Kleine Anfrage 238
des Abgeordneten Klaus Esser vom 01.08.2022
Stigmatisierung unbescholtener Clan-Angehöriger – Welche neuen Erkenntnisse zu Strukturen arabisch-kurdisch-libanesischer Clans liegen der Landesregierung vor?
Eingewanderte arabisch-kurdisch-libanesische Clans in Deutschland verfügen mehr als 40 Jahre nach Beginn der Zuwanderung über eine beachtliche Familienstruktur und -größe. Das Bundeskriminalamt schätzte diese im Jahre 2015 auf etwa 200.000 bescholtene und unbescholtene Familienmitglieder.1
Im LKA-Lagebericht der Polizei NRW zu Clankriminalität 2021 wird der Begriff Clankriminalität klar umrissen und bezeichnet die sich aus ethnisch abgeschotteten Subkulturen heraus entwickelnde Kriminalität, die sich im Bericht allein auf die kriminellen Mitglieder türkisch-arabischstämmiger Großfamilien beschränkt, soweit diese Bezüge zur Bevölkerungsgruppe der Mhallamiye (Schreibweise auch Mhallami) oder zum Libanon haben.
Für das Jahr 2021 wurden in NRW insgesamt 3.629 Tatverdächtigte im Bereich Clankriminalität festgestellt.2 2019 hatte Innenminister Reul zwei Clans identifiziert, die das Milieu weitestgehend dominieren würden, u.a. die Clan-Familie O..
Der NRW-Justizminister weist vor dem Hintergrund dieser Fakten auf eine mögliche Stigmatisierung von unbescholtenen Clan-Angehörigen hin.3 In diesem Zusammenhang ist unklar, auf Grundlage welcher neuer Erkenntnisse der Justizminister zu dieser Einschätzung zu so einem frühen Zeitpunkt seiner Amtsausübung kommt.
Informationen sind spärlich, lassen sich aber offenbar doch ermitteln, und so konnte die Süddeutsche Zeitung (SZ) eine Clan-Hochburg in Essen ausmachen, wo laut Bericht 12.000 bis 15.000 Angehörige libanesisch-kurdischstämmiger Großfamilien leben würden.4
Daher frage ich die Landesregierung:
- Wie viele Mhallami-Familienmitglieder gibt es gegenwärtig in NRW?
- Welchen Clan-Familien werden diese Familienmitglieder zugeordnet? (Bitte auch den genauen Clan-Namen angeben und aufschlüsseln, wie viele polizeilich erfasste Tatverdächtige diesen Familien zuzuordnen sind)
- Gibt es neben der Stadt Essen weitere Siedlungsschwerpunkte der Mhallami-Familien in NRW-Ballungsräumen? (Bitte tabellarische Übersicht mit kreisfreien Städten und Landkreisen sowie namentliche Zuordnung der jeweiligen Clan-Familien)
- Gibt es Erkenntnisse über Stigmatisierungsbeschwerden von unrechtmäßig verdächtigten Clanangehörigen, die den Justizminister zu der Einschätzung bringen, dass sich Clanangehörige stigmatisiert fühlen?
- Wie bewertet das Justizministerium etwaige Stigmatisierungsbeschwerden im Hinblick auf die durch Clankriminalität verursachten Rechtsbrüche sowie gesellschaftlichen Schäden in NRW?
Klaus Esser
1 https://www.zeit.de/2018/33/clans-deutschland-kriminalitaet-mitglieder/komplettansicht
4 https://www.sueddeutsche.de/panorama/clan-kriminalitaet-nrw-1.4447626
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 238 mit Schreiben vom 26. August 2022 im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sowie dem Minister der Justiz namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie viele Mhallami-Familienmitglieder gibt es gegenwärtig in NRW?
- Welchen Clan-Familien werden diese Familienmitglieder zugeordnet? (Bitte auch den genauen Clan-Namen angeben und aufschlüsseln, wie viele polizeilich erfasste Tatverdächtige diesen Familien zuzuordnen sind)
- Gibt es neben der Stadt Essen weitere Siedlungsschwerpunkte der Mhallami-Familien in NRW-Ballungsräumen? (Bitte tabellarische Übersicht mit kreisfreien Städten und Landkreisen sowie namentliche Zuordnung der jeweiligen Clan-Familien)
Zu den Fragen 1 bis 3 liegen der Landesregierung keine Informationen vor.
- Gibt es Erkenntnisse über Stigmatisierungsbeschwerden von unrechtmäßig verdächtigten Clanangehörigen, die den Justizminister zu der Einschätzung bringen, dass sich Clanangehörige stigmatisiert fühlen?
Zur Beantwortung der Frage 4 hat mir das Ministerium der Justiz den folgenden Beitrag übersandt:
„Berichte über Beschwerden von Personen, die sich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Familienverbund stigmatisiert fühlen, sind presseöffentlich. Entscheidend dafür, dass niemand unter einen Generalverdacht gestellt werden darf, sind indes nicht Beschwerden darüber, sondern bereits die Gefahr einer Stigmatisierung.“
- Wie bewertet das Justizministerium etwaige Stigmatisierungsbeschwerden im Hinblick auf die durch Clankriminalität verursachten Rechtsbrüche sowie gesellschaftlichen Schäden in NRW?
Zur Beantwortung der Frage 5 hat mir das Ministerium der Justiz den folgenden Beitrag übersandt:
„Der Minister der Justiz widmet sowohl der Verfolgung im Sinne der Fragestellung einschlägiger Straftaten als auch der Gefahr einer Stigmatisierung rechtstreuer Mitglieder von Familienverbünden sein Augenmerk und darin besteht kein Widerspruch. Gleichermaßen entspricht es dem gesetzlichen Auftrag der Strafverfolgungsbehörden, ihre Aufgaben ohne Ansehen der Person wahrzunehmen und zu erfüllen. Zu diesen Aufgaben gehört aufgrund des Legalitätsgrundsatzes das Einschreiten wegen aller verfolgbaren Straftaten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen und nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist. Strafrechtliche Ermittlungen richten sich dabei von Gesetzes wegen allein gegen tatverdächtige Personen, nicht aber gegen unverdächtige Angehörige. Unbeschadet davon ist es, soweit Verbünde familiärer oder anderer Art Kriminalität in organisierter Form begünstigen können, erklärtes Ziel der Landesregierung, der Begehung entsprechender Straftaten mit Nachdruck entgegenzutreten.“