Unterliegen die Räume der Stille an Hochschulen mittlerweile der Scharia?

Kleine Anfrage
vom 14.02.2025

Kleine Anfrage 5109

des Abgeordneten Prof. Dr. Daniel Zerbin AfD

Unterliegen die Räume der Stille an Hochschulen mittlerweile der Scharia?

Die Fachhochschule Aachen wirbt auf ihrer Website mit „Nachhaltigkeit“ sowie „Diversity und Chancengleichheit“. Sie ist vor allem für die Fachbereiche Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht bekannt. Doch aktuell ist die Fachhochschule, die auf ihrer Internetseite zum Thema Gleichstellungsbeauftragte angibt, dass „die Chancengleichheit der Geschlechter sicherzustellen und dort, wo sie noch nicht erreicht ist, gezielt und nachhaltig anzustreben“ sei,1 damit in die Schlagzeilen geraten, dass am Eingang zu ihrem Raum der Stille ein Zettel mit der Aufforderung „Bitte draußen warten, wenn jemand vom anderen Geschlecht betet!“ angebracht wurde. Räume der Stille sollen einen Rückzugsort darstellen, um zu beten, meditieren oder abschalten zu können, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Religion. Wer diesen Zettel tatsächlich angebracht hat, ist nicht bekannt, jedoch sind ähnliche Vorfälle schon an anderen Universitäten vorgefallen. 2

Schon 2016 berichtete der Spiegel über verschiedene Vorfälle mit muslimischen Gläubigen, die beispielsweise in der TU Dortmund eine Trennwand im Raum der Stille errichtet hatten, um Männer und Frauen beim Gebet trennen zu können. Der Raum der Stille wurde daraufhin geschlossen. Auch an anderen Hochschulen, wie der Universität Hannover, der Hochschule Bochum oder der Goethe-Universität Frankfurt kam es zu ähnlichen Vorfällen, welche den Raum der Stille betrafen.3

Doch auch andere muslimische Veranstaltungen an Universitäten gerieten in den Fokus der Öffentlichkeit. So wird das abendliche Fastenbrechen zum Fastenmonat Ramadan auch an der Universität Göttingen durchgeführt. Hierbei ist aufgefallen, dass auf den Bildern zum abendlichen Gebet zum Fastenbrechen in der staatlichen Universität, organisiert von der Muslimischen Hochschulgruppe Göttingen, die anwesenden Personen nach Geschlecht getrennt waren. Auch seien „Allahu-Akbar“-Rufe zu vernehmen gewesen.4

Bei fehlender Geschlechtertrennung weigern sich jedoch teilweise auch die Gläubigen der Raum der Stille zu nutzten. So wichen männliche muslimische Studenten an der Universität Essen in die vorhandene Bibliothek aus, um dort ohne Schuhe mit Gebetsteppichen zwischen den Regalen zu beten. Dieses Video ging in den sozialen Medien viral. 5

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Welche Fälle sind in den letzten 10 Jahren bekannt geworden, in denen Räume der Stille oder andere von nordrhein-westfälischen Hochschulen genutzte Räume oder Einrichtungen geschlechtergetrennt genutzt worden sind? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Vorfall)
  2. Wie wird sichergestellt, dass religiöse Veranstaltungen an nordrhein-westfälischen Hochschulen mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichberechtigung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind?
  3. Wie wird sichergestellt, dass an nordrhein-westfälischen Hochschulen keine sonstigen religiösen Sonderregeln eingeführt werden, welche mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kollidieren?
  4. Welche Konsequenzen ergeben sich für Studenten, die universitäre Räumlichkeiten oder Einrichtungen entgegen den geltenden Vorschriften für religiöse Zwecke nutzen, beispielsweise durch das Beten in Bibliotheken?
  5. Wie bewertet die Landesregierung die Vorfälle an den Hochschulen, insbesondere die Aufforderung zur geschlechtergetrennten Nutzung der Räumlichkeiten und die Schließung als direkte Konsequenz hieraus?

Prof. Dr. Daniel Zerbin

 

MMD18-12826

 

1 https://www.fh-aachen.de/fh-aachen/hochschulstruktur/interessenvertretungen-und-beauftragte/gleichstellung (abgerufen am 29.01.2025);

2 https://www.nius.de/gesellschaft/news/wenn-maenner-beten-duerfen-frauen-nicht-rein-im-ruheraum-der-fachhochschule-aachen-gilt-offenbar-schon-die-scharia/9ce4bc61-b3a5-4eb5-bcb3-34014862adb9 (abgerufen am 29.01.2025)

3 https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/raum-der-stille-so-beten-muslime-und-christen-an-unis-zusammen-a-1076376.html (abgerufen am 29.01.2025).

4 https://www.nius.de/gesellschaft/nach-maennern-und-frauen-getrennt-islamisches-gruppengebet-in-der-uni-goettingen/e80a0d05-0477-4396-90df-701a54167fee (abgerufen am 29.01.2025).

5 https://www.nius.de/gesellschaft/news/wenn-maenner-beten-duerfen-frauen-nicht-rein-im-ruheraum-der-fachhochschule-aachen-gilt-offenbar-schon-die-scharia/9ce4bc61-b3a5-4eb5-bcb3-34014862adb9 (abgerufen am 29.01.2025).


Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 5109 mit Schreiben vom 14. März 2025 namens der Landesregierung beantwortet.

  1. Welche Fälle sind in den letzten 10 Jahren bekannt geworden, in denen Räume der Stille oder andere von nordrhein-westfälischen Hochschulen genutzte Räume oder Einrichtungen geschlechtergetrennt genutzt worden sind? (Bitte aufschlüs­seln nach Jahr und Vorfall)

Es gibt an mehreren nordrhein-westfälischen Hochschulen sogenannte Räume der Stille oder vergleichbare Räumlichkeiten. Die Räume der Stille sollen dabei grundsätzlich allen Hoch­schulmitgliedern zur Verfügung stehen, um etwa Ruhe, Erholung, Besinnung oder Gebet zu ermöglichen. Daneben gibt bzw. gab es vereinzelt Räumlichkeiten, die speziell der Religions­ausübung gewidmet sind, wie zum Beispiel die evangelische Schlosskirche an der Rheini­schen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn.

Die staatlich getragenen Hochschulen sowie die Kunst- und Musikhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen haben gegenüber dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Lan­des Nordrhein-Westfalen folgende Fälle angegeben, in denen in den vergangenen 10 Jahren eine geschlechtergetrennte Nutzung von derartigen Räumlichkeiten der Hochschulen bekannt geworden ist:

  • Die Hochschule Bochum gibt an, dass der dort eingerichtete Meditationsraum selbstor­ganisiert geschlechtergetrennt genutzt werde.
  • Die Technische Universität Dortmund hat ihren Raum der Stille 2016 geschlossen, nach­dem sich die Nutzerinnen und Nutzer mehrfach nicht an die Nutzungsordnung gehalten haben.
  • An der Universität Duisburg-Essen gab es im Jahr 2016 eine geschlechtergetrennte Nut­zung des mittlerweile geschlossenen Gebetsraums.
  • An der Universität Siegen ist ein solcher Fall im Jahr 2024 aufgetreten. Der dortige „Raum der Stille“ besteht seit 2017.

Die Westfälische Hochschule geht davon aus, dass der am Standort Gelsenkirchen eingerich­tete Raum der Stille, der allen Mitgliedern der Hochschule zu Ruhe, Entschleunigung, Ent­spannung, Meditation oder Gebet zur Verfügung stehe, teilweise auch geschlechtergetrennt genutzt werde.

Die Universität Münster hat angegeben, dass im Raum der Stille und in den Gebetsräumlich­keiten grundsätzlich nicht geschlechtergetrennt gebetet werde. In der Praxis sei es jedoch üblich, dass Männer und Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Raumes beten würden. Die Erfahrung habe zudem gezeigt, dass am muslimischen Freitagsgebet nur Männer teilneh­men würden, was jedoch nicht an einer Geschlechtertrennung liege, sondern daran, dass die­ses nur für Männer vorgeschrieben sei.

Die Fachhochschule Aachen hat die Darstellungen der in der Kleinen Anfrage zitierten Pres­seberichterstattung zu dem den Raum der Stille der Hochschule betreffenden Sachverhalt zu­rückgewiesen. Der eingerichtete Raum der Stille steht laut Hochschule grundsätzlich allen Hochschulmitgliedern zur Verfügung, um dem Bedürfnis nach Ruhe und Erholung, Besinnung und Gebet einen Platz zu geben. Ob und wenn ja, wie lange an der Eingangstür des Raumes der Hinweis „Bitte draußen warten, wenn jemand vom anderen Geschlecht betet!! Danke!!“ angebracht gewesen sei, könne nicht nachvollzogen werden, da es keine diesbezüglichen Meldungen an die Hochschulleitung gegeben habe. Wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre der Verstoß gegen die Nutzungsordnung der Hochschule festgestellt und entsprechend ge­ahndet worden.

  1. Wie wird sichergestellt, dass religiöse Veranstaltungen an nordrhein-westfäli­schen Hochschulen mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbe­rechtigung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind?
  2. Wie wird sichergestellt, dass an nordrhein-westfälischen Hochschulen keine sonstigen religiösen Sonderregeln eingeführt werden, welche mit dem verfas­sungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kollidieren?
  3. Welche Konsequenzen ergeben sich für Studenten, die universitäre Räumlichkei­ten oder Einrichtungen entgegen den geltenden Vorschriften für religiöse Zwecke nutzen, beispielsweise durch das Beten in Bibliotheken?
  4. Wie bewertet die Landesregierung die Vorfälle an den Hochschulen, insbesondere die Aufforderung zur geschlechtergetrennten Nutzung der Räumlichkeiten und die Schließung als direkte Konsequenz hieraus?

Die Fragen 2 bis 5 werden wegen des Sachzusammenhangs wie folgt gemeinsam beantwor­tet:

Die staatlich getragenen Hochschulen sowie die staatlichen Kunst- und Musikhochschulen ha­ben als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen der Gesetze das Recht zur Selbst­verwaltung. Dieses Selbstverwaltungsrecht beinhaltet unter anderem auch den Erlass der zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Ordnungen, die Durchführung von Veranstaltungen sowie die Entscheidung über die Nutzung von Räumlichkeiten der Hochschulen, etwa als Räume der Stille. Diese Selbstverwaltung hat stets im Einklang mit dem geltenden Recht zu erfolgen. Daher haben die Hochschulen die Einhaltung des geltenden Rechts sicherzustellen. Dies kann etwa durch den Erlass von Ordnungen (zum Beispiel Nutzungsordnungen), die Ver­waltungspraxis (zum Beispiel zur Genehmigung von Veranstaltungen) oder die Ahndung von relevantem Fehlverhalten erfolgen, etwa bei Verstößen gegen die Nutzungsordnung. Die Ahn­dung unsachgemäßer oder rechtswidriger Nutzung von universitären Räumlichkeiten oder Einrichtungen obliegt im Rahmen der Selbstverwaltung den Hochschulen. Die Hochschulen können hierfür insbesondere das Hausrecht ausüben und Ordnungsmaßnahmen nach § 51a des Hochschulgesetzes erlassen, wie etwa einer Rüge oder dem Ausschluss von der Benutzung von Einrichtungen der Hochschule. Bei strafrechtlich relevantem Verhalten kommt zudem eine Strafanzeige in Betracht.

Im Rahmen der geltenden Gesetze können die Hochschulen daher Räume der Stille oder ähnliche Räume einrichten oder auch wieder schließen. Dabei sind, neben der Verfügbarkeit von geeigneten Räumlichkeiten, unter anderem der ordnungsgemäße Betrieb nach dem Hoch­schulgesetz sowie der Gleichheitsgrundsatz, die Religionsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit und das Neutralitätsgebot zu berücksichtigen. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen geht davon aus, dass die Hochschulen in Nordrhein-West­falen im Hinblick auf die Nutzung von Räumlichkeiten als Räume der Stille, auf religiöse Ver­anstaltungen sowie sonstige religiöse Regeln an den Hochschulen in Einklang mit Recht und Gesetz handeln.

 

MMD18-13135