Sind die Hälfte aller Brutvögel in Nordrhein-Westfalen vom Aussterben bedroht?

Kleine Anfrage
vom 19.07.2023

Kleine Anfrage 2149

Andreas Keith und Zacharias Schalley AfD

Sind die Hälfte aller Brutvögel in Nordrhein-Westfalen vom Aussterben bedroht?

Vögel sind empfindliche Lebewesen, die aufgrund ihrer spezifischen Merkmale und Verhaltensweisen anfällig für verschiedene anthropogene Bedrohungen sind. Neben der direkten Gefährdung durch z. B. Kollisionen mit Strukturen wie Fensterscheiben, Fahrzeugen und Windkraftanlagen sowie illegaler Verfolgung gibt es weitere Faktoren, die ihre Lebensbedingungen beeinträchtigen können.

Eine bedeutende indirekte Bedrohung für Vögel ist der schleichende Wandel ihrer Lebensräume aufgrund intensiver Landnutzung. Die Umwandlung von natürlichen Lebensräumen in u. a. städtische Gebiete oder Monokulturen führt zu einem Verlust an Lebensraumvielfalt und -qualität für viele Vogelarten. Die Reduzierung von natürlichen Strukturen wie Hecken, Brachflächen oder Feuchtgebieten verringert die Verfügbarkeit von Nahrung und Nistplätzen sowie den Schutz vor Fressfeinden. Diese Veränderungen können zu einer Verringerung der Populationsgröße, einer Abnahme der Fortpflanzungsrate und einer Veränderung der Verbreitungsgebiete führen.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Welche regelmäßig brütenden einheimischen Brutvogelarten leben (Stand 2019, Zeitpunkt des letzten nationalen Vogelschutzberichts nach EU-Vogelschutzrichtlinie) zumindest zeitweise in Nordrhein-Westfalen?
  2. Gemäß Artikel 12 EU-Vogelschutzrichtlinie übermitteln die EU-Mitgliedsstaaten alle drei Jahre der Kommission einen nationalen Bericht. Wann werden aktualisierte Daten für Nordrhein-Westfalen vorliegen?
  3. Laut der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft wurden zwischen 2005 und 2009 194 verschiedene brütende Vogelarten nachgewiesen. 2016 wies die Rote Liste der Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens (6. Fassung, Stand Juni 2016) noch 188 Brutvogelarten aus. Die Landesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage mit der Drucksachennummer 18/4495 darauf verwiesen, dass 2019 lediglich 166 Brutvogelarten festgestellt werden konnten. Das bedeutet, dass seit 2009 28 Brutvogelarten aus Nordrhein-Westfalen verschwunden sind. Was sind die Ursachen für den stetigen Rückgang der Brutvogelarten in Nordrhein-Westfalen?
  4. Laut der Roten Liste der Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens, 6. Fassung (Stand: Juni 2016) wurde die Hälfte der nordrhein-westfälischen Brutvogelarten als ausgestorben oder gefährdet eingestuft, weitere 6 Prozent stehen in der Vorwarnliste (24 Arten „Ausgestorben“, 22 „Vom Aussterben bedroht“, 14 „Stark gefährdet“, 21 „Gefährdet“ und 12 „Extrem selten“, 12 Arten auf der Vorwarnliste). Inwiefern haben sich die Brutgebiete bzw. Lebensraumverhältnisse für die Brutvögel seit 2009 verschlechtert?
  5. Wo wurden konkret seitens des LANUV in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Biologischen Stationen und der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft Brutgebiete bzw. Lebensräume von seltenen Brutvogelarten erfasst? (Bitte nach Regionen und Brutvogelarten aufschlüsseln)

Andreas Keith

Zacharias Schalley

 

Anfrage als PDF


Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 2149 mit Schrei­ben vom 10. August 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Brutvögel des Landes NRW werden regelmäßig in mehrjährigen Abständen für die Erstel­lung der Roten Listen erfasst. Entsprechende Zusammenstellungen und die Veröffentlichung werden in Zusammenarbeit mit ornithologisch ausgerichteten Fachverbänden vom LANUV ko­ordiniert.

Danach konnten bei vielen im Bestand abnehmende Arten bisher keine Trendumkehr erreicht werden. Insbesondere die Agrarlandschaft (Offenland) und die Sonderstandorte (Moore und Heiden) weisen besonders hohe Anteile gefährdeter Brutvogelarten auf. Arten der Wälder und Siedlungen zeigen Zu- und Abnahmen, Arten der Gewässer haben überwiegend zugenommen oder zeigen stabile Bestände, sind aber trotzdem mit zahlreichen Arten in der Roten Liste vertreten.

  1. Welche regelmäßig brütenden einheimischen Brutvogelarten leben (Stand 2019, Zeitpunkt des letzten nationalen Vogelschutzberichts nach EU-Vogelschutzricht-linie) zumindest zeitweise in Nordrhein-Westfalen?

Zum Zeitpunkt des letzten nationalen Vogelschutzberichts 2019 gab es 166 regelmäßige Brut­vogelarten in Nordrhein-Westfalen. Diese Angabe umfasst nur die regelmäßigen Brutvogelar­ten einschließlich regelmäßig brütender Neozoen. Eine vollständige Liste der im Vogelschutz-bericht 2019 behandelten regelmäßigen Brutvogelarten ist dort im Anhang zu finden.

  1. Gemäß Artikel 12 EU-Vogelschutzrichtlinie übermitteln die EU-Mitgliedsstaaten alle drei Jahre der Kommission einen nationalen Bericht. Wann werden aktuali­sierte Daten für Nordrhein-Westfalen vorliegen?

Seit dem nationalen Vogelschutzbericht 2013 erfolgt die Berichterstattung an die Europäische Kommission nach einem neuen Berichtsformat, das der FFH-Berichterstattung weitgehend angeglichen ist. Dieses neue Berichtsformat wurde im April 2011 von der Europäischen Kom­mission in Kraft gesetzt. Neben geänderten inhaltlichen Anforderungen wurde die Berichtsfre­quenz von drei auf sechs Jahre verlängert. Der Vogelschutzbericht 2019 war der zweite Be­richt in diesem neuen Format, der nächste Vogelschutzbericht ist im Jahr 2025 fällig. Im Zuge dieses Berichts werden auch die entsprechenden Daten für Nordrhein-Westfalen aktualisiert.

  1. Laut der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft wurden zwischen 2005 und 2009 194 verschiedene brütende Vogelarten nachgewiesen. 2016 wies die Rote Liste der Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens (6. Fassung, Stand Juni 2016) noch 188 Brutvogelarten aus. Die Landesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage mit der Drucksachennummer 18/4495 darauf verwiesen, dass 2019 lediglich 166 Brutvogelarten festgestellt werden konnten. Das bedeutet, dass seit 2009 28 Brutvogelarten aus Nordrhein-Westfalen verschwunden sind. Was sind die Ursachen für den stetigen Rückgang der Brutvogelarten in Nordrhein-Westfalen?

Die Angabe „194 verschiedene brütende Vogelarten“ für den Zeitraum 2005-2009 entstammt dem Brutvogelatlas für Nordrhein-Westfalen („Die Brutvögel Nordrhein-Westfalens“). In die­sem Brutvogelatlas werden alle Vogelarten behandelt, die in dem genannten Zeitraum in Nord­rhein-Westfalen gebrütet haben, also auch unregelmäßig brütende Arten sowie nicht als hei­misch anzusehende Arten (Neozoen). In der Roten Liste werden dagegen nur regelmäßig brü­tende Arten betrachtet.

In der neuen Roten Liste der Brutvögel Nordrhein-Westfalens 2021 (im Druck) wurden 190 Brutvogelarten betrachtet, von denen 166 derzeit in Nordrhein-Westfalen regelmäßig brüten. 24 Arten sind ausgestorben (Status I). Nicht betrachtet werden die unregelmäßig brütenden Arten (Status II) und die Neozoen (Status III). Gegenüber der derzeit noch aktuellen Roten Liste 2016 hat die Zahl der etablierten einheimischen Vogelarten (Status I) von 188 (davon 24 ausgestorben) auf 190 leicht zugenommen. Neben der Neuansiedlung der Steppenmöwe sind dafür die Streichung des Steinrötels und die Neuaufnahme von Schlangenadler und Steinadler als ausgestorbene Brutvögel ausschlaggebend. Als bis 2017 unregelmäßige Brutvögel sind Seeadler und Brillengrasmücke hinzugekommen, während die Gelbkopf-Schafstelze ihren Art­status verloren hat.

In der Roten Liste 2016 wurden im Vergleich zur vorherigen Roten Liste 2008 zwei zusätzliche Arten in Nordrhein-Westfalen als ausgestorben eingestuft, nämlich die Haubenlerche und der Ortolan. Insgesamt galten in Nordrhein-Westfalen danach 24 ehemalige Brutvogelarten als ausgestorben, die Angaben in der Roten Liste 2016 und im Vogelschutzbericht 2019 entspre­chen sich hier. Eine Reihe dieser Arten sind allerdings bereits in früheren Jahren ausgestor­ben, so hat beispielsweise das Birkhuhn zuletzt im Jahr 1971 bei uns gebrütet, der Brachpieper im Jahr 1984. Somit sind im Zeitraum zwischen der Erarbeitung der Roten Liste 2016 und dem Vogelschutzbericht 2019 keine Brutvogelarten in Nordrhein-Westfalen ausgestorben. Auch in der neuen Roten Liste 2021 (im Druck) werden keine neuen Arten als ausgestorben eingestuft.

  1. Laut der Roten Liste der Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens, 6. Fassung (Stand: Juni 2016) wurde die Hälfte der nordrhein-westfälischen Brutvogelarten als aus­gestorben oder gefährdet eingestuft, weitere 6 Prozent stehen in der Vorwarnliste (24 Arten „Ausgestorben“, 22 „Vom Aussterben bedroht“, 14 „Stark gefährdet“, 21 „Gefährdet“ und 12 „Extrem selten“, 12 Arten auf der Vorwarnliste). Inwiefern haben sich die Brutgebiete bzw. Lebensraumverhältnisse für die Brutvögel seit 2009 verschlechtert?

Bei vielen im Bestand abnehmenden Arten wurde bisher keine Trendumkehr erreicht. Insbe­sondere die Agrarlandschaft (Offenland) und die Sonderstandorte (Moore und Heiden) weisen besonders hohe Anteile gefährdeter Brutvogelarten auf. Für Arten wie Turteltaube, Ufer­schnepfe, Bekassine, Kiebitz, Ziegenmelker und Steinschmätzer hat sich die Lage in NRW in den letzten Jahren weiter verschlechtert, während Arten der Wälder und Siedlungen Zu- und Abnahmen zeigen. Solche der Gewässer haben überwiegend zugenommen oder zeigen stabile Bestände, sind aber trotzdem mit zahlreichen Arten in der Roten Liste vertreten. Es sind weiterhin verstärkte Bemühungen im Naturschutz und gezielten Vogelartenschutz not­wendig.

Insbesondere in den EU-Vogelschutzgebieten konnten bei vielen Arten Bestandszunahmen erreicht werden, unter anderem durch die Umsetzung von EU-kofinanzierten LIFE-Projekten. Es wird deutlich, dass gezielte und auf die Zielarten ausgerichtete Schutzmaßnahmen Wirkung zeigen. Die Planung dieser Maßnahmen erfolgt über die Erarbeitung von Vogelschutz-Maß­nahmenplänen (VMP). Für FFH-Gebiete werden sogenannte MAKOs erstellt, in denen die im jeweiligen FFH-Gebiet vorkommenden Vogelarten mitberücksichtigt werden. Außerhalb der Vogelschutzgebiete werden große Anstrengungen unternommen, über Instrumente wie insbe­sondere den Vertragsnaturschutz Maßnahmen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen um­zusetzen, um die Bestände von Vogelarten der Agrarlandschaft zu verbessern. Dies erfolgt in enger Kooperation mit den Landbewirtschaftenden. Wichtige Partner des Landes sind die 40 Biologischen Stationen in Nordrhein-Westfalen.

  1. Wo wurden konkret seitens des LANUV in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Biologischen Stationen und der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesell-schaft Brutgebiete bzw. Lebensräume von seltenen Brutvogelarten erfasst? (Bitte nach Regionen und Brutvogelarten aufschlüsseln

Das LANUV erfasst und koordiniert landesweit in enger Zusammenarbeit mit den Biologischen Stationen, der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) und dem Dachver­band Deutscher Avifaunisten (DDA) die Bestände von Brutvogelarten über konkrete Monitoringprogramme. Die häufigeren Arten werden über die Ökologische Flächenstichprobe erfasst und deren Bestände landesweit statistisch hochgerechnet. Arten, die für dieses Ver­fahren zu selten bzw. zu ungleichmäßig verbreitet sind, werden über das sogenannte Monito-ring seltener Brutvögel (MsB) in Kooperation mit den Biologischen Stationen, der NWO und dem DDA in ihren jeweiligen Vorkommensgebieten erfasst. Eine besondere Verantwortung des Landes besteht für das Monitoring der Bestände von Vogelarten in den EU-Vogelschutz­gebieten. Diese erfolgt über die Biologischen Stationen und über Erfassungen durch das LA-NUV. Für gefährdete Brutvogelarten sind insbesondere die EU-Vogelschutzgebiete wichtige Lebensräume. Als Beispiel sind hier unter anderem die Wiesenlimikolen Großer Brachvogel, Uferschnepfe und Rotschenkel zu nennen, für die gerade über das LIFE-Projekt „LIFE Wie­senvögel NRW“, das noch bis Ende 2027 läuft, umfangreiche Schutzmaßnahmen durchgeführt werden. Die Lebensräume von Vogelarten werden landesweit im Rahmen der Biotopkartie-rung und des Biotopmonitorings (FFH-Lebensraumtypen) durch das LANUV erfasst.

 

Antwort als PDF