verkehrsunfälle verursachen Senioren in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2022, 2021 und 2020 (bitte aufschlüsseln nach Altersgruppen Ü60, Ü70, Ü80, Ü90)?
In den Jahren 2020 bis 2022 wurden insgesamt 38.567 Seniorinnen und Senioren als Hauptverursacher von Verkehrsunfällen erfasst. Die weiteren Daten sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen.
Verkehrsunfälle in NRW
Hauptverursacher ab 60. Lebensjahr – alle Arten der Verkehrsbeteiligung – (nicht erfasst wurden Verkehrsunfälle ohne Altersangabe) |
||||
Jahr | Ü 60
60-69 Jahre |
Ü 70
70-79 Jahre |
Ü80
80-89 Jahre |
Ü90
90-100 Jahre |
2020 | 6.773 | 4.078 | 2.551 | 169 |
2021 | 6.727 | 3.864 | 2.765 | 214 |
2022* | 5.738 | 3.222 | 2.289 | 177 |
* Zahlen 2022 sind vorläufig von Januar bis einschließlich September
- Welche Fahrtauglichkeitsuntersuchungsangebote für Senioren gab es in den letzten 10 Jahren in NRW (bitte aufschlüsseln nach Anbieter, Ort und Zeitraum)?
„Fahrtauglichkeitsuntersuchungsangebote“ für Seniorinnen und Senioren sind – in Abgrenzung zu behördlich verpflichtenden und anlassbezogenen Eignungsuntersuchungen – freiwillig in Anspruch genommene, häufig auch kommerziell bereitgestellte Dienstleistungen. Diesbezüglich existieren verschiedenste Anbieter mit unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung. Exemplarisch zu nennen sind:
– Seh-, Hör-, Motorik- und Reaktionstests insbesondere durch die Verkehrswachten bzw. im Weiteren auch durch Ärzte, Hörakustiker und Optiker;
– Spezielle Zielgruppenprogramme für Seniorinnen und Senioren des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) und der Verkehrswachten, z.B. „Sicher mobil“ für Verkehrsteilnehmer ab 65 Jahren;
– Rückmeldefahrten (sog. „Feedbackfahrten“), die insbesondere von Fahrschulen, aber auch Verkehrswachten oder Technischen Prüfstellen durchgeführt werden können und eine Einschätzung bezüglich der Fahrfähigkeiten der Seniorinnen und Senioren zum Ergebnis haben;
– Altersgruppenspezifische PKW- und Motorrad-Fahrsicherheitstrainings, z.B. organisiert durch ADAC, verschiedene TÜV-Organisationen, DVR oder Verkehrswachten.
Belastbare statistische Erhebungen betreffend dieses weit gefächerten (Dienstleistungs-)An-gebots liegen der Landesregierung mangels behördlicher Zuständigkeiten nicht vor.
- Wie viele Senioren nutzten Fahrtauglichkeitsuntersuchungen in den letzten 10 Jahren in NRW (bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl, Geschlecht und Alter)?
Hierzu liegen der Landesregierung keine statistischen Erhebungen vor.
- Wie viele Senioren gaben freiwillig in den letzten 10 Jahren den Führerschein in NRW ab (bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anzahl, Geschlecht, Alter)?
Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die als Anlage beigefügte tabellarische Auswertung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) verwiesen. Das KBA verweist zur Erläuterung der Daten darauf hin, dass aufgrund einer methodischen Umstellung die Angaben für die Berichtsjahre vor 2015 nicht vorliegen und auch nicht nachträglich ausgewertet werden können. Die Angaben für das Jahr 2022 liegen dem KBA zufolge noch nicht vor. Ebenso liegen über die Gründe des Verzichts der Seniorinnen und Senioren dem KBA keine Angaben vor.
- Wie bewertet die Landesregierung die Bedeutung und die Nutzung des eigenen PKW bei über 80-Jährigen in NRW gerade auch im ländlichen Raum?
Die Fahrerlaubnis wird in Deutschland – außer bei Bus- und LKW-Fahrerlaubnisklassen – unbefristet erteilt. Insbesondere Menschen im höheren Alter erhält die Fahrerlaubnis Mobilität und Flexibilität, sichert ihnen Selbständigkeit und Unabhängigkeit und ist oft Voraussetzung, um soziale Kontakte auch über größere Entfernungen hinweg zu pflegen. Dies gilt gerade auch für ländliche Gebiete, in denen kein vergleichbares Angebot an Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung steht wie z. B. in Ballungsgebieten.
Demgegenüber steht die Tatsache, dass bei jedem Menschen – individuell ganz unterschiedlich – irgendwann ein Zeitpunkt erreicht sein kann, an dem die Fahreignung (körperliche und geistige Eignung) nicht mehr gegeben ist. Hinzu können Mängel an der Befähigung zur Führung eines Kraftfahrzeugs (Bedienung des Kraftfahrzeugs, Erkennung und Einschätzung potentiell gefährlicher Verkehrssituationen) treten.
Die Landesregierung setzt vornehmlich auf Information, Freiwilligkeit und die Stärkung der Eigenverantwortung von Maßnahmen zur Sicherstellung der Fahreignung bei älteren Verkehrsteilnehmern.
Einen wichtigen Beitrag zu sicherem Fahren können auch bestimmte Fahrerassistenzsysteme wie zum Beispiel Geschwindigkeits- und Längsabstandsregulierung und Spurhalteunterstützung leisten.