Verfolgungsjagd in Bad Salzuflen – 19-Jähriger angeschossen und schwer verletzt – Was war da los?

Kleine Anfrage
vom 19.07.2023

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage 1967

Am Samstag, den 03.06.2023, kam es im Kreis Lippe zu einem Vorfall im Straßenverkehr mit einem 19-Jährigen. Der junge Autofahrer wurde von der Polizei in Herford aufgefordert anzu­halten, da die Beamten ihn kontrollieren wollten. Anstatt der Aufforderung nachzukommen, flüchtete der 19-Jährige und fuhr, von der Polizei verfolgt, bis in das benachbarte Bad Salzuf-len, wo er in eine Sackgasse in einem Wohngebiet einbog. Aus diesem Grund musste der Fahrer anhalten und die insgesamt 131 Beamten, die an der Verfolgungsjagt beteiligt waren, stiegen aus, um ihn festzunehmen. Wider Erwarten wendete der Verdächtige sein Fahrzeug und hielt „mit augenscheinlich überhöhter Geschwindigkeit“2 auf die Polizeibeamten zu. Infol­gedessen schossen sechs der 13 Polizisten „mehr als 30 Schüsse“ auf das heranfahrende Auto. Der Flüchtige wurde von fünf Kugeln getroffen und rauschte in einen der beistehenden Streifenwagen. Die Beamten fungierten weiter als Ersthelfer, um den schwerverletzten Fahrer zu versorgen. Dieser wurde wenig später mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflo­gen. Des Weiteren sei einer der Polizisten leicht verletzt worden, sechs weitere hätten einen Schock erlitten.3 Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Detmold bestätigte, dass sich der Zustand des Mannes mittlerweile stabilisiert hätte.

Zur Klärung des Ablaufs und der Hintergründe wurde eine Mordkommission eingerichtet. Am Tatort wurden außerdem umfangreiche Spurensuchmaßnahmen eingeleitet. Nach ersten Er­kenntnissen habe der 19-Jährige keinen Führerschein gehabt, was ein Motiv für seine Flucht gewesen sein könnte. Angeblich seien die Bodycams der Einsatzkräfte nicht eingeschaltet gewesen und konnten so den Hergang nicht aufzeichnen.4

Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1967 mit Schreiben vom 13. Juli 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

  1. Wie ist der Sachstand der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu dem oben genannten Vorfall? (Bitte Tatverdächtigen, Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächti­gen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vornamen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächti­gen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)

Da es sich um ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren handelt, wird die Frage 1 auf Grundlage des Berichts der sachleitenden Staatsanwaltschaft beantwortet. Hierzu hat mir das Ministerium der Justiz mit Schreiben vom 29.06.2023 folgende Informationen zur Verfügung gestellt:

„Der Leitende Oberstaatsanwalt in Detmold hat dem Ministerium der Justiz zum Tathergang zuletzt unter dem 21.06.2023 im Wesentlichen dergestalt berichtet, wie dies auch Gegenstand gemeinsamer Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft Detmold und des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 03. und 07.06.2023 war, auf die Bezug genommen wird: zu vgl. https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12522/5524359 und https://www.pressepor-tal.de/blaulicht/pm/12522/5528365. Zur Person des am 03.06.2023 vor den Einsatzkräften ge­flüchteten Tatverdächtigen hat er u. a. mitgeteilt, dass dieser 19 Jahre alt und nicht vorbestraft sei und sowohl die deutsche als auch die tunesische Staatsangehörigkeit besitze.

Unter dem 23.06.2023 hat der Leitende Oberstaatsanwalt dem Ministerium der Justiz ergän­zend berichtet, dass auf eine Blutprobenentnahme verzichtet worden sei, weil ein toxikologi-sches Gutachten nach Auskunft der behandelnden Ärzte aufgrund der Wechselwirkung der im Rahmen der sofortigen medizinischen Behandlung verabreichten Medikamente nicht mehr aussagekräftig gewesen wäre. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte unter Be­täubungsmittel- oder Alkoholeinfluss gestanden hat, lägen derzeit nicht vor.“

  1. Warum waren die Bodycams der Einsatzkräfte nicht eingeschaltet?

Hierzu hat mir das Ministerium der Justiz mit Schreiben vom 29.06.2023 folgende Informatio­nen zur Verfügung gestellt:

„Dem Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Detmold vom 21.06.2023 zufolge war ledig­lich eine Body-Cam, die keinem der Polizeikräfte zugeordnet werden kann, für zwei Sekunden eingeschaltet. Sie zeige allerdings kein tatrelevantes Filmmaterial. Die übrigen Body-Cams seien während des gesamten Einsatzes nicht aktiviert gewesen, ohne dass die Gründe hierfür – jedenfalls zurzeit – bekannt seien.“

  1. Wie oft kam es seit 2015 bis heute in NRW zum Straftatbestand „Fahren ohne gül­tige Fahrerlaubnis“? (Bitte nach Jahr aufschlüsseln.)

Eine Auswertung der Vorgangsbearbeitungssysteme der Polizei Nordrhein-Westfalen ergab folgende Anzahl der Delikte „Fahren ohne Fahrerlaubnis“:

Jahr Anzahl Delikte
2015 31.421
2016 33.883
2017 34.125
2018 35.318
2019 31.978
2020 23.900
2021 17.903
2022 11.083
2023* 5.106

(*Stand: 15.06.2023)

Damit wurden in Nordrhein-Westfalen seit 2015 insgesamt 224.717 polizeiliche Vorgänge auf­grund des Deliktes „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ gefertigt. Bei diesen Zahlen handelt es sich um die in den Vorgangsbearbeitungssystemen erfassten Vorgänge, die vor Abschluss der kri­minalpolizeilichen Ermittlungen und Übergabe an die Staatsanwaltschaft erhoben werden (Eingangsstatistik).

  1. Wie viele sogenannte „Verfolgungsjagden“ im Straßenverkehr hat es seit 2015 in NRW durch die Polizei gegeben? (Bitte nach Jahr und Ort aufschlüsseln.)

Auf Grundlage des Datenbestandes aus dem Einsatzleitsystem der Polizei Nordrhein-Westfa­len wurde eine Auswertung der Einsatzanlassart „Verfolgungsfahrt“ durchgeführt. Auf Grund­lage dieser Auswertung ergeben sich folgende Einsatzzahlen seit dem Jahr 2015:

Jahr 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023*
Anzahl Delikte 516 493 527 581 567 885 989 1.164 606

(*Stand: 15.06.2023)

Damit gab es in Nordrhein-Westfalen seit 2015 insgesamt 6.328 polizeiliche Einsätze anläss­lich einer Verfolgungsfahrt.

  1. Wie viele dieser polizeilichen Einsätze im Straßenverkehr seit 2015 hatten einen Schusswechsel zur Folge? (Bitte aufschlüsseln nach Tathergang, Vorstrafen des Tatverdächtigen, Straftatbestände, Staatsbürgerschaften des Tatverdächtigen, seit wann der Tatverdächtige im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, Vor­namen und Mehrfachstaatsangehörigkeit bei einem deutschen Tatverdächtigen und sonstige polizeiliche Erkenntnisse über den Tatverdächtigen nennen.)

Informationen über die Anzahl polizeilicher Einsätze im Straßenverkehr, die zu einem Schuss-waffengebrauch geführt haben, liegen der Landesregierung nicht vor. Zur Beantwortung der Frage wäre daher eine händische Auswertung aller infrage kommender Einsatzanlässe erfor­derlich. Dies ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten.

 

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1 https:!!www.ruhrnachrichten.de!regionales!bad-salzuflen-autofahrer-flieht-kontrolle-polizei-angeschossen-hubschrauber-w741565-2000824813!.

2 https:!!www.spiegel.de!panorama!in-nrw-autofahrer-flieht-vor-polizeikontrolle-und-wird-angeschossen-a-bc0ce3e9-c537-4e04-872b-fd3d8d5ccafd.

3 https:!!www.ruhrnachrichten.de!regionales!bad-salzuflen-autofahrer-flieht-kontrolle-polizei-angeschossen-hubschrauber-w741565-2000824813!.

4 Ebenda.