Umfang von Haftaussetzungen im NRW-Strafvollzug während der Corona-Zeit

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 717
des Abgeordneten Klaus Esser und Dr. Hartmut Beucker vom 07.11.2022

Umfang von Haftaussetzungen im NRW-Strafvollzug während der Corona-Zeit

Der Justizvollzug des Landes hatte Mitte Mai 2020 bekanntgegeben, dass es rund tausend Fälle gab, bei denen es zur Haftaussetzung bei Resthaftstrafen von bis zu 18 Monaten kam.1

Mehr als zwei Jahre nach einer Anfrage der AfD-Fraktion NRW sollten Art und Umfang der Haftunterbrechungen bzw. Haftaussetzungen der Öffentlichkeit transparent kommuniziert wer­den.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie oft wurde seit dem 15. Mai 2020 auf Grund der Corona-Sonderregelung im Justizvollzug die Aussetzung der Haft gewährt? (Bitte aufschlüsseln nach Justizvollzugsanstalt, nach Jahr und nach der Dauer der Unterbrechung)
  2. Aufgrund welcher Delikte waren die von Haftaussetzung profitierenden Personen inhaftiert? (Bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht, Herkunft)
  3. Wie viele Haftantritte wurden bisher auf Grund der Corona-Sonderregelung im Justizvollzug ausgesetzt? (Bitte auflisten nach Justizvollzugsanstalt, nach Jahr und nach der Dauer der Haftaussetzung)
  4. Welche Delikte lagen den jeweiligen Aussetzungen der Haftantritte zu Grunde? (Bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht, Herkunft)
  5. Wie viele Fälle von straffällig gewordenen Häftlingen, die von Haftaussetzung profitierten, sind seit Beginn der Maßnahmen in NRW aktenkundig geworden?

Dr. Hartmut Beucker
Klaus Esser

 

Anfrage als PDF

 

1 https://dev.afd-fraktion.nrw/2020/05/13/haftunterbrechung-in-der-corona-zeit/


Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 717 mit Schreiben vom 1. Dezember 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Wie oft wurde seit dem 15. Mai 2020 aufgrund der Corona-Sonderregelung im Jus­tizvollzug die Aussetzung der Haft gewährt? (Bitte aufschlüsseln nach Justizvoll­zugsanstalt, nach Jahr und der Dauer der Unterbrechung)

Die Anzahl der in der Zeit vom 15. Mai 2020 bis zum 31. Mai 2021 aus Gründen der Vollzug­sorganisation gemäß § 455a StPO gewährten Strafunterbrechungen aus Anlass der Corona-Pandemie ergibt sich aus der nachfolgenden Übersicht. Fehler bei der statistischen Erfassung können nicht ausgeschlossen werden. Seit dem 1. Juni 2021 sind die Vollstreckungsbehörden des Landes gehalten, die Vollstreckung aller unterbrochenen Ersatzfreiheitsstrafen und kurzen Freiheitsstrafen wieder aufzunehmen.

Eine statistische Erfassung der jeweiligen Dauer der Unterbrechung erfolgte nicht. Entspre­chende Angaben bedürften daher einer händischen Auswertung aller einschlägigen Gefan­genenpersonalakten, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist.

 

  Anzahl der Strafunterbrechungen aus Gründen der
Vollzugsorganisation gemäß § 455a StPO aus Anlass der
Corona-Pandemie
in 2020 in 2021
davon Männer davon Frauen davon Männer davon Frauen
Justizvollzugsanstalt Aachen 1   1  
Justizvollzugsanstalt Attendorn     1  
Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne 3   3  
Justizvollzugsanstalt Bochum 1   1  
Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel     1  
Justizvollzugsanstalt Düsseldorf     1  
Justizvollzugsanstalt Euskirchen 1   1  
Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen 1     1
Justizvollzugsanstalt Hamm     1  
Justizvollzugsanstalt Heinsberg     1  
Justizvollzugsanstalt Köln       1
Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen 1      
Justizvollzugsanstalt Remscheid     2  
Justizvollzugsanstalt Siegburg 1      
Justizvollzugsanstalt Werl 1   2  
Justizvollzugsanstalt Willich I     1  
Justizvollzugsanstalt Willich II   1    
  10 1 16 2

 

  1. Aufgrund welcher Delikte waren die von Haftaussetzung profitierenden Personen inhaftiert? (Bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht und Herkunft)

Eine statistische Erfassung der der Inhaftierungen zugrundeliegende Delikte, des Alters und der Herkunft der Gefangenen, denen Strafunterbrechung aus Gründen der Vollzugsorganisa­tion gemäß § 455a StPO aus Anlass der Corona-Pandemie gewährt wurde, erfolgte nicht. Entsprechende Angaben bedürften daher einer händischen Auswertung aller einschlägigen Gefangenenpersonalakten, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist. Die Angaben zum Geschlecht der Gefangenen können der Antwort zu Frage 1 entnommen wer­den.

  1. Wie viele Haftantritte wurden bisher auf Grund der Corona-Sonderregelung im Justizvollzug ausgesetzt? (Bitte auflisten nach Justizvollzugsanstalt, nach Jahr und nach der Dauer der Haftaussetzung)

Es wird zunächst auf die Landtagsvorlage 17/4081 Bezug genommen. Die dort in den Ausfüh­rungen zu Frage 2 mitgeteilte Anzahl an Verfahren, in denen bei der Vollstreckung von Frei­heitsstrafen bis zu einem Jahr vorübergehend Vollstreckungsaufschub gewährt worden war, erhöhte sich bis zum Jahresende 2020 auf 1.484, wobei Fehler bei der statistischen Erfassung ausdrücklich nicht ausgeschlossen werden können. Seit dem 1. Juli 2020 ist die Vollstreckung von Jugendarrest, Freiheitsstrafen und Erzwingungshaft sukzessive wieder aufgenommen worden.

Nach den Berichten des staatsanwaltschaftlichen Geschäftsbereichs des Ministeriums der Justiz sind pandemiebedingt ferner insgesamt 94.808 Vollstreckungsaufschübe von Ersatz­freiheitsstrafen erfolgt, davon 43.602 im Jahr 2020, 34.242 im Jahr 2021 und 16.964 im Jahr 2022 (Stand: Oktober 2022). Die Vollstreckungsbehörden des Landes sind seit dem 15. Sep­tember 2021 gehalten, die Vollstreckung aller Ersatzfreiheitsstrafen, denen gegen männliche Personen erkannte Geldstrafen von über 130 Tagessätzen zugrunde liegen, sowie darüber hinaus aller Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund von Straftaten nach dem 13. Abschnitt des Straf­gesetzbuchs (StGB) wieder aufzunehmen und die hiervon betroffenen verurteilten Personen sukzessive bei Fristablauf zum Strafantritt zu laden. Unbeschadet davon ist es den Vollstre­ckungsbehörden bei allen Ersatzfreiheitsstrafen (weiterhin) unbenommen, sie im Einzelfall aus spezial- bzw. generalpräventiven Gründen – nach vorheriger Rücksprache mit der zuständigen Anstalt – zu vollstrecken.

Eine statistische Erfassung der jeweiligen Dauer des Aufschubs erfolgte nicht. Entsprechende Angaben bedürften daher einer händischen Auswertung aller einschlägigen Verfahrensakten, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist.

  1. Welche Delikte lagen den jeweiligen Aussetzungen der Haftantritte zu Grunde? (Bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht, Herkunft)

Auch zur Beantwortung der Frage 4 bedürfte es einer händischen Auswertung aller einschlä­gigen Verfahrensakten, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist. Wegen Straftaten nach dem 13. Abschnitt des StGB verhängte Freiheitsstrafen waren von einem pan-demiebedingten Vollstreckungsaufschub von vornherein ausgenommen.

  1. Wie viele Fälle von straffällig gewordenen Häftlingen, die von Haftaussetzung pro­fitierten, sind seit Beginn der Maßnahmen in NRW aktenkundig geworden?

Die Frage wird dahin verstanden, dass sie auf Fälle erneuter Straffälligkeit von Personen ab­zielt, die – nach Unterbrechung der Strafvollstreckung aus vollzugsorganisatorischen Gründen aus Anlass der Corona-Pandemie – aus der Haft entlassen worden sind. Hierzu liegen dem Ministerium der Justiz belastbare Erkenntnisse nicht vor. Die Staatsanwaltschaften des Lan­des sind im Übrigen bereits seit dem 15. Juli 2020 gehalten, die Vollstreckung unterbrochener Freiheitsstrafen wieder aufzunehmen, wenn die vorläufig entlassenen Gefangenen die in sie gesetzte Erwartung straffreier Führung nach der Haftentlassung nicht gerechtfertigt haben, weil sie neue Straftaten begangen haben, inzwischen in anderer Sache in Haft genommen wurden oder zum Strafantritt in anderer Sache geladen worden sind.

 

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