Umsatzsteuerpflicht an Schulen – ein altes Bürokratiemonster im neuen Gewand?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 439
der Abgeordneten Carlo Clemens und Dr. Hartmut Beucker vom 12.09.2022

 

Umsatzsteuerpflicht an Schulen ein altes Bürokratiemonster im neuen Gewand?

Der Kuchenverkauf an Schulen hat Tradition. Er ist nicht nur ein wichtiger Lückenfüller im Finanzplan der Schulen, sondern sichert Schülern aus schwachen sozioökonomischen Verhältnissen beispielsweise auch die Teilnahme an einer Klassenfahrt. Unumstritten trägt der Verkauf zum Beisammensein zwischen Lehrern, Eltern und der Schülerschaft bei, fängt gleichwohl auch finanzielle Lücken auf. Kuchenverkauf ist jahrzehntelang bewährt, unkompliziert und einfach.1

Aus dem Steuerrecht geht bisher hervor, dass öffentliche Einrichtungen anders als privatwirtschaftliche Unternehmen keine Umsatzsteuer zahlen müssen. Die Europäische Union will mit einer neuen Verordnung jedoch verhindern, dass private Unternehmer im Wettbewerb dadurch benachteiligt werden können.2 Es wurde eine Mehrwertsteuerrichtlinie erlassen, die sich in § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG) niederschlägt und besagt, dass Kommunen, Ministerien und Landratsämter ab dem 01.01.2023 steuerpflichtig sein werden. Somit könnte durch die neue Richtlinie der EU im kommenden Jahr auch der Verkauf von Schulkuchen o.ä. steuerpflichtig werden. Bis Ende des Jahres sind die Länder beauftragt, diese neue Verordnung umzusetzen.3

Mit der Umsetzung der Neuordnung der Umsatzbesteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts zum 01.01.2023 entfallen bisherige Möglichkeiten der Umsatzsteuerbefreiung aufgrund von Freibeiträgen oder Sonderregelungen, so dass künftig alle Einrichtungen der öffentlichen Hand umsatzsteuerpflichtig werden.4

Der Sprecher des Finanzministeriums in Baden-Württemberg äußerte sich kritisch zu der neu­en Verordnung.5 Auch der Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg prognostiziert, dass die neuen Steuerregeln in den Kommunen für Unmut sorgen werden, da sich die Mitarbeiter in den Rathäusern über Monate mit der Überprüfung der eigenen Abläufe und deren umsatzsteuerlicher Relevanz befassen müssten.6

Besonders gravierende Auswirkungen hat diese Neuordnung auf Bildungseinrichtungen und vor allem Schulen. So wäre nicht nur der Kuchenverkauf auf Schulfesten betroffen, sondern grundsätzlich jede Form von Einnahmen, für die eine Gegenleistung erfolgt. Hier seien beispielsweise Adventsbasare, Schul-Merchandising, Eintritte und Getränke bei Veranstaltungen und Bücherbörsen genannt.

Die neue Verordnung bedeutet für Schulen einen enormen zusätzlichen Arbeits- und Dokumentationsaufwand, zumal die Belege und Abrechnungen wegen der Umsatzsteuervoranmeldung monatlich an den Schulträger weitergeleitet werden müssen. Letzterer ist dann zuständig für die Übertragung von Besteuerungsgrundlagen in die Buchhaltung und für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung an das Finanzamt.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Gibt es Überlegungen von Fachleuten, die oben beschriebene Einbeziehung von Schulen in das System der umsatzsteuerlichen Verpflichtungen durch die Neuregelung als nicht gegeben ansehen?
  2. Wenn nein, werden Überlegungen angestellt, welche legalen Umgehungsmöglichkeiten bestehen?
  3. Wie wurden Schulleitungen zu den bevorstehenden möglichen Veränderungen unterrichtet und darauf vorbereitet?
  4. Welchen zusätzlichen Personalbedarf sieht die Landesregierung entstehen?
  5. Wie hoch schätzt die Landesregierung die insgesamt entstehenden Kosten für die Neuregelung in Bezug auf Schulen und andere Einrichtungen in Landesträgerschaft ein?

Carlo Clemens
Dr. Hartmut Beucker

 

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1 https://www.sueddeutsche.de/panorama/kuchen-verkauf-schule-mehrwertsteuer-eu-richtlinie-baden-wuerttemberg-1.5587415

2 https://www.news4teachers.de/2022/05/buerokratie-monster-ist-beim-kuchenverkauf-in-schulen-bald-die-steuerpflicht-zu-pruefen/

3 https://www.sueddeutsche.de/panorama/kuchen-verkauf-schule-mehrwertsteuer-eu-richtlinie-baden-wuerttemberg-1.5587415

4 https://www.haufe.de/finance/steuern-finanzen/2b-ustg-neues-umsatzsteuerrecht-fuer-kommunen_190_467974.html

5 https://www.sueddeutsche.de/panorama/kuchen-verkauf-schule-mehrwertsteuer-eu-richtlinie-baden-wuerttemberg-1.5587415

6 https://www.news4teachers.de/2022/05/buerokratie-monster-ist-beim-kuchenverkauf-in-schulen-bald-die-steuerpflicht-zu-pruefen/


Der Minister der Finanzen hat die Kleine Anfrage 439 mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Schule und Bildung be­antwortet.

  1. Gibt es Überlegungen von Fachleuten, die oben beschriebene Einbeziehung von Schulen in das System der umsatzsteuerlichen Verpflichtungen durch die Neure­gelung als nicht gegeben ansehen?
  2. Wenn nein, werden Überlegungen angestellt, welche legalen Umgehungsmöglich­keiten bestehen?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind an die Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersys-tem (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) gebunden. § 2b Umsatzsteuergesetz setzt die zwin­genden Vorgaben des Unionsrechts für die Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts zutreffend um. Eine Ausnahme von diesen Rechtsgrundsätzen für Schulen in Träger­schaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist Angehörigen der an das Gesetz gebundenen Landesverwaltung nicht möglich.

Die umsatzsteuerliche Beurteilung realisierter Umsätze in Schulen ist abhängig von der tat­sächlichen Durchführung der Leistungen. Für die Frage der Besteuerung ist bei der Umsatz­steuer allein auf deren objektiven Inhalt abzustellen.

  1. Wie wurden Schulleitungen zu den bevorstehenden möglichen Veränderungen unterrichtet und darauf vorbereitet?
  2. Welchen zusätzlichen Personalbedarf sieht die Landesregierung entstehen?
  3. Wie hoch schätzt die Landesregierung die insgesamt entstehenden Kosten für die Neuregelung in Bezug auf Schulen und andere Einrichtungen in Landesträger-schaft ein?

Die Fragen 3 bis 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet:

Die konkreten steuerrechtlichen Beurteilungen sowie die steuerrechtlich korrekte Handhabung von Geschäftsvorfällen obliegen der jeweiligen Schulträgerkommune als steuerpflichtiger ju­ristischer Person des öffentlichen Rechts. Der Verkauf von Kuchen durch einen Förderverein ist von der Neuregelung des Umsatzsteuerrechts nicht betroffen.

Es findet ein Austausch des Ministeriums für Schule und Bildung mit den Kommunalen Spit­zenverbänden über die Auswirkungen der Neuregelung des § 2b UStG in den Schulen statt. Sofern sich in Abstimmung mit der Steuerverwaltung des Bundes und der Länder Erleichte­rungen oder Vereinfachungen finden lassen, werden diese in Nordrhein-Westfalen umgesetzt.

Über bei den Schulträgern aufgrund der steuerrechtlichen Änderungen entstehende Kosten und zusätzlichen Personalbedarf liegen der Landesregierung keine Informationen vor.

Die Frage nach den staatlichen Einrichtungen wird auf Schulen bezogen, bei denen das Land die Schulträgerrolle innehat. Diese Schulen in Trägerschaft des Landes sind bereits über die steuerrechtlichen Änderungen informiert. Sie werden weiterhin von den Bezirksregierungen und dem Ministerium für Schule und Bildung unterstützt.

 

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