Stärkung der eigenverantwortlichen Schule – Einstellung des Verfahrens der Qualitätsanalyse

Antrag
vom 11.05.2018

Antragder AfD-Fraktion vom 08.05.2018

 

Stärkung der eigenverantwortlichen Schule – Einstellung des Verfahrens der Qualitätsanalyse

I. Ausgangslage

Schulen und Schulaufsicht sind zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung verpflichtet, dies schließt die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule ein (§ 3 Absatz 3 SchulG).

Mit dem Schulgesetz vom 27. Juni 2006 wurde die Qualitätsanalyse an den nordrhein-westfälischen Schulen unter dem Namen „Schul-TÜV“1 als zentrales Messinstrument für die Entwicklung und Sicherung der Qualität landesweit eingeführt.2 Die Qualitätsanalyse wurde bei den Bezirksregierungen angesiedelt, dort wiederum in einem eigenen Dezernat. Somit oblag die Qualitätsanalyse der Schulaufsicht und stellte einen integralen Bestandteil des Aufgabenfelds der Schulaufsicht dar.3 Ministerin Sommer schob eine gewaltige Reform an, und der Landtag verabschiedete im Jahr 2005 ein einheitliches Schulgesetz für das Land NRW. „Ähnlich der Funktion von Unternehmensberatungen sammeln die Qualitätsprüferinnen und -prüfer Informationen über die bestehenden Schulentwicklungsprozesse“4, hieß es in der seitens des Ministeriums veröffentlichten Sonderausgabe des Amtsblatts des Ministeriums für Schule und Weiterbildung.

Im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung hat dann die schwarz-gelbe Landesregierung das Landesinstitut in Soest zum 01.01.2007 aufgelöst. Damit wurden zentrale Aufgaben in das Schulministerium zurückgeführt, weitere wie Service- und Beratungsaufgaben wiederum gingen an die Bezirksregierungen über. Curriculumentwicklung, zentrale Prüfungen und Lernstandserhebungen wurden als Arbeitseinheit ebenfalls in das Ministerium integriert. Am Landesinstitut in Soest waren damals 100 Personen5 beschäftigt. Für diese Beschäftigten schaffte das damalige Kabinett eine „sozialverträgliche Lösung“6 durch Versetzung des Arbeitsstandortes.

Die Auflösung des Instituts tangierte nicht die im Schulgesetz vorgeschriebene Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung. Seit dem 1. August 2006 bestehen schließlich in den fünf Bezirksregierungen die eigenständigen Dezernate „4Q – Qualitätsanalyse an Schulen“. Erst mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 wurde in NRW mit der Qualitäts- und Unterstützungsagentur (QUA-LiS) wieder ein Landesinstitut für Schule in einer umfassenden Form in Soest errichtet. Bis 2015 wurde das Institut schrittweise auf- und ausgebaut. Die rot­grüne Landesregierung setzte damit ihr konkretes Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Ministerin Löhrmann betraute das Landesinstitut u.a. mit Kernaufgaben wie Lehrerfortbildung, Inklusion, Qualifizierung von Schulleitungen und Schulaufsicht und vor allem der übergreifenden Qualitätssicherung. Die Qualitätsanalyse wird im Landesinstitut beispielswiese durch die Veröffentlichung eines Landesberichts, wie im Jahr 2016, wahrgenommen. Für das neue Landesinstitut wurden 55 Stellen aus dem Ministerium überführt, sodass im Ministerium für Schule und Weiterbildung 55 Stellen wegfielen.7 Heute sind am Landesinstitut in Soest insgesamt 163 Mitarbeiter beschäftigt.8 Im Haushaltsplan 2018 der schwarz-gelben Landesregierung ist ein Stellenzuwachs von zwei Planstellen erfolgt, welche in die neue Supportstelle Weiterbildung integriert werden. QUA-LiS NRW belastet den Haushalt 2018 mit 13.113.000 Mio. Euro, dies ist eine Erhöhung um 142.100 Euro gegenüber dem Haushaltsjahr 2017.9

Wenn Bildungspolitiker von „Qualitätsanalyse“, „Qualitätsmanagement“, „Qualitätsstandards“ oder sogar von einer „Qualitätsoffensive“ an unseren Schulen sprechen, dann trifft ein betriebswirtschaftlicher Optimierungswahn auf politische Hilfslosigkeit. Wie auch dem Koalitionsvertrag 2012-2017 der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen zu entnehmen ist, werden mit den Formulierungen „pädagogische[r] Innovation, Unterstützungssystem, Steigerung von Professionalität“10 Hochwertigkeitsbegriffe aus der Qualitätskontrolle von Wirtschaftsunternehmen entlehnt, um die politische Legitimation für die Qualitätsanalyse zu begründen.

Spätestens seit den Pisa-Erhebungen und den OECD-Quotentabellen verkommt Bildung immer mehr zum Untertan des Funktionalismus und des Empirismus, wonach Wettbewerbs-und Effizienzkriterien die Zukunft unserer Schulen bestimmen. Die Qualitätsanalyse ist lediglich die politische Reaktion auf einen schon in den siebziger Jahren eingeleiteten Trend. Die politische Steuerung in der Wirtschafts- und Bildungspolitik werden immer weiter aneinander angeglichen. Dies ist eine fatale Entwicklung in Anbetracht dessen, dass die Institution Schule mit ihrem Bildungsauftrag nicht nur für die kognitiv-intellektuelle Entwicklung, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen verantwortlich ist. Während in der Wirtschaft unter marktwirtschaftlichen Aspekten der Gewinnmaximierung gehandelt wird, darf die Bildungspolitik auf keinen Fall ausschließlich nach Rentabilitätsaspekten gesteuert werden. Die Gleichbehandlung der beiden sich antagonistisch gegenüberstehenden Lebensbereiche führt zu inhumanen Entwicklungen im Bildungsbereich und zu einer gewissen Kaltherzigkeit im konkreten Unterrichtsprozess.

Bedenkt man, dass die Einführung des Qualitätsmanagements erstmalig in Dienstleistungs­berufen erfolgte, so zeigt sich hier deutlich der Einfluss ökonomischer Denkweisen. Diese Denkweisen speisen sich aus „uralten kybernetischen und betriebspsychologischen“ Lehren.11 Die Einführung von Qualitätsmanagement nach den Maßstäben ökonomischer Wertungen im Humanbereich ist eine unzulässige Übertragung. Menschliches Verhalten und menschliches Handeln sind zu komplex, als dass sie mit den Instrumenten betriebswirtschaftlicher Qualitätsanalysen gemessen werden können. Korrelationen, Varianzen, Regressionsanalysen, theoriearme Empirie und grobe Vergleiche können die schulische Realität nicht erfassen.12 Wenn auch durch das Qualitätsmanagement in einem Wirtschaftsbetrieb eine Optimierung technischer Abläufe erreicht wird, kann man diese Messinstrumentarien dennoch nicht auf den Bildungsbereich transferieren.

Friedrich Nietzsche glaubte bereits zu seiner Zeit eine Veränderung in der Bildungslandschaft erkannt zu haben. Er sprach von „nationalökonomischen Dogmen der Gegenwart“.13 Heute würden wir eher von „Bildungsökonomie“ sprechen. Anlässlich der Aktualität veranlasste der Deutsche Lehrerverband (DL) gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) am 19. Mai 2011 eine gemeinsame Tagung zum Thema „Wozu Bildungsökonomie?“. Im November 2000 konkretisierte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Artikel „Tempi – Bildung im Zeitalter der Beschleunigung“ den Kampf um die Ressource Mensch und mahnten mit den Worten von Günther Grass zur Entschleunigung an. Der Bildungsforscher Prof. Konrad Paul Liessmann übte sowohl an Bildungsexperten als auch am Bildungssystem heftige Kritik, indem er die „Kapitalisierung des Geistes“ anprangerte.14 Im nordrhein-westfälischen Landtag warnte sein renommierter Kollege Prof. Rainer Dollase schon im Jahr 2002 im Rahmen einer öffentlichen Anhörung zur „Elementarpädagogik als Teil des Bildungssystems“ vor den Konsequenzen der Einführung eines Qualitätsmanagements: „Dienstleistungsberufe brauchen nicht mehr Management, sondern mehr Menschen, die etwas tun.“15

Der in der Anhörung zum Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der Bündnis90/ Die Grünen „Qualitätsanalyse – ein wichtiger Baustein für die Schulqualität“ am 21. Januar 2015 befragte Sachverständige der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Dr. Matthias Burchardt, betrachtet die Qualitätsanalyse als ein politisches Steuerungsinstrument.16 In der DDR beispielsweise wurde die Qualität der Schulen anhand vorgefertigter Kataloge bei der anstehenden Inspektion17 in den jeweiligen vorschulischen und schulischen Institutionen abgeglichen und kontrolliert.18 Die Qualitätsanalyse kann überspitzt auch als das Panopticon Foucaults angesehen werden. Darüber hinaus gibt es mit der Qualitätsanalyse in der Praxis erhebliche Probleme hinsichtlich des Nutzens und der Effizienz.

Dollase fasste seine Kritik wie folgt zusammen: „Sie führt zu einer Aufblähung der Bürokratie, d.h. zu mehr Jobs in einem von der Arbeit weit entfernten Bereich, sie ist zu teuer, sie wird von Leuten gemacht, die nichts von der Sache verstehen, sie verbessert nichts, sie ist unwirksam und sie fördert eine parasitäre Führungskultur.“19 Die Unwirksamkeit der Qualitätsanalyse lässt sich insbesondere dadurch erklären, dass die Input-Zufuhr als Voraussetzung für die Evaluation keine Rolle spielt, sondern die Qualitätsanalyse sich allein der „reinen Outputsteuerung“20 zuwendet.

In Rheinland-Pfalz beispielsweise wurde sogar die Schließung der Agentur für Qualitätssicherung (AQS) im September 2015 durch den Ministerrat beschlossen. Ähnliche Bestrebungen wurden auch bei dem Pisa-Spitzenreiter Finnland vor Jahren festgestellt.21 In Niedersachen dagegen wurde die Schulinspektion in eine sogenannte „Fokusevaluation“22 umbenannt und somit inhaltlich beibehalten, obwohl bei einer Onlinebefragung des Landes 2016 rund 10.000 Lehrer die massive Belastung durch das Verfahren bemängelten.23 Zu der im nordrhein-westfälischen Landtag abgehaltenen Anhörung zum Thema hat der geladene Sachverständige Dr. Matthias Burchardt über die Qualitätsanalyse ein vernichtendes Urteil gefällt und sogar die „ersatzlose Schließung von QUA-LiS NRW“24 empfohlen.

Schule braucht keine Inspektion durch Unternehmensberater, sondern ausreichend Ressourcen und eine Entschlackung von den auferlegten Problemen und eine Befreiung von der Pisa-Hysterie und anderweitigen Quotenneurosen. Bildungszuwachs kann nicht mit den Messinstrumenten gemessen oder statistisch ermittelt werden, mit denen man technische oder organisatorische Abläufe messen kann.

II. Der Landtag stellt fest:

1. Für Deutschland als Hochtechnologieland ist erstklassige Bildung die wichtigste Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wohlstand des Landes und den internationalen wirtschaftlichen Erfolg.

2. In einem immer rascheren Wandel unserer Gesellschaft steigt das Interesse an der ökonomischen Verwertbarkeit von Bildung (Bildungsökonomie). Die Bildung gerät somit in Gefahr, zu Humankapital degradiert zu werden.

3. Aus anthropologischen und philanthropischen Gründen darf Bildungszuwachs aber nicht zu Humankapital herabgewürdigt werden.

4. Die Qualitätsanalyse mit den Messinstrumenten für betriebs- und volkswirtschaftliche Prozesse ist ein vollkommen untaugliches Verfahren zur Erfassung des Bildungsstands von Schülergruppen.

5. Die Qualitätsanalyse ist somit für die Erfolgsüberprüfung von Unterricht und Erziehung vollkommen unbrauchbar und somit lediglich ein „pädagogisches Placebo“25, das zur Optimierung von pädagogischer Bildungs- und Erziehungsarbeit nichts beitragen kann.

6. Die Institution Schule benötigt keinen Unternehmensberater im Sinne eines „critical friends“26, sondern eine Entschlackung und eine Entschleunigung von der auferlegten Ideologie.

7. Die Qualitätsanalyse führt in der gegenwärtigen Form zur Aufblähung der Verwaltung, die für eine parasitäre Führungsstruktur anfällig ist.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

1. Eine sofortige Einstellung des QA-Verfahrens nach den bisherigen Maßstäben.

2. Die Rückführung der bislang durch das Landesinstitut QUA-LiS beanspruchten Ressourcen für das QA-Verfahren in die Schulen des Landes.

3. Die Auflösung der Dezernate „4Q – Qualitätsanalyse an Schulen“ und die Übertragung der Qualitätssicherung an die schulfachlichen Dezernate.

4. Die Überprüfung von unterrichtlichem und erzieherischem Erfolg durch Evaluationsverfahren, mit denen man den Bildungsfortschritt angemessen erfassen kann.

Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion

 

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1 http://ods.dokom .net/ghges/a-z/402601_schulgesetz_06.pdf, S.14 (abgerufen am 05.04.2018).

2 Konkretisiert in §86 Abs. 5 Schulgesetz 2006.

3 http://ods.dokom.net/ghges/a-z/402601_schulgesetz_06.pdf , S. 114 (abgerufen am 05.04.2018).

4 http://ods.dokom .net/ghges/a-z/402601_schulgesetz_06.pdf, S.14 (abgerufen am 05.04.2018).

5 Protokoll der 26. Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung (APr 14/235) vom 23.08.2006, S. 5.

6 Protokoll der 26. Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung (APr 14/235) vom 23.08.2006, S. 2.

7 Protokoll der 31. Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung (APr 16/443) vom 22.01.2014, S. 27.

8 Band „Erläuterungen zum Entwurf des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2018“, Einzelplan 05, S. 126.

9 http://www.haushalt.fm.nrw.de/daten/hh2018.ges/daten/pdf/2018/hh05/kap077.pdf (abgerufen am 10.04.2018).

10 Koalititonsvertrag B90/ Die Grünen 2012-2017: https://www.nrwspd.de/wp-content/uploads/sites/2/2012/06/doc_40518_201261395917.pdf (S. 19), (abgerufen am 05.04.2018).

11 Dollase, Rainer vom 27.September 2002 (Zuschrift 13/2118): S.10.

12 Vgl. Becker, Manfred (2012): Bildungsökonomie. Möglichkeiten – Risiken – Grenzen- In: Deutscher Lehrerverband (Hrsg.): Wozu Bildungsökonomie? Berlin, S. 19.

13 Nietzsche, Friedrich (1872): „Über die Zukunft der Bildungsanstalten“: http://www2.ibw.uni-heidel berg.de/~gerstner/nietzsche_bildungsanstalten.pdf (abgerufen am 10.04.2018).

14 Liessmann, Konrad (2006): Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft.

15 Dollase, Rainer (Zuschrift 13/2118): S.10 vom 27.September 2002.

16 Vgl. Burchardt, Matthias vom 31. Januar 2015 (Stellungnahme 16/2475): S.2.

17 In anderen Bundesländern heißt die Qualitätsanalyse nach wie vor „Inspektion“.

18 Vgl. Dollase, Rainer (2012): Sinn und Unsinn des Qualitätsmanagements. In: Deutscher Lehrerverband (Hrsg.): Wozu Bildungsökonomie? Berlin, S.84.

19 Vgl. Dollase, Rainer (2012): Sinn und Unsinn des Qualitätsmanagements. In: Deutscher Lehrerverband (Hrsg.): Wozu Bildungsökonomie? Berlin, S.86.

20 Dollase, Rainer (2006): Kritik der Qualitätssicherung – Bürokratische, sinnlose und sinnvolle Wege zu mehr Qualität, S. 10.

21 Vgl. Dollase, Rainer (2012): Sinn und Unsinn des Qualitätsmanagements. In: Deutscher Lehrerverband (Hrsg.): Wozu Bildungsökonomie? Berlin, S.89.

22 https://www.karin-logemann.info/2018/01/22/erneuerungen-bei-schulinspektion-ab-schuljahr-2018-2019/ (abgerufen am 10.04.2017).

23 http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Ein-Arbeitskreis-von-rund-50-Gymnasial-und-Seminarleitern-in-Niedersachsen-fordert-die-Schulinspektion-zu-verbessern (abgerufen am 11.04.2018).

24 Burchardt, Matthias vom 31. Januar 2015 (Stellungnahme 16/2475): S.5.

25 Kraus, Josef (2017): Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt (S. 138).

26 Antrag der Fraktion der SPD/B90 „Qualitätsanalyse – ein wichtiger Baustein für die Schulqualität (Drs. 16/6121) vom 24.06.2014: S. 3.