Kleine Anfrage 4810der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Markus Wagner vom 12.01.2021
Terroristische Gefährder und Relevante Personen in Nordrhein-Westfalen
Am 22. September 2020 fragten wir zum bisher letzten Mal nach der Anzahl der Gefährder und der Relevanten Personen in Nordrhein-Westfalen. Mit Stand vom 31. August 2020 hatte sich die Anzahl auf insgesamt
- 375 Personen im Bereich PMK-Religiöse Ideologie;
- 24 Personen im Bereich PMK-Links;
- 21 Personen im Bereich Ausländische Ideologie und
- 42 Personen im Bereich PMK-Rechts
erhöht.1
Bis zum 31. August 2020 wurden insgesamt fünf ausländische Gefährder zurückgeführt, zudem weitere fünf ausländische sicherheitsrelevante Personen.
Auf Betreiben des Bundesinnenministers Seehofer und seiner CDU-Länderkollegen hat die Innenministerkonferenz in ihrer letzten Sitzung, vom 09. bis zum 11. Dezember 2020 den seit dem Jahre 2012 geltenden Abschiebestopp nach Syrien aufgehoben. Mit diesem Beschluss sollte die Möglichkeit eröffnet werden, schwere Straftäter und terroristische Gefährder nach einer Einzelfallprüfung wieder nach Syrien abschieben zu können. Mit Verweis auf ein von der Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten von Prof. Daniel Thym hatte der Integrationsminister, Dr. Joachim Stamp, im Rahmen der Sitzung des Integrationsausschusses vom 09. Dezember 2020 Abschiebungen nach Syrien – auch für Gefährder – noch kategorisch ausgeschlossen.
In einem Interview mit der Tageszeitung „WELT“ hat Minister Stamp bereits am 25. Dezember 2020 angekündigt, im ersten Halbjahr des Jahres 2021 keine Abschiebung nach Syrien vornehmen zu können; somit ist der anlässlich der Innenministerkonferenz getroffene Beschluss für NRW bereits jetzt obsolet. Mit dieser Planung stellte sich der Minister noch im alten Jahr gegen seine CDU-Länderkollegen und den Bundesinnenminister. Im selben Interview versuchte Minister Stamp erneut die Abschiebung von sieben Gefährdern in einem Jahr als Erfolg zu verbuchen. Das ist vor dem Hintergrund des aktuellen Personenpotentials erstaunlich.
Sowohl das Bundesinnenministerium als auch das Auswärtige Amt wurden deutlich kritisiert. Der Minister vermisse das notwendige Engagement bei der Abschiebung von Gefährdern und beim gesamten Rückführungsmanagement.2
In einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ äußerte der Bundesinnenminister, Horst Seehofer, anders als Minister Stamp, wenige Tage später:
„Mit dem Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist besprochen, dass wir ab 1. Januar 2021 jeden einzelnen Fall genau prüfen und versuchen, eine Abschiebung zu ermöglichen. Es gibt Fälle, in denen das vorstellbar ist. Dass das ein schwerer und langer Weg ist, weiß ich auch. Tun wir das aber nicht, bedeutet es doch, dass man sich in Deutschland alles erlauben kann – vom Ladendiebstahl bis zum Totschlag. Man muss jedenfalls nie damit rechnen, abgeschoben zu werden. Einen solchen Freibrief darf es in unserem Rechtsstaat nicht geben. Eines muss doch ganz klar sein: Wer schwer straffällig wird oder unsere Verfassung mit Füßen tritt, muss unser Land wieder verlassen.“3
Zur Umsetzung der Maßnahmen sind verbindliche diplomatische Zusicherungen bzw. zwischenstaatliche Verträge und Garantien für faire Verfahren nach internationalen Standards sowie eine grundsätzlich die Menschenrechte achtende Bestrafung (Ausschluss von Folter und Todesstrafe) dringend erforderlich. Solche Übereinkünfte können allerdings nur auf zwischenstaatlicher bzw. auf EU-Ebene mit den Herkunftsstaaten ausgehandelt werden.
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele Personen, die den Phänomenbereichen PMK-Rechts, PMK-Links, PMK-Ausländer oder PMK-Religiöse Ideologie zugeordnet werden, sind in Nordrhein-Westfalen mit Stand vom 31. Dezember 2020 als Gefährder bzw. als relevante Person bekannt? (Bitte eine aktuelle Übersicht erstellen analog zur Anlage 1, Lt.-Drucksache 17/8401)
- Wie viele sonstige ausländische, sicherheitsrelevante Personen wurden, zusätzlich zu den genannten sieben Gefährdern, im Jahre 2020 insgesamt zurückgeführt? (Bitte Land und die Nationalität der Personen nennen)
- Der Integrationsminister, Dr. Joachim Stamp, hat bereits angekündigt, den Beschluss der Innenministerkonferenz, betreffend die Möglichkeit zur Abschiebung schwerer Straftäter und terroristischer Gefährder nach Syrien, voraussichtlich nicht umsetzen zu können. Welche Möglichkeiten, abgesehen von Verhandlungen mit dem derzeitigen Regime in Syrien, sieht die Landesregierung, um derartige Abschiebungen zukünftig doch noch zu ermöglichen?
- Wäre es nach Ansicht der Landesregierung, bedingt durch die Notwendigkeit diplomatischer Maßnahmen, die in die Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums bzw. des Auswärtigen Amts fallen, erfolgversprechender, die Zuständigkeit für die Abschiebung von Gefährdern, Relevanten Personen und schweren Straftätern komplett von der Landesebene auf die Bundesebene zu verlagern?
- Welche Maßnahmen erfolgen aktuell, um eine Abschiebung von schweren Straftätern und terroristischen Gefährdern in die Länder zu ermöglichen, die, nach Ansicht der Landesregierung, momentan für derartige Abschiebungen nicht in Frage kommen? (Bitte die betreffenden Länder und die Maßnahmen auflisten)
Gabriele Walger-Demolsky
Markus Wagner
1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/11086
ausschliessen.html?fbclid=IwAR33e2pf6RxreNWfVCwr3G1sP0AJfjNPtv2CLJEi_BubstIs9o0DhD1bB14
3 Vgl. https://www.bild.de/politik/2020/politik/keine-sonderbehandlung-seehofer-warnt-vor-besserstellung-von-geimpften-74626642.bild.html?fbclid=IwAR0-7iKO0FDbQ7etOwSSRtFcX6UIO6EIj7l6aPSNrUcOzuoPDPhpzzAMoyc#remId=1650888185508218073
Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 4810 mit Schreiben vom 9. Februar 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.
- Wie viele Personen, die den Phänomenbereichen PMK-Rechts, PMK-Links, PMK-Ausländer oder PMK-Religiöse Ideologie zugeordnet werden, sind in Nordrhein-Westfalen mit Stand vom 31. Dezember 2020 als Gefährder bzw. als relevante Person bekannt? (Bitte eine aktuelle Übersicht erstellen analog zur Anlage 1, Lt.-Drucksache 17/8401)
Die entsprechenden Zahlen für Nordrhein-Westfalen werden monatlich erhoben. In der nachfolgenden Tabelle sind die Zahlen getrennt nach Phänomenbereichen aufgeführt, analog zur Beantwortung früherer Kleiner Anfragen (vgl. Landtags-Drucksache 17/8401) handelt es sich hierbei um die Anzahl aller Gefährder und Relevanter Personen und nicht nur um solche mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Stand: 31.12.2020 |
||
PMK-Religiöse Ideologie |
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Gefährder | 201 | |
Relevante Personen | 180 | |
PMK-Links | ||
Gefährder | 0 | |
Relevante Personen | 20 |
PMK-Ausländische Ideologie |
||
Gefährder | 7 | |
Relevante Personen | 15 | |
PMK-Rechts | ||
Gefährder | 19 | |
Relevante Personen | 22 |
- Wie viele sonstige ausländische, sicherheitsrelevante Personen wurden, zusätzlich zu den genannten sieben Gefährdern, im Jahre 2020 insgesamt zurückgeführt? (Bitte Land und die Nationalität der Personen nennen)
Im Jahr 2020 wurden sieben ausländische Gefährder zurückgeführt, davon
- 2 Personen in die Türkei
- 1 Person nach Tadschikistan
- 1 Person in den Libanon
- 1 Person nach Polen
- 1 Person nach Russland
- 1 Person nach Albanien
Bei der nach Polen im Rahmen einer Dublin-Überstellung zurückgeführten Person handelt es sich um einen tadschikischen Staatsangehörigen. Die übrigen Personen wurden jeweils in die Staaten zurückgeführt, deren Staatsangehörigkeit sie besaßen.
Im Übrigen sind zwei Gefährder freiwillig überwacht ausgereist – der eine mit syrischer Staatsangehörigkeit in den Irak, der andere mit russischer Staatsangehörigkeit nach Russland.
Im Jahr 2020 wurden zwei ausländische Relevante Personen mit türkischer (eine der beiden Personen hat auch die russische) Staatsangehörigkeit in die Türkei zurückgeführt.
Darüber hinaus wurden im Jahr 2020 sechs sonstige ausländische sicherheitsrelevante Personen zurückgeführt, davon
- 2 Personen in den Libanon
- 1 Person nach Marokko
- 1 Person nach Italien
- 1 Person in den Irak
- 1 Person nach Tunesien
Bei der nach Italien im Rahmen einer Dublin-Überstellung zurückgeführten Person handelt es sich um einen malischen Staatsangehörigen. Die übrigen Personen wurden jeweils in die Staaten zurückgeführt, deren Staatsangehörigkeit sie besaßen. Die Rückführung nach Marokko erfolgte im Wege einer Auslieferung.
Trotz pandemiebedingter Einschränkungen sind somit im Jahr 2020 insgesamt 15 sicherheitsrelevante ausländische Personen zurückgeführt worden. Zudem sind zwei weitere solcher Personen freiwillig überwacht ausgereist.
- Der Integrationsminister, Dr. Joachim Stamp, hat bereits angekündigt, den Beschluss der Innenministerkonferenz, betreffend die Möglichkeit zur Abschiebung schwerer Straftäter und terroristischer Gefährder nach Syrien, voraussichtlich nicht umsetzen zu können. Welche Möglichkeiten, abgesehen von Verhandlungen mit dem derzeitigen Regime in Syrien, sieht die Landesregierung, um derartige Abschiebungen zukünftig doch noch zu ermöglichen?
In Nordrhein-Westfalen wird jeder Einzelfall ausländerrechtlich sehr genau vorbereitet, um Abschiebungen auch nach Syrien und vergleichbare Länder umgehend und konsequent durchzuführen, sobald dies gerichtsfest möglich sein sollte. Vor diesem Hintergrund sollen die Ausländerbehörden in den Fällen schwerer Straftäter und terroristischer Gefährder im Rahmen der rechtlich und tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten Vorbereitungen treffen, um zum entsprechenden Zeitpunkt Abschiebungen im jeweiligen Einzelfall vornehmen zu können. Dies geschieht z.B. durch die Prüfung von Ausweisungen oder durch ein Herantreten an das insoweit zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bezüglich einer Überprüfung asylrechtlicher Entscheidungen.
- Wäre es nach Ansicht der Landesregierung, bedingt durch die Notwendigkeit
diplomatischer Maßnahmen, die in die Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums bzw. des Auswärtigen Amts fallen, erfolgversprechender, die Zuständigkeit für die Abschiebung von Gefährdern, Relevanten Personen und schweren Straftätern komplett von der Landesebene auf die Bundesebene zu verlagern?
Die nordrhein-westfälischen Behörden arbeiten bei der Abschiebung von ausländischen Gefährdern, Relevanten Personen, sonstigen ausländischen sicherheitsrelevanten Personen und Straftätern konstruktiv mit den Bundesbehörden sowie auch mit dem Gemeinsamen Zentrum für die Unterstützung der Rückkehr (ZUR) in Berlin zusammen. Für eine Verlagerung von Zuständigkeiten wird derzeit kein Bedarf gesehen. Dessen ungeachtet bleibt der Bund in der Pflicht, die Bundesländer stärker bei der Rückführung von Gefährdern und Straftätern zu unterstützen, insbesondere durch verbesserte Rücknahmeabkommen mit den jeweiligen Staaten.
- Welche Maßnahmen erfolgen aktuell, um eine Abschiebung von schweren Straftätern und terroristischen Gefährdern in die Länder zu ermöglichen, die, nach Ansicht der Landesregierung, momentan für derartige Abschiebungen nicht in Frage kommen? (Bitte die betreffenden Länder und die Maßnahmen auflisten)
Abschiebungen sind Einzelfallentscheidungen. Sie können dann durchgeführt werden, wenn im jeweiligen Einzelfall sowohl die rechtlichen als auch die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Über zielstaatenbezogene Abschiebungshindernisse befindet das insoweit zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Bezüglich allgemeiner Einschränkungen bei den Rückführungsmöglichkeiten, gerade im Bereich der Passersatzpapier- und Flugrückführungsprozesse, ist ebenfalls der Bund gefordert, worauf das Land auf unterschiedlichen Ebenen hinweist.