Utopisch, bürokratisch, unfinanzierbar? Konsequenzen der EU-Gebäuderichtlinie für Nordrhein-Westfalen umfassend transparent machen

Antrag
vom 08.05.2024

Antrag

der Fraktion der AfD

Utopisch, bürokratisch, unfinanzierbar? Konsequenzen der EU-Gebäuderichtlinie für Nordrhein-Westfalen umfassend transparent machen

I. Ausgangslage

Der Europäische Rat hat am 12. April 2024 die im Trilog-Verfahren zwischen Kommission, Rat und Parlament ausgehandelte neue Fassung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden („EU-Gebäuderichtlinie“) verabschiedet.1 Die in der Richtlinie enthaltenen Re­gelungen haben weitreichende Auswirkungen auf die Wohnungsneubautätigkeit in NRW, auf Mieter, Hauseigentümer und gewerbliche Nutzer von Immobilien sowie auf die Wettbewerbs­fähigkeit der NRW-Wirtschaft, die öffentlichen Haushalte und darunter besonders die kommu­nalen Haushalte.

Nach der Richtlinie sind für den Neubau ab 1. Januar 2030 „Nullemissionsgebäude“ der Stan­dard, für öffentliche Neubauten bereits ab 2028. Nullemissionsgebäude sind Gebäude mit ei­ner sehr hohen Gesamtenergieeffizienz und ohne lokale CO2-Emissionen aus fossilen Brenn­stoffen. Die Anforderung, dass 100 Prozent des Wärmeenergiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden müssen, geht weit über die Anforderungen des deutschen Gebäu-deenergiegesetzes hinaus, wonach die Heizung im Neubau nur zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Auch im Hinblick auf den zulässigen Primär­energiebedarf bedeuten die Nullemissionsgebäude eine erhebliche Verschärfung, denn nach dem derzeit im Neubau geltenden Effizienzhausstandard EH55 beträgt der zulässige Primär­energiebedarf maximal 40 kWh/m2.

Für bestehende Wohngebäude verlangt die neue EU-Richtlinie im Vergleich zu 2020 eine glo­bale Senkung des Primärenergieverbrauchs um mindestens 16 Prozent bis 2030 und um 20– 22 Prozent bis 2035 – mit dem Endziel eines „Nullemissionsgebäudebestands“ bis 2050. Da­bei wird erneuerbare Primärenergie durch niedrigere Primärenergiefaktoren bevorzugt.

Diese globalen Reduktionsziele müssen angesichts deutlich gestiegener Baupreise und Zin­sen erreicht werden sowie vor dem Hintergrund, dass in Deutschland seit 2015 weder der klimabereinigte Wärmeenergieverbrauch je m2 beheizter Wohnfläche, noch der gesamte Raumwärmebedarf in Gebäuden zurückgegangen ist. Außerdem ist die aktuelle Sanierungs­quote im Wohngebäudebestand, gemessen an den Einsparungszielen, viel zu niedrig. Laut einer Auswertung des Marktforschungsunternehmens B+L Marktdaten aus Bonn im Auftrag des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle (Buveg) wurden 2023 schätzungsweise nur 0,7 Prozent der Wohnhäuser in Deutschland an der Fassade, dem Dach oder den Fens­tern energetisch saniert. Die 2023 erreichte Quote liegt deutlich unter dem Vorjahreswert von 0,88 Prozent. Nach den vorliegenden Untersuchungen würde die für 2045 angestrebte Kli­maneutralität im Gebäudebestand eine Sanierungsquote zwischen 1,7 und 2,0 Prozent im Jahr erfordern.

Der Austausch von fossilen Heizungen im Gebäudebestand wird daher einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der in der Richtlinie vorgegebenen Absenkungsziele für 2030 und 2035 leisten müssen. Die Bereitschaft der Bürger zum Heizungstausch ist jedoch in dem derzeiti­gen, von großer Unsicherheit geprägten energiepolitischen Umfeld als gering einzuschätzen. Gegen eine Investition in eine Wärmepumpe sprechen nicht nur die meist hohen Folgeinves­titionen in die Gebäudehülle oder die sonst hohen Stromkosten, sondern auch die Unsicherheit über die zukünftigen Heizoptionen, solange die kommunalen Wärmepläne nicht vorliegen. Das wird aber in der Regel in den Großstädten nicht vor 2026 und in kleineren Städten und Ge­meinden nicht vor 2028 der Fall sein.

Abgesehen davon haben die deutschen Wohngebäude im Durchschnitt bereits einen guten energetischen Standard. Nach der Tado-Studie aus dem Jahr 2020 beträgt der Wärmeverlust eines Hauses mit 20 ºC Innentemperatur bei einer Außentemperatur von 0 ºC über einen Zeit­raum von fünf Stunden in Deutschland durchschnittlich nur 1 Grad. Das ist im europäischen Vergleich ein sehr guter Wert. In Frankreich sind es 2,5 Grad, in Belgien 2,9 Grad. Wegen der zunehmenden Grenzkosten energetischer Hüllensanierungen sind die Belastungen durch eine weitere Reduktion des Primärenergieverbrauchs in Deutschland also besonders hoch.

Weiterhin ist in der Richtlinie der Ausstieg aus mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizkes­seln bis 2040 als „indikatives Ziel“ vorgegeben. Das kommt einem Betriebsverbot gleich und bedeutet mutmaßlich, dass die Gasversorgung von Haushalten und Unternehmen in Deutsch­land spätestens 2040 und nicht erst 2045 eingestellt wird. Das Vorziehen des Schlusstermins auf 2040 wird dazu führen, dass die Gasnetze regional noch früher als bisher erwartet mit hohen Desinvestitionskosten abgebaut werden. Damit ist die Amortisation von neu eingebau­ten Gas- oder Gashybridheizungen gefährdet.

Für die Sanierung von Nichtwohngebäuden mit niedriger Energieeffizienz müssen die einzel­nen Mitgliedstaaten Schwellenwerte für die Gesamtenergieeffizienz festlegen, die von den 16 bzw. 26 Prozent der Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz überschritten werden. Die Mitgliedstaaten müssen „gewährleisten“, dass jedes einzelne dieser Gebäude bis 2030 bzw. 2033 durch energetische Sanierung über die Schwellenwerte gehoben wird. Betroffen davon sind in Deutschland 26 Prozent der Nichtwohngebäude, das sind rund 5,5 Millionen gewerblich genutzte und öffentliche Gebäude. Vermutlich können die Mitgliedstaaten ihrer Ge­währleistungspflicht in diesem Bereich nicht ohne einen harten Sanierungszwang gerecht wer­den.

Die Kommunen in NRW sind durch die Inflation, die hohen Tarifabschlüsse, die gestiegenen Baupreise und die enormen Kosten der Migrationspolitik finanziell bereits sehr stark belastet. Angesichts des steigenden Sanierungsstaus in der Infrastruktur hält René Geißler, Professor für kommunale Finanzen an der TH Wildau, neue Investitionsfelder für nicht vorstellbar. Ohne Fördermittel sei das Thema Klimatransformation für die Kommunen nicht umzusetzen. Auch fehle es an Fachkräften, um die neuen, hochkomplexen und technisch anspruchsvollen Felder Wärmeplanung und Energieeffizienz zu bearbeiten.2

II. Der Landtag stellt fest:

Die Sanierungsziele der EU-Gebäuderichtlinie sind viel zu restriktiv und für Deutschland nicht erreichbar.

Die Anforderung, dass alle Neubauten zukünftig Nullemissionsgebäude ohne lokale CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen sein müssen, führt für sich genommen zu einem we­sentlichen Anstieg der Neubaukosten und Neubaumieten.

Die prozentualen Absenkungsziele für den Primärenergieverbrauch von Wohngebäuden sind für Deutschland nicht erreichbar. Sie sind außerdem zu pauschal und wirken wie eine Strafe auf die Anstrengungen in der Vergangenheit.

Der Ausstieg aus mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizkesseln bis spätestens 2040 führt zu untragbaren finanziellen Belastungen der Bürger und der öffentlichen Haushalte. Ein Hei­zungstausch ist den Bürgern im derzeitigen, von großer Unsicherheit geprägten energiepoliti­schen Umfeld nicht zumutbar.

Die individuellen Schwellenwerte für Nichtwohngebäude erfordern einen harten Sanierungs­zwang. Die damit erforderlichen Investitionen in den Gebäudebestand werden viele Kommu­nen in NRW überfordern, darunter besonders wirtschaftlich schwache, vom Strukturwandel betroffene Städte und Gemeinden, bei denen ein Sanierungsstau im kommunalen Gebäude­bestand aufgelaufen ist. Diese Kommunen dürfen genauso wenig im Stich gelassen werden wie der gewerbliche Mittelstand.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • die mit der Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie in nationales Recht zu erwartenden zusätzlichen Belastungen für die Wohnungsneubautätigkeit in NRW, die Mieter und Hauseigentümer, die gewerblichen Nutzer von Immobilien, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die öffentlichen Haushalte und besonders die kommunalen Haushalte in ei­nem umfassenden Bericht darzulegen;
  • sich auf allen Ebenen für eine Rücknahme der Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie einzusetzen;
  • die Gasversorgung von Bürgern, Unternehmen und öffentlichen Gebäuden langfristig aufrechtzuerhalten.

Carlo Clemens

Dr. Martin Vincentz

Andreas Keith

und Fraktion

 

MMD18-9174

 

1 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2024 zu dem Vorschlag für eine Richtli­nie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung) (COM(2021)0802 – C9-0469/2021 – 2021/0426(COD)).

2 Vgl. https://www.welt.de/wirtschaft/plus251146508/EU-Gebaeuderichtlinie-Energiewende-Das-Sys-tem-Kommunalverwaltung-ist-am-Limit.html.

Beteiligte:
Carlo Clemens