Sollte man Schlangen mit lebenden Wirbeltieren füttern dürfen?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 188
der Abgeordneten Andreas Keith und Zacharias Schalley vom 22.07.2022

 

Sollte man Schlangen mit lebenden Wirbeltieren füttern dürfen?

Ohne einen vernünftigen Grund dürfen gemäß §§ 17 und 18 Tierschutzgesetz keine Wirbeltiere getötet oder ihnen Leid zugeführt werden. In § 2 Tierschutzgesetz heißt es: „Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen.“

Viele nicht domestizierte Wildtiere – insbesondere die meisten Schlangenarten, zum Beispiel die Kornnatter, Königspython oder Abgottschlange – zeigen in der Natur ein aktives Jagd­verhalten und ernähren sich überwiegend oder ausschließlich fleischlich und fressen dabei andere Wirbeltiere (zum Beispiel Mäuse, Ratten oder Kaninchen).

Dieses Jagd- und Ernährungsbedürfnis haben die Tiere uneingeschränkt auch in menschlicher Obhut. Wer solche Tierarten hält, muss dies im Sinne einer tierschutzkonformen und möglichst naturnahen Haltung berücksichtigen. Er darf allerdings auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beutetiere nicht vernachlässigen. Gemäß § 4 Abs. 1 Tierschutzgesetz gehört dazu auch die Vermeidung von Schmerzen während der Tötung.

Das Verwaltungsgericht München entschied im Jahr 2016, dass Schlangen auf Totfutter umzustellen und nur in Ausnahmefällen mit lebenden Mäusen zu füttern sind. Dies sei tierschutzrechtlich geboten, weil Wirbeltiere nur unter Betäubung getötet werden dürfen (§ 4 Abs. 1 TierSchG) und die Verfütterung lebender Wirbeltiere deshalb nur ausnahmsweise gerechtfertigt ist, wenn die Fütterung mit toten Beutetieren biologisch unmöglich ist. Dementsprechend erfüllt die Verfütterung lebender Wirbeltiere an andere Tiere häufig auch die Tatbestände der Straf- bzw. Ordnungswidrigkeit nach § 17 Nr. 2b bzw. § 18 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG, denn die Beutetiere sind in den Behältnissen, in die sie eingesetzt werden, dem Zugriff hilflos ausgesetzt und erleben den Fütterungsakt bei vollem Bewusstsein und in völliger Ausweglosigkeit, während sie in der freien Natur zumindest die Chance haben, sich dem Fang durch Flucht oder Verbergen zu entziehen. Daraus folgt, dass grundsätzlich zunächst der Versuch unternommen werden muss, „Haustiere“ an Totfutter zu gewöhnen.1

Für Schlangen bis zu einer gewissen Größe kann es ggf. notwendig sein, sie mit neugeborenen oder subadulten Beutetieren zu füttern. Solche Jungtiere, die noch nicht von der Muttermilch abgesetzt sind und sich nicht selbstständig ernähren können, dürfen gemäß der Tierschutz-Transportverordnung nicht ohne ihre Mutter transportiert werden. Das wirft für Schlangenhalter die Frage auf, wo und wie sie das Muttertier sowie eventuell weitere Jungtiere tierschutzkonform unterbringen und versorgen können.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Wie viele Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind der Landesregierung bei der Lebendtierfütterung von Wirbeltieren bei nicht domestizierten Wildtieren seit dem Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen bekannt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahren und Art des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz)
  2. Wie bewertet die Landesregierung die Ausnahmeregelung der Verfütterung von lebendigen Wirbeltieren bei Tieren, die nicht an Totfutter gewöhnt sind?
  3. Inwiefern wird die tiergerechte Haltung gemäß Tierschutzgesetz von Futtertieren (Wirbeltieren) in Nordrhein-Westfalen überwacht bzw. überprüft?
  4. Gemäß Tierschutz-Transportverordnung dürfen junge Wirbeltiere, die als Futtertiere bestimmt sind und noch mit Muttermilch ernährt werden, nur mit dem entsprechenden Muttertier transportiert werden. Wie viele Verstöße gegen die Tierschutz-Transport­verordnung konnten im vorgenannten Fall seit 2017 in Nordrhein-Westfalen festgestellt werden?
  5. Was konkret unternimmt die Landesregierung, damit Wirbeltiere, die als Futtertiere vorgesehen sind, ein artgerechtes Leben bis zu ihrem Tod führen können?

Andreas Keith
Zacharias Schalley

 

Anfrage als PDF

 

1 https://rewis.io/urteile/urteil/7ss-30-06-2016-m-23-k-16928/


Die Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 188 mit Schreiben vom 26. August 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie viele Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind der Landesregierung bei der Lebendtierfütterung von Wirbeltieren bei nicht domestizierten Wildtieren seit dem Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen bekannt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahren und Art des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz)

Eine Abfrage bei den für die Überwachung von Tierhaltungen zuständigen Kreisordnungsbehörden ergab, dass insgesamt in den Jahren von 2017 bis heute sechs Fälle von tierschutzwidrigen Lebendtierfütterungen zur amtlichen Kenntnis gelangt sind. Für das Jahr 2017 wurde z. B. über zwei festgestellte Verstöße bei der Verfütterung von lebenden Ratten und Mäusen an Schlangen berichtet. Im Jahr 2020 ist ein Verstoß bei der Verfütterung von lebenden Fischen an Otter und ein Verstoß bei der Verfütterung von Ratten an Königs-Pythons zur amtlichen Kenntnis gelangt. Im Jahr 2021 sind zwei Verstöße im Rahmen der Verfütterung von Ratten und Mäusen an Schlangen behördlich bekannt geworden.

In Anbetracht der Tatsache, dass zahlreiche karnivore (fleischfressende) Terrarientiere in Privathand gehalten werden, ist davon auszugehen, dass entsprechende Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen in Bezug auf die Lebendtierverfütterung im privaten Bereich eher selten zur amtlichen Kenntnis gelangen dürften.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Ausnahmeregelung der Verfütterung von lebendigen Wirbeltieren bei Tieren, die nicht an Totfutter gewöhnt sind?

Grundsätzlich dürfen nur Futtertiere verfüttert werden, die zuvor nach den tierschutzrechtlichen Bestimmungen betäubt und getötet wurden. Die Verfütterung von lebenden Tieren an Schlangen, die aus biologischen Gründen kein Totfutter annehmen, darf nur im Ausnahmefall erfolgen. Hierbei muss das Entstehen von Schmerzen für die Futtertiere soweit als möglich vermieden werden (§ 4 Absatz 1 Satz 1 Tierschutzgesetz). Auch dürfen keinem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden (§ 1 Satz 2 Tierschutzgesetz). Daher ist ein Futtertier bei Nichtannahme durch die Schlange zeitnah aus dem Terrarium zu entfernen.

Darüber hinaus hat die Tierhalterin/der Tierhalter – soweit möglich – bei der Fütterung auf die Aufnahme toter Futtertiere umzustellen. Bei den üblicherweise gehaltenen Schlangenarten hängt dies maßgeblich vom richtigen Vorgehen der Tierhalterin/des Tierhalters ab und kann insgesamt bis zu einem halben Jahr dauern (siehe hierzu auch Merkblätter der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V., Merkblatt Nr. 178 – Heimtiere: Königs-Pythons, Merkblatt Nr. 179 – Heimtiere: Kornnattern, www.tierschutz-tvt.de).

  1. Inwiefern wird die tiergerechte Haltung gemäß Tierschutzgesetz von Futtertieren (Wirbeltieren) in Nordrhein-Westfalen überwacht bzw. überprüft?

Futtertiere werden u. a. für karnivore Terrarientiere gezüchtet und gehalten. Privatpersonen halten die zur Verfütterung vorgesehenen Tiere entweder selbst oder kaufen diese im Handel zu.

Die gewerbsmäßige Haltung, Züchtung und der Handel mit Futtertieren unterliegt der tierschutzrechtlichen Erlaubnispflicht nach § 11 Absatz 1 Satz 1 Nummer 8 a) und b) des Tierschutzgesetzes. Erlaubnispflichtige Tierhaltungen unterliegen nach § 16 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 Tier-schutzgesetz der Aufsicht der zuständigen Kreisordnungsbehörden und werden präventiv sowie anlassbezogen amtlich kontrolliert.

Futtertiere werden lebend oder tot (in der Regel tiefgefroren) vermarktet. Bei der Haltung und Tötung der zur Verfütterung vorgesehenen Wirbeltiere gelten die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes bzw. der Tierschutz-Schlachtverordnung.

Private Haltungen von Futtertieren werden anlassbezogen, beispielsweise aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung, durch die zuständigen Veterinärämter kontrolliert.

  1. Gemäß Tierschutz-Transportverordnung dürfen junge Wirbeltiere, die als Futtertiere bestimmt sind und noch mit Muttermilch ernährt werden, nur mit dem entsprechenden Muttertier transporetiert werden. Wie viele Verstöße gegen die Tierschutz-Transport-verordnung konnten im vorgenannten Fall seit 2017 in Nordrhein-Westfalen festgestellt werden?

In der Tierschutztransportverordnung in der Fassung vom 11. Juni 1999 war in § 3 Absatz 2 Satz 3 (alte Fassung) geregelt, dass Säugetiere, die noch nicht vom Muttertier abgesetzt sind oder die noch nicht an das selbständige Aufnehmen von Futter und Trank gewöhnt sind, nur gemeinsam mit dem Muttertier befördert werden dürfen. Diese Regelung ist seit dem 11. Februar 2009 nicht mehr gültig.

Auch wenn die vorgenannte Vorschrift außer Kraft getreten ist, müssen die Vorschriften der heute geltenden europäischen Tierschutztransport-verordnung (VO (EG) Nr. 1/2005) angewendet werden. Gemäß Art. 6 Absatz 3 i.V.m. Anhang I Kapitel 1 Nummer 2 Satz 1 der europäischen Tierschutztransportverordnung gelten Tiere mit physiologischen Schwächen als nicht transportfähig. Ein Schwächezustand kann z. B. darin liegen, dass ein noch nicht abgesetztes Jungtier wegen der Abwesenheit des Muttertiers seinen Hunger nicht stillen kann. Beim Transport von Baby-Mäusen oder Baby-Ratten ohne Muttertier dürfte ein physiologischer Schwächezustand im Sinne von Nummer 2 Satz 1 vorliegen, der der Annahme einer Transportfähigkeit entgegensteht (siehe auch Hirt/Maisack/Moritz, 3. Aufl. 2016, EU-Tiertransport-VO, Kapitel I. Transportfähigkeit, Rn. 5).

Entsprechende Verstöße gegen die EU-Tierschutztransportverordnung bezogen auf den Transport von Baby-Mäusen oder Baby-Ratten ohne Muttertier sind den zuständigen Veterinärbehörden für den abgefragten Zeitraum jedoch nicht zur amtlichen Kenntnis gelangt.

  1. Was konkret unternimmt die Landesregierung, damit Wirbeltiere, die als Futtertiere vorgesehen sind, ein artgerechtes Leben bis zu ihrem Tod führen können?

Jeder, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, hat das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen zu ernähren, zu pflegen und verhaltensgerecht unterzubringen und darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (§ 2 Tierschutzgesetz).

Tierhalterinnen und Tierhaltern obliegt es in ihrer Verantwortung, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Futtertiere sind keine Tiere zweiter Klasse (siehe Hirt/Maisack/Moritz, 3. Aufl. 2016, TierSchG, § 2 Rn. 161).

Durch die für die Überwachung der Einhaltung tierschutzrechtlicher Bestimmungen zuständigen Kreisordnungsbehörden werden anlassbezogene und in erlaubnispflichtigen Tierhaltungen auch präventive amtliche Kontrollen durchgeführt. Werden dabei Verstöße festgestellt, so ist die Kreisordnungsbehörde nach § 16a Absatz 1 Tierschutzgesetz aufgefordert, alle zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen zu treffen.

 

Antwort als PDF