Kleine Anfrage 3410des Abgeordneten Roger Beckamp vom 14.02.2020
Übergriffe auf und Anschläge gegen die Immobilienbranche
Im Zuge der fortwährenden politischen Diskussion über die Wohnungsproblematik – insbesondere sind hier die immer weiter steigenden Mieten vor allem in den Großstädten zu nennen – lädt sich die Stimmung gegenüber Immobilienbesitzern und -unternehmen zunehmend auf. Diese Entwicklung hat bereits zu Gewalttaten gegen Sachen und inzwischen auch gegen Personen geführt.
Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Mitarbeiterin eines dortigen Immobilienunternehmens wird der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung mit der Feststellung zitiert: „Erst brennen Barrikaden und Mülltonnen, dann werden Wehrlose angegriffen – der Weg zum politischen Mord ist nicht mehr weit, wenn der Rechtsstaat nicht mit allen Mitteln und aller Konsequenzen eingreift.“1
Belastbare Informationen stehen speziell zu politisch motivierten Aktionen in diesem Themenfeld kaum zur Verfügung. Die „Immobilienzeitung“ stellt fest, dass seit Mitte September 2019 keine Woche ohne einen neuen Anschlag vergehe. Am 13.10.2019 wurden beispielsweise in Wuppertal ein Auto des Unternehmens VONOVIA und eines des Gebäudemanagementunternehmens Dussmann beschädigt.2
„Das Bundeskriminalamt (BKA) registrierte in diesem Jahr Straftaten gegen große Wohnungsbaufirmen ‚in einem mittleren zweistelligen Bereich’ pro Unternehmen wohlgemerkt.“, stellt die Wochenzeitschrift der Spiegel fest.3
Trotz oder vielleicht auch wegen der von allen politischen Seiten immer wieder betonten Forderung „Bauen, Bauen“ wird die Bautätigkeit in bestehenden Wohnsiedlungen kritisch gesehen. Zum einen bringt die sog. Verdichtung häufig einen subjektiven, aber auch objektiven Rückgang der Wohnqualität mit sich (Wegfall von Grünflächen, von großzügigen Innenhofbereichen, von Spielmöglichkeiten etc). Bauliche Neu- und Umgestaltungen zum Zweck der Wohnraumgewinnung können zum anderen auch zur Verdrängung von alteingesessener Bevölkerung, sog. „Gentrifizierung“ führen. Aktivitäten unter dem Schlagwort „Antigentrifizierung“ werden im Verfassungsschutzbericht unter linksextremistisch motivierter Kriminalität erfasst, und es wird vor sog. „Resonanzstraftaten“ im Zusammenhang mit neuen Immobilienprojekten gewarnt.
Ich frage daher die Landesregierung:
1. Wie viele Gewalttaten gegen „Sachen“ von Immobilienunternehmen sind im Jahre 2019 in NRW gemeldet worden?
2. Wieviel solcher Straftaten sind als politisch links motivierte Taten eingestuft worden?
3. Wie viele Gewalttaten gegen „Personen“ aus dem Berufsumfeld von Immobilienunternehmen sind im Jahre 2019 in NRW gemeldet worden?
4. Wie viele solcher Straftaten sind als politisch links motivierte Taten eingestuft worden?
5. Liegen der Landesregierung Informationen über politisch motivierte Taten im Zusammenhang mit Aktionen in Bezug auf Szeneviertel und mit der Räumung besetzter Häuser vor?
Roger Beckamp
1 „Schöne Grüße aus Connewitz“, in: Immobilien Zeitung vom 14.11.2019, S. 1
2 „Die Grenzen der Kriminalstatistik, in: Immobilien Zeitung vom 14.11.2019, S. 4
3 Schläge ins Gesicht, in: DER SPIEGEL Nr. 49 vom 30.11. 2019, S. 74
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 11.03.2020
Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3410 mit Schreiben vom 11. März 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie
- den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten;
- sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben;
- durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden;
- gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.
Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.
Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.
Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).
Der Fallzahlenabgleich mit dem Bundeskriminalamt ist für das Jahr 2019 noch nicht abgeschlossen. Demnach kann es noch zu geringfügigen Abweichungen kommen, weshalb die in diesem Bericht angegebenen Fallzahlen für das Jahr 2019 als vorläufige Zahlen zu betrachten sind.
1. Wie viele Gewalttaten gegen „Sachen“ von Immobilienunternehmen sind im Jahre 2019 in NRW gemeldet worden?
2. Wieviel solcher Straftaten sind als politisch links motivierte Taten eingestuft worden?
3. Wie viele Gewalttaten gegen „Personen“ aus dem Berufsumfeld von Immobilienunternehmen sind im Jahre 2019 in NRW gemeldet worden?
4. Wie viele solcher Straftaten sind als politisch links motivierte Taten eingestuft worden?
Die Fragen 1 bis 4 werden gemeinsam beantwortet.
Im Rahmen des KPMD-PMK wurden 16 Straftaten im Zusammenhang mit der Wohnraumproblematik im Jahr 2019 gemeldet.
Davon wurden 15 Straftaten dem Phänomenbereich PMK- links zugeordnet, eine Straftat entfiel auf den Phänomenbereich PMK- nicht zuzuordnen. Bei dieser handelte es sich um einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.
Von den 15 dem Phänomenbereich PMK- links zugeordneten Straftaten handelte es sich in acht Fällen um eine Sachbeschädigung, in vier Fällen um einen Hausfriedensbruch, in zwei Fällen um eine Beleidigung und in einem Fall um eine Bedrohung.
Eine weitergehende statistische Erfassung liegt nicht vor.
5. Liegen der Landesregierung Informationen über politisch motivierte Taten im Zusammenhang mit Aktionen in Bezug auf Szeneviertel und mit der Räumung besetzter Häuser vor?
Vier der vorgenannten Straftaten (drei Hausfriedensbruchdelikte, ein Bedrohungsdelikt) standen im Zusammenhang mit Räumungen. Weitergehende Erkenntnisse liegen nicht vor, da die Fragekriterien sich im Übrigen nicht im KPMD-PMK abbilden.