Antrag
der Fraktion der AfD
Spieler- und Jugendschutz stärken, Spielsucht bekämpfen: Die Landesregierung muss sich für eine Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) einsetzen!
I. Ausgangslage
Die aktuellen Zahlen des Glücksspielatlas 2023, präsentiert vom Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert, verdeutlichen die ernsthafte Problematik der Glücksspielsucht in Deutschland. Eine Person, die davon betroffen ist, zeigt entzugsähnliche Symptome, wenn sie nicht spielt. Glücksspielsucht wird als eine exzessiv-destruktive Teilnahme am Glücksspiel definiert. Die betroffenen Personen erleben einen Kontrollverlust, setzen zunehmend mehr Geld ein, zeigen Reizbarkeit, versuchen ihre Sucht durch Lügen zu verbergen und ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Mit 1,3 Millionen Menschen, die an einer Glücksspielstörung leiden, und weiteren 3,3 Millionen mit riskantem Glücksspielverhalten sind die Erkenntnisse aus dem Glücksspielatlas Beleg für die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, insbesondere der Jugendlichen. Der Bundesdrogenbeauftragte schlägt zum Beispiel bei Sportwetten vor, dass der Werbung schnellstmöglich engere Grenzen gesetzt werden sollten: „Es muss einfach Schluss sein mit den Sportwetten-Spots vor, nach und während der Sportberichterstattung selbst im Nachmittags- und Frühabendprogramm. Niemand will das, niemand braucht das und niemandem tut das gut“, untermauert er seine Forderung.1
Die Forderung nach Werbebeschränkungen, insbesondere im Bereich von Sportwetten, erscheint vor dem Hintergrund der alarmierenden Zahlen sinnvoll und dringend erforderlich. Die Verbindung von Sport und Sportwetten, die zu einer gefährlichen Verharmlosung führt, könnte zum Beispiel durch ein Verbot von Sportwettenwerbung im Fernsehen vor 23 Uhr unterbunden werden. Dieser Schutzmechanismus zielt darauf ab, Jugendliche vor einer möglichen Entwicklung von Glücksspielsucht zu bewahren. Die Verlockung junger Menschen durch Werbemaßnahmen, insbesondere im Zusammenhang mit Online-Spielen und Lootboxen, ist ein besorgniserregender Aspekt. Die Aussage des Bundesdrogenbeauftragten, dass etwas nicht stimme, wenn Jugendliche durch derartige Mechanismen scheinbar harmloser Spiele gezielt zum Glücksspiel verleitet werden, unterstreicht die Dringlichkeit von effektiven Jugendschutzrege-lungen.
Es ist positiv zu vermerken, dass der Glücksspielatlas auch eine rückläufige Teilnahme an Glücksspielen in Deutschland feststellt. Trotzdem ist der gesamte Bruttospielertrag der Branche mit 13,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr alarmierend hoch. Die hohe Summe verdeutlicht die wirtschaftliche Bedeutung des Glücksspiels, was jedoch gleichzeitig das Risiko von Spielsucht und deren verheerende Auswirkungen birgt. In Anbetracht dieser Fakten und der schwerwiegenden gesundheitlichen, finanziellen und sozialen Folgen von Glücksspiel-sucht ist es unabdingbar, wirksame Werbebeschränkungen zu implementieren, um die Bevölkerung, insbesondere die vulnerable Gruppe der Jugendlichen, angemessen zu schützen.
Der Glücksspielstaatsvertrag hatte ambitionierte Ziele, darunter den Schutz der Spieler vor Spielsucht durch Lizensierung und strenge Kriterien für Online-Casinos. Allerdings zeigt eine aktuelle Studie von GambleBase.com, dass viele Regelungen, insbesondere das Werbeverbot für illegale Anbieter, nicht wirksam sind.2 Die Studie untersuchte die Werbeaktivitäten von On-line-Casinos und ergab, dass der Großteil der Werbung illegal war. Bei unbezahlter Werbung waren 97,88 Prozent nicht legal; bei bezahlter Werbung stieg dieser Anteil sogar auf 99,42 Prozent. Dies hat schwerwiegende Folgen, da Spieler Schwierigkeiten haben, zwischen legalen und illegalen Anbietern zu unterscheiden. Die illegale Glücksspielwerbung wird verstärkt, während seriöse Anbieter unsichtbar bleiben. Die Studie verdeutlicht auch, dass das Werbeverbot nicht ausreichend kontrolliert wird, was zu einer Abwanderung in den Schwarzmarkt führt, wodurch dem Staat erhebliche Steuereinnahmen entgehen. Der Chef von Gamble-Base.com betont, dass der Staat in der Pflicht ist, klare Bestimmungen zu kommunizieren, deren Einhaltung zu überwachen und bei Verstößen streng zu sanktionieren. Nur durch eine wirksame Kontrolle des Schwarzmarktes kann die Glücksspielbranche präzise reguliert und der Schutz von Spielern und Suchtprävention gewährleistet werden.
Rund zweieinhalb Jahre nach seiner Ratifizierung fällt die Zwischenbilanz des Glücksspiel-staatsvertrags somit gemischt aus. Denn selbst die Kontrolle legaler Anbieter scheint teilweise noch lückenhaft zu sein. So verpflichteten sich alle Anbieter, ein Spielersperrsystem namens OASIS zu installieren, das die Daten ihrer Spieler zentral erfasst. Spielsüchtige und Personen mit problematischem Spielverhalten, die in der Sperrdatei geführt sind, dürfen bei keinem Anbieter zum Glücksspiel zugelassen werden. In ihrem ersten Jahresbericht nannte die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) jedoch keine Zahlen zu den insgesamt in OASIS erfassten Spielstätten.3 Suchtexperten monierten in der Vergangenheit, dass beispielsweise noch immer nicht alle Spielhallen an das System angeschlossen seien.4
Ein weiterer Kritikpunkt ist und bleibt der nach wie vor ungeklärte Umgang mit sogenannten Lootboxen, d. h. virtuellen Schatzkisten, die in Computerspielen eine unterschiedliche Anzahl an zufällig generierten Gegenständen enthalten und von den Spielern gegen echtes Geld erworben werden können. Oftmals handelt es sich dabei um kosmetische Accessoires, sogenannte „Skins“, die es erlauben, die eigene Spielfigur zu personalisieren. Die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Gegenstände zu erhalten, wird jedoch häufig nicht transparent gemacht. Um einen begehrten „Skin“ zu erhalten, müssen Spieler in der Regel mehr als nur eine Lootbox kaufen, was gerade Jugendliche schnell in finanzielle Schwierigkeiten bringen kann. Kritiker führen daher an, dass Lootboxen eine Form von Glücksspiel darstellen, die staatlicherseits bisher nur ungenügend reguliert sei. Diese Regulierungslücke wirft wiederum die Frage nach dem Jugendschutz auf, da Lootboxen auch von Minderjährigen gekauft werden, die sich damit einem nicht unerheblichen Risiko aussetzen, glücksspielsüchtig zu werden.
Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs sind Spiele als Glücksspiel zu werten, wenn Spieler gegen ein nicht unerhebliches Entgelt eine Gewinnchance erhalten, wobei die Entscheidung über Gewinn oder Verlust hauptsächlich vom Zufall abhängt.5 Für die Einstufung als Glücksspiel ist ebenso maßgeblich, ob der Inhalt der Lootboxen als Gewinn im Sinne der Definition verstanden werden kann. Obwohl es sich bei den so erworbenen Inhalten um rein virtuelle Dinge handelt, können die potentiellen Gewinne mitunter einen beträchtlichen Vermögenswert darstellen. Auf Seiten wie Skinport6 oder Steam, einer Online-Vertriebsplattform für Videospiele, können Spieler die gewonnenen Gegenstände gegen Geld zum Kauf anbieten. Je nach Seltenheitswert können auf diese Weise vier- bis sechsstellige Summen pro gehandeltem Gegenstand erzielt werden.7 Hier fehlt es also nicht an einer marktwirtschaftlichen Relevanz.
Für die Spielebranche stellen Mikrotransaktionen, zu denen auch Lootboxen gehören, mittlerweile eine lukrative Einnahmequelle dar; sie machen in Deutschland circa die Hälfte der durch Videospiele erzielten Einnahmen aus.8 Für die Spieler birgt dieses Geschäftsmodell jedoch ein erhöhtes Gefährdungs- und Suchtpotential, wie die Stiftung Sucht Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Groupement Romand d’Études des Addictions (GREA) in einer jüngst veröffentlichten Studie festgestellt hat: „Rund ein Drittel der Befragten geben an, dass Lootboxen sie zu Käufen anreizen. […] Insbesondere geben knapp 19 % der Spiele[r], die Lootboxen kaufen, an, oft oder manchmal mehr Geld auszugeben als sie es eigentlich vermögen, und 7,8 % haben wegen Videospielen finanzielle Probleme.“9 Des Weiteren vermarkten einige Spiele-entwickler ihre sogenannten In-Game-Käufe absichtlich auf eine Art und Weise, die Suchtverhalten fördert.10 Die EU reagierte im Januar, indem sie ankündigte, neue Regeln für Lootboxen zu erarbeiten. In den USA wird seit 2017 um eine gesetzliche Lösung gerungen.11 In Belgien und den Niederlanden werden die virtuellen Schatzkisten in einigen Spielen bereits als illegales Glücksspiel klassifiziert und sind dementsprechend verboten.12 In Deutschland fehlen dagegen bis heute spezifische Gesetze, die sich direkt mit Lootboxen befassen. Sie sind dementsprechend auch nicht Gegenstand des aktuellen Glücksspielstaatsvertrags.
Dennoch zog die GGL Ende Juni 2023 eine positive Bilanz. Auf ihrer sogenannten „Whitelist“, die die Behörde jeden Monat aktualisiert, fanden sich zu diesem Zeitpunkt insgesamt „142 Anbieter von virtuellen Automatenspielen und Online-Poker, Sport- und Pferdewetten, verschiedener Lotterien und gewerblicher Spielvermittlung.“ 45 weitere Anträge auf eine Erlaubnis befanden sich noch in der Bearbeitung. Ebenso habe man „[m]ehr als 2000 Internetseiten […] auf illegales Glücksspiel bzw. Werbung für illegale Angebote überprüft und ihre Betreiber kontaktiert.“13 Gleichzeitig wird jedoch eingeräumt, dass es Nachholbedarf hinsichtlich der Netzsperren (IP-Blocking) gäbe.14 Konkret geht es dabei um eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz von Anfang 2023. Die GGL hatte den Telekommunikations-anbieter 1&1 aufgefordert Internetseiten mit illegalen Glücksspielangeboten zu sperren. Das OVG entschied in einem Eilverfahren, dass die Rechtsgrundlage für diese Maßnahme ungeeignet und die Sperrungsanordnung somit rechtswidrig sei. Die Sperrverfügung könne nicht auf die Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) gestützt werden, so die Richter, da es sich beim genannten Telekommunikationsan-bieter nicht um einen im Sinne der §§ 8 bis 10 Telemediengesetz (TMG) verantwortlichen Diensteanbieter handle.15 Da das Gesetz gemäß der Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz nachgebessert werden muss, besteht Handlungsbedarf.
II. Der Landtag stellt fest:
- dass angesichts der Feststellungen im „Glücksspielatlas Deutschland 2023“ dringender Handlungsbedarf zur Bekämpfung der Glücksspielsucht besteht;
- dass es klarer und strenger Werberichtlinien bedarf, um irreführende, aggressive oder übermäßige Werbung zu verhindern. Werbeinhalte, -zeiten und -kanäle sind als Teil wirkungsvollerer Jugendschutzregelungen infolge der erkannten Spielsuchtgefahren bei Jugendlichen einzuschränken. Hierzu bedarf es einer Verschärfung der Kontrollinstrumente im Zusammenhang mit dem Werbeverbot, um eine präzise Regulierung der Glücksspielbranche zu gewährleisten und den Schwarzmarkt von nicht lizenzierten Anbietern einzudämmen;
- dass es einer Intensivierung der Maßnahmen zur fortlaufenden Forschung und Datenanalyse auf dem Gebiert der Glücksspielsucht bedarf, um unter anderem Ursachen der Sucht und die Auswirkungen von Glücksspielwerbung auf das Spielverhalten und die Spielsucht besser zu verstehen;
- dass die sogenannten Lootboxen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer jugend- und suchtgefährdenden Wirkung einer gesetzlichen Regulierung bedürfen, starke Ähnlichkeiten zu Glücksspielen aufweisen;
- dass sich die Rechtsgrundlage für das von der GGL angewandte Instrument der Netzsperren infolge eines Urteils des OVG Rheinland-Pfalz als ungeeignet erwiesen hat und nunmehr einer Nachbesserung bedarf.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- auf Grundlage der im „Glücksspielatlas Deutschland 2023“ gewonnenen Erkenntnisse für das Gesetz zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages (Ausführungsgesetz NRW Glücksspielstaatsvertrag – AG GlüStV NRW) und für das Gesetz über die Zulassung von Online-Casinospielen im Land Nordrhein-Westfalen (Online-Casinospiel Gesetz NRW – OCG NRW) jeweils Änderungsgesetze vorzulegen;
- zur Identifizierung der erforderlichen Anpassungen und Änderungen sowie zur Berücksichtigung der verschiedenen Interessen im Rahmen der Gesetzesnovellierungen eine Verbändeanhörung unter Einbeziehung der Landesfachstelle Glücksspielsucht durchzuführen;
- Lootboxen als Glücksspiel zu qualifizieren und dem Glücksspielstaatsvertrag zu unterwerfen, indem etwa der Kauf als eigene Spielform definiert wird;
- die Lootbox-Problematik alternativ über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag anzugehen;
- sich auf allen Ebenen für eine gesetzliche Nachbesserung des Glückspielstaatsvertrags (GlüStV) einzusetzen, um in Zukunft eine rechtssichere Anwendung der Sperrverfügung durch die GGL gegen illegale Anbieter gewährleisten zu können.
Andreas Keith
Dr. Martin Vincentz
und Fraktion
5 BGH, Urt. v. 8.8.2017 − 1 StR 519/16 (LG Chemnitz).
6 https://skinport.com/de/?gclid=EAIaIQobChMIw9Do2v3mggMVAKaDBx15agChEAAYASAAEgI5GvD_BwE
7 https://www.dexerto.com/counter-strike-2/most-expensive-cs2-csgo-skins-1340162/
8 https://www.projuventute.ch/de/eltern/medien-internet/lootboxen
10 https://publications.parliament.uk/pa/cm201719/cmselect/cmcumeds/1846/184606.htm
11 https://www.americanbar.org/groups/entertainment_sports/publications/entertainment-sports-lawyer/esl-39-01-spring-23/fake-loot-real-money-uncertain-legal-future-loot-boxes/
15 Beschl. v. 31.01.2023, Az. 6 B 11175/22