Verfassungsschutz: „Wissen nicht, wen wir übersehen haben“

Kleine Anfrage
vom 09.07.2018

Kleine Anfrage 1234des Abgeordneten Markus Wagner vom 02.07.2018

 

Verfassungsschutz: „Wissen nicht, wen wir übersehen haben“

Wie viele Terroristen befinden sich unter Asylbewerbern? Wie der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, dem Nachrichtenmagazin „Focus  online“ in seiner Ausgabe vom 26.06.20181 mitteilte, seien manche Asylbewerber die in den  vergangenen Jahren in Deutschland Schutz gefunden hätten „mit einem Terrorauftrag vom IS“  gekommen.

In Asylunterkünften seien Verdächtige ausgemacht worden, „die einen Anschlagsplan hatten  und aus irgendwelchen Gründen nicht zuende führen konnten“, sagte Maaßen.

Dem  Verfassungsschutz mache das Sorge, weil man nicht wisse, wen man übersehen habe. Zudem drohten Flüchtlinge in Deutschland radikalisiert zu werden. Insbesondere junge  Männer sunnitischen Glaubens würden in Moscheen von Salafisten angeworben Problematisch sei auch, dass 80 Prozent der Asylsuchenden keine gültigen Ausweispapiere  vorlegten und so nur auf der Grundlage eigener Angaben identifiziert werden könnten, sagte  Maaßen.

Der Austausch mit europäischen Partnern werde dadurch erschwert, zudem könnten  möglicherweise Informationen von nordafrikanischen Diensten nicht eindeutig zugeordnet  werden. „Das ist für uns eine sehr, sehr große Herausforderung.“ Die Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) lobte der  Verfassungsschutzpräsident. Allein in den ersten vier Monaten habe das Sicherheitsreferat  der Behörde 3000 Hinweise an den Verfassungsschutz gegeben.

Ich frage daher die Landesregierung:

1. Teilt die Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen (Verfassungsschutz NRW), die Aussage des Präsidenten des Bundesamts für  Verfassungsschutz, dass manche Asylbewerber „mit einem Terrorauftrag vom IS“ nach  Deutschland gekommen seien?

2. In wie vielen Asylunterkünften in NRW sind Verdächtige ausgemacht worden, „die einen  Anschlagsplan hatten und diesen aus irgendwelchen Gründen nicht zuende führen  konnten“? (Bitte aufschlüsseln nach Standort der Asylunterkunft und Anzahl der Verdächtigen.)

3. Wie viele Flüchtlinge wurden bereits in Moscheen in NRW, von Salafisten angeworben? (Bitte aufschlüsseln nach Moschee und Anzahl der dort jeweils „angeworbenen  Flüchtlinge“.)

4. Trifft die Aussage des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz zu, dass 80  Prozent der Asylsuchenden keine gültigen Ausweispapiere vorlegen und so nur auf der  Grundlage eigener Angaben identifiziert werden könnten?

5. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Landesregierung um Anschlagspläne zu  vereiteln um die Bevölkerung vor einem islamistischen Terroranschlag zu schützen?

Markus Wagner

 

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Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 01.08.2018

 

Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1234 mit Schreiben vom 1. August 2018 na­mens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet.

1. Teilt die Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen (Verfas­sungsschutz NRW), die Aussage des Präsidenten des Bundesamts für Verfas­sungsschutz, dass manche Asylbewerber „mit einem Terrorauftrag vom IS“ nach Deutschland gekommen seien?

Auch nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen werden Aufklärung und Beobachtung extre­mistischer Aktivitäten im Zusammenhang mit Flüchtlingen unvermindert fortgeführt.

Die Einschätzung und Erkenntnisse des Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen zu dem Thema Flüchtlinge und extremistischer Salafismus im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2017 haben weiterhin Gültigkeit (vgl. S. 94 f. der Onlinefassung: https://www.im.nrw/si-tes/default/files/media/document/file/vorab_vs_bericht_2017.pdf):

„Seit Beginn des Jahres 2015 wurden Hinweise zu jihadistisch motivierten Personen unter Flüchtlingen durch nordrhein-westfälische Behörden zusammengetragen und bewertet. In die­sem Zusammenhang wurden von Januar 2015 bis Dezember 2017 rund 260 Hinweise erfasst.

Vielfach konnte der Verdacht auf eine jihadistische Intention durch eingeleitete Ermittlungen entkräftet werden. Nur in knapp zehn Prozent der Fälle führten die Ermittlungen zu einer Ver­dichtung der Hinweise, so dass weitergehende nachrichtendienstliche Maßnahmen oder straf­rechtliche Ermittlungsverfahren durch die Polizeibehörden eingeleitet wurden. In den anderen Fällen lagen Namensverwechslungen, Fehlmeldungen oder sogar gezielte Verleumdungen vor.“ (…)

In den Jahren 2016 und 2017 traten einzelne Flüchtlinge als jihadistische Attentäter in Erschei­nung. Drei der fünf in 2016 durchgeführten Anschläge wurden durch Flüchtlinge begangen. So auch der Anschlag von Anis AMRI auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidtplatz in Berlin im Dezember 2016 und das Messer-Attentat in Hamburg im Jahr 2017. Hinzu kommen weitere Fälle, in denen Vorbereitungshandlungen von Einzelpersonen durch die Intervention der Si­cherheitsbehörden rechtzeitig erkannt und verhindert werden konnten.

Dies veranschaulicht, dass Flüchtlinge in der Vergangenheit für die jihadistische Propaganda empfänglich waren und von radikalisierten Einzelpersonen eine terroristische Bedrohung aus­geht.

Die Flüchtlinge im extremistischen Salafismus können derzeit in drei Gruppen unterteilt wer­den:

Die erste Gruppe besteht aus Personen, die dem IS oder anderen terroristischen Organisati­onen im Ausland angehören und im Zuge der Flüchtlingsbewegungen ab dem Jahr 2015 nach Europa bzw. Deutschland gekommen sind. Diese Personen sind als hochgradig radikalisiert zu bewerten und dazu angeleitet, in Europa Anschläge zu begehen.

Die zweite Gruppe besteht aus Personen, die in ihren Heimatländern bereits islamistisches Gedankengut verinnerlicht hatten, aber ohne Anleitung und Agenda gekommen sind. Diese Personen sind leicht empfänglich für die Botschaften islamistischer Organisationen und Netz­werke.

Die dritte Gruppe besteht aus Personen, die sich erst in Deutschland der islamistischen Szene zuwenden und vorher kaum Affinitäten zum extremistischen Salafismus hatten. Die Gründe für diese Radikalisierungen sind vermutlich in gescheiterten Integrationsbemühungen zu su­chen.“

2. In wie vielen Asylunterkünften in NRW sind Verdächtige ausgemacht worden, „die einen Anschlagsplan hatten und diesen aus irgendwelchen Gründen nicht zuende führen konnten“? (Bitte aufschlüsseln nach Standort der Asylunterkunft und An­zahl der Verdächtigen.)

Nach Erkenntnissen der Landesregierung gibt es einen entsprechenden Einzelsachverhalt, in dem ein Bewohner einer nordrhein-westfälischen Asylunterkunft Planungen für die Durchfüh­rung eines Anschlages getroffen und diese dann nicht umgesetzt hat.

Dabei handelt es sich um einen 16-jähriger Zuwanderer aus Syrien, der in einer Flüchtlings­einrichtung in Köln lebte. Hier wurde er am 20.09.2016 festgenommen. Die Landesregierung hat den Innenausschuss in der Sitzung am 29.09. 2016 (APr 16/1450) über den Sachverhalt informiert. Die Tat hatte sich noch in einem sehr frühen Stadium befunden. Eine konkrete Um­setzung von Anschlagsplänen soll noch nicht stattgefunden haben.

3. Wie viele Flüchtlinge wurden bereits in Moscheen in NRW, von Salafisten angewor­ben? (Bitte aufschlüsseln nach Moschee und Anzahl der dort jeweils „angeworbe­nen Flüchtlinge“.)

Hierzu liegen der Landesregierung keine konkreten Zahlen aufgeschlüsselt nach Moscheen und Anzahl von „angeworbenen Flüchtlingen“ vor, da nicht das äußere Einwirken Dritter, son­dern die Zuwendung einer Person zu einer Ideologie für die Beantwortung der Frage bekannt sein müsste.

Insofern wird zur Beantwortung der Frage auf die Erkenntnisse und Einschätzung in dem Ver­fassungsschutzbericht für das Jahr 2017 verwiesen (hier S. 94 der Onlinefassung: https://www.im.nrw/sites/default/files/media/document/file/vorab_vs_bericht_2017.pdf):

„Gemessen an der Gesamtzahl der in NRW untergebrachten Flüchtlinge ist der bisher be­kannte Anteil an salafistisch-extremistisch motivierten Personen weiterhin gering. Derzeit ent­stammen 5 – 10% der dem Verfassungsschutz bekannten Extremisten in Nordrhein-Westfalen dem Personenpotenzial der Flüchtlinge. Die weitaus wichtigere Personengruppe ist nach wie vor die sogenannte „home-grown“-Szene, die sich aus Personen zusammensetzt, die zumeist in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und in rund 2/3 aller Fälle auch im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sind.“

4. Trifft die Aussage des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz zu, dass 80 Prozent der Asylsuchenden keine gültigen Ausweispapiere vorlegen und so nur auf der Grundlage eigener Angaben identifiziert werden könnten?

Im Rahmen der Registrierung von Asylsuchenden werden vom Land Nordrhein-Westfalen keine eigenen Statistiken über deren Einreisedokumente erstellt. Anderweitige Erkenntnisse oder statistische Werte liegen nicht vor.

Zuständige Behörde für die Aufklärung der Identität im Rahmen des Asylverfahrens und die damit einhergehende Prüfung von Ausweispapieren ist nach § 16 Asylgesetz in erster Linie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Zu einer Bewertung aus Sicht des Bundes wird auf die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Günter Krings im Deutschen Bun­destag vom 28. September 2016 (Plenarprotokoll 18/192) auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (Drucksache 18/9730, Frage 25) verwiesen.

5. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Landesregierung um Anschlagspläne zu vereiteln um die Bevölkerung vor einem islamistischen Terroranschlag zu schüt­zen?

Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Deutschland ist ein Schwerpunkt der Si­cherheitsbehörden und bei der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung in Nordrhein-Westfalen. Die Polizei hat sich daher mit dem „Handlungskonzept der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen zur Früherkennung islamistischer Terroristen“ entsprechend organisatorisch aufge­stellt.

Ziele des Handlungskonzeptes sind das frühzeitige Erkennen von Radikalisierungen und An-schlagsvorbereitungen sowie das Verhindern terroristischer Anschläge von gewaltbereiten is­lamistisch-motivierten Personen bzw. Netzwerken mittels umfassender Gefahrenaufklärung durch alle Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte im Rahmen der ihnen zuge­wiesenen Aufgaben und Tätigkeiten.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz verfolgt mit den zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln eine Dreifachstrategie aus Repression, Prävention und Ausstiegshilfe gegen Islamismus und den sich daraus ergebenden Gefahren. Im Gegensatz zur Polizei hat der Verfassungsschutz keine Exekutivbefugnisse. Es ist seine Aufgabe, frühzeitig problemati­sche Entwicklungen zu erkennen und Politik und Gesellschaft zu informieren und zu sensibili­sieren. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz sammelt und beschafft Informationen zu islamistischen Strukturen und Beobachtungsobjekten und bewertet diese. Zusätzlich wird ein personenbezogener Bearbeitungsansatz in Form einer operativen Auswertung im Bereich des Jihadismus verfolgt.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz und die Polizei arbeiten in der „Sicherheitskon­ferenz“ mit, die unter der Leitung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integra­tion tagt und das Ziel hat, gegen Personen des islamitischen Spektrums mit ausschließlich nichtdeutscher Staatsangehörigkeit möglichst weitreichende Maßnahmen nach dem Asyl- o­der dem Aufenthaltsgesetz zu treffen.

Zudem wurden in den letzten Jahren die Strukturen für die Zusammenarbeit der Sicherheits­behörden des Bundes und der Länder weiter optimiert. Bereits bei niedrigschwelligen Gefähr­dungshinweisen finden sogenannte Fallkonferenzen zwischen der nordrhein-westfälischen Polizei und dem Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen statt. Bei länderübergreifenden Gefährdungshinweisen regelmäßig auch beim „Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum“ (GTAZ) in Berlin.

 

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Beteiligte:
Markus Wagner